Was vom amerikanischen Traum übrig bleibt

by Buchstaplerin Maike

Hoff­nung und Ernüch­te­rung hal­ten sich in „Das geträumte Land” von Imbolo Mbue die Waage. Buch­stap­le­rin Maike bangt mit einer kame­ru­ni­schen Fami­lie in New York zur Zeit des Bör­sen­crashs im Jahre 2008. Sie erfährt, was Men­schen alles für ihre Fami­lien und ihren (ame­ri­ka­ni­schen) Traum zu tun bereit sind.

Für Jende Jonga ist New York der Mit­tel­punkt der Welt, und nir­gendwo sonst soll seine Fami­lie zu Hause sein. Noch ist die Immo­bi­li­en­blase nicht zer­platzt und so üben die Wol­ken­krat­zer der Wall Street eine magi­sche Anzie­hungs­kraft auf den Ein­wan­de­rer aus Kame­run aus. Jende gelingt etwas, das wie ein Mär­chen klingt: Clark Edwards, ein rei­cher Mak­ler bei Leh­man Bro­thers, stellt ihn als per­sön­li­chen Chauf­feur ein. Die Wege der Fami­lien Jonga und Edwards kreu­zen sich immer stär­ker, bis auch Jen­des Frau Neni neben ihrem Stu­dium für Clarks Frau Cindy arbei­tet. Mit der Zeit wer­fen Jende und Neni einen Blick hin­ter die glit­zernde Fas­sade der rei­chen Wei­ßen. Als sie brö­ckelt, beginnt alles zu zerfallen …

„Als ich in Limbe Müll gesam­melt habe, hät­ten wir da geglaubt, dass wir es irgend­wie nach New York schaffen?”

„Das geträumte Land” wirft die Lese­rIn­nen zurück in die Zeit, als Ame­rika vol­ler Hoff­nung auf Obama war und vom Finanz­crash über­wäl­tigt wurde. Mbue spannt mit den Figu­ren die Schere zwi­schen Ursa­che und Wir­kung: Clark Edwards scheint sym­bo­lisch für die Ver­ur­sa­cher der Krise zu ste­hen, wäh­rend die Jon­gas über­all um sich herum die indi­rek­ten Aus­wir­kun­gen zu spü­ren bekommen.
Was diese Kon­stel­la­tion span­nend macht, ist die Abwe­sen­heit einer Gut-Böse-Zuschrei­bung. Im Gegen­teil: Alle Haupt­fi­gu­ren sind viel­schich­tig, mit guten und schlech­ten Eigen­schaf­ten, und sehr mensch­lich gezeich­net. Geschickt kon­stru­iert Mbue die Schick­sale der bei­den Fami­lien par­al­lel. Für ihre Fami­lie machen die Figu­ren alles. Nicht sel­ten bewe­gen sie sich dabei in recht­li­chen Grau­zo­nen oder über­schrei­ten sogar die Grenze zur Kri­mi­na­li­tät. Ob es um die Ver­un­treu­ung von Fir­men­gel­dern, das Belü­gen der Ein­wan­de­rungs­be­hörde, Erpres­sung oder Heim­lich­tue­reien geht: Mbue gibt keine Bewer­tung ab, was davon gerecht­fer­tigt oder zu ver­ur­tei­len ist. Statt­des­sen lässt sie zwi­schen den Zei­len die Frage offen, was man selbst alles tun würde, um die eigene Fami­lie zusammenzuhalten.

Fami­lie und Hei­mat sind zwei­fels­ohne die Grund­mo­tive des Romans. Trotz gro­ßer kul­tu­rel­ler Unter­schiede und trotz indi­vi­du­el­ler Kämpfe und Nie­der­la­gen blei­ben sie als uni­ver­selle Prin­zi­pien bestehen. Doch Mbue ver­han­delt noch mehr: Die Kapi­tel sind wei­test­ge­hend abwech­selnd aus Nenis und Jen­des Per­spek­tive erzählt. Die Ereig­nisse fügen sich aus dem Blick­win­kel der Schwar­zen Ein­wan­de­rer zu einem Gesamt­bild zusam­men, das mit Kli­schees spielt. Durch Jende und Neni wird der Kul­tur­schock erleb­bar, wenn ame­ri­ka­ni­scher Traum und Wirk­lich­keit zusam­men­pral­len. In ihrer Ver­bun­den­heit zu Kame­run und dem Ver­such, sich ihr Stück­chen alte Hei­mat in der klei­nen Woh­nung zu bewah­ren, wir­ken die Figu­ren am lebendigsten.

„Ame­rika kann die Hölle sein […].”

Ange­sichts der aktu­el­len poli­ti­schen Lage in den USA wirkt „Das geträumte Land” wie ein ver­spä­te­ter Kom­men­tar. Doch der Roman hin­ter­lässt einen ernüch­tern­den, fast zu rea­lis­ti­schen Nach­ge­schmack. Trotz­dem: Mbue setzt gekonnt Glücks­mo­mente zwi­schen indi­vi­du­elle Kämpfe, Vor­ur­teile und Armut, von denen das Buch lebt. Und einige Fra­gen sind heute so aktu­ell wie vor zehn Jah­ren. Wie kommt man gut durchs Leben? Was tut man, um die eige­nen Träume wahr­zu­ma­chen? Was gibt man auf? Und ist der Traum das wert?

Das geträumte Land. Imbolo Mbue.
Aus dem ame­ri­ka­ni­schen Eng­lisch von Maria Hummitzsch.
Kie­pen­heuer & Witsch. 2017.

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