Weit weg und ganz nah

by Bücherstadt Kurier

„Weit weg und ganz nah“ ist der dritte Roman der bri­ti­schen Schrift­stel­le­rin Jojo Moyes. Erschie­nen ist er 2014 im Rowohlt-Ver­lag. Ein lesens­wer­tes Buch, fin­det Bücher­städ­te­rin Janna.

Zunächst wer­den zwei Geschich­ten erzählt. Zum einen die der jun­gen und allein­er­zie­hen­den Mut­ter Jess und zum ande­ren die von Ed Nicholls. Jess, eine allein­er­zie­hende Mut­ter lebt zusam­men mit ihrer mathe­ma­tisch hoch­be­gab­ten Toch­ter Tan­zie und ihrem Stief­sohn Nicky in einem klei­nen Haus. Auf­grund feh­len­der Aus­bil­dung muss sie sich durchs Leben kämp­fen, Putz­auf­träge anneh­men und einem Job in einer Bar nach­ge­hen. Das Gegen­teil die­ser Fami­lie ist Ed, ein wohl­ha­ben­der IT-Unter­neh­mer, gegen den auf­grund Insi­der­han­dels ermit­telt wird. Er soll wich­tige Daten und Fak­ten, die hät­ten unter Ver­schluss blei­ben müs­sen, an Dritte her­aus­ge­ge­ben haben.

Am Anfang der Geschichte erfährt der Leser, dass Jess eine Putz­stelle bei Ed hat und ihr ein Bün­del Geld­scheine in die Hände fällt. Nun muss sie über­le­gen, was rich­tig und was falsch ist und wofür sie sich letzt­end­lich ent­schei­det. Mit die­sem Geld kann sie ihrer Toch­ter Tan­zie schließ­lich die Mathe­olym­piade in Schott­land ermög­li­chen. Doch als sie in der Nacht auf­bre­chen, kom­men sie nicht weit, denn ihr Auto bleibt am Stra­ßen­rand lie­gen. Und aus­ge­rech­net Ed Nicholls, des­sen Geld­bün­del nun bei Jess ist, bie­tet der Fami­lie eine Mit­fahr­ge­le­gen­heit an.

Am Anfang mag man viel­leicht den­ken: „Wer steigt mit sei­nen Kin­dern zu einem frem­den Men­schen ins Auto ein?!“ Aber nach und nach ver­steht man viele Ent­schei­dun­gen der allein­er­zie­hen­den Mut­ter Jess. So erge­ben auch man­che Ent­schei­dun­gen von den ein­zel­nen Cha­rak­te­ren Sinn, wie zum Bei­spiel die Situa­tion, in der Jess ein Geld­bün­del von Ed Nicholls fin­det und es ein­steckt, auch wenn es mit ihrer Moral­vor­stel­lung nicht ver­ein­bar ist.

Jess wusste, was sie tun sollte. Natür­lich wusste sie das. Die­ses Geld gehörte ihr nicht. Es war eine Lek­tion, die sie ihren Kin­dern täg­lich ein­häm­merte. Ihr dürft nicht steh­len. Man nimmt nicht, was einem nicht gehört. Tu das Rich­tige, und am Ende wirst du dafür belohnt. Tu das Rich­tige. (Seite 92)

Die Cha­rak­tere sind sehr gut aus­ge­ar­bei­tet. Sie wur­den inter­es­sant gestal­tet und jeder ein­zelne Prot­ago­nist hat Per­sön­lich­keit und Cha­rak­ter. Da ist die chao­ti­sche Jess, die mit ihren Jobs ver­sucht, ihre Kin­der zu ernäh­ren. Sie bleibt stark, obwohl ihr Mann sie ver­las­sen hat und kei­nen Unter­halt zahlt. Jess ist eine Frau, die sogar bei Minus­tem­pe­ra­tu­ren Flip-Flops trägt. Jess ist eine Frau mit vie­len Problemen.

Dann ist da Ed, der trotz sei­nes vie­len Gel­des boden­stän­dig geblie­ben ist. Er ist sehr intel­li­gent und Inha­ber der Firma May­fly. Doch trotz sei­ner hohen Intel­li­genz begeht er einen fol­ge­schwe­ren Feh­ler. Den­noch wirkt er im Laufe des Romans immer sym­pa­thi­scher und wächst nicht nur Jess ans Herz.

Die süße zehn­jäh­rige Tan­zie, deren vol­ler Name Con­stanza lau­tet, ist ein Mathe­ge­nie und bekommt die wahr­schein­lich größte Chance ihres Lebens. Sie soll bei einer Mathe­olym­piade mit­ma­chen, bei der es ein hohes Preis­geld gibt. Der 16-Jäh­rige Nicho­las, mit sei­nen schwar­zen Kla­mot­ten und sei­nem Eye­li­ner-Strich, ist für die ande­ren Kin­der und Jugend­li­chen in der Sied­lung ein Opfer. So ver­kriecht die­ser sich lie­ber in sei­nem Zim­mer und kommt dort den größ­ten Teil des Tages nicht mehr heraus.

Die Geschichte wird aus ver­schie­de­nen Sicht­wei­sen der vier Haupt­prot­ago­nis­ten erzählt. Diese sind in kei­ner bestimm­ten Rei­hen­folge fest­ge­legt und der Schreib­stil passt sich dem Cha­rak­ter des jeweils Erzäh­len­den an. Aller­dings denkt die zehn­jäh­rige Tan­zie zum Bei­spiel in vie­len Tei­len des Romans sehr mathe­ma­tisch, auch wenn sie für den Leser doch ein Kind bleibt.

Sechs­und­zwan­zig Autos pass­ten auf den Park­platz von St. Anne’s. Zwei Rei­hen mit jeweils drei­zehn glän­zen­den Off­roa­dern stan­den ein­an­der gegen­über, und wenn einer von sei­nem Platz glitt, um den nächs­ten in die Lücke zu las­sen, park­ten sie mit einem durch­schnitt­li­chen Win­kel von 41 Grad aus und ein. (Seite 25)

Jojo Moyes hat einen unglaub­lich guten Roman geschaf­fen, der für so ziem­lich alle, die es gerne roman­ti­scher mögen, etwas ist. Es dau­ert etwas, bis die Geschichte in Fahrt kommt, aber es lohnt sich dran zu blei­ben. Denn in die­sem Roman sind viele Momente des Schmun­zelns ein­ge­ar­bei­tet. Durch die ver­schie­de­nen Sicht­wei­sen kön­nen viele sich mit einem oder viel­leicht auch meh­re­ren Cha­rak­te­ren iden­ti­fi­zie­ren. So bleibt das Buch auch abwechs­lungs­reich. Beson­ders erwäh­nens­wert ist, dass die Autorin immer wie­der Par­al­le­len zwi­schen „arm“ und „reich“ geschaf­fen hat.

Weit weg und ganz nah. Jojo Moyes. Über­set­zung: Karo­lina Fell. Rowohlt. 2014.

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