Wenn Unterhaltung auf Wissenschaft trifft: Serien auf dem Prüfstand

by Bücherstadt Kurier

Wer hat nicht schon mal davon geträumt, in die Welt sei­ner Lieb­lings­se­rie ein­zu­tau­chen und an den Erleb­nis­sen und Aben­teu­ern des Seri­en­hel­den teil­zu­ha­ben? Die­ser Traum bleibt in der Regel immer ober­fläch­lich, schließ­lich sind die Gescheh­nisse in Serien stets über­zeich­net, fik­tiv und in der Rea­li­tät über­haupt nicht vor­stell­bar – oder etwa doch? – Von Bücher­städ­ter Florian

Wie viel Rea­lis­mus und wie viel Fik­tion steckt in all­seits belieb­ten Fern­seh­se­rien wie „Game of Thro­nes“ oder „Brea­king Bad“? Diese Frage stellte sich auch der ita­lie­ni­sche Jour­na­list Andrea Gen­tile, der sein aka­de­mi­sches Know-How nutzt, um die belieb­tes­ten Fern­seh­se­rien genauer unter die Lupe zu neh­men – aus der Per­spek­tive eines Wissenschaftlers.

„Kann mein Che­mie­leh­rer Crys­tal Meth her­stel­len?“ lau­tet der Titel des Buches und refe­riert dabei natür­lich auf die preis­ge­krönte Serie „Brea­king Bad“, die von dem am Krebs erkrank­ten Wal­ter White han­delt. Wal­ter ent­schließt sich, sein trost­lo­ses Leh­rer­da­sein an den Nagel zu hän­gen und ein Dro­gen-Impe­rium zu errich­ten, um sei­ner Fami­lie nach sei­nem Able­ben eine gute finan­zi­elle Rück­lage hin­ter­las­sen zu kön­nen. Der Titel ist gleich­zei­tig eine der im Werk the­ma­ti­sier­ten Fragen.

Serien aller Art und wis­sen­schaft­li­che Vielfalt

Ein Blick ins Inhalts­ver­zeich­nis genügt bereits, um fest­zu­stel­len, dass sich Gen­tile einem brei­ten Publi­kum zuwen­det. In den ins­ge­samt drei­zehn Kapi­teln wid­met er sich Fan­tasy-Serien (Game of Thro­nes, True Blood) glei­cher­ma­ßen wie Dra­ma­se­rien (Brea­king Bad) und selbst­ver­ständ­lich Sci­ence-Fic­tion-Serien (Star Trek, Doc­tor Who). Mit „The Big Bang Theory“ hat es auch eine Sit­com in den Fokus des Autors geschafft. Was an der Stelle wenig über­rascht, ist „The Big Bang Theory“ doch gera­dezu prä­de­sti­niert dafür, auf wis­sen­schaft­li­che Exakt­heit hin über­prüft zu wer­den. Durch den brei­ten Fokus sollte jeder Seri­en­fan auf seine Kos­ten kommen.

Gen­tile deckt mit sei­nen Über­le­gun­gen ein wei­tes Spek­trum an natur­wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­pli­nen ab. Von der Neu­ro­bio­lo­gie („Was spielt sich im Gehirn eines Zom­bies ab?“) über die Gesetze der Phy­sik („Kann man durch die Zeit rei­sen?“) und frem­den Lebens­for­men („Wer­den wir jemals Außer­ir­di­schen begeg­nen?“) bis hin zur Kos­mo­lo­gie (der Urknall). Zur Auf­lo­cke­rung gibt es zum Ende eines jeden Kapi­tels zehn teils amü­sante, teils fas­zi­nie­rende Fak­ten über die jewei­lige Serie. Ein net­ter Einfall.

Ein­fach, infor­ma­tiv und fach­lich überzeugend

Eine sol­che Auf­lo­cke­rung wäre nicht ein­mal not­wen­dig gewe­sen. Gen­tile gelingt es, schwie­rige und kom­plexe The­men durch bild­hafte Bei­spiele und eini­ger Anek­do­ten sim­pel dar­zu­stel­len, sodass alle Hob­by­wis­sen­schaft­ler und jene, die es mal wer­den wol­len, die Zusam­men­hänge ver­ste­hen kön­nen. Gleich­zei­tig geht er nie tief ins Detail und schnei­det viele The­men nur an, wes­halb der gemeine „Wis­sen­schafts­nerd“ etwas ent­täuscht sein könnte. Die Kapi­tel sind folg­lich kurz gehal­ten und wis­sen­schaft­li­che Fach­ter­mini sind zwar vor­han­den, wer­den aber aus­führ­lich erklärt. Einige Sätze sind unnö­tig ver­schach­telt, doch das ist zu ver­schmer­zen. Fach­lich ist das Buch jeden­falls makel­los und stets auf dem neus­ten Stand der Forschung.

Gen­ti­les Argu­mente sind durch­dacht und nach­voll­zieh­bar. Häu­fig nimmt er Bezug auf die For­schun­gen berühm­ter Wis­sen­schaft­ler wie Albert Ein­stein oder Wer­ner Hei­sen­berg und bie­tet damit Ein­bli­cke in die For­schungs­ge­schichte ver­schie­de­ner Fach­dis­zi­pli­nen. Immer wie­der bringt er dabei auch Theo­rien oder Modelle zur Spra­che, die nicht jedem geläu­fig sind (bei­spiels­weise die „Milan­ko­vic-Zyklen“). Damit schafft er neue Per­spek­ti­ven und Sicht­wei­sen auf die Sach­ver­halte und bie­tet dem Leser genug Input, sich seine eige­nen Gedan­ken zu machen. Gen­tile zieht seine Kennt­nisse auch aus der expe­ri­men­tel­len Wis­sen­schaft. Etwa Grup­pen von Mathe­ma­ti­kern, die Modelle für die Aus­brei­tung einer Zom­bie-Epi­de­mie ent­wi­ckel­ten oder die soge­nann­ten „Myth­Bus­ters“, die unter ande­rem Sze­nen aus „Brea­king Bad“ nach­ge­stellt haben.

Nicht ganz ausgereift

Gen­tile hat den­noch ein biss­chen Poten­zial ver­schenkt. Denn so über­zeu­gend das Werk auch ist: Man hätte es noch grö­ßer auf­zie­hen kön­nen. Nur ein Bruch­teil der wis­sen­schaft­li­chen Phä­no­mene aus den Serien wer­den tat­säch­lich behan­delt, einige Aspekte, die Auf­merk­sam­keit ver­dient hät­ten, blei­ben uner­wähnt. Näher ein­ge­hen kön­nen hätte man unter ande­rem auf die Geräte und Maschi­nen, die in den Labo­ren oder im pri­va­ten Gebrauch der Nerds in „The Big Bang Theory“ zur Anwen­dung kom­men, oder auf die mathe­ma­ti­schen For­meln, die stets im Hin­ter­grund auf den White­boards pran­gen. Ein wei­te­rer Kri­tik­punkt: An eini­gen Stel­len im Werk tau­chen lei­der klei­nere Spoi­ler auf, hier wäre die eine oder andere War­nung nütz­lich gewesen.

Bei „Kann mein Che­mie­leh­rer Crys­tal Meth her­stel­len?“ han­delt es sich nichts­des­to­trotz um ein inter­es­san­tes und mas­sen­taug­li­ches Wis­sen­schafts­buch, bei denen die Serien sel­ber nicht im Vor­der­grund ste­hen, son­dern vor allen Din­gen als Inspi­ra­tion her­hal­ten – in dem Sinne, dass sie jeweils ein wis­sen­schaft­li­ches Fun­da­ment bean­spru­chen, auf dem ihre Rea­li­tä­ten auf­ge­baut sind. Fun­da­mente, deren Authen­ti­zi­tät auf die Probe gestellt wird. Es ist folg­lich nicht not­wen­dig, jede ein­zelne Serie zu ken­nen. Der Leser benö­tigt für den Genuss des Wer­kes kei­ner­lei wis­sen­schaft­li­cher Vor­kennt­nisse – ein grund­sätz­li­ches Inter­esse an der Wis­sen­schaft sollte aber schon gege­ben sein.

Eines scheint zudem sicher: Mit den Erkennt­nis­sen aus „Kann mein Che­mie­leh­rer Crys­tal Meth her­stel­len?“ kann man beim Small-Talk über Fern­seh­se­rien oder Wis­sen­schaft ordent­lich Ein­druck schinden.

Kann mein Che­mie­leh­rer Crys­tal Meth her­stel­len? Andrea Gen­tile. Über­set­zung: Johan­nes von Vacano. Atlan­tik. 2016.

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr