Wichtel-Menü: Das Waldpicknick

by Bücherstadt Kurier

Jür­gen Rösch-Bras­so­van schreibt für June Is ein Wich­tel-Menü mit Wackel­pud­ding. June hat sich näm­lich Fol­gen­des gewünscht:

  1. Entrée: Lich­tung im Mond­schein (Wald)
  2. Haupt­gang: Buchstabensuppe
  3. Des­sert: Wackel­pud­ding vom Aldi
Das Waldpicknick

Adela freute sich. Buch­sta­ben­suppe! Das erin­nerte sie an ihre Kind­heit, wo sie die ihren Namen bil­den­den Buch­sta­ben am Tel­ler­rand zu sor­tie­ren pflegte, bis dort A D E L A stand. Jetzt, im Mon­den­schein auf die­ser Wald­lich­tung, gestal­tete sich das ziem­lich schwie­rig. Viel­leicht sollte sie näher an das Feuer heran, dachte sie. Doch ehe sie den Gedan­ken in die Tat umset­zen konnte, wurde Adela abge­lenkt. Daniel, der fröh­li­che Junge mit Down-Syn­drom, war näm­lich ver­dammt nahe an den Flam­men des Lager­feu­ers. Adela sprang auf, wäh­rend sie ihn zu war­nen ver­suchte. Aber Sil­via, die andere Erzie­he­rin, kam ihr glück­li­cher­weise zuvor, zog Daniel von den Flam­men weg!
Adela atmete tief durch, wäh­rend sie die Bli­cke schwei­fen ließ. Ein Dut­zend Kin­der im Alter von sie­ben bis zehn Jah­ren waren zu beauf­sich­ti­gen, alle mit Han­di­caps unter­schied­li­cher Art. Dazu kamen Sil­via, der Prak­ti­kant Pebo und sie selbst. Ein Wochen­ende im Wald mit zwei Über­nach­tun­gen in Holz­hüt­ten, unge­fähr drei­hun­dert Meter von die­ser roman­ti­schen Lich­tung ent­fernt. Eigent­lich eine nette Idee, aber eben auch mit Ver­ant­wor­tung und Arbeit für die Erzie­he­rIn­nen verbunden.

Wäh­rend Sil­via, hell­blond und schlank, alles im Griff zu haben schien, run­zelte die dun­kel­haa­rige, kräf­ti­gere Adela die Stirn. Die Kin­der lie­ßen sich die Buch­sta­ben­suppe schme­cken, wobei Sil­via den im Roll­stuhl sit­zen­den Sil­vio füt­terte. Wo aber war die­ser Pebo? Adela hatte ein komi­sches Gefühl, was den Prak­ti­kan­ten anbe­langte. Er wirkte nett, ver­fügte über diverse Talente – so hatte er auch eine Gitarre dabei, auf der er gut zu spie­len ver­stand – aber irgend­was störte Adela an ihm. War es sein Blick? Kein Schie­len, aber irgend­wie schräg ... Oder seine äußerst selbst­be­wusste Art? Jetzt war er nir­gendwo zu sehen. Und wo war Manu? Die war ein ganz lie­bes Mäd­chen, wel­ches Adela sofort ins Herz geschlos­sen hatte. Mit gro­ßen brau­nen Augen ver­trau­ens­voll in die Welt bli­ckend und sehr schutz­be­dürf­tig, sodass sich Adela beson­ders für sie ver­ant­wort­lich fühlte. Viel­leicht waren die bei­den zu den Hüt­ten gegangen ...
Da wandte sich Sil­via an Adela, deren Gedan­ken ver­trei­bend: „Kannst du bitte das Des­sert holen?“ Das befand sich im Kühl­schrank in der „Küchen­hütte“. Wackel­pud­ding von Aldi, in den Geschmacks­rich­tun­gen „Wald­meis­ter“ und „Him­beere“. Adela nickte, stand auf und wählte aus uner­find­li­chen Grün­den den Sei­ten­pfad, nicht den Haupt­weg. War das Instinkt?
Nach etwa hun­dert Metern stutzte sie. Ein Äste­kna­cken im Unter­holz, die Stim­men von Pebo – for­dernd, ein hei­se­res, stoß­wei­ses Flüs­tern – und Manu, die ängst­lich klang. „Lass mich!“ Das konnte Adela deut­lich hören. Nach ein paar wei­te­ren Schrit­ten sah sie die bei­den auch schon im Halb­dun­kel vor sich. Was war das!? Die­ser Pebo hielt die kör­per­lich unter­le­gene Manu fest, die zudem ein ver­kürz­tes lin­kes Bein hatte, wäh­rend er sie mit der ande­ren Hand betatschte! Das konnte Adela im Mond­schein erken­nen. Ein, zwei Augen­bli­cke lang war sie wie erstarrt, dann bewegte sie sich auf die bei­den zu. Trat dabei auf einen Ast: Ein lau­tes Kna­cken ertönte. Pebo fuhr herum, die sich sträu­bende Manu wei­ter­hin fest­hal­tend. Adela sagte mit müh­sam kon­trol­lier­ter, aber äußerst bestimm­ter Stimme: „Lass sie los, Pebo! Sofort!“ Manu kam tat­säch­lich frei, tau­melte auf Adela zu und warf sich in deren Arme. Pebo hin­ge­gen stand einst­wei­len nur da, atem­los, starr.
Dann aber ging er einen Schritt auf Manu und die Erzie­he­rin zu ... Was hatte er vor? Adela war mul­mig zumute, aber immer­hin ver­fügte sie über Kampf­sport­erfah­rung. Sie war daher kurz davor, sich von der schutz­su­chen­den Manu frei­zu­ma­chen und in Kampf­po­si­tion zu gehen. Aber irgend­et­was brachte sie dazu, sich ein­fach nur auf­for­dernd an das Mäd­chen zu wen­den: „Komm Manu, lass uns für Pebo beten! Er ist ver­wirrt.“ Der Prak­ti­kant hielt inne, stand still. Dann hör­ten die bei­den einen gequäl­ten, fast unwirk­li­chen Laut aus sei­nem Mund und er lief davon! Beglei­tet vom Kna­cken tro­cke­nen Hol­zes rannte er, wäh­rend Manu sich noch enger an Adela presste, die beru­hi­gend ihren Kopf strei­chelte. Kann man sich selbst ent­kom­men? Die­ser Gedanke ging dabei durch Ade­las Kopf.
Schließ­lich aber besann sich die Erzie­he­rin und fragte: „Hast du Lust auf Wackel­pud­ding? Die ande­ren wer­den schon dar­auf war­ten.“ Das brach den Bann, denn Manu ant­wor­tete: „Oh ja, der ist lecker und wackelt so schön. Am liebs­ten mag ich den grü­nen!“ Adela lächelte und ant­wor­tete, Manu in Rich­tung der Holz­hüt­ten gelei­tend: „Den haben wir ja, nicht nur den roten aus Him­bee­ren. Jeder nach sei­nem Geschmack. Auf zum Dessert!“

Text: Jür­gen Rösch-Brassovan
Illus­tra­tion: Geschich­ten­zeich­ne­rin Celina

Ein Bei­trag zum Spe­cial #lit­fut­ter. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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