Wie eine Eisblume #litadvent

by Worteweberin Annika

In „Das Eis-Schloss“ schreibt Tar­jei Vesaas über einen gefro­re­nen Was­ser­fall, die Ver­hei­ßun­gen einer neuen Freund­schaft und ihr jähes Ende. Worte­we­be­rin Annika hat sich vom Eis-Schloss ver­zau­bern lassen.

Das Unaus­ge­spro­chene lau­ert zwi­schen den bei­den Mäd­chen Siss und Unn. Seit sie sich im Früh­ling das erste Mal gese­hen haben, wis­sen sie, dass zwi­schen ihnen etwas pas­sie­ren soll, pas­sie­ren muss. Im Herbst, kurz vor dem ers­ten Schnee, ver­ab­re­den sie sich das erste Mal. Vol­ler Auf­re­gung ver­brin­gen sie den Nach­mit­tag zusam­men. „Sie leuch­te­ten ein­an­der an, gin­gen inein­an­der über, es war ein unfass­ba­rer Moment.“ (S. 24) Ver­spre­chen, Erwar­tun­gen und Geheim­nisse knis­tern zwi­schen den Mäd­chen, doch an die­sem Abend wer­den sie nicht ausgesprochen.

Und auch spä­ter nicht, denn am nächs­ten Mor­gen beschließt Unn, nicht zur Schule zu gehen. Um das nächste Tref­fen mit Siss hin­aus­zu­zö­gern, wan­dert sie statt­des­sen auf den zuge­fro­re­nen See. Bis zum Was­ser­fall läuft sie, aus dem sich in der Kälte ein fun­keln­der, betö­ren­der Eis-Palast geformt hat. Nie wie­der kehrt Unn zurück. Die Such­ak­tio­nen blei­ben ohne Ergeb­nis. Siss muss ler­nen, mit ihren Gefüh­len und einem Ver­spre­chen zu leben, das sie aus der Gemein­schaft aus­zu­schlie­ßen droht.

„Die Män­ner ver­ges­sen sich im Spiel dicht hier an dem Eis-Palast. Etwas hat sie sozu­sa­gen über­nom­men, sie suchen fie­ber­haft im Kreis, nach etwas Teu­rem, das ver­un­glück ist, aber sie wer­den selbst mit hin­ein­ge­zo­gen. Sie sind erschöpfte, ernste Män­ner und opfern sich wil­lig einer Ver­zau­be­rung […].“ (S. 93)

Tar­jei Vesaas schreibt poe­tisch und gefühl­voll, aber kein biss­chen ver­kitscht über die Gefühle der jun­gen Siss, ihr Erwach­sen­wer­den, Freund­schaft und Trauer. Der Roman kre­iert eine eisige, gespannte Atmo­sphäre, die von all dem Unaus­ge­spro­che­nen zeh­ren kann. Im Anhang befin­det sich ein Text der bri­ti­schen Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­ge­rin Doris Les­sing, in dem sie Vesaas Text als fein­sin­nig, ein­zig­ar­tig und außer­ge­wöhn­lich in den höchs­ten Tönen lobt. Zu Recht! Bei die­sem Roman merkt man auf der ers­ten Seite, dass man etwas ganz Beson­de­res vor sich hat, so zart und kühl wie eine Eisblume.

„Das Eis-Schloss“ erschien 1963 und bescherte dem Autor eine Aus­zeich­nung mit dem Preis des Nor­di­schen Rates, dem wich­tigs­ten Lite­ra­tur­preis Skan­di­na­vi­ens. Wie wun­der­bar, dass der Gug­golz Ver­lag den Roman wie­der­ent­deckt und auch auf Deutsch zugäng­lich gemacht hat – und das auch noch in einer so hüb­schen Aus­gabe! Die­ser eisige Roman sei wärms­tens emp­foh­len, egal ob als Gabe unter dem Tan­nen­baum oder als kleine Abküh­lung für Zwischendurch.

Das Eis-Schloss. Tar­jei Vesaas. Aus dem Nor­we­gi­schen von Hin­rich Schmidt-Hen­kel. Gug­golz. 2019.

Ein Bei­trag zum Spe­cial #lit­ad­vent. Hier fin­det ihr alle Beiträge.

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