Wie erklärt man das Unerklärliche?

by Satzhüterin Pia

Himmelskind2

Einen Monat vor offi­zi­el­lem Kino­start wurde das Film­drama „Him­mels­kind“ in der Sneak Pre­view des Bre­mer Kinos Cine­star Kris­tall­pa­last gezeigt. Satz­hü­te­rin Pia war vor Ort. Ach­tung: Spoiler!

Christy Beam (Jen­ni­fer Gar­ner) und ihr Ehe­mann Kevin (Mar­tin Hen­der­son) leben glück­lich mit ihren drei Töch­tern auf dem Land in Texas. Das idyl­li­sche Leben bekommt Risse, als die mitt­lere Toch­ter Anna krank wird. Der ver­meint­li­che Virus­in­fekt wird zur angeb­li­chen Lak­to­se­into­le­ranz und dann end­lich als das erkannt, was es ist: eine schwere Darm­krank­heit ohne Aus­sicht auf Heilung.
Es beginnt ein lan­ger und har­ter Weg auf der Suche nach Hilfe, die Christy und ihre zehn­jäh­rige Toch­ter am ehes­ten bei einem Spe­zi­al­arzt in Bos­ton zu fin­den schei­nen. Lin­de­rung ist mög­lich, Hei­lung jedoch nicht. Doch dann pas­siert das Uner­klär­li­che: Beim Klet­tern mit ihrer ältes­ten Schwes­ter fällt das kleine Mäd­chen neun Meter tief mit dem Kopf voran in einen hoh­len Baum­stamm. Aber statt sich etwas zu bre­chen oder Schlim­me­res, kommt das tod­kranke Mäd­chen mit weni­gen Bles­su­ren davon ... und ist voll­ends geheilt.

„Him­mels­kind“ basiert auf einer wah­ren Bege­ben­heit. Das gleich­na­mige Buch der US-Ame­ri­ka­ne­rin Christy Beam wurde im Februar die­ses Jah­res im SCM Haens­s­ler-Ver­lag ver­öf­fent­licht – einer christ­li­chen Online­buch­hand­lung. Es ist die Geschichte ihrer Fami­lie, die in Buch und Film auch mit den rich­ti­gen Namen nach­er­zählt wird. Fol­gen­des bezieht sich nur auf den Film.

Reli­giös...

Die Beams sind, wie auch ihre ganze Nach­bar­schaft, gläu­bige Men­schen. Der Glau­ben steht zwar nicht unbe­dingt dau­er­haft im Mit­tel­punkt, ist aber omni­prä­sent: Der Besuch in der Kir­che, das Beten am Abend und zum Essen, die Glau­bens­krise im Ver­lauf der Krank­heit und die Ver­söh­nung mit Gott, nach­dem das Wun­der passierte.
Ame­ri­ka­ner sind bekann­ter­ma­ßen stets weit vorne mit dabei, wenn es um eine „God bless you“-Haltung geht. Texas ist mit etwa 64 Pro­zent streng gläu­bi­gen Erwach­se­nen ein sehr reli­giö­ser Staat der USA , in dem sogar die Til­gung der Evo­lu­ti­ons­lehre an Schu­len zur Debatte steht.
Aus euro­päi­scher Sicht mutet der Film und die – mög­li­cher­weise sehr rea­lis­ti­sche – Dar­stel­lung stark reli­giö­sen All­tags­le­bens (welt)fremd an. In der Kir­che tritt eine Band auf, die Pre­digt ist leb­haft und laut, wie es sonst viel­leicht nur in Kir­chen schwar­zer Gemein­den vor­kommt – oder zumin­dest in Fil­men pro­pa­giert wird.

...und mora­li­sie­rend

Das Recht auf die­sen tie­fen Glau­ben und die The­ma­ti­sie­rung im Film kann und soll nie­man­dem abge­spro­chen wer­den, aller­dings wird alles stark mora­li­siert. Eine an Krebs erkrankte Zim­mer­ge­nos­sin im Kran­ken­haus fin­det Kraft durch die Worte der klei­nen Anna, die an dem Glau­ben an Gott zu kei­nem Zeit­punkt zu zwei­feln scheint. Ben, der Vater des ande­ren Mäd­chens sieht den reli­giö­sen Ein­fluss nicht gerne und Christy, deren Glaube durch die Krank­heit tief erschüt­tert ist, kann ihn ver­ste­hen. Das kleine Mäd­chen ver­stirbt und am Ende ist es eben des­sen Vater, der der Geschichte Annas Glaub­haf­tig­keit ver­schafft. Es stirbt also aus­ge­rech­net das eine der zwei Mäd­chen, wel­ches aus einer nicht-gläu­bi­gen Fami­lie kommt?
Anna, die nach ihrem Sturz von einem Kon­takt zu Gott spricht, und ihre Fami­lie wer­den berühmt. Ein gan­zer Got­tes­dienst wird zu ihren Ehren und zudem von ihrer Mut­ter gehal­ten und zahl­rei­che Nach­rich­ten­teams rücken mit ihren Video­ka­me­ras an. Ein kur­zer Moment des Zwei­fels wird durch Ben zerstreut.

Starke Sym­bol­kraft

Starke Bil­der in einem Film­drama schei­nen erst ein­mal gut zu sein. Wenn es jedoch um eine bereits so wun­der­same Geschichte geht, dass die Zuschauer auch ohne die hoch­gra­dig auf­ge­la­dene Sym­bo­lik kaum an einen wah­ren Kern glau­ben mögen, scheint es zu viel des Guten zu sein. Ein stets farb­in­ten­si­ver Fil­ter liegt über den idyl­li­schen Bil­dern texa­ni­schen Landlebens.
Nach Bekannt­wer­den der schwe­ren Krank­heit sind es Bil­der, wie die einer sich ein­sam im Wind bewe­gen­den Schau­kel, die die tra­gi­sche Ruhe sym­bo­li­sie­ren sol­len. Anna folgt einem wei­ßen Schmet­ter­ling, als sie auf den Baum klet­tert und folgt die­sem wei­ter in den Him­mel, nach­dem sie in den hoh­len Stamm gestürzt war. Die Bil­der des durch das para­die­sisch anmu­tende Jen­seits-Him­mel-Gebilde hüp­fen­den Mäd­chens sind sogar noch stär­ker und inten­si­ver gefil­tert. Als bei der Ret­tung aus dem hoh­len Baum­stamm Unmen­gen an Ret­tungs­kräf­ten, Nach­barn und Kame­ra­teams um den Baum her­um­ste­hen oder agie­ren, fin­det Christy urplötz­lich zu ihrem Glau­ben zurück. Sie stürzt mit einem inten­si­ven „Oh Gott, oh Gott, oh Gott“ auf den Lip­pen zum Baum­stamm hin­über und fängt inbrüns­tig an zu beten. Bald fol­gen ihr Fami­lie und enge Freunde, sodass eine kleine Traube aus Men­schen am Baum­stamm kle­bend zum gemein­sa­men Beten zusammenkommt.

Viel zu viel

Kurz gesagt: Es ist viel zu viel. Die omni­prä­sente Reli­gio­si­tät, die Menge der Sym­bo­li­ken und die farb­in­ten­si­ven Bil­der hätte ein sowieso schon der­art spe­zi­el­les und wun­der­sam anmu­ten­des Thema nicht gebraucht.
Statt an Glaub­haf­tig­keit zu gewin­nen, wirkt alles über­trie­ben und letzt­end­lich wie ein 109-minü­ti­ger Wer­be­film für Gott. Ledig­lich die Dar­stel­lung der Anna durch Kylie Rogers ist her­vor­zu­he­ben. Bis hin zu dem Wunsch, end­lich ster­ben zu dür­fen, stellt sie ein dem Tode geweih­tes Kind von zehn Jah­ren über­zeu­gend dar. Aber auch die Zuschauer dürf­ten sich mehr als ein­mal gewünscht haben, dass das arme, kranke Mäd­chen end­lich ster­ben darf.
Nicht zuletzt sah es min­des­tens drei­mal so aus, als könnte der Film nun enden, bevor immer wie­der noch etwas oben drauf­ge­setzt wurde: Die erlö­sende Dia­gnose im Kran­ken­haus. Eine jubelnde Gemeinde beim Got­tes­dienst nach der Ret­tung und Hei­lung Annas. Das idyl­li­sche Bei­sam­men­sein der Fami­lie. Der Ein­druck, es könnte nicht mehr gestei­gert wer­den, wurde voll­kom­men aus­ge­reizt und vor allem über­reizt. Bis am Ende auch noch fröh­lich-glück­li­che Bil­der der ech­ten Fami­lie Beam gezeigt wur­den, in denen Anna ihre Fami­lie vor­stellt. Es hätte auch gereicht, ein­fa­che Bil­der einzublenden.

Schluss­wort

„Him­mels­kind“ ist über­la­den und lang­at­mig und über die gesamte Distanz nur schwer aus­zu­hal­ten. Statt mit der Fami­lie mit­zu­füh­len, wünschte ich mir die Erlö­sung des kran­ken Kin­des und somit auch die eigene von die­sem Film. Der naïve Glaube, der mehr als ein­mal hoch­pro­ble­ma­tisch auf­ge­la­den war, zusam­men mit dem medi­zi­ni­schen Wun­der der Hei­lung waren über die Distanz nur durch wenige gute Momente des Films durchzustehen.

Him­mels­kind. Drama. USA.
Kino­start: 9. Juni 2016. 1 Std. 49 Min. Regie: Patri­cia Riggen.
Dar­stel­ler (u.a.): Jen­ni­fer Gar­ner, Kylie Rogers, Mar­tin Henderson.
Diese Rezen­sion ist erst­mals im Uni­ma­ga­zin Schein­Wer­fer erschienen.

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