Wie erreicht man es – das bessere Leben?

by Zeichensetzerin Alexa

Ulrich Pelt­zer ist in der Welt der Lite­ra­tur kein unbe­kann­ter Name: Seit sei­nem Debüt-Roman „Die Sün­den der Faul­heit“ im Jahre 1987 erhielt er zahl­rei­che Aus­zeich­nun­gen. Sein Roman „Teil der Lösung“ war für den Preis der Leip­zi­ger Buch­messe nomi­niert und zuletzt „Das bes­sere Leben“ für den Deut­schen Buch­preis. Am 29. Novem­ber liest der Autor im Rah­men der Lese­reise „Lite­ra­Tour Nord“ im Lite­ra­tur­café Ambi­ente in Bre­men aus sei­nem aktu­el­len Buch. - Von Zei­chen­set­ze­rin Alexa

Was ist Rea­li­tät und was Fiktion?

Schon die ers­ten Sei­ten der Lek­türe ver­ra­ten: Der Lese­weg wird nicht ein­fach. Und das liegt nicht nur an dem kom­pli­zier­ten, dem Durch­schnitts­men­schen frem­den Thema, son­dern auch an der Spra­che. Zwei Punkte, die im Wech­sel­spiel funk­tio­nie­ren und das eine durch das jeweils andere bekräf­ti­gen. Die Orte des Gesche­hens wech­seln nicht nur inner­halb der rea­len Plätze wie São Paulo, Mai­land und Turin, Zürich, Lugano, Ams­ter­dam und China, son­dern auch zwi­schen Traum und Rea­li­tät. Nicht ein­fach ist es, zu erken­nen, wo etwas beginnt und auf­hört – der Über­gang von einer Traum­se­quenz zum nächs­ten Hand­lungs­strang wech­selt flie­ßend, sodass die Ver­wir­rung groß ist, wenn man sich urplötz­lich an einem ande­ren Ort wiederfindet.
das-bessere-lebenAn den Prot­ago­nis­ten kann man sich zunächst kaum ori­en­tie­ren. Denn noch bevor man den einen ken­nen­ler­nen kann, wech­selt die Erzäh­lung an einen ande­ren Ort zu einem ande­ren Prot­ago­nis­ten. Im Laufe der Geschichte wird jedoch klar: Es gibt drei Haupt­cha­rak­tere und so einige Neben­cha­rak­tere. Viele Namen begeg­nen einem, von denen einige his­to­risch fass­bar sind. Daten, Fak­ten, Ereig­nisse der Ver­gan­gen­heit, die immer wie­der ange­schnit­ten wer­den, dar­un­ter der Fall im Jahre 1970, bei dem wäh­rend eines Stu­den­ten­pro­tests vier Stu­den­ten erschos­sen wurden.

Im Hams­ter­rad

Zu den Prot­ago­nis­ten gehö­ren Brock­mann, Ange­lika Volk­hart und Syl­ves­ter Lee Fle­ming. Letz­te­rer ist der geheim­nis­vollste von ihnen – nur sehr wenig erfährt man über ihn und seine dubio­sen Geschäfte, sowie über seine Rolle im Gesamt­werk. Man hat das Gefühl: da ist irgend­et­was, das nicht erzählt wird.
Brock­mann arbei­tet für eine ita­lie­ni­sche Maschi­nen­bau­firma als Head of Sales Sou­the­ast Asia und ver­sucht einen gro­ßen Auf­trag zu ver­wirk­li­chen. Sein Leben ist bestimmt durch Geschäfte, Rei­sen, Geld – ein Teu­fels­kreis­lauf, dem er sich nicht ent­zie­hen kann, in dem er fest­sitzt wie im Hams­ter­rad. Und Ange­lika ist Lei­te­rin einer Ree­de­rei­fi­liale in Ams­ter­dam, küm­mert sich um die Eisen­erz­trans­porte und fragt sich, ob sie im Leben alles rich­tig gemacht hat.
Drei Figu­ren, die den Groß­teil des Romans wenig mit­ein­an­der zu tun haben, bis sie auf­ein­an­der­tref­fen. Stets fragt man sich beim Lesen des­halb, in wel­cher Ver­bin­dung die Figu­ren zuein­an­der­ste­hen und wor­auf das alles hin­aus­lau­fen soll.

„Und alle stre­ben nach einem bes­se­ren Leben.“

Immer schnel­ler, schnel­ler! So scheint diese Welt zu funk­tio­nie­ren, geführt von Men­schen – Mana­gern, Ban­kern, was weiß ich? – die mit Zah­len und Unmen­gen an Geld arbei­ten. Ein Bereich, der für Men­schen, die damit nichts am Hut haben, nicht trans­pa­rent, geschweige denn greif­bar ist. Was machen die da eigent­lich? Wenn frag­wür­dige Geschäfte betrie­ben wer­den, von denen nie jemand erfah­ren wird, und vor allem: wel­che Kon­se­quen­zen erge­ben sich hier­aus? Wie viel ist man bereit zu opfern – für ein „bes­se­res Leben“? Und wie sähe die­ses aus?
Pelt­zer wirft Fra­gen auf, ohne kon­krete Ant­wor­ten zu geben. Als ver­traue er dar­auf, dass man in der Lage sei, selbst nach­zu­den­ken, eigene Schlüsse zu zie­hen und eigene Ant­wor­ten zu fin­den. Sei es die Frage nach dem bür­ger­li­chen Idea­lis­mus, der kom­mer­zi­el­len Gesell­schaft, der Schnell­le­big­keit der heu­ti­gen Zeit; Netz­werke, die sich durch Zufäl­lig­kei­ten erge­ben oder auch nicht. Und wozu über­haupt das alles? Wie viel wol­len wir arbei­ten, in der Hoff­nung, dadurch glück­lich zu wer­den? Zu viel Arbeit, zu wenig Schlaf, keine Lösung? Ver­pflich­tun­gen, Bin­dun­gen, Bezie­hun­gen, Leis­tung, Leis­tung, Leistung!

Zwi­schen den Zeilen

Diese unun­ter­bro­chene Schnell­le­big­keit wird gerade durch Pelt­zers Schreib­stil deut­lich: lange Sätze bestim­men den Roman, Gedan­ken, die frag­men­ta­risch abbre­chen, weil gerade ein ande­res Thema wich­ti­ger wird, eine Ablen­kung, die wie­derum durch eine Ablen­kung abge­bro­chen wird. Und inmit­ten die­ser lan­gen, kom­pli­zier­ten Sätze wei­tere Infor­ma­tio­nen in Klam­mern – ob es sich hier­bei um die Gedan­ken des Prot­ago­nis­ten, um Anmer­kun­gen des Autors oder etwas ganz ande­res han­delt, ist nicht immer ersichtlich.
Wie eine ret­tende Insel erschei­nen einem hier die Dia­loge. Wenn sich die Prot­ago­nis­ten – vor allem im pri­va­ten Umfeld – unter­hal­ten, dann ist die Welt plötz­lich lang­sa­mer, ruhi­ger. Auch wer­den die Hand­lun­gen der Prot­ago­nis­ten klarer.

logo_dbp15Was ist der Roman „Das bes­sere Leben“? Gesell­schafts­kri­tik? Bewusst­seins­ro­man? Eine uto­pi­sche Vor­stel­lung? Zumin­dest lässt er viel Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum und for­dert einen, nicht nur durch das Gesagte, son­dern auch durch das nicht Gesagte. Die Viel­schich­tig­keit ist in und zwi­schen den Zei­len zu sehen. Und man muss viel fil­tern, für sich selbst das her­aus­zie­hen, was einem als inter­es­sant und wich­tig erscheint – so viel pras­selt auf einen beim Lesen ein. Da ist es einem kaum mög­lich, das alles beim ers­ten Lesen zu erfassen.

Das bes­sere Leben. Ulrich Pelt­zer. Fischer Ver­lag. 2015.

Weiterlesen

3 comments

Sounds and Books 29. November 2015 - 10:11

Liegt immer noch hier im Sta­pel und will gele­sen werden.

Reply
Zeichensetzerin Alexa 30. November 2015 - 15:57

Lohnt sich! Das Buch for­dert viel Kon­zen­tra­tion und Geduld. Es ist eine Her­aus­for­de­rung, bis zum Ende durch­zu­hal­ten. Aber am Ende nimmt man doch eini­ges für sich mit, allein schon wegen die­ser sti­lis­ti­schen Umset­zung. Ich bin sehr gespannt, was du davon hal­ten wirst!

Reply
Mit dem „Traumschiff“ die letzte Reise antreten – Bücherstadt Kurier 25. September 2016 - 15:25

[…] Wie er­reicht man es – das bes­sere Leben? […]

Reply

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr