Wie Salz in einer Wunde #Autorinnenschuber

by Zeilenschwimmerin Ronja

Online wird stets über irgend­et­was dis­ku­tiert. Das Inter­esse schwappt wel­len­ar­tig von einem Thema zum nächs­ten. Zuletzt wurde die Bücher-Com­mu­nity auf Twit­ter, Insta­gram und Co. vom #Autorin­nen­schu­ber auf Trab gehal­ten. Auch unsere Redak­tion hat sich mit eige­nen Zusam­men­stel­lun­gen daran betei­ligt. Aber worum geht es dabei eigent­lich? Ein etwas ver­spä­te­ter Bei­trag von Zei­len­schwim­me­rin Ronja.

Die Auf­re­gung ent­stand, weil die Süd­deut­sche Zei­tung einen Schu­ber mit dem Titel „Soul­ma­tes“ mit zehn Roma­nen der Welt­li­te­ra­tur her­aus­brachte. Zehn Romane, die aus­schließ­lich von Män­nern geschrie­ben wur­den. Eigent­lich nichts Beson­de­res, könnte man sagen. Der Schul­ka­non, Lis­ten mit Klas­si­kern der Welt­li­te­ra­tur und diverse andere Schu­ber die­ser Art machen es ja kaum anders. Ent­schei­dend für den Online-Auf­ruhr ist: Die rein männ­li­che Beset­zung ist eine klar defi­nierte Absicht.

„Wie viel­sei­tig die Män­ner­welt wirk­lich ist, zei­gen die zehn aus­ge­wähl­ten Romane der neuen Edi­tion Soul­ma­tes.“ (Ankün­di­gung der SZ, zitiert nach Nacht und Tag)

Geben wir uns die Mühe und inter­pre­tie­ren das Ganze posi­tiv. Wer sich schon mal ein wenig mit femi­nis­ti­schen und quee­ren Theo­rien aus­ein­an­der­ge­setzt hat, wird schnell auf den Begriff der „toxi­schen Männ­lich­keit“ gesto­ßen sein. Damit wird im All­ge­mei­nen ein weit ver­brei­te­tes, idea­li­sier­tes und gesell­schaft­lich stark ver­an­ker­tes Ste­reo­typ der Männ­lich­keit bezeich­net, wonach ein „ech­ter Mann“ stets stark und unan­greif­bar sein müsse. Die­ses Ideal ver­bie­tet es zum Bei­spiel, kör­per­li­che Schwä­chen, Krank­hei­ten, sport­li­ches „Ver­sa­gen“, Trauer oder auch Gefühle im All­ge­mei­nen ein­zu­ge­ste­hen. Aggres­si­vi­tät, ter­ri­to­ria­les Ver­hal­ten und Domi­nanz gegen­über ande­ren wer­den dage­gen belohnt. Die Gefahr für das geis­tige (und kör­per­li­che) Wohl – sowohl für den nach die­sem Ideal beur­teil­ten oder stre­ben­den Mann als auch für alle in sei­ner Umge­bung – macht die­ses Ste­reo­typ „toxisch“.

Ein Schu­ber der Diversität?

Aus­ge­hend von der „toxi­schen Männ­lich­keit“ kann also der Schu­ber, der „die Viel­sei­tig­keit der Män­ner­welt“ demons­trie­ren möchte, als Ver­such ver­stan­den wer­den, Alter­na­ti­ven auf­zu­zei­gen. Kein Mensch ist gleich. Es gibt nicht „den Mann“ oder „die Frau“.

„Diese zehn Romane sind eine starke Samm­lung für Män­ner und alle, die ihnen damit eine echte Freude machen wol­len.“ (Pro­dukt­be­schrei­bung im SZ-Shop)

Doch das ist nur eine mög­li­che Inter­pre­ta­tion. Der Groß­teil derer, die unter #Autorin­nen­schu­ber dis­ku­tie­ren und ihre per­sön­li­che Aus­wahl an Lite­ra­tur von Frauen pos­ten, hat am „Soulmates“-Schuber eini­ges aus­zu­set­zen. Nicole Sei­fert merkt auf ihrem Blog Nacht und Tag zum Bei­spiel an, dass sich alles etwas anders dar­stel­len würde, wenn auch ein Schu­ber mit ähn­li­chem Kon­zept für Autorin­nen geplant wäre: „Eine noch bes­sere Idee wäre es, wirk­lich auf Diver­si­tät zu set­zen […] mit Lite­ra­tur von Quee­ren, Frauen und Män­nern, von Wei­ßen, Schwar­zen und People of Colour.“ Auf Nach­frage habe die SZ jedoch sol­che Pläne verneint.

Braucht es den Schu­ber wirklich?

Der Haupt­kri­tik­punkt am Män­ner­schu­ber der SZ ist: Nicht nur Män­ner haben Welt­li­te­ra­tur geschrie­ben. Vor allem die Tat­sa­che, dass Lite­ra­tur von Frauen eben sehr häu­fig in der­ar­ti­gen Zusam­men­stel­lun­gen – ob als Schu­ber oder Lek­türe­liste – nur am Rande oder sogar gar nicht ver­tre­ten ist, erhitzt die Gemü­ter. Dabei gäbe es durch­aus genug Autorin­nen, die dafür in Frage kämen.

In der wei­ter­füh­ren­den Schule – meine Lese­kar­riere hatte gerade erst begon­nen – dachte ich zuerst gar nicht über die Lek­tü­re­aus­wahl der Lehrer*innen nach. Und dann fie­len mir die feh­len­den Autorin­nen auf. Dar­auf­hin dachte ich lange: Na ja, wir lesen ja nur alte Bücher. In der Zeit war es ein­fach nicht vie­len Frauen mög­lich, über­haupt ver­öf­fent­licht zu wer­den. Was auch stimmt. Es war für Frauen schwe­rer, ver­öf­fent­licht zu wer­den. Den­noch gibt es zahl­rei­che Autorin­nen, die auf dem Lehr­plan ste­hen könn­ten (auch über Annette von Droste-Hüls­hoff hin­aus) – wenn es schon unbe­dingt nur bereits ver­stor­bene Autor*innen sein müssen.

Der Lite­ra­tur­ka­non ist männ­lich geprägt. Das hat his­to­ri­sche Gründe und nie­mand ver­langt, allen bis­her dazu­ge­zähl­ten Wer­ken den Klas­si­ker-Sta­tus nur des­halb abzu­spre­chen. Aber es ist wich­tig, dass sich am Geschlech­ter­ver­hält­nis etwas ändert. Das Ungleich­ge­wicht beschränkt sich nicht nur auf Lek­türe­lis­ten und Sam­mel­aus­ga­ben. Es betrifft den gesam­ten Lite­ra­tur­be­trieb, Ver­lage genauso wie Rezensent*innen und damit auch alle Leser*innen.

Mehr als nur ein Schuber

Das Ver­hält­nis von ver­öf­fent­lich­ten Autorin­nen und Autoren ist auch heute noch nicht aus­ge­gli­chen. Es wer­den immer noch mehr Autoren ver­öf­fent­licht. Mit fol­gen­der Aus­nahme: Kin­der- und Jugend­li­te­ra­tur. Dort kehrt sich das Ver­hält­nis auf ein­mal um, wie Zei­chen­set­ze­rin Alexa mit einer Zäh­lung in Pro­gramm­vor­schauen fest­stellte – mehr dazu fin­det ihr auf Twit­ter unter dem Hash­tag #Vor­schau­en­zäh­len. Das ist in diver­ser Weise pro­ble­ma­tisch. Bel­le­tris­tik und Welt­li­te­ra­tur in Män­ner­hand, Kin­der­bü­cher sind Frau­en­sa­che? Herrje.

Genauso setzt sich die Ver­tei­lung auch unter den Rezensent*innen fort. Mehr Rezen­sen­ten als Rezen­sen­tin­nen, mehr bespro­chene Autoren als Autorin­nen, in allen Berei­chen – außer der Kin­der- und Jugend­li­te­ra­tur. Wer mehr dazu erfah­ren oder Belege sehen möchte, sollte sich ein­mal die Pilot­stu­die „Sicht­bar­keit von Frauen in Medien und im Lite­ra­tur­be­trieb“ der Uni­ver­si­tät Ros­tock anse­hen. Dort wur­den über zwei­tau­send Kri­ti­ken aus­ge­wer­tet. Auch die Ver­gabe von Lite­ra­tur­prei­sen haben sie ins Auge gefasst: „In allen Medien, mit Aus­nahme von Frau­en­zeit­schrif­ten, wer­den männ­li­che Autoren häu­fi­ger und aus­führ­li­cher bespro­chen: Zwei Drit­tel der bespro­che­nen Bücher sind von Män­nern ver­fasst wor­den. Die­ses Ver­hält­nis von ‚2 zu 1‘ trifft auf alle Medi­en­gat­tun­gen zu.“ (Ein Teil­ergeb­nis des Pro­jekts #Frau­en­zäh­len)

Der Schu­ber der SZ ist nicht das Pro­blem. Er ist bloß ein Aus­druck des eigent­li­chen Problems.

Hier geht es zum Inter­view mit Nicole Seifert.

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr