Wolfgang Herrndorf ist tot

by Wortklauberin Erika

„Die Sonne geht immer hin­ter der Düne unter, die Dir gerade am nächs­ten ist.“

Wolf­gang Herrn­dorf ist tot. Ein sin­nie­ren­der Nachruf.

Ein Klick auf www​.wolf​gang​-herrn​dorf​.de. Geht nicht?
Noch­mal ver­su­chen. Dies­mal über Google. Seite neu laden – viel­leicht klappt ja das.
Immer noch nichts.

Wer es gleich aus­pro­biert, ehe er oder sie wei­ter liest, erlebt viel­leicht das­selbe. Wolf­gang Herrn­dorfs Blog ist kom­plett über­las­tet auf­grund der vie­len Zugriffe. Denn alle wol­len sich davon über­zeu­gen: Wolf­gang Herrn­dorf starb in der Nacht auf den 27. August 2013. Der Blog mit dem Titel „Arbeit und Struk­tur“ wird nun nicht mehr mit Ein­trä­gen ergänzt. Er begann ihn Anfang 2010 nach der Dia­gnose: Gehirn­tu­mor. Unheil­bar. Letzte Worte, die berühmt wer­den könn­ten? Gibt es, zumin­dest offi­zi­ell, noch nicht.

Wolf­gang Herrn­dorf, gebo­ren 1965, wurde nur 48 Jahre alt. Er hatte lange Zeit nicht daran gedacht, jemals Schrift­stel­ler zu wer­den: Nach eige­ner Aus­sage wuchs er ohne viel Lite­ra­tur in einem „sehr klein­bür­ger­li­chen Haus­halt“ in Ham­burg auf und stu­dierte spä­ter Kunst an der Aka­de­mie der bil­den­den Künste in Nürn­berg. Im Fol­gen­den ver­schlug es ihn nach Ber­lin, wo er für ver­schie­dene Maga­zine, dar­un­ter auch das Sati­re­ma­ga­zin „Tita­nic“, illus­trierte. Über die Ver­lags­ar­beit kam er zum Schrei­ben, und erzielte schon mit sei­nem Debüt­ro­man „In Plüsch­ge­wit­tern“ im Jahr 2002 kleine Erfolge. Es geht um Frauen, um Sex, um Deutsch­land aus der Sicht eines durch­ge­knall­ten Prot­ago­nis­ten. Der sieht das ‚Heute‘ auch recht pointiert.

Herrn­dorfs Bücher haben die­sen Fak­tor gemein­sam: Haupt­per­so­nen mit einer etwas ande­ren Sicht auf Welt und Gesell­schaft. Immer neue Ideen, die wohl im Laufe der Zeit noch etwas ver­rück­ter gewor­den sind. Wolf­gang Herrn­dorf wird von vie­len Sei­ten her gelobt – für seine Spra­che, seine Ideen, sei­nen Stil. Manch­mal stellt die Kom­bi­na­tion aus allen dreien eine unge­ahnte Her­aus­for­de­rung dar. Seine Bücher sind nicht nur Spra­che, sie sind Sprach-Kunst, und damit manch­mal viel­leicht nicht auf Anhieb ver­ständ­lich. Sie tra­gen den­noch dazu bei, über den eige­nen Tel­ler­rand hin­aus­zu­schauen. Zwei Jahre nach sei­nem Debüt, 2004, errang er den „Kelag-Publi­kums­preis“ beim Inge­borg-Bach­mann-Wett­be­werb mit der Geschichte „Dies­seits des Van-Allen-Gür­tels“ (sie erschien in der gleich­na­mi­gen Antho­lo­gie 2007). 2008 folgte der damals neu begrün­dete Deut­sche Erzäh­ler­preis. Berühmt wurde Wolf­gang Herrn­dorf aller­dings haupt­säch­lich durch „Tschick“, das im Jahr 2008 erschien. Die Geschichte rund um den geknack­ten Lada, zwei Jugend­li­che und eine Fahrt quer durch Ost­deutsch­land, bis an die Nord­see, ist heute in 16 Spra­chen über­setzt erhält­lich. „Tschick“ fand sei­nen Weg auch schon auf die Bühne – 32 Thea­ter spiel­ten die Adap­tion bereits. Das Buch war im Jahr 2011 auch für den Mes­se­preis der Leip­zi­ger Buch­messe nominiert.

Den Preis der Leip­zi­ger Buch­messe erhielt er ein Jahr spä­ter, mit sei­nem Roman „Sand“. Der Agen­ten­thril­ler in der Sahara rund um Ver­fol­gung, Gewalt und Selbst­su­che, der sei­nen leich­ten Ton­fall auch im Ange­sichts des Todes nicht ver­liert, ver­knüpft geschickt die Hand­lungs­fä­den zum Ende hin und bie­tet so man­cher­lei Über­ra­schung. Zur Preis­ver­lei­hung erschien er nicht. Der seit sei­ner Dia­gnose 2010 sehr zurück­ge­zo­gen Lebende ließ einen Freund den Preis an sei­ner statt ent­ge­gen­neh­men. Er brachte keine per­sön­li­che Mit­tei­lung Herrn­dorfs an Publi­kum wie Jury mit, bloß eine afri­ka­ni­sche Weis­heit: „Die Sonne geht immer hin­ter der Düne unter, die Dir gerade am nächs­ten ist.“

Nach der Dia­gnose 2010 erbat sich Wolf­gang Herrn­dorf in sei­nem Blog ein Jahr, um seine Pro­jekte noch fer­tig­zu­be­kom­men. Dar­aus wur­den, nach unzäh­li­gen Behand­lun­gen, zwei­ein­halb. Er schaffte es, „Sand“ zu voll­enden, sein neues Pro­jekt „Isa“ zu begin­nen und sich an die Buch­form sei­nes Blogs zu set­zen, bevor er starb.

Erika

Foto © Steffi Roßdeutscher

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