Gayatri Chakravorty Spivak
Gayatri Chakravorty Spivak (* 24. Februar 1942 in Kolkata) ist Professorin für Literaturwissenschaft und Direktorin des Center for Comparative Literature and Society an der Columbia University, New York. Spivak gilt als Mitbegründerin der postkolonialen Theorie. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, der Feminismus und Marxismus, die Dekonstruktion und Globalisierung.
Leben und Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Gayatri Chakravorty Spivak absolvierte ihr Studium über englische und bengalische Literaturthemen am Presidency College der Calcutta University mit Auszeichnung. 1959 ging sie an die Cornell University (USA) und legte 1962 das M.A.-Examen ab.
Während Spivak an der Universität Iowa lehrte, promovierte sie 1967 bei Paul de Man in Cornell. 1976 erschien ihre viel beachtete Übersetzung von Jacques Derridas De la grammatologie. In den 1980er Jahren schloss sie sich dem Subaltern Studies Collective um den Historiker Ranajit Guha an. 2012 wurde ihr der Kyoto-Preis für Kunst und Philosophie zugesprochen.
In Zusammenarbeit mit den subaltern studies sucht Spivak eine vermittelnde Position zwischen der traditionellen neomarxistischen kritischen Theorie und postmodernen Ansätzen der Dekonstruktion, die sie auch als ethnozentrisch kritisiert. Sie analysiert unter anderem die Situation von „Marginalisierten“ (subaltern eigentlich: „Untergeordnete“, „An-den-Rand-Gedrängte“). Dabei arbeitet Spivak heraus, dass diese angesichts des übermächtigen Herrschaftssystems sprachlos sind – beziehungsweise ihre Sprache, ihre Versuche, ihre Bedürfnisse zu artikulieren, ungehört und unverstanden bleiben. Durch die Wissensproduktion der westlichen Intellektuellen werden die Subalternen am Sprechen gehindert. Spivak kritisiert insofern auch die Repräsentationen des westlichen Feminismus und setzt dem ein Modell des „subversiven Zuhörens“ entgegen, das zum Sprechen ermächtige.
Zudem hinterfragt sie die Funktionsweise des Herrschaftssystems an sich und mögliche Wege, es zu überwinden. Ein bekannter Aphorismus von ihr lautet: „Unlearning one’s privileges as one’s loss“, mit dem sie aufzeigt, wie die Menschen durch Privilegierung selbst von anderem Wissen abgeschnitten werden. Die Überwindung des Systems der Privilegien könne ihrer Auffassung nach durch kritisches Hinterfragen der eigenen Positionen, Glaubenssätze und Vorurteile geschehen.
In Outside in the teaching machine beschreibt sie die Verwertungsmechanismen der akademischen Lehrmaschine, in der auch kritisches Denken seinen Platz hat, allerdings nur um den Preis, auf Anwendbarkeit geprüft zu werden oder zur Effizienzsteigerung beizutragen.
Wie Homi K. Bhabha und Edward Said begreift Spivak das „post“ nicht als ein „Ende“ des Kolonialismus, sondern betont seinen fortwirkenden Einfluss auf die Identitäten und Realitäten der Gegenwart. Obwohl Vertreterin des dekonstruktivistischen Ansatzes, der Identitäten als konstruiert kennzeichnet, sieht Spivak die Notwendigkeit eines „strategischen Essentialismus“. Sie betont, dass es politisch notwendig sei, sich in Identitäten hineinzudenken – wenn auch nur zeitweise und aus einem strategischen Gesichtspunkt heraus –, um diese Identitäten als notwendig falsch zu entlarven.
2007 wurde sie zum Mitglied der American Philosophical Society gewählt.[1]
Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Must Myself I Remake? The Life and Poetry of W. B. Yeats. 1974
- In Other Worlds: Essays in Cultural Politics. 1987
- Can the Subaltern Speak? in: Cary Nelson & Lawrence Grossberg (Hgg.): Marxism and the Interpretation of Culture, University of Illinois Press, Chicago 1988, ISBN 978-3851325065.
- The Post-Colonial Critic. 1990
- Outside in the Teaching Machine, Routledge, London 1993
- The Spivak Reader. Selected Works of Gayatri Chakravorty Spivak, Hgg. Donna Landry & Gerald MacLean. Routledge, London 1996
- A Critique of Post-Colonial Reason: Toward a History of the Vanishing Present. Harvard University Press, 1999
- Imperative zur Neuerfindung des Planeten. (Imperatives to Re-Imagine the Planet), Passagen, Wien 1999
- Death of a Discipline. Columbia University Press, New York 2003
- Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation Übers. Alexander Joskowicz, Stefan Nowotny, Einl. Hito Steyerl. Turia + Kant, Wien 2007 ISBN 978-3-85132-506-5
- Who Sings the Nation-State? Language, Politics, Belonging. (zusammen mit Judith Butler) Seagull, Kalkutta 2007
- Sprache, Politik, Zugehörigkeit. Übers. Michael Heitz, Sabine Schulz. Diaphanes, Zürich 2007 ISBN 9783037340134
- Other Asias. Blackwell, Malden & Oxford 2008
- Righting Wrongs. Über die Zuteilung von Menschenrechten. Übers. Sonja Finck, Janet Keim. Diaphanes, Zürich 2008 ISBN 3037340304 Vorwort (12 S.)
- Übersetzungen
- Jacques Derrida: Of Grammatology (Übersetzung und Einleitung). Johns Hopkins, Baltimore 1976
- Mahasweta Devi: Imaginary Maps (Übersetzung und Einleitung). Routledge, New York 1994
- Mahasweta Devi: Breast Stories (Übersetzung und Einleitung). Seagull Books, Kalkutta 1997
- Mahasweta Devi: Old Women (Übersetzung und Einleitung). Seagull, Kalkutta 1999
- Mahasweta Devi: Chotti Munda and His Arrow (Übersetzung und Einleitung). Blackwell, Oxford 2003
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. transcript 2005, ISBN 3-89942-337-2
- Nikita Dhawan: Can the Subaltern Speak German? And Other Risky Questions. Migrant Hybridism versus Subalternity.
- Stephen Morton: Gayatri Chakravorty Spivak (Routledge Critical Thinkers), Routledge 2004 ISBN 0-415-22935-9 (Einführung in ihr Denken)
- Miriam Nandi: Gayatri Chakravorty Spivak. In Stephan Moebius & Dirk Quadflieg (Hg.): Kultur. Theorien der Gegenwart. VS Verlag, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14519-3
- Hito Steyerl, Encarnación Gutiérrez Rodríguez (Hgg.): Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik. Unrast Verlag, Münster 2003 ISBN 3-89771-425-6[2]
Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Sie wird im Frauen-Bildungskanon von Berg, Meier u. a. 2018 als Beispiel genannt.
- Feministische Philosophie
- Gesellschaftskritik
Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Literatur von und über Gayatri Chakravorty Spivak im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Gayatri Chakravorty Spivak bei Open Library
- Einführung in das Werk (in Englisch)
- Postkolonial-Web
- Reading Spivak
Einzelnachweise und Anmerkung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- ↑ Member History: Gayatri Chakravorty Spivak. American Philosophical Society, abgerufen am 28. Januar 2019 (mit Anmerkungen).
- ↑ Buchtitel und viele Beiträge des Sammelbandes nehmen Bezug auf Spivaks bekannten Text Can the Subaltern Speak?
Personendaten | |
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NAME | Chakravorty Spivak, Gayatri |
KURZBESCHREIBUNG | bengalische Literaturwissenschaftlerin |
GEBURTSDATUM | 24. Februar 1942 |
GEBURTSORT | Kolkata |