Lager Föhrenwald
Das Lager Föhrenwald im Ortsteil Waldram in der Stadt Wolfratshausen in Oberbayern wurde als Lager für Zwangsarbeiter errichtet und nach 1945 zu einem Lager für Flüchtlinge und ist heute wieder eine Wohnsiedlung.
Zwangsarbeiterlager[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Erbaut 1939, war die Anlage zunächst eine Wohnsiedlung in Einfamilien- und Reihenhaus-Bauweise zur Unterbringung von Beschäftigten der Sprengstoff- und Munitionsfabriken der Deutschen Sprengchemie GmbH (DSC) und der Dynamit Actien-Gesellschaft (DAG) im Staatsforst von Wolfratshausen. Bei den Beschäftigten handelte es sich um Zwangsarbeiter, Angehörige des Reichsarbeitsdienstes in der Zeit des Nationalsozialismus sowie um zivile Angestellte (vorwiegend in der Verwaltung). Neben dem Lager Föhrenwald existierten in der Nähe noch die Lager Buchberg auf der heute sogenannten Böhmwiese gegenüber dem Rathaus von Geretsried sowie Stein (heute Stadtteil von Geretsried).
Lager für Displaced Persons[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Aus dem Lager Föhrenwald entstand nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Auffanglager für so genannte Displaced Persons (DP), die der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik entkommen waren. Daher wird das Lager Föhrenwald in der Literatur auch als DP-Lager bezeichnet.
Unmittelbar nach dem Kriegsende in Bayern platzierte die amerikanische Armee befreite Zwangsarbeiter im Lager. Anfang Mai 1945, nach der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau, wurden zudem einige Überlebende des Todesmarsches im Lager Föhrenwald untergebracht. Mit der Zeit kamen immer mehr jüdische Überlebende des Holocaust nach Föhrenwald, so dass das Lager im September 1945 zum Jewish Displaced Person Center erklärt wurde.
Ab November 1945 übernahm eine internationale Hilfsorganisation, die UNRRA, die Verwaltung aller DP-Lager in der amerikanischen Besatzungszone.[1] Das Lager Föhrenwald wurde danach in weitgehender Selbstverwaltung von einem lokalen Rat unter dem Vorsitz von Henry Cohen geleitet. Diese Veränderungen standen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Vorschläge des Harrison-Reports, der die allgemeine Lage in den DP-Lagern in Deutschland und Österreich scharf kritisiert hatte. Zwischen 1946 und 1948 war Föhrenwald mit ungefähr 5.600 Bewohnern eines der größten DP-Lager in der Amerikanischen Besatzungszone.
Für die meisten Bewohner des Lagers Föhrenwald kam eine Repatriierung in ihre Herkunftsländer oder ein Verbleiben in Deutschland nicht in Frage. Die Mehrheit bemühte sich darum, nach Israel (zunächst noch britisches Mandatsgebiet) beziehungsweise in die Vereinigten Staaten oder Kanada auszuwandern. Viele der Auswanderer kehrten jedoch nach persönlichen Rückschlägen oder infolge von gesundheitlichen Problemen illegal nach Föhrenwald zurück. Ein anderer Teil der Bewohner war durch das erlittene Unrecht geschwächt oder krank. Diese Menschen waren daher dauerhaft auf Unterstützung des American Joint Distribution Committee und die deutsche Fürsorge angewiesen.[2]
Neben denjenigen, die noch auf eine Ausreise warteten, mussten zwischen 1949 und 1953 insgesamt circa 3.500 sogenannte „Rückwanderer“ zeitweise in Föhrenwald untergebracht werden. Dies waren Menschen, die bereits in andere Länder – zumeist nach Israel – ausgewandert waren, die sich jedoch dort keine Existenz hatten aufbauen können, oder aus gesundheitlichen Gründen zurückkehren mussten.
Dem Lager Föhrenwald angegliedert war auch eine Barackensiedlung nahe Königsdorf, das ehemalige Hochlandlager, das 1936 für Zwecke der Hitlerjugend und des BDM errichtet worden war. Nach dem Krieg wurden im Hochlandlager von der Hagana Offiziere für die bevorstehenden Auseinandersetzungen um die Staatsgründung Israels ausgebildet.
Ab Dezember 1951 kam das Lager Föhrenwald unter deutsche Verwaltung und wurde zum „Regierungslager für heimatlose Ausländer“ erklärt. Das Lager Föhrenwald wurde offiziell 1956 aufgelöst, die letzten Bewohner verließen das Lager jedoch erst im Februar 1957.
Bewohnerzahlen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Bewohner von November 1945 bis Juli 1954 | ||||
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Zeitraum | Bewohner | |||
November 1945 | 3.000 | |||
Januar 1946 | 5.300 | |||
Juli 1946 | 4.147 | |||
Oktober 1946 | 4.651 | |||
Februar 1947 | 4.192 | |||
September 1947 | 4.296 | |||
Oktober 1948 | 3.980 | |||
März 1949 | 4.033 | |||
Dezember 1949 | 3.863 | |||
März 1950 | 3.413 | |||
Februar 1951 | 3.531 | |||
Mai 1951 | 2.751 | |||
Februar 1952 | 1.950 | |||
Dezember 1952 | 1.700 | |||
Juli 1954 | 1.309 | |||
Datenquelle: after-the-shoah.org[3] |
Straßennamen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
1939–1945 | 1945–1956 | ab 1956 |
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Föhrenallee | Pennsylvania Straße | Faulhaberstraße |
Tiroler Straße | Kentucky Straße | Steichelestraße |
Sudetenstraße (südl. Teil) | Tennessee Straße | Törringstraße |
Sudetenstraße (nördl. Teil) | Ohio Straße | Weldenstraße |
Metz Straße | Ohio Straße | Steinstraße |
Kärntner Straße | Missouri Straße | Scherrstraße |
Steierer Straße | Florida Straße | Gebsattelstraße |
Wiener Straße | Wisconsin Straße | Gebeckstraße |
Ostmark Straße | Auerbach Straße | Bettingerstraße |
Lothringer Straße | Indiana Straße | Dekan-Weiß-Straße |
Luxemburger Straße | Michigan Straße | Wolframstraße |
Elsässer Straße | Illinois Straße | Andreasstraße |
Memeler Straße | New York Straße | Rupertstraße |
Danziger Freiheit | Independence Place | Kolpingplatz |
Saarpfalz Straße | New Jersey Straße | Korbinianstraße |
Adolf-Hitler-Platz | Roosevelt Square | Seminarplatz/Thomastraße |
Wohnsiedlung für Heimatvertriebene[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Das Gelände und die Wirtschaftsgebäude waren bereits im Oktober 1955 durch das von Kardinal Joseph Wendel gegründete Diözesansiedlungswerk und die Erzdiözese München und Freising erworben worden, die hier später auch das Spätberufenenseminar St. Matthias mit Gymnasium und Kolleg einrichtete. Ab April 1956 wurden auf dem Gelände heimatvertriebene Familien angesiedelt, so dass zeitweise Displaced Persons und deutsche Heimatvertriebene gemeinsam auf dem Gelände des Lagers Föhrenwald lebten.
Die Gebäude wurden renoviert und zu günstigen Konditionen an Heimatvertriebene und Wolfratshauser Familien verkauft. Im Laufe der Nachkriegszeit entstand so aus dem ehemaligen Lager Föhrenwald seit 7. November 1957 der Wolfratshauser Ortsteil Waldram.[5]
Die Flächen der ehemaligen Fabriken sind heute Teil des Stadtgebietes von Geretsried (siehe dort Pfad der Geschichte).
Museum[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
2018 wurde der „Erinnerungsort BADEHAUS“ in Waldram eröffnet.[6] Das Dokumentationszentrum erzählt die Geschichte des Ortes von 1939 bis heute. In einer multimedialen Dauerausstellung wird auf die Zwangsarbeiter, Displaced Persons und Heimatvertriebenen eingangen. Neben der Strukturgeschichte kommen auch Zeitzeugen zu Wort. Außerdem zeigt das Museum, welches vom Verein Bürger fürs Badehaus Waldram Föhrenwald betrieben wird,[7] regelmäßig Sonderausstellungen unter anderem zu den Themen Migration und Flüchtlinge.
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Heike Ander, Michaela Melián (Hrsg.): Föhrenwald. Revolver, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-86588-185-8.
- Angelika Königseder, Juliane Wetzel: Lebensmut im Wartesaal – Die jüdischen DPs (Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland. Fischer, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-16835-X.
- Sybille Krafft, Wolfgang Schäl-von Gamm: Unterm Joch. Zwangsarbeit im Wolfratshauser Forst. hg. v. Historischen Verein Wolfratshausen. Eigenverlag, Wolfratshausen 2008, OCLC 645292068.
- Joachim Schroeder: Das DP-Lager Föhrenwald 1945-1951. In: Julius H. Schoeps (Hrsg.): Leben im Land der Täter : Juden im Nachkriegsdeutschland (1945 - 1952). Berlin : Jüdische Verl.-Anstalt, 2001, S. 47–62
- Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald e.V. (Hrsg.): LebensBilder – Porträts aus dem jüdischen DP-Lager Föhrenwald. Eigenverlag, Wolfratshausen 2020, ISBN 978-3-00-066745-9.
Ausstellungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Die Kinder vom Lager Föhrenwald. Die von Kirsten Jörgensen und Sybille Krafft konzipierte Ausstellung widmet sich dem lange Zeit wenig beachteten Aspekt des Aufwachsens von jüdischen Kindern nach Kriegsende in Oberbayern, insbesondere im Lager Föhrenwald. In der Fotodokumentation werden bislang unveröffentlichte Bilder aus Privatbesitz und internationalen Archiven gezeigt. Sie ist als Wanderausstellung vorgesehen und kann beim Verein Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald[8] ausgeliehen werden. Zudem ist sie im Außenbereich des Erinnerungsort BADEHAUS dauerhaft und kostenlos zu sehen.
Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Foehrenwald Displaced Persons Camp. In: The Holocaust Encyclopedia. United States Holocaust Memorial Museum (englisch).
- Henry Cohen: “The Anguish of the Holocaust Survivors”, Camp Foehrenwald. In: remember.org. 13. April 1996 (englisch).
- Joachim Braun: Ende & Neubeginn – Die NS-Zeit in Wolfratshausen.
- Siedlungsgemeinschaft Waldram.
- Ulrike Beck: Das Lager Föhrenwald – Ein Schtetl in der Warteschleife. (mp3-Audio; 20,3 MB; 22 Minuten) In: Bayern-2-Sendung „radioWissen“. 4. Mai 2015, archiviert vom Original am 13. Mai 2018 .
- Erinnerungsort Badehaus. Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald e.V.
- Historischer Verein Wolfratshausen e.V. (federführend bei der Wanderausstellung).
- Alois Berger: Föhrenwald – ein Schtetl in Bayern. Verschwiegene Nachkriegsgeschichte. In: Deutschlandfunk-Kultur-Sendung „Zeitfragen“. 1. Juni 2020 (auch als mp3-Audio; 50,2 MB; 54:56 Minuten).
Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- ↑ www.archivportal-toel-wor.de Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen > Archiv > Die Föhrenwald-Siedlung. Aufgerufen am 20. Juli 2014.
- ↑ Hans-Peter Föhrding / Heinz Verfürth +Als die Juden nach Deutschland flohen+ S. 260ff, Kiepenheuer&Witsch, Köln 2017, ISBN 978-3-462-04866-7
- ↑ Föhrenwald – Jüdisches DP-Lager after-the-shoah.org
- ↑ http://www.badehauswaldram.de/2014_pdf/bawa_flyer_2014.pdf
- ↑ http://www.bseb.de/ov/waldram/geschichte
- ↑ Erinnerungsort BADEHAUS. Abgerufen am 26. Oktober 2020 (deutsch).
- ↑ Erinnerungsort BADEHAUS. Abgerufen am 26. Oktober 2020 (deutsch).
- ↑ https://erinnerungsort-badehaus.de/
Koordinaten: 47° 54′ 1″ N, 11° 26′ 42″ O