Shitstorm
Shitstorm [ˈʃɪtstɔːm], (englisch shitstorm „Empörungswelle“) bezeichnet in der deutschen Sprache ein Internet-Phänomen, bei dem massenhafte öffentliche Entrüstung sachliche Kritik mit zahlreichen unsachlichen Beiträgen vermischt. Der Duden definiert einen Shitstorm als „Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht“.[1] Ein typischer Shitstorm umfasst unter anderem „Blogbeiträge oder -kommentare, Twitternachrichten oder Facebook-Meldungen“.[2] Dabei richtet sich „eine subjektiv große Anzahl von kritischen Äußerungen […], von denen sich zumindest ein Teil vom ursprünglichen Thema ablöst und [die] stattdessen aggressiv, beleidigend, bedrohend oder anders attackierend geführt [werden]“[3], gegen Unternehmen, Institutionen, Einzelpersonen oder in der Öffentlichkeit aktive Personengruppen, etwa Parteien oder Verbände. Der Begriff wurde zum Anglizismus des Jahres 2011 gewählt.[4]
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[Bearbeiten] Wortgeschichte
Shitstorm setzt sich aus den englischen Begriffen shit (‚Scheiße‘) und storm (‚Sturm‘) zusammen. Während mit dem Modebegriff im Deutschen ausschließlich das Internet-Phänomen gemeint ist, bezeichnet er im Englischen daneben auch allgemein eine unangenehme Situation. Ob es sich um einen Scheinanglizismus oder einen Anglizismus handelt, ist umstritten.[5] Im amerikanischen Englisch wurde der Begriff seit den 1980er Jahren häufiger verwendet.[2]
Der Begriff war als Anglizismus des Jahres 2010 nominiert, nachdem die Verwendung im Deutschen stark angestiegen war. Im Februar 2012 wurde er durch eine Jury und in einer Publikumswahl zum Anglizismus des Jahres 2011 ernannt.[4] Als prägend für den angestiegenen Gebrauch wurde ein Vortrag des Bloggers Sascha Lobo auf der Web-2.0-Konferenz re:publica im April 2010 vermutet.[2] Vor allem ab Dezember 2010 kam der Begriff auch in etablierten Printmedien häufiger vor und bezog sich in der Regel auf eine breitere Teilnahme am öffentlichen Diskurs, die durch das Web 2.0 erzeugt wird und für einen unsachlichen Diskursverlauf verantwortlich gemacht wird. „Shitstorm füllt eine lexikalische Lücke, die Mediendemokratie, Social Media und das Web 2.0 geschaffen haben“.[2]
Zu den ersten Verwendungen in der deutschen Presse gehörte allerdings bereits 2006 ein Kommentar von John Irving, der in der Debatte über Günter Grass’ Zugehörigkeit zur Waffen-SS kritisch anmerkte, man könne „das nationalistische Geplapper in den deutschen Medien wohl als ‚shit storm‘ bezeichnen.“[6]
[Bearbeiten] Entstehung und Eigenschaften
Ein Shitstorm stellt einen Angriff auf die Reputation eines Unternehmens oder einer einzelnen Person dar. Typisch für einen Shitstorm ist, dass ein Reputationsangriff mit Bedacht gestartet wird, z. B. durch eine negative Bewertung nach einer schlechten Nacht in einem Hotel oder einer negativen Produktbewertung in einem Online-Shop. Einer Beschwerde im Web 2.0 geht in der Regel eine direkte Beschwerde des Kunden beim Anbieter selbst voraus. Wird dort nicht zufriedenstellend geantwortet, verlagert sich die Kritik häufig ins Internet. In Blogs und sozialen Netzwerken wie Facebook, in denen sich Unternehmen mit eigenen Profilen präsentieren, können User Kommentare abgeben und so das Unternehmen öffentlichkeitswirksam kritisieren.[7]
Findet eine Kritik Bestätigung durch weitere Geschädigte, entwickelt sich durch die vielfältigen Kommunikationswege im Internet eine Eigendynamik, die sich auf mehrere populäre Webseiten und Netzwerke verlagert. Die Kritik wird zunehmend unsachlich und emotional geäußert und ist dadurch nur schwer wieder zu beruhigen. Die Moderation eines Shitstorms stellt für Social-Media-Manager eines Unternehmens die wohl schwierigste Aufgabe der Krisenkommunikation dar.[8]
Im Verlauf eines Shitstorms übertönen Beschimpfungen und Beleidigungen jede Form sachlicher Diskussion. Häufig verstärken die betroffenen Unternehmen oder deren Mitarbeiter ungewollt einen Shitstorm, indem sie unbedachte Aussagen treffen oder Mitarbeiter ohne vorherige Rücksprache im Namen des Unternehmens auftreten. Alle Äußerungen, ob von der Seite der Angegriffenen oder der Netzgemeinschaft, haben das Potenzial, einen Shitstorm weiter anzufachen, selbst wenn diese über wenig bis gar keine Substanz verfügen. Auch ein überstandener Shitstorm hat durch die Archiv-Funktion des Internets das Potenzial, durch einen neuen Kommentar zu einem alten Beitrag wieder in Gang gesetzt zu werden.[7]
Die Entwicklung und Eigenschaften eines Shitstorms wurden von Barbara Schwede und Daniel Graf im Rahmen der Social Media Marketing Konferenz 2012 in einer Skala definiert, die an die Beaufort-Skala angelehnt ist. Ein Wert von 0 bedeutet „Kein kritischen Rückmeldungen“ in Sozialen Netzwerken und Medien-Reaktion, wobei ein Wert von 6 für „Ungebremster Schneeball-Effekt mit aufgepeitschtem Publikum. Tonfall mehrheitlich aggressiv, beleidigend, bedrohend“ in Sozialen Netzwerken und „Top-Thema in Online-Medien, intensive Berichterstattung in allen Medien“ hinsichtlich des Medien-Echos steht.[9][10]
[Bearbeiten] Beispiele
Der Shitstorm ist ein Phänomen, das gerade in der jüngeren Vergangenheit häufig in Erscheinung trat. Die betroffenen Unternehmen und Einzelpersonen sahen sich dabei häufig mit großen Reputationsschäden konfrontiert.
- Pril steht seit Jahrzehnten für Spülmittel und seit Frühling 2011 für eines der größten deutschen Online-PR-Debakel. Henkel hatte die Community aufgerufen, kreative Design-Vorschläge einzusenden, die von der Netzgemeinschaft bewertet werden konnten und zukünftig die Pril-Flasche zieren sollten. Nach kurzer Zeit befanden sich fast ausschließlich absurde Vorschläge auf den ersten Plätzen. Nach einer Bereinigung der Ergebnisliste, die Henkel mit einer angeblichen Manipulation der Abstimmung erklärte, tauchten die vormaligen Design-Spitzenreiter nur noch abgeschlagen wieder auf. Die Community war erzürnt, und Henkel entstand ein großer Imageschaden.[11]
- Die Umweltorganisation Greenpeace berichtete Anfang 2010, dass bei der Palmöl-Produktion für Nestlés Produkt KitKat Lebensräume von Orang-Utans zerstört würden und die Population der Primaten dadurch gefährdet sei. Greenpeace startete daraufhin eine Social-Media-Kampagne gegen Nestlé und KitKat und produzierte zusätzlich ein abschreckendes Video. Dass diese Kampagne zu einem Shitstorm wurde, lag unter anderem an Nestlé selbst. Durch das Abschalten von Fansites und vor allem durch das Verbot des Videos setzte der sogenannte Streisand-Effekt ein.[12] Das Video wurde mehrfach neu hochgeladen, die Kampagne gewann an Bekanntheit und Nestlé erfuhr einen großen Reputationsschaden. Mittlerweile hat sich das Unternehmen aufgrund öffentlichkeitswirksamer Gegenmaßnahmen davon erholt.
- Im Herbst 2010 wollte die Deutsche Bahn über ihre Facebook-Fansite das sogenannte „Chef-Ticket“ anbieten. Die Teilnehmer konnten sich für 25 € ein Ticket kaufen, mit dem man durch ganz Deutschland fahren konnte. Die Plattform wurde allerdings vornehmlich für einen Shitstorm genutzt, da sich die User weniger über das Chef-Ticket freuten, sondern vielmehr ihrem Ärger über die Deutsche Bahn Luft machten. Der Verzicht auf sämtliche Kommunikation oder Mediation mit der Netzgemeinde verwandelte die Kritik in einen Shitstorm und bescherte der Deutschen Bahn ein Public-Relations-Debakel.[13]
- Dass ein Shitstorm auch einzelne Personen treffen kann, zeigt das Beispiel der 13-jährigen Rebecca Black. Die Eltern der US-Amerikanerin ließen für wenige Tausend US-Dollar ein Musikvideo produzieren und stellten dieses auf YouTube ein. Die Resonanz war überwältigend: 44 Millionen Mal wurde das Video zum Song Friday innerhalb kürzester Zeit angeklickt und mit zumeist diffamierenden Kommentaren versehen. Die große Kritik an Black brachte der Künstlerin allerdings einen neuen Plattenvertrag ein; sie konnte so die popularitätsbildende Kritik der Netzgemeinschaft nutzen.[14]
- Ein ING-DiBa-Werbespot, in dem Basketball-Star Dirk Nowitzki eine Scheibe Fleischwurst isst, veranlasste im Januar 2012 zahlreiche Vegetarier, auf der ING-DiBa-Seite Proteste zu posten.[15]
[Bearbeiten] Literatur
- Christian Scherg: Rufmord im Internet – So können sich Firmen, Institutionen und Privatpersonen wehren. ambition Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-942821-01-8, S. 16.
[Bearbeiten] Weblinks

- DIGIsellschaft: Hilfe! Ein Shitstorm! Erklär-Video aus dem Elektrischen Reporter.
- Sascha Lobo: How to survive a shit storm. Vortrag auf der re:publica 2010.
- Im Auge des Shit-Stürmchens Rekonstruktion und Analyse eines Shitstorms
- Astrid Herbold: Shitstorm: Wie das Netzgetöse zum Medienereignis wird. In: Der Tagesspiegel vom 31. März 2012.
- Steve Haak: Shitstorm-Skala von Barbara Schwede und Daniel Graf. golem.de vom 26. April 2012.
[Bearbeiten] Einzelnachweise
- ↑ Shitstorm, der, duden.de, abgerufen am 23. Juni 2012
- ↑ a b c d Susanne Flach:Kandidat II: Shitstorm. In: */ˈdɪːkæf/ – coffee & linguistics. 17. Januar 2011, abgerufen am 16. Januar 2012.
- ↑ Sascha Lobo: How to survive a shit storm. Vortrag auf der re:publica 2010, zitiert nach Susanne Flach: Kandidat II: Shitstorm. In: */ˈdɪːkæf/ – coffee & linguistics. 17. Januar 2011, abgerufen am 16. Januar 2012.
- ↑ a b Anatol Stefanowitsch: And the winner is: Shitstorm! In: Sprachlog, 13. Februar 2012, abgerufen am 13. Februar 2012.
- ↑ Susanne Flach: [AdJ 2011] Der Shitstorm ist zurück! In: */ˈdɪːkæf/ – coffee & linguistics. 16. Januar 2012, abgerufen am 16. Januar 2012.
- ↑ John Irving: „Grass bleibt für mich ein Held“. In: Frankfurter Rundschau. 18. August 2006; zitiert nach: Heute in den Feuilletons. „Die Kalbshaut einer SS-Uniform“. In: Spiegel Online. 18. August 2006, abgerufen am 16. Januar 2012. Als einen der frühesten Belege im Deutschen bezeichnete diesen Artikel Susanne Flach: Kandidat II: Shitstorm. In: */ˈdɪːkæf/ – coffee & linguistics. 17. Januar 2011, abgerufen am 16. Januar 2012.
- ↑ a b Shitstorm: Digitale Kritik jenseits der Sachargumente. In: revolvermaenner.com, 7. Juni 2011.
- ↑ Christian Scherg: Rufmord im Internet – So können sich Firmen, Institutionen und Privatpersonen wehren. ambition Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-942821-01-8, S. 16.
- ↑ Daniel Graf, Barbara Schwede: Wetterbericht für Social Media, abgerufen am 10. Mai 2012
- ↑ Jörn Brien: Shitstorm-Skala: Wann herrscht schwere See?, vom 25. April 2012, abgerufen am 10. Mai 2012
- ↑ http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,763808,00.html, spiegel.de, Pril-Wettbewerb endet im PR-Debakel, 20. Mai 2011
- ↑ http://off-the-record.de/2010/03/17/virale-schock-attacke-von-greenpeace-gegen-nestle-kitkat/, off-the-record.de, Virale Schock-Attacke von Greenpeace gegen Nestle-KitKat, 17. März 2010
- ↑ http://meedia.de/internet/die-bahn-rast-in-die-facebook-falle/2010/10/26.html, meedia.de, Die Bahn rast in die Facebook-Falle, 26. Oktober 2010
- ↑ http://www.rp-online.de/digitale/internet/Youtube-Star-Rebecca-Black-erobert-die-Charts_aid_979980.html, rp-online.de, Spott für Teenie-Song „Friday“, 28. März 2010
- ↑ Wer den Spot hat, hat den Shitstorm. In: ftd.de. Vgl. Der Ing DiBa Shitstorm – Eine Chromnologie. In: linkedinsiders.wordpress.com.