Witold Gombrowicz

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Witold Gombrowicz in Vence
Büste in Kielce

Witold Marian Gombrowicz (* 4. August 1904 in Małoszyce, Kongresspolen, Russisches Kaiserreich; † 25. Juli 1969 in Vence, Frankreich) war einer der bedeutendsten polnischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Seit seinem 34. Lebensjahr lebte er im Exil.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Grab von Witold Gombrowicz in Vence

Witold Gombrowicz stammte aus dem kleinpolnischen Landadel und war das jüngste von vier Geschwistern. Von 1911 an wuchs er in Warschau auf. 1927 schloss er sein Jurastudium an der Universität Warschau ab. Im Juli 1939, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, unternahm er eine Schiffsreise nach Buenos Aires in Argentinien an Bord der MS Chrobry – des damals neuesten polnischen Transatlantikliners (11.442 BRT). Wegen des Kriegsausbruchs kehrte er nicht mehr nach Polen zurück und blieb in Buenos Aires. Er lebte von der Arbeit als Angestellter der polnischen Bank Banco Polaco; als seine eigentliche Lebensaufgabe betrachtete er jedoch das Schreiben. 1963 kehrte er nach Europa zurück (an Bord des italienischen 21.000-Tonnen-Turbinendampfers Federico C.), jedoch nicht in die Volksrepublik Polen, sondern nach Cannes in Frankreich. Dank eines Stipendiums der Ford Foundation ging Gombrowicz 1963 als Artist in Residence für ein Jahr nach West-Berlin, gleichzeitig mit Ingeborg Bachmann. Danach ließ er sich in Vence in Südfrankreich nieder und heiratete 1968 Rita Labrosse. 1969 starb Witold Gombrowicz an den Folgen von Asthma. Sein Grab befindet sich in Vence.

Schaffen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits Gombrowicz’ Frühwerk, der Erzählband Pamiętnik z okresu dojrzewania (dt. Memoiren aus der Epoche des Reifens) von 1933, wurde von der polnischen Kritik gänzlich missverstanden. Eines der Motive des 1938 erschienenen Romans Ferdydurke ist daher die Abrechnung mit der Ignoranz der Kritiker, der „intellektuellen Tanten“ oder „Kulturtanten“, wie sie Gombrowicz nennt, die den Schriftsteller sein Leben lang begleitete. Seitdem war Gombrowicz bemüht, die Leser und Kritiker über seine Absichten aufzuklären. Jede der drei zu Lebzeiten des Autors erschienenen Ausgaben von Trans-Atlantyk (1951 (Auszüge) und 1953 in Paris, 1957 in Polen) versah Gombrowicz mit einem neuen Vorwort. Um das Verständnis seiner selbst und seines Werkes durchzusetzen, begann er 1953 sein Tagebuch (Dziennik) zu schreiben, das regelmäßig in der Pariser Zeitschrift Kultura erschien. Jahre später wurde es von den Literaturwissenschaftlern als sein bedeutendstes Werk bezeichnet. In den 1960er Jahren entstanden zwei weitere Romane, Pornografia (1960) (verschiedene deutsche Ausgaben: Verführung und Pornographie) und Kosmos (1965) (verschiedene deutsche Ausgaben: Indizien und Kosmos). Spätestens in dieser Zeit wurde Gombrowicz’ schriftstellerische Bedeutung auch international anerkannt.

In der Volksrepublik Polen wurde Gombrowicz 1953 vom stellvertretenden Ministerpräsidenten Józef Cyrankiewicz angeprangert, weil er mit Feuereifer die Argumente deutscher Chauvinisten aufgegriffen habe.[1]

Inhalte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seinen Figuren, wie auch sich selbst, räumt Gombrowicz das Recht auf Individualität und geistige Freiheit ein, und zwar unabhängig von jeder Konvention. Jedes Individuum berechtigt er zur lebenslangen „Unreife“, die für ihn die Abwehr gegen die „reifen“ Formen des Lebens (herrschende Ideologien, Religionen, Nationalismen, gesellschaftliche Normen) und der Kunst (literarische und künstlerische Konventionen) symbolisiert. Mit diesem Programm spricht Gombrowicz Themen an, die Jean-Paul Sartre kurze Zeit später im Begriff des Existenzialismus zusammenfasst.

Obwohl Gombrowicz von seiner Ausreise 1939 bis zu seinem Tod in der Emigration lebte, setzte er sich unermüdlich mit der Problematik seines Heimatlandes auseinander. Als Pole war er der Auffassung, dass ausgerechnet die polnische Tradition der geistigen Entwicklung seines Heimatlandes im Wege steht. Mit seiner Absage an das schwere romantische Erbe Polens rief er seine Landsleute dazu auf, sich von dem alten Polentum zu befreien, und zwar durch individuelle und nicht nur kollektive Handlungen. Von der Kritik wurde dieses Motiv als ein Angriff auf die polnische Tradition aufgefasst und war ein Grund für Gombrowicz’ langjähriges Publikationsverbot in Polen.

2013 gab seine Witwe Rita bekannt, dass er insgeheim unter dem Titel Kronos ein weiteres Tagebuch geführt hatte, in dem er unter anderem sein Sexualleben genau protokolliert hatte.[2]

Der Roman[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Romancier knüpft Gombrowicz an die Tradition des komischen Romans an (im Sinne François Rabelais', Miguel de Cervantes' sowie Henry Fieldings). Die von ihm behandelten existenziellen Probleme wirken deshalb unernst und lustig, was häufig missverstanden wird. Auf diese Weise hebt Gombrowicz die seiner Meinung nach kraftlose Kunst der Moderne und insbesondere des Romans auf, den er für steril, versnobt und unehrlich gegenüber der Realität hält.

Die Form und die „Unform“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Den Bruch mit den Konventionen und steifen Formen vollzieht Gombrowicz in seinen Werken nicht nur inhaltlich, sondern überträgt ihn auch auf die Werkform und Werksprache. Er experimentiert mit historisch bewährten literarischen Gattungen, vermischt sie miteinander und übersetzt sie in seine persönliche Sprache. Die daraus resultierende Form ist eine „Unform“, seine Romane werden zu „Antiromanen“.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seine Werke erschienen seit 1951 in Paris, seit 1959 auch in Deutschland, in Polen erst seit 1986.

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 1967: Prix Formentor
  • Der polnische Sejm erklärte das Jahr 2004 in Erinnerung an seinen hundertsten Geburtstag zum Witold-Gombrowicz-Jahr.

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erzählungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Pamiętnik z okresu dojrzewania (Memoiren aus der Epoche des Reifens) (1933).
  • Bakakaj (dt. Bacacay) (1957) (zweite, verbesserte und um zwei neue Erzählungen vermehrte Ausgabe von Memoiren aus der Epoche des Reifens)

Romane[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ferdydurke (1938) (dt. Ferdydurke, 1960)
  • Opętani (1939) (dt. Die Besessenen, 1989)
  • Trans-Atlantyk (1953) (dt. Trans-Atlantik, 1964)
  • Pornografia (1960) (dt. Die Verführung, 1963, sowie Pornographie, 1984)
  • Kosmos (1965) (dt. Indizien, 1966 sowie Kosmos 2005)

Theaterstücke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Iwona Księżniczka Burgunda (dt. Yvonne, die Burgunderprinzessin) (1935)
  • Ślub (dt. Die Trauung) (1953)
  • Operetka (dt. Operette) (1966)
  • Historia (Operetka) (dt. Geschichte) (1950/51 und 1958/60)

Andere Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Dziennik, 1953–1956 (dt. Tagebuch)
  • Dziennik, 1957–1961
  • Dziennik, 1961–1966[3]
  • Testament, Entretiens avec Dominique de Roux (dt. Eine Art Testament) (1969)
  • Wędrówki po Argentynie (dt. Argentinische Wanderungen und andere Schriften) (1977)
  • Kronos (2013)
  • Berliner Notizen, übersetzt von Olaf Kühl. edition fotoTAPETA, Berlin 2013, ISBN 978-3-940524-24-9
  • Sakrilegien: aus den Tagebüchern 1953 bis 1967, aus dem Polnischen von Olaf Kühl, Eichborn, Reihe Die Andere Bibliothek, Frankfurt am Main 2001, ISBN 978-3-8218-4509-8

Gesamtausgabe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gesammelte Werke in 11 Bänden. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-596-13895-7
  • Gesammelte Werke. 13 Bände, Hanser, München 1988

Verfilmungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Oper[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Witold Gombrowicz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Marek Klecel: Polen zwischen Ost und West: Polnische Essays des 20. Jahrhunderts. 1995, zitiert in: J. Bak, K. Kaser, M. Prochazka (Hrsg.): Selbstbild und Fremdbilder der Völker des östlichen Europa. (= Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens. 18). Klagenfurt 2006, S. 608–611. (online in der "Enzyklopädie des europäischen Ostens (EEO)" der Universität Klagenfurt)
  2. kultura.onet.pl (Memento des Originals vom 9. Mai 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/kultura.onet.pl
  3. Die englische Fassung Diary kann in Google books durchsucht werden, z. B. nach bestimmten Begriffen, Namen usw. Seine Einträge hat der Autor nicht datiert, sie sind allein nach den Jahren sortiert.
  4. Michał Dobrzyński – Operetka im Archiv von Music Theatre Now, abgerufen am 3. Juli 2017.