VORABEND
Gestern im Literaturforum:
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ERSTER TAG
Mittwoch, der 11. Oktober
[Bei den Pflanzen, die fleischlich, 8.26 Uhr
Strauss, Rosenkavalier, Terzett und Finale]
Es war eine wirklich wunderbare >>>> Veranstaltung gestern abend, was vor allem der hinreißend genauen Moderation Björn Jagers zu verdanken war, aber auch der konzentrierten und vor allem offenen Aufmerksamkeit des Publikums. Es war nicht so zahlreich erschienen, wie ich zu hoffen auch gar nicht gewagt hatte. Denn parallel, wie ich‘s Ihnen, Freundin, schon gestern geschrieben habe, fand die erste Lesung des neuen Buchpreisträgers, Robert Menasse, statt, flankiert überdies von der Frankfurtmainer Magnet- und -natin Eva Demski. Und in den Großen Saal des Hauses unten hatten Chartlie Hebdo und Titanic gerufen.
Dennoch die aufgestellten Stühle waren so gut wie alle besetzt, zumal teils hochkarätig. Deshalb konnte die Zartheit des Romans – eine Eigenschaft, die nur selten je zur Sprache gekommen ist, was selbstverständlich auch an dem oft wütigen Fichte liegt, ich also teils mitzuverschulden habe – zu Klang werden und sich eben auch als Klang übermitteln.
Ich erinnere mich noch heute früh genau, wie dies bereits durch den Raum ging, zuvor aber in meiner Stimme aufblühte, als ich das Motto… nein nicht las, sondern beinah sang. Das hatte ich nie zuvor getan. Es war von mir auch überhaupt nicht geplant gewesen, sondern drängte gleichsam – und leise – herauf. Deshalb war ich mindestens so überrascht wie die Hörer:innnen, und davon benommen. Imgrunde hat dieser kurze Gesang, drei Verse in Kiplings originalem Englisch, alle Weichen gestellt. Was halt auch die Funktion eines Mottos ist. Dem gab sich Björns empfindsame Präzision klug an die Seite; ich selbst mußte nur folgen. Sie mögen es, Geliebte, bei einem dominanten Typen wie mir nicht glauben, doch ich versichere Ihnen, daß es ausgesprochen erleichternd, mehr noch: befreiend für mich war. Denn nun sprach das Buch und nicht ich.
So hat diese Messe mit einer für einen Dichter Sternstunde begonnen, zu jener ich jetzt aufbrechen muß – also erst einmal raus aus den morgendlichen Abendklamotten, in den Zegna-Anzug und die polierten Schuhe hinein, dann zur UBahn. Mein erster Weg wird mich zu mare führen.
</div align=justify> ZWEITER TAG
Donnerstag, der 12. Oktober 2017

Ansonsten ist es in der Causa Meere vergleichsweise ruhig auf der Messe, öffentlich ruhig – privat freilich wurde ich mehrfach angesprochen, teils sogar beglückwünscht, von Leserinnen, Lesern auffällig weniger. Stärker ins Zentrum gerieten >>>> Helmut Schulzes und meine Nachdichtungen. Die anfangs gar nicht am Stand lagen; die Druckereien hatten geschludert; Verlegerfreund Haacker war also fuchsig. Statt nachher pünktlich auf der Messe zu sein, wird er heute erst einmal zur Poststelle fahren müssen, um die Pakete abzuholen.
Der Joyce aber kam – in zwanzig Vorab-Exemplaren; eine Mitarbeiterin der Druckerei brachte sie im Koffer vorbei. „Die packst jetzt du aus“: so Haacker:
Benoit kam vorbei, ich erzählte ihm, in Radebrochen aus Französisch und Italienisch, die Geschichte von Meere. Wär doch für Frankreich ein ideales Buch. Als er weg war, eine SMS an Elvira getippt, die muttersprachlich Französisch spricht: „Kannst du um 15 Uhr bitte hier sein?“ Da saß sie noch im Flugzeug und eilte dann quasi fliegender Koffer herbei, schaffte es nicht pünktlich, aber Benoit war ohnedies nicht erschienen. Ich hatte, als er den neuen Termin hinzupreßte zwischen zwei Zeilen, seinen Timer gesehen; er war also irgendwo hängengeblieben. Is‘ messenormal, tat mir nur wegen Elvira leid, mit der ich nun erst einmal zu den Österreichern abzog – aber nicht, bevor wir auf die Kammermusik nicht alle angestoßen hatten:
So auch mit Vergeblichkeit, ja Fügung & Verpflichtung. Mit Treue, Klarheit & Ambivalenz – ein indirekt ständiges Thema zwischen Haacker und mir. Selbstverständlich bekam Elvira es mit.
Ich sah sie an.
Sie sah mich an. Nachts schon, der Freund und ich hatten sie zur SBahn gebracht.
„Leben“, sagte ich.
„Leben“, sagte sie.
Davor ein „das“ wäre redundant gewesen, zumal der Freund beiseite stand; doch gibt es herrlich-innige Bilder der beiden, wie sie Rücken an Rücken die nächtliche Skyline fotografieren, ihr, der zarten Frau, schmaler Hinterkopf auf einer seiner mächtigen Schultern. Kurze Momente einer ungeheuren Wahrheit, „ungeheuer“ ist keine Stanze, denn sie in ihrer gewissen Helligkeit um so viel mächtiger als er. Da stand ich abseits, aber anders als er nicht diskret, sondern dabei, mir das Bild präzise in mein Bewußtsein zu brennen.
Sie stieg ein, winkte vorgebeugt und, sich im Voranschreiten dabei rückdrehend, mehrmals, fuhr fort. Wir zwei Männer wie von der Bühne ab, VORHANG. Wobei hinter ihm dann noch gesprochen wurde, vor der erleuchteten Silhouette des nach wie vor eindrucksvollen Bahnhofs schräg gegenüber den ehemaligen Verlagsräumen von Schöffling & Co. Zu „meiner“ Zeit war es hier noch wild gewesen, und „wahrer“: Die Banken, darunter die Puffs und Stripschuppen, vor denen wiederum die Junkies. Ich habe damals sehr dafür gekämpft, daß diese Wahrheit erhalten blieb. Heute finden sich von ihr nur noch Spuren – in der parallelen Münchener Straße etwa, der einzigen kulturell wirklich pluralistischen dieser Stadt neben den sexbrösligen Nebenstraßen von Mosel und Elbe. Die, wie ich sie damals nannte, Kathedrale des Fleischs hingegen ist fort; die romanästhetisch wahrscheinlich – zugleich als Faktur wie in der leidenschaftlichen Innigkeit- getriebenste und vorrangetiebenste Szene der >>>> Verwirrung des Gemüts spielt dort:
Nur eines ist noch nachzutragen. Wie die Lektorin und ich auf dem Österreichempfang zu Herbert Wiesner über poetische Nähe sprachen gerade für das Lektorat. Thomas Kunst stand dabei, der sich wie Gerd-Peter Eigner lektorieren lassen nicht mag, während ich diese Arbeit ja liebe – aber sie nun erleben darf ohne künstlerische Distanzen. Elvira selbst ist mein Text – das habe ich zuvor nie erlebt; sie ist näher in ihm als ich selbst. Eine grandiose, auch herzschnürende Erfahrung… viel zu klein das Wort: sondern:: ein Erleben.
Wie sich Wiesners Gesicht, ein ohnedies schmales, noch verschmalte, als ich das Gebot der Distanz derart unterlief. Er war es ja auch, der zu den Bamberger Elegien nicht ohne Überheblichkeit gesagt hatte, „moderne Gedichte sind das ja nicht“, und auch da schon irritiert gewesen war, weil mich der Vorwurf nicht scherte. Ganz unruhig wurde er aber, als ich fest erklärte, wer immer fortan von mir ein Buch haben wolle, müsse mir diese Lektorin geben. „Na gut, sowas mögen kleine Verlage tun – aber große? Was machst du da? Ich meine, die haben ihre eigenen Lektoren…“ „Wenn Sie mir nicht Elvira geben, mache ich auch kein Buch.“
Ich weiß gar nicht, wie seinen Blick zu nennen, mit dem er mich da ansah. Man muß sich doch strecken nach Decke und Tisch. – Wer muß? — Jetzt aber auf! Wenn ich um halb elf auf der Messe sein werde, ist‘s freilich früh genug.

DRITTER TAG
Freitag, der 13. Oktober 2017
also egomanen künstler ist, sich kleinzumachen lernen –
aus liebe aber, nicht kalkül.
Saul Cechy, reflectionsIrgendetwas muß geschehen sein, von dem ich noch nichts weiß. Selbst aber im Netz findet sich nichts. So bin ich auf tiefruhige Weise unruhig. Doch irgendeiner hat was gedreht oder eine Perspektive hat sich gedreht; bis sous mon peau ist es spürbar. („J‘ai toi sous le peau.“) Ich darf Ihnen, liebe Freundin, die vielen Begebnisse aber konkret nicht berichten – nicht in meinen öffentlichen Briefen an Sie, sehr wohl aber gelegentlich, wenn wir beieinanderliegen. Freilich ist auch dies eine ganz eigene Erfahrung, daß sich, wenn wir klug sind, manch Öffentliches nur intim erzählen läßt, um sein Erstehen nämlich nicht zu verhindern.
Späte Lehre der Tausenden Seiten, die Die Dschungel mittlerweise ist.
Nur soviel, immerhin, daß das Gespräch mit der Agentur – Sie wissen schon, des Ghostromans wegen -, exakt so ablief, wie ich es vorauserspürt hatte. Hunderte Tische, übrigens, parzelliert nach Ordnungszahlen („divisions!) wie die Gräber auf Père Lachaise, und auf einem jeden eine imaginäre Stechuhr, auf Viertelstunden getaktet. Zeit ist für das nötigste nur; selbst aber sie läßt sich mit unausgesprochen Angedeutetem unterlaufen. Persönliche Mitteilungen in Blicksekunden; ein Wimpernschlag genügt. Man sitzt ja auch eng an eng und hört die Gespräche der anderen – anderen Agenturen, anderen Verlagen, anderen Produktionsfirmen mit. So kann ich mir denken, daß jeder einen so eigenen Code der Verständigung verwendet wie die Gesangszeilen sind der catanesischen Fischverkäufer, aus jenen Hans Werner Henze eigene Komposition gemacht.
Der zweite Agenturtermin, abermals in Sachen Contessa, heute, und morgen, zusammen mit meiner französischflüssigen Lektorin, in eigener Sache bei „den“ Franzosen: Traumschiffs- und Meeressache. Dazu wird abends schließlich >>>> Peter Grimes gut passen, wohin ich eingeladen bin. Wobei Monsieu B., mit dem wir uns gestern verabredeten, noch enger getaktet war: nach zehn Sekunden. Allerdings auf einem Empfang. Es läßt sich behaupten, er sei umlagert gewesen.
Elvira und ich sind uns einig: Wir mögen die Frankfurter Messe, anders als viele andere, die sehr schnell klagen und den kommoderen Leipziger Leseteppich vermissen, den fast nur freundlichen Austausch quasi Gleichgesinnter (gleich Gesonnener); da aber eben geht kaum Geschäft. Wenn wir von den Tausenden absehn, die sich in Frankfurt ihre Patchworktapeten zusammenstellen (einem anderen Zweck kann die geradezu in Koffer gepreßte Sammelei von Verlagsprospekten kaum dienen), liegt hier – und zieht auch – das business blank. Da ist wenig Zeit für Getüdel. Dies eben macht diese Buchmesse wahr. Und wir, die Dichter, spüren: Wir sind Objekt. Mehr noch vielleicht spüren es die Dichterinnen, die indessen gelernt haben, auf ihre Erfahrungen mit Männern zurückzugreifen und wo man die Wünsche am Schwanz zieht, der, wenn es gutgeht, ganz unerfüllt bleibt, umso mehr will und sich schließlich im Sublimieren befriedigt, nämlich dem Buch. Und befriedet für einige Zeit.
So fiel mir zum einen, wieder und wieder, Man Ray ein („Die Banane ist groß, doch ihre Schale ist größer“), zum anderen – siehe oben – die nichtironische Perspektive Saul Cechys.
Jedenfalls nahm die Lektorin mich zur Standlesung eines anderen, jüngeren Schriftstellers mit, den sie betreute und betreut: >>>> Paul Auer. Er las für einen kleinen Sender ein; die Hörer:innen daheim werden mehr verstanden haben als die wenigen live auf den Stühlen, diese umbrandet vom Lärm der Passierenden und dem Lautsprechertosen einer anderen Lesung gleich hinter der Wand. Doch was ich spürte, war, der Junge hat Kraft – also sein Text hat sie, erschienen soeben bei Septime:
Doch etwas anderes noch war hier bemerkenswert.
Ich habe Haacker einen nachgelassenen Koffer des großen Gerd-Peter Eigners geschenkt. Sie machen sich, Freundin, keine Vorstellung von seiner, Haackers, Freude. Dieser Koffer nun, und mit und ihm Eigner selbst, setzt sein Leben so fort:

Und schon wieder muß ich mich sputen. Aber doch dies noch: Als ich im Frankfurter Literaturhaus stand. Welch ein Pomp! Welch ein falscher Vorschein in dieser grauenvollen Innenarchitektur:
Freitag, der 14. Oktober 2017Zu spät und schwer hinein, zu schwer und spät hinaus und willens nicht genüge, heute von gestern viel zu erzählen. Doch saßen wir im kalten Herz der Messe, das ihr Treibstoff zugleich ist. So verbrennt es sich selbst:

Es war lehrreich, kalt, orientiert auf ein Ziel; man kann damit leben, weil es so klar ist. Verlangt wird Kalkül. Was Dichtung eigentlich ausmacht, hat keinen Raum; um Literaturen geht es, die Menschen führen: Sie bestimmt auf den Punkt, was sie fühlen. Hier wird gemacht. Daß ausgerechnet ich da hineinkam, die hochsensible Elvira zur Seite – die aber ungeheuer wütend werden kann, was ich vorher und anderswo erlebte. Da ging‘s um, nein, ich sage es nicht.
Morgens auf dem ledernen Futteral des Ipättchens eine Notiz, die ich des nachts geschrieben habe, ich weiß nicht mehr, wie und warum:
Sonntag, der 15. Oktober 2017
[9 Uhr
Keith Jarretts Schostakovitsch, Präludien und Fugen op.87]
… und so klang gestern, nach >>>> einer grandiosen Aufführung von Brittens Peter Grimes, die Nacht aus:
Tags die letzten Gespräche, ein wichtigstes dabei – wieder oben im Saale der Agenten. Elvira, auf Französisch, führte es eindringlich intensiv. Es ging um die Übersetzung, erst einmal, von Meere. Jetzt wird wieder >>>> Prunier gefragt sein; ich werde ihm morgen schreiben. Soweit ich mich erinnere, hatte er seinerzeit schon angefangen, das Buch zu übertragen; Madame P. möchte nun gerne Proben sehen. Viel wichtiger aber ist, daß sie sich, falls sich ihr Interesse bestätigen sollte, die Weltrechte sichern möchte – für mein ganzes Werk. Da habe ich nun einige Gespräche mit meinen Verlagen vor|zu führen. Wiederum >>> Wieser möchte meine Gedichte sehen. Zwar sagte er gleich, „denk aber bloß nicht, daß sich von sowas viel verkauft“, doch geht es mir auch um etwas anderes: Ich hätte nämlich dann ein Standbein in Österreich und fiele nicht immer durch die dortzulande auf Österreich selbstkonzentrierten Regelungen der Förderungen durch. Was eben auch Lesungen anbelangt, Auftritte insgesamt. Und dann liegt Klagenfurt auch noch einem Europa nahe, das mir bis heute fast verschlossen: in den Balkan hinunter. Und sowieso hat Kärnten nun schon einige Male sinnelockend ge- —� droht wollte ich schreiben, was aber nur zum Teil stimmt. Ich assoziierte Liebe immer mit Verlust und Leben mit nicht Tod, nein, prozesssual dem Sterben – wobei, liebe Freundin, erstens „dem“ schon falsch ist und der Impuls-selbst ganz ohne Absicht, vielmehr ein Instinkt ist.
Für die Gedichte taten sich noch zwei weitere Möglichkeiten, mögliche Möglichkeiten auf; sie, die Gedichte, müssen unter Dach & Fach sein, bevor der Béartzyklus fertig ist, für den ich dann ebenfalls werde suchen müssen, für ihn aus anderen Gründen als für die vorherigen Gedichte heikel. In Berlin wird die Ablehnung durch den Deutschen Literaturfonds liegen; mein Sohn öffnet meine Post ja nicht, sondern legt sie nur zu einem Haufen auf meinem Schreibtisch zusammen.
Dielmann huschte vorüber, arg das freundlichste Gesicht. Ich (fiel und) falle wieder darauf rein. Er bestätigte mir denn auch, daß der Wolpertingerroman seit über einem halben Jahr nicht mehr lieferbar sei. Auch hier nun werde ich handeln müssen. Schon Meere, in der persischen Fassung, ist ihm ja nun aus den Händen genommen.Heute abend Essen mit Do. Auf der Messe, gleich, nur noch Buchschnäppchen, für die Geliebten, die Freunde, die Kinder, vielleicht auch ein bißchen was für mich. Und morgen, dann noch einmal hier, eine Abschluß-Nachbetrachtung, bevor ich mich auf den Weg >>> nach Karlsruhe machen werde, zur dritten Meerelesung des ersten Meere-Veeranstaltungsblocks.
beim kleinmachen müssen wir aber noch üben, gel?
@bonanza: Allein zu „gel“ieren hilft nicht; zumindest brauchen frau und man noch ein weiteres „l“.