Glarean Magazin

John Nunn: «Das Verständnis des Mittelspiels im Schach»

Posted in Buch-Rezension, Glarean Magazin, John Nunn, Schach, Schach-Rezension, Thomas Binder by Walter Eigenmann on 22. Oktober 2012

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Das Schach-Mittelspiel in 100 Lehr-Motiven

Thomas Binder

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Man muss den englischen Großmeister John Nunn hier gewiss nicht vorstellen, gehört er doch seit Jahren zu den produktivsten und zu Recht beliebtesten Autoren der Schachszene. Sein neuestes Werk «Das Verständnis des Mittelspiels im Schach» will laut Untertitel die «100 wichtigsten Mittelspielideen» präsentieren. Bevor wir uns der Frage zuwenden, wie dies gelungen ist, machen wir uns mit dem Aufbau des Buches vertraut.
Nach zwei vielversprechenden Einführungsbeiträgen («Mythen des Mittelspiels» und «Die Verbundenheit aller Dinge») folgen acht etwa gleichwertige Kapitel zu den wichtigsten Themen des Mittelspiels. Die Titel dieser Abschnitte sprechen für sich: Materielle Ungleichgewichte; Strategie; Aktivität; Angriffsspiel; Verteidigungsspiel; Bauernstruktur; Typische Zentrumsformationen; Typische Fehler.
Dabei fällt eigentlich nur das Kapitel «Angriffsspiel» etwas aus dem Rahmen. Es widmet sich vorwiegend taktischen Ideen (z.B. klassischen Opfermotiven). In den übrigen Abschnitten dominiert strategische Überlegung – und damit erfüllt sich auch die Erwartungshaltung, die zumindest der Schreibende an ein Mittelspielbuch knüpft. Eine Ausnahmestellung nimmt allenfalls noch das Schlusskapitel ein, in dem es weniger um konkrete Motive auf dem Schachbrett geht, als um das Denken des Schachspielers. So wird hier z.B. davor gewarnt, den Besitz des Läuferpaars bereits als gewinnbringenden Vorteil zu überschätzen, oder ein dargebotenes Opfer ohne Prüfung von Alternativen automatisch anzunehmen.

Beginn des Kapitels «Initiative» in John Nunn: «Das Verständnis des Mittelspiels»

Besonderen Gewinn habe ich aus den Kapiteln über «materielle Ungleichgewichte» (z.B. Stellungen mit Mehr-Qualität oder den unterschiedlichen Kompensationen für eine Dame) und über Zentrums-Formationen gezogen. In letztgenanntem geht es um Zentrums-Strukturen, die sich typischerweise aus ganz bestimmten Eröffnungen ergeben. Das sind Themen, die in der einschlägigen Literatur unterrepräsentiert sind, und deren Vermittlung wohl auch einen solch profilierten Autor wie John Nunn braucht. Hier kommen sie in einer Form herüber, die auch dem Spieler mit Elo-Niveau unterhalb der magischen 2000 verständlich wird.
Jedes der oben erwähnten Kapitel beginnt auf zwei dicht bedruckten Seiten ohne jeden Partiebezug mit einer theoretischen Einführung. Ehrlich gesagt, sind diese Texte für den Leser ziemlich anstrengend. Da man sie aber für das Verständnis der folgenden Seiten unbedingt lesen sollte, müsste hier nach einer etwas attraktiveren Gestaltung gesucht werden.
Dann folgt jeweils die Vorstellung der zugehörigen «Mittelspiel-Ideen». Diese summieren sich über die acht Komplexe dann auf jene versprochenen 100 Motive. Jedes einzelne wird mit passenden Partien illustriert, die mustergültig kommentiert sind. Zwei Diagramme zu jeder Partie (bzw. jedem Partie-Fragment) geben Gelegenheit, dem Text auch ohne Schachbrett zu folgen. Die eingestreuten Varianten halten sich in Umfang und Tiefgründigkeit genau an das notwendige Maß. Hier schreibt ein Autor für seine Leser, der genau weiß, was sie von ihm erwarten.

Mathematik- und Schach-Genie: Der engl. Grossmeister Dr. John Nunn (*1955)

Leider hat sich John Nunn – in meinen Augen unnötig – etwas enge Ketten angelegt, die den Gesamteindruck ein wenig trüben.  Es beginnt mit der strengen Systematisierung, bei der nun mal genau 100 Motive heraus kommen sollten. War das Nunns Idee oder hat hier der Verlag einen gut gemeinten Rat gegeben? So stehen Themen gleichberechtigt nebeneinander, die gewiss eine – auch im Umfang – unterschiedliche Präsentation verdient hätten.
Geht dieses Muster z.B. bei taktischen Motiven (Idee 43: «Das Springeropfer auf d5 im Sizilianer») gut auf, so stößt es bei strategischen (Idee 21: «Der Minoritätsangriff») oder gar psychologischen (Idee 97: «Mangelnde Wachsamkeit») an seine Grenzen. Ja, das (selbst?) angelegte Korsett wird noch enger: Jede «Idee» wird auf genau 2 Seiten vorgestellt, mit je 2 Partien (je genau eine pro Seite), jede Partie mit genau 2 Diagrammen illustriert, in jeder Druckspalte genau ein Diagramm. Schade – da werden Reserven verschenkt, die eine differenziertere Darstellung der Themen möglich gemacht hätten.

John Nunns «Das Verständnis des Mittelspiels im Schach» spricht mit 100 Motiven wichtige strategische, taktische und psychologische Aspekte an. Auch wenn buchformale Restriktionen vorhanden sind: Das neueste Werk des berühmten Schachautors stellt eine wertvolle Lektüre für Spieler ab mittlerem Vereinsspielerniveau dar. Empfehlenswert!

Ein großes Lob hingegen ist der Partieauswahl zu zollen. Die Beispiele stammen überwiegend aus der aktuellen Turnierszene des 21. Jahrhunderts. Selbst zu bereits bekannten und in der Literatur oft behandelten Motiven finden sich also neue Gedanken.
Das Buch kann jedem Spieler ab mittlerem Vereinsspielerniveau (was ich mal mit ELO ab 1800 ansetzen würde) empfohlen werden, der sich im schwierigen Feld der Planfindung und Stellungsbewertung in komplexen Mittelspielstellungen verbessern möchte. Er wird vom Autor anspruchsvoll gefordert, aber immer didaktisch geführt und nicht im Variantengestrüpp alleingelassen. Empfehlenswert! ■

John Nunn: Das Verständnis des Mittelspiels im Schach, Gambit Publications, 240 Seiten, ISBN 978-1906454388

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Der brillante Schachzug (76)

Posted in Der brillante Schachzug, John Nunn, Schach, Schach-Rätsel by Walter Eigenmann on 25. September 2010

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Weiß am Zuge

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Weitere Brillanten.

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Die Geheimnisse der Schach-Großmeister

Posted in John Nunn, Rezensionen, Schach, Schach-Rezension by Walter Eigenmann on 27. Februar 2009

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John Nunn: «Schnell gewinnen»

john-nunn_schnell-gewinnen_gambit-verlagWenn auf einem Schachbuch «John Nunn» draufsteht, bedeutet das praktisch immer was Gutes: Der englische Großmeister, Mathematiker und Schach-Journalist, bereits zweimal mit dem begehrten Award «Buch des Jahres» des Britischen Schachverbandes ausgezeichnet, schreibt schon seit langem einen Theorie-Bestseller nach dem anderen. (Erwähnt seien nur beispielsweise die deutschsprachigen «Schach verstehen Zug um Zug», «Einführung in die Schachtaktik» oder «Geheimnisse des Großmeisterschachs».)
Sein neuester Coup nennt sich «Schnell gewinnen im Schach», ist wiederum in Nunns Leib- und Magen-Verlag «Gambit» als eine erhebliche Aktualisierung früheren Materials nun im TB-Format erschienen und widmet sich (in der Reihe «Geheimnisse der Großmeister») einem Thema, das nicht nur GM, sondern auch Vereinsspieler – ja gerade diese – erheblich tangiert: der allzufrüh entschiedenen Kurzpartie.
Nunns breit und amüsant kommentierte Sammlung von 125 Miniaturen (aus dem jüngeren und jüngsten Turnier-Schach) enthält «Patzer, Böcke, Uberseher» von beileibe nicht schwachen, sondern durchwegs meisterhaften Spielern. Fehler also, die zu ahnden man schon einiges Hirnschmalz aufbieten muss. Zumal solchen früh entschiedenen Kämpfen oft nicht rationale, sondern ebenso häufig psychologische Fehleinschätzungen zugrunde liegen: «Der Verlierer erkennt oft nicht, dass die Dinge nicht ganz nach Plan verlaufen sind, und so begibt er sich in unbekannte Gewässer, auch wenn es noch früh genug war, den sicheren Hafen anzusteuern.»

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Großmeister, WM im Schach-Problem-Lösen, Mathematiker, Schach-Journalist und -Theoretiker: Dr. John Nunn

Nunn spürt den Beweggründen für fehlerhaftes Schachspielen nach und erklärt andererseits, wie solche falschen Spielanlagen «kurz und schmerzlos» bestraft werden können – jenseits allen modischen Eröffnungstheoretisierens. Dabei ist auch hier wieder das schachjournalistische Markenzeichen dieses prominenten Autors zu genießen: So viel Variantengestrüpp wie nötig, so wenig Allgemeinplätze wie möglich. Dafür bietet Nunn eine Menge «Tipps&Tricks», die das dicke Versprechen auf dem Cover einlösen, nämlich «Wie Sie Ihre Gegner in Windeseile zur Strecke bringen können».
«Gehobene» Turnier-Amateure und «mittelstarke» Vereinsspieler, die ernsthaft und ausdauernd mitzudenken gewillt sind, werden die Lektüre dieses Bandes definitiv mit Gewinn für die eigene Spielstärke abschließen. (gm)

John Nunn, Schnell gewinnen im Schach, 288 Seiten, Gambit Verlag, ISBN 978-1904600930

Leseprobe (pdf)

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