Glarean Magazin

Klaus Seybold: «Poetik der prophetischen Literatur im Alten Testament»

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Sprachanalyse der biblischen Prophetien

Jan Neidhardt

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Die Propheten des Alten Testaments waren vielfach anders, als man sie sich in unserer Zeit vorstellt. Heute betrachtet man sie oft als Vorankündiger zukünftiger Ereignisse oder reduziert sie überhaupt auf Messias-Ausrufer. Hinzu kommt, dass die Bibel einen bestimmten Kanon an namentlich bekannten Propheten versammelt, jenen der sogenannten Schriftpropheten.
Im alten Israel war aber das Prophetentum weitaus vielfältiger: Ein Prophet war ein Mensch, der mit Gott in Verbindung stand, ein Medium, durch das Gott den Menschen seinen Willen kundtat. Das geschah in verschiedenen gesellschaftlichen Formen: Es gab Hofpropheten, Prophetenschulen und Wanderprediger, Angesehene oder auch Deklassierte, die als Propheten in Erscheinung traten.

Die Schriftpropheten, um die es im neuen Buch «Poetik der prophetischen Literatur im Alten Testament» von Klaus Seybold geht, sind für die Identität des jüdischen Volkes von besonderer Bedeutung, da sie geschichtliche Krisen des alten Israel markieren, insbesondere die Zeiten der Bedrohung durch Assyrer und Babylonier.
Propheten müssen großen Eindruck auf die Menschen gemacht haben. Als ihr wichtigstes Medium kann die Sprache gelten; Gott teilt sich durch das Wort mit. Nach Zenger zählt unter anderem zum Merkmal des Propheten, erstens in schockierenden, ja obszönen Bildern zu sprechen, und zweitens die rhythmisch-poetische Sprache, die kunstvollen Gedichte und Liedformen in ihren Reden.

Klaus Seybolds «Poetik der prophetischen Literatur im Alten Testament» ist ein nicht nur für Theologen bzw. Alttestamentler interessantes Buch, das die besondere Sprache der Propheten wissenschaftlich analysiert und dadurch auch die literarische Ästhetik, die sich mit ihren Aussagen verbindet, verstehen hilft.

Dies ist auch das zentrale Thema in dem Band des ehemaligen Dekans der Basler Theologischen Fakultät Ludwig Seybold. In seinem umfangreichen Kompendium werden über hundert Texte aus den Prophetenbüchern analysiert und rhetorische Stilmittel wie spezifische Eigenarten der behandelten Propheten herausgearbeitet.
Seybolds Untersuchung ist eher für den wissenschaftlich-theologischen Zusammenhang geschrieben, durchaus aber geignet auch für theologische Laien, die sich für das Prophetentum besonders interessieren. Das Buch liefert zusätzlich eine gute Einführung in die Prophetengeschichte und den aktuellen Forschungsstand. Im Anhang befindet sich ein Begriffsregister, das einen raschen Zugriff auf die gesuchten Informationen ermöglicht, und schließlich enthält es noch ein Verzeichnis der relevanten Bibelstellen zur eigenen Recherche.

Das Buch ist für jene ein Gewinn, die sich mit den Propheten nicht nur auf theologischer, sondern v.a. auch auf sprach- und literaturwissenschaftlicher Ebene auseinandersetzen möchten. Es wird helfen, die aus heutiger Sicht teils schwer verständlichen Prophetenworte zu erhellen. Das Buch schafft ein Bewusstsein für diesen, oft auch das ästhetische Empfinden besonders ansprechenden, dichterischen Aspekt der Bibel. ■

Klaus Seybold: Poetik und Literatur im Alten Testament, Kohlhammer Verlag, 348 Seiten, ISBN 978-3-17-021549-8

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Das Zitat der Woche

Posted in Emerich Coreth, Philosophie, Religion, Theologie, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 29. März 2010

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Vom Christsein in problematischer Welt

Emerich Coreth

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Von größter Bedeutung ist, daß die Christen in unserer Zeit ihre Sendung und Verantwortung gegenüber den brennenden Problemen der heutigen Welt erkennen und in Angriff nehmen. Auf die Probleme des materiellen Fortschritts in der technisch-industrialisierten Welt, auf den erschreckenden Sinnverlust in dieser modernen Gesellschaft wurde schon hingewiesen, und darauf, daß der christliche Glaube hier gültige Antwort zu geben hat.

Aber es geht nicht nur um transzendente Sinngebung, sondern auch um die weltimmanenten Probleme selbst, das ungeheuere soziale Problem der heutigen Menschheit, das Gefälle zwischen arm und reich, die grauenhafte Not und das Elend, in dem Hunderte Millionen von Menschen in unterentwickelten Ländern leben – und täglich an Hunger sterben – gegenüber dem Wohlstand der Industrienationen. Die Kirche hat sich aus dem Geist Christi auf die Seite der Armen, der Unterdrückten, der Benachteiligten zu stellen, und sie tut es in zunehmendem Maße. Sicher hat das Evangelium nicht für alle konkreten sozialen und wirtschaftlichen Fragen fertige Patentlösungen anzubieten. Wohl aber kann ein Christentum, das die Botschaft Jesu ernst nimmt, nicht nur ewiges Heil schenken, sondern auch – in einer heillosen Welt – irdisches Heil zu vermitteln helfen: aus dem Geist christlicher Liebe, durch den Einsatz für Friede und Gerechtigkeit, das Sein-für-andere, wie es Christus gelebt und gelehrt hat.
Zwar ist es nicht richtig, das Christsein auf die horizontale Ebene zu reduzieren und darüber die vertikale Dimension zu vergessen oder zu verschweigen, aber ebenso unrichtig und einseitig wäre es, Christsein nur in der vertikalen ohne die horizontale Dimension verwirklichen zu wollen. Beides gehört zusammen: Liebe zu Gott und zu den Menschen, Religion und Einsatz für den Mitmenschen. Christliche Liebe ist aber mehr als bloße »Mitmenschlichkeit«, weil sie im Glauben an Gott gründet, den Gott aller Menschen, der das Heil aller will und in seiner Liebe alle umfängt. Nur aus Gott, der uns – uns alle – zuvor geliebt hat, kann echte, selbstlos dienende und helfende Liebe zu den Menschen Mut und Kraft, Geduld und Zuversicht schöpfen.
Solche Überlegungen zur Weltsendung des christlichen Glaubens in unserer Zeit gehören mit hinein in mein Verständnis des Christseins. Diese Aspekte und Dimensionen der christlichen Botschaft sind die Entfaltung des einen Notwendigen, die folgerichtige Ausstrahlung und Auswirkung des einzig Zentralen. So bleibt schließlich meine Antwort auf die Frage, warum ich Christ bin, auf die Mitte bezogen, aus der das Ganze lebt. Die Antwort heißt ganz einfach: weil ich glaube.

Aus Emerich Coreth, Christsein aus Herkunft und Berufung, in: W.Jens (Hrsg.), Warum ich Christ bin, Kindler Verlag 1979

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Das Zitat der Woche

Posted in Karl Rahner, Philosophie, Religion, Theologie, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 2. Februar 2010

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Von der Zukunft der Religion

Karl Rahner

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Ich sehe getrost in die Zukunft der Religion. Wenn sich – natürlich ein absurder Gedanke – der Mensch zu einem Wesen ohne jede absolute Sehnsucht, ohne »Metaphysik«, zu einem nur noch findigen Tier oder zum Untertanen seiner eigenen Computer entwickeln, zurückentwickeln würde, dann wäre eben doch nur das Ende der Menschheit, wenn auch auf eine bisher unerwartete Weise, gekommen, das zu erwarten der Gläubige immer schon als einen Teil seines Credos betrachtet hat.
Dieses Ende würde für die vorausgehende Religionsgeschichte als der Geschichte einer unendlichen Hoffnung kein negatives Urteil bedeuten. Dieses Ende wäre ein geistespolitisch durchgeführter Selbstmord der Menschheit, der denen Recht gibt, die vorher lebten und glaubten. Ein Suizid ist keine höhere Instanz gegen das Leben.

Die künftige Religionsgeschichte und damit auch die Kirchengeschichte mögen noch ganz unvorstellbare Gestalten der Religion hervorbringen; es ist schwer zu sagen, wie der Platz aussehen wird, den ein verbalisiertes und institutionalisiertes Verhältnis des Menschen zum ewigen Geheimnis einnehmen wird. Aber solange der Mensch der Mensch des unendlichen Geheimnisses Gottes ist, wird auch Religion sein, die in irgendeiner Weise auf den Märkten des Alltags bezeugt werden wird. Ob die Zahl der Menschen, die ihre Religiosität gesellschaftlich institutionalisiert leben werden, im Verhältnis zur Gesamtheit der Menschen größer oder kleiner werden wird, das ist eine Frage, auf die ich keine Antwort habe, die aber für den, dessen Gewissen ihn zu solcher Sozialität seiner Religiosität verpflichtet, keine fundamentale Bedeutung hat.

Aus Karl Rahner, Vom Mut zum kirchlichen Christentum, in: W.Jens (Hrsg.), Warum ich Christ bin, Kindler Verlag 1979

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Das Zitat der Woche

Posted in Christian Nürnberger, Philosophie, Religion, Theologie, Wissenschaft, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 7. September 2009

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Vom Glauben und vom Wissen

Christian Nürnberger

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Wir stehen, was die letzten Fragen betrifft, wieder da, wo wir vor 250 Jahren aufgebrochen sind, um diese Fragen durch das Unternehmen Wissenschaft einer endgültigen Klärung zuzuführen. Dieses Unternehmen entdeckt heute seine Unzuständigkeit für eine solche Klärung. Die Unzuständigkeit resultiert aus der mittlerweile erfolgten Selbstbeschränkung bei der Wahrheitssuche. Die Wissenschaft verlangt aus guten Gründen, bevor sie etwas als wissenschaftlich bewiesenes Faktum anerkennt, dass dieses Faktum jederzeit an jedem Ort der Welt unter Befolgung der angegebenen Methode reproduzierbar nachgewiesen werden kann. Dadurch entzieht sie aber weite Teile der Wirklichkeit dem wissenschaftlichen Zugriff, denn jeder weiß aus seinem eigenen Leben, dass vieles, meist sogar das Wesentliche, aus einmaligen, unwiederholbaren, für andere kaum kontrollierbaren Ereignissen besteht.
Das, was uns in unserem Innersten existenziell betrifft – Liebe, Leid, Hass, Freundschaft, Vertrauen, Freude, Trauer, Glück, Freiheit, Religion – also das eigentlich Interessante in unserem Leben, ist dieser Art von rigider Wissenschaft prinzipiell unzugänglich. Daher kann sie auch keine negative oder positive oder sonst wie geartete Aussage über diesen Teil der Realität machen und rück-überweist uns zu Philosophie, Theologie und Ethik. Insofern liegt in der Selbstbeschränkung heutiger Wissenschaft die stärkste Kritik am Bultmannschen Theologie-Ansatz. Das allzu dogmatische Anlegen wissenschaftlicher Kriterien an den Glauben könnte eine voreilige Unterwerfung gewesen sein.

Christian NuernbergerWeil die ganze Wirklichkeit größer ist als jener Teilbereich, der wissenschaftlichen Methoden zugänglich ist, steht die Tür zu Religion und Glaube wieder offen. An Wunder glauben zu sollen, wird uns dennoch weiterhin als Zumutung erscheinen, aber die Frage, was Menschen intellektuell zugemutet werden kann, spielt keine besonders große Rolle, wenn es um Gott und die Wahrheit geht, denn das menschliche Fassungsvermögen ist immer zu klein für Gott, und darum sind wir damit sowieso und immerzu überfordert.
Selbst wenn es Gott nicht geben sollte, scheitern wir an den letzten Fragen, denn der Urknall trägt dazu gar nichts bei. Was war vorher? Was hat ihn bewirkt? Eben darauf haben wir keine Antwort. Wer aber daraus folgert, gerade deshalb müsse man annehmen, ein Schöpfergott stecke hinter dem Urknall, denn von nichts kommt nichts, verkennt, dass die letzte Frage damit nur um ein weiteres, allerletztes Glied nach hinten verschoben wird, denn woher kommt Gott? Wie ist er entstanden? Die Antwort, er sei nicht entstanden, sondern seit ewiger Zeit immer schon dagewesen, überfordert uns vielleicht noch mehr als die Vorstellung, der Kosmos sei aus dem Nichts entstanden. So oder so stoßen wir an eine Erkenntnisgrenze, die, wenn überhaupt, nur durch religiöse Offenbarung oder durch Glauben zu überwinden ist.
Daher gilt auch in der Wissensgesellschaft weiter die alte Volksweisheit, wonach es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gebe, als sich unsere Schulweisheit träumen lässt. Uns wird also, wo es um letzte Wahrheiten geht, sowieso mehr zugemutet, als wir fassen können. Daher wäre eine Theologie, die den Glauben so lange zurechtvernünftelt, bis er endlich vom begrenzten menschlichen Verstand erfasst und vom letzten Allerwelts-Atheisten akzeptiert werden kann, wertlos und überflüssig. Und eine Theologie, welche die gesamte Bibel einfach nur deshalb »erledigte«, weil sie angeblich inkompatibel zum aufgeklärten Bewusstsein sei, überschritte ihre Grenzen.
Glaube und Wissen werden wir daher nie zur Deckungsgleichheit bringen können, sollten es auch gar nicht versuchen, denn es sind zwei verschiedene Kategorien, die auseinanderzuhalten sind. Ginge Glaube in Wissen auf, wäre er kein Glaube mehr. Verzichteten wir aber darauf, Glaubensinhalte mit dem Wissen zu konfrontieren und zu prüfen, handelte es sich nicht mehr um echten Glauben, sondern um unsicheres Wissen, Noch-nicht-Wissen, Unwissen, Vermutung oder schlicht um zum Glauben erhobene Ignoranz, welche oft auch noch frech das grundgesetzlich verbriefte Recht der Religionsfreiheit für sich reklamiert, um unter diesem Schutz allerhand Teufeleien auszuhecken.
Die Tür zum Glauben ist offen, auch in der Wissens- und Hightech-Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Aber wer den Weg zu dieser Tür weisen, gar deren Schwelle überschreiten will und verlangt, ihm auf diesem Weg zu folgen, muss sich kritisch fragen lassen, warum er glaubt, dass es die richtige Tür ist. Echter Glaube, der auch heute noch ernst genommen und respektiert werden will, muss allen seit der Aufklärung vorgebrachten religionskritischen Einwänden standhalten. Das aber gelingt nur, wenn sich der Glaubende bemüht, das Niveau der Aufklärung zu erklimmen und Anschluss zu halten an den jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Diskussion.

Aus: Christian Nürnberger, Glaube und Wissen, in: Jesus für Zweifler, Gütersloher Verlagshaus 2007

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Das Zitat der Woche

Posted in Agrippa Nettesheim, Philosophie, Theologie, Wissenschaft, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 20. Juli 2009

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Über die Ungewissheit der Wissenschaft

Agrippa von Nettesheim

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Ihr habet aus dem, was ich von Anfang bis hierher gesaget, gehöret, dass die Wissenschaften und Künste nichts anders sind, als Menschenüberlieferungen und von uns nur in törichter Leichtgläubigkeit angenommen, und dass solche insgesamt aus nichts anders als aus zweifelhaftigen Dingen und Ungewissen Meinungen genommen und durch scheinbare Demonstrationes dargetan werden; ja dass sie alle, so viel derer sind, ungewiss und betrüglich, ich könnte fast sagen schädlich und gottlos sind. Daher ist es gottlos, zu glauben, dass sie uns zu unserer Seligkeit was dienlich sein könnten. Vor diesem hatten die Heiden diesen Aberglauben, dass, wann sie einen sahen, der eine Kunst oder Wissenschaft erfunden hatte oder darinnen exzellieret, demselben taten sie göttliche Ehre an und rechneten ihn unter die Zahl der Götter; sie weiheten ihm Tempel und Altäre und beteten ihn unter gewissen Figuren [177] an, wie der Vulcanus bei den Ägyptiern, weil er der erste Philosophus war, und die Principia naturae dem Feuer zuschriebe, so war er hernach gar als ein Feuer geehret; und der Äsculapius (wie Celsus dafür hält), weil er die annoch rauhe Medizin ein wenig subtiler zu traktieren wusste, so ward er deswegen unter die Götter gezählet. Also ist diese und keine andere Gottheit der Wissenschaften bei ihnen, als welche die alte Schlange, die dergleichen Götterkünstlerin ist, unseren ersten Eltern versprochen hat, wann sie saget: Eiritis sicut Dii, scientes bonum et malum. Das ist: Ihr werdet sein wie die Götter, sobald ihr Gutes und Böses wisset. In dieser Schlange mag sich rühmen, wer sich einer Wissenschaft: rühmet; denn fürwahr niemand wird können einer Wissenschaft fähig sein und dieselbe besitzen, als aus Gunst und Favor dieser Schlange, deren Lehre nichts anderes als Zauberei und Gaukelei und deren Final endlich böse ist; also dass auch bei dem geimeinen Mann ein Sprichwort entstanden: Omnes scientes insanire. Alle die was wissen, die seien närrisch und unsinnig. Denen pflichtet auch Aristoteles bei, wann er sagt: Nullam magnam esse scientiam sine mixtura dementiae. Jedwede grosse Wissenschaft sei mit einer Torheit vermischet. Und Augustinus selbsten bezeuget, dass manche, durch Begierde viel zu wissen, ihre Vernunft verloren haben.

Agrippa von Nettesheim

Agrippa von Nettesheim (1486-1535)

Es ist kein Ding auf der Welt der christlichen Religion und dem Glauben so zuwider, als die Wissen schaft, und ist nichts, das sich weniger miteinander vertragen kann, als diese beiden; denn wir wissen aus den Kirchenhistorien, und hat es auch die Erfahrung gegeben, wie die Wissenschaften, nachdem der Glaube an Christum aufkommen, verfallen sind, also dass fast der grösste oder doch der vornehmsten Teil gänzlich zugrunde gangen ist. Denn die zauberischen Künste meistenteils, die die grössten und vornehmsten gewesen sind, die haben sich dergestalt verloren, dass keine Spuren mehr da sind; und von allen der Philosophorum [178] Sekten ist nicht mehr übrig geblieben, als nur allein die peripatetische und zwar auch ganz verstümmelt und unvollkommen. Und hat sich die Kirche niemals besser befunden und mehr in stiller Zufriedenheit gelebet, als zu der Zeit, da man von Künsten und Wissenschaften nichts gewusst hat oder doch, da dieselben in eine Enge gebracht worden sind, nämlich da keine Grammatica gewesen, als nur bei dem Alexander Gallo, keine Dialectica, als bei dem Petro Hispano, keine Rhetorica, als bei dem Laurentio Aquilegio, ein klein Fasciculus oder Bändchen war genug für die Historie, für die mathematischen Disziplinen genügte die Ausrechnung des Kirchenkalenders, allen andern Disziplinen auch stunde der einige Isidorus für. Anjetzo aber, da wieder so viel Sprachen aufgekommen, so viel rhetorische Orationes geschrieben und so viel alte Bücher aufs neue das Tageslicht gesehen haben, und die Wissenschaften wieder excolieret worden, da sehe man nur, wie die Kirche in ihrer Ruhe ist turbieret worden, und was für neue Sekten und Ketzereien nacheinander an den Tag kommen sind, ja es ist keine Art unter den Menschen weniger geschickt Gottes heilige Lehre an sich zu nehmen, als diejenige, so sich in allerhand Wissenschaften vertiefet hat, denn diese bleiben oftermals so obstinat und halsstarrig auf ihrer Meinung, dass sie dem Heiligen Geist keinen Baum lassen wollen, und trauen ihren eigenen Kräften und Köpfen so viel zu, dass sie der reinen Wahrheit keinesweges welchen wollen, lassen auch nichts zu, als was mit syllogistischen Schlüssen erwiesen werden kann, und was sie nicht durch ihre Kräfte und Fleiss nachgrübeln mögen, das verachten sie und lachen es aus. Darum hat Christus diese seine heilige Lehre für den Weisen und Klugen verborgen und hat sie den Kleinen und Geringen offenbaret, nämlich denenjenigen, die geistlich arm sind und mangelnder Wissenschaft; denenjenigen, welche reinen Herzens und nicht mit diesen vergeblichen Meinungen und Wissenschaften beflecket sind; deren Seelen wie ein Blatt weissen Papieres sind, auf dem noch nichts geschrieben stehet von menschlichen Traditionen; denenjenigen, welche friedfertig sind und nicht gerne streiten oder mit ihren zänkischen Syllogismis die Wahrheit verjagen, denenjenigen, welche wegen der Wahrheit und Gerechtigkeit Verfolgung leiden und als Esel von den argen Sophisten verlachet werden oder als Grünschnäbel, verrufen in den Schulen, entfernt von den Lehrstühlen, verjagt von den Universitäten, als Ketzer verleumdet und verfolgt, auch wohl grausam am Leben gestrafet. ■

Aus Agrippa von Nettesheim, Von der Ungewissheit und Eitelkeit der Wissenschaften, Köln 1527

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Das Zitat der Woche

Posted in Hans Küng, Religion, Theologie, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 29. Juni 2009

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Vom «vernünftigen» Glauben

Hans Küng

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Auch Sie – ich muß hier klar reden – stehen damit vor einer Alternative: Entweder – Sie sterben ins Nichts hinein: Ist das Ihre Einstellung, will ich ihr den Respekt nicht versagen. Diese Auffassung kann kaum widerlegt werden. Freilich hat sie auch noch niemand positiv bewiesen. Nie hat es jemanden gegeben, der bewiesen hätte, daß wir ins Nichts hineinsterben und all unser Leben, Wirken, Lieben, Leiden im Nichts endet, letztlich für nichts war. Und vernünftig, nein, vernünftig erscheint mir diese Möglichkeit auf keinen Fall. Oder – Sie sterben in jene allerletzte Wirklichkeit hinein, die dann auch die allererste, die unfaßbar-umfassende wirklichste Wirklichkeit ist, die wir Gott nennen: Diese Möglichkeit kann ebenfalls nicht rational bewiesen werden, kann freilich auch nicht widerlegt werden. Doch können Sie sich in einem, wie ich meine, durchaus vernünftigen, aufgeklärten Vertrauen darauf einlassen: nicht um sich auf ein Jenseits zu vertrösten, sondern um sich im Diesseits entschiedener einzusetzen.

Hans KuengDaß Sie nicht ins Nichts, sondern in Gott hineinsterben: vernünftiger, ja vernünftig erscheint mir dies allemal. Denn: wenn Gott wirklich existiert und wenn dieser existierende Gott wirklich Gott ist, dann kann er nicht nur der Gott des Anfangs, dann muß er auch der Gott des Endes sein. Dann ist er wie unser Schöpfer so auch unser Vollender. Auch dies also ist Sache eines vernünftigen Vertrauens: Glaubend traue ich diesem Gott alles, auch das Letzte, auch die Überwindung des Todes zu. Dem Schöpfer und Erhalter des Kosmos und des Menschen, und nur ihm, ist zuzutrauen, daß er auch bei Sterben und Tod über die Grenzen alles bislang Erfahrenen hinaus noch ein Wort mehr zu sagen hat: daß ihm wie das erste so auch das letzte Wort gehört. Wenn ich ernsthaft an den ewigen, lebendigen Gott glaube, glaube ich auch an Gottes ewiges Leben, an mein ewiges Leben. Wenn ich somit mein Credo mit dem Glauben an »Gott, den allmächtigen Schöpfer« anfange, so darf ich es – so meine ich – auch ruhig mit dem Glauben an »das ewige Leben« beenden.

Aus Hans Küng, Das sogenannte und das wahrhaft Christliche; in: W. Jens (Hrsg.), Warum ich Christ bin, Kindler Verlag 1979

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Das Zitat der Woche

Posted in Essays & Aufsätze, Ludwig Feuerbach, Philosophie, Theologie, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 9. Februar 2009

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Vom Wesen des Menschen im Wesen Gottes

Ludwig Feuerbach

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Der Theist stellt sich Gott als ein außer der Vernunft, außer dem Menschen überhaupt existierendes, persönliches Wesen vor – er denkt als Subjekt über Gott als Objekt. Er denkt Gott als ein dem Wesen, d.h. seiner Vorstellung nach geistiges, unsinnliches, aber der Existenz, d.h. der Wahrheit nach sinnliches Wesen; denn das wesentliche Merkmal einer objektiven Existenz, einer Existenz außer dem Gedanken oder der Vorstellung ist die Sinnlichkeit. Er unterscheidet Gott von sich in demselben Sinne, in welchem er die sinnlichen Dinge und Wesen als außer ihm existierende von sich unterscheidet; kurz, er denkt Gott vom Standpunkt der Sinnlichkeit aus. Der spekulative Theologe oder Philosoph dagegen denkt Gott vom Standpunkt des Denkens aus; er hat daher nicht zwischen sich und Gott in der Mitte die störende Vorstellung eines sinnlichen Wesens; er identifiziert somit ohne Hindernis das objektive, gedachte Wesen mit dem subjektiven, denkenden Wesen.

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Ludwig Feuerbach (1804-1872)

Die innere Notwendigkeit, daß Gott aus einem Objekt des Menschen zum Subjekt, zum denkenden Ich des Menschen wird, ergibt sich aus dem bereits Entwickelten näher so: Gott ist Gegenstand des Menschen, und nur des Menschen, nicht des Tieres. Was aber ein Wesen ist, das wird nur aus seinem Gegenstand erkannt; der Gegenstand, auf den sich ein Wesen notwendig bezieht, ist nichts anderes als sein offenbares Wesen. So ist der Gegenstand der pflanzenfressenden Tiere die Pflanze; aber durch diesen Gegenstand unterscheiden sich wesentlich dieselben von den anderen, den fleischfressenden Tieren. So ist der Gegenstand des Auges das Licht, nicht der Ton, nicht der Geruch. Im Gegenstand des Auges ist uns aber sein Wesen offenbar. Ob einer nicht sieht oder kein Auge hat, ist darum einerlei. Wir benennen daher auch im Leben die Dinge und Wesen nur nach ihren Gegenständen. Das Auge ist das »Lichtorgan«. Wer den Boden bebaut, ist ein Bauer; wer die Jagd zum Objekt seiner Tätigkeit hat, ist ein Jäger; wer Fische fängt, ein Fis her usw. Wenn also Gott – und zwar, wie er es ja ist, notwendig und wesentlich – ein Gegenstand des Menschen ist, so ist in dem Wesen dieses Gegenstandes nur das eigene Wesen des Menschen ausgesprochen. Stelle Dir vor, ein denkendes Wesen auf einem Planeten oder gar Kometen bekäme zu Gesicht die paar Paragraphen einer christlichen Dogmatik, welche von dem Wesen Gottes handeln. Was würde dieses Wesen aus diesen Paragraphen folgern? Etwa die Existenz eines Gottes im Sinne einer christlichen Dogmatik? Nein! Es würde nur daraus folgern, daß auch auf der Erde denkende Wesen sind; es würde in den Definitionen der Erdbewohner von ihrem Gott nur Definitionen von ihrem eigenen Wesen, z.B. in der Definition: Gott ist ein Geist, nur den Beweis und Ausdruck ihres eigenen Geistes finden; kurz, es würde aus dem Wesen und den Eigenschaften des Objektes auf das Wesen und die Eigenschaften des Subjektes schließen. Und mit vollem Recht; denn die Unterscheidung zwischen dem, was der Gegenstand an sich selbst, und dem, was er für den Menschen ist, fällt bei diesem Objekt weg. Diese Unterscheidung ist nur an ihrem Platz bei einem unmittelbar sinnlich, und eben deswegen auch noch anderen Wesen außer dem Menschen gegebenen Gegenstand. Das Licht ist nicht nur für den Menschen da, es affiziert auch die Tiere, auch die Pflanzen, auch die unorganischen Stoffe: es ist ein allgemeines Wesen. Um zu erfahren, was das Licht ist, betrachten wir darum nicht nur die Eindrücke und Wirkungen desselben auf uns, sondern auch auf andere, von uns unterschiedene Wesen. Notwendig, objektiv begründet ist daher hier die Unterscheidung zwischen dem Gegenstand an sich selbst und dem Gegenstand für uns, namentlich zwischen dem Gegenstand in der Wirklichkeit und dem Gegenstand in unserem Denken und Vorstellen. Gott aber ist nur ein Gegenstand des Menschen. Die Tiere und Sterne preisen Gott nur im Sinne des Menschen. Es gehört also zum Wesen Gottes selbst, daß er keinem anderen Wesen außer dem Menschen Gegenstand, daß er ein spezifisch menschlicher Gegenstand, ein Geheimnis des Menschen ist. Wenn aber Gott nur ein Gegenstand des Menschen ist, was offenbart sich uns im Wesen Gottes?

Aus Ludwig Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Zürich 1843

Das Zitat der Woche

Posted in Essays & Aufsätze, Henry Deku, Philosophie, Theologie, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 31. Dezember 2008

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Über das Gute im Leiden

Henry Deku

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Seit 1755, dem Erdbeben von Lissabon, pflegt man zu argumentieren: es gibt das Böse, also kann es keinen Gott geben. Thomas dagegen meinte, gerade weil es das Böse gebe, gebe es auch Gott: »esset autem e contrario arguendum: si malum est, Deus est.« Dabei spielt der physische Defekt nur eine Nebenrolle. Daß Tiere sich gegenseitig auffressen, ist ja kein so tragischer Umstand – sollten wir denn vom Tiger erwarten, daß er sein Lebtag nur Rüben knabbert? Schwerwiegend ist erst das moralische Übel bzw. das durch es verursachte Leid, zumal wenn es unverdient ist: Verleumdung etwa, ungerechte Verfolgungen und dergleichen mehr; stellen sie nicht tatsächlich handfeste Einwände gegen die Existenz Gottes dar?
Nun kann man mit dem Leiden in ästhetisierender Weise fertig zu werden versuchen, indem man sagt, wo Licht sei, müsse auch Schatten sein. Dieser mache jenes um so kostbarer. Doch wird ein solcher Gedankengang wahrscheinlich nur solange verfangen, als es andere sind, die zu leiden haben. Dann kann man es moralisch rechtfertigen, wie es ein zwanzigjähriger Student tat, dessen Tagebuch man in Oradour gefunden hat: »La seule vérité de vie: le sacrifice. Je n’ai pas assez sacrifié … combien la douleur est nécessaire! Nous n’aurons jamais assez de douleur car le peu que nous en avons sur terre ne peut même pas effacer ou faire oublier un seul de nos péchés«. Das ist nobel gedacht, wenn auch nicht so überraschend in einem weder gnostischen noch ästhetisierenden BiIdungsmilieu, aber immer noch ein wenig gewaltsam, insofern man Trostgründe gegen das Leid aufmarschieren läßt.

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Henry Deku: 1909-1993, Studium der Mathematik, Klassischen Philologie, Philosophie in Berlin, Dr. phil. Prof.; 1937 Bonitzpreis der Österr. Akademie der Wissenschaften, Emigration nach einem Aufenthalt im KZ Buchenwald; mit den Amerikanern nach Deutschland zurück; lehrte ab 1946 Philiosophie an den Universitäten Nortre Dame, Salzburg, München (Bronze-Statue: A. Rückel)

Wie wäre es, den Trost im Leiden selber zu suchen? Da es auch darauf ankommt, nicht nur die Dinge so zu sehen »prout sunt« – ohne verfälschende Denkmodelle, sondern auch das Rechte zu tun, wird die Übung der Selbstüberwindung nötig werden: Naive Unmittelbarkeit und Echtheit des Empfindens taugen ja nicht viel, auch Frömmigkeit ist oft genug nur eine Weise der Selbstbestätigung. Sitzen doch die Egoismen im allgemeinen so tief, daß ihnen nichts leichter fällt als eine zur Wirklichkeit recht beziehungslose Frömmigkeitswelt zusammenzuzimmern, in der von vornherein dafür gesorgt ist, daß man nur seinen eigenen Idealen begegnet, nicht aber dem Willen Gottes. Nur widrige Umstände, nur intensive Leiderfahrungen werden ein solches Gefängnis aufzubrechen vermögen. Der Verlust der Selbstverkrampfung, des Eingesponnenseins in sich selber müßte dann aber als befreiend, als beglückend empfunden werden: »itaque ad virtutem spectat tribulationes fortiter sustinere: ad sapientiam gaudere in tribulationibus« (Bernardus PL). Der Trost liegt im Leiden selber, vorausgesetzt man stellt es in den Dienst der Läuterung und Sühne und versucht darüber hinaus noch, durch geduldiges Annehmen die Summe der Übel geradezu zu vermindern; d. h. man soll nicht um jeden Preis soviel wie möglich leiden wollen – das könnte auf Eitelkeit beruhen. Auf das Ertragen als solches kommt es auch nicht an – das wäre allenfalls eine sportliche Leistung, zumal man ja auch für objektiv Unsinniges Opfer zu bringen imstande ist, etwa aus parteipolitischer Leidenschaft. In all dem läge immer noch eine subtile Selbstbestätigung verborgen. Statt dessen kann und soll man aus Liebe zu Gott versuchen, am Widrigen zu wachsen, an ihm ein anderer zu werden, um dann die in irgendeiner Hinsicht negativ gewordene Weltsituation mit der Selbstlosigkeit eines Opfers zu beantworten. Dieses Mehr an Liebe macht zwar das, worauf es die Antwort darstellt, nicht ungeschehen, es vermag ihm aber sozusagen den Stachel zu nehmen. In rückläufiger Betrachtung, aber auch nur in einer solchen, wird sogar dem bösen Anlaß etwas vom Glanz des nachfolgenden Guten zuteil…

Aus Henry Deku, Die Konkurrenzlosigkeit des Christentums, in W.Jens (Hrsg.), Warum ich Christ bin, Kindler Verlag 1979

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Das Zitat der Woche

Posted in Essays & Aufsätze, Philosophie, Sören Kierkegaard, Theologie, Zitat der Woche by Walter Eigenmann on 18. August 2008

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Vom Unglück der Christenheit

Sören Kierkegaard

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Das ist eben das Unglück und ist durch lange, lange Zeiten das Unglück gewesen in der Christenheit, daß Christus da weder eins ist noch das andre, weder der er in seinem Erdenleben gewesen, noch auch (welches denn man glauben muß) der er sein wird bei seinem Wiederkommen, sondern einer, über den man auf unerlaubte Weise von der Geschichte etwas zu wissen bekommen, daß er etwan so ein großes Etwas gewesen sei. Man ist auf unerlaubte und ungesetzliche Weise wissend geworden über Christus – denn das Erlaubte ist gläubig zu werden. Man hat sich gegenseitig darin bestärkt, daß man mit Hilfe des Erfolgs von Christi Leben und der achtzehnhundert Jahre, der Folgen, das Schlußergebnis zu wissen bekommen hat. Nach und nach dieweil dies zu einem Weistum ward, ward dem Christentum all Saft und Kraft entzogen; das Paradox ward entspannt, man war Christ ohne es zu merken, und ohne das Mindeste zu merken von des Ärgernisses Möglichkeit. Man nahm Christi Lehre hin, wandte und schrappte sie, er selbst bürgte nun ohne weiteres für die Wahrheit – ein Mann, dessen Leben derartige Folgen in der Geschichte gehabt hatte. So paßte alles gut zueinander wie das Bein in den Strumpf natürlich, denn auf die Weise ist das Christentum Heidentum worden.

Sören Kierkegaard

Es ist da in der Christenheit ein ewiges Sonntags-Geklapper wegen der herrlichen und unschätzbaren Wahrheiten des Christentums, wegen seines milden Trostes, aber freilich man merkt es, daß es achtzehnhundert Jahre her ist, daß Christus gelebt hat; das Zeichen des Ärgernisses und der Gegenstand des Glaubens ist geworden die abenteuerlichste von allen Märchengestalten: ein göttlicher dummer Hans. Was sich ärgern heißt, weiß man nicht, noch minder was anbeten heißt. Was man an Christus besonders preist ist eben das, darüber man sich am meisten erbittern würde, wenn man damit gleichzeitig wäre, indessen man nun gut aufgehoben ist im Vertrauen auf das, was dabei herausgekommen ist, und, im Vertrauen darauf, die Geschichte habe es gewiß gemacht, daß er ein Großes gewesen, nun den Schluß zieht: also ist es das Richtige. Das will heißen: es ist das Richtige, das Edle, das Erhabene, das Wahre – wenn er es ist, der es tut; das will heißen, im tieferen Sinne schert man sich eigentlich nicht darum, zu wissen zu bekommen, was es ist das er tut, noch weniger darum, mit Gottes Hilfe, gemäß schwachen Kräften, ihm gleich zu werden im Tun des Richtigen, des Edlen, des Erhabnen, des Wahren. Denn was es ist, bekommt man eigentlich nicht zu wissen, und kann deshalb gerade entgegengesetzt urteilen in der Lage der Gleichzeitigkeit; man begnügt sich mit dem Bewundern und Preisen und ist (wie man es von einem Übersetzer gesagt, der ängstlich worttreu, darum auch sinnlos, einen Schriftsteller übersetzt hatte) “zu gewissenhaft”, vielleicht auch zu feige und jämmerlich, um recht verstehen zu wollen.
Die Christenheit hat das Christentum abgeschafft, ohne es selber richtig zu merken; folglich muß man, wenn man etwas ausrichten will, versuchen, das Christentum wieder in die Christenheit einzuführen. ♦

Aus Sören Kierkegaard, Einübung im Christentum, Kopenhagen 1850

Das Zitat der Woche

Posted in Albert Einstein, Essays & Aufsätze, Religion, Theologie, Wissenschaft by Walter Eigenmann on 11. Juni 2008

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Religion und Wissenschaft

Albert Einstein

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Das Individuum fühlt die Nichtigkeit menschlicher Wünsche und Ziele und die Erhabenheit und wunderbare Ordnung, welche sich in der Natur sowie in der Welt des Gedankens offenbart. Es empfindet das individuelle Dasein als eine Art Gefängnis und will die Gesamtheit des Seienden als ein Einheitliches und Sinnvolles erleben. Ansätze zur kosmischen Religiosität finden sich bereits auf früher Entwicklungsstufe, z. B. in manchen Psalmen Davids sowie bei einigen Propheten. Viel stärker ist die Komponente kosmischer Religiosität im Buddhismus, was uns besonders Schopenhauers wunderbare Schriften gelehrt haben. — Die religiösen Genies aller Zeiten waren durch diese kosmische Religiosität ausgezeichnet, die keine Dogmen und keinen Gott kennt, der nach dem Bild des Menschen gedacht wäre. Es kann daher auch keine Kirche geben, deren hauptsächlicher Lehrinhalt sich auf die kosmische Religiosität gründet. So kommt es, daß wir gerade unter den Häretikern aller Zeiten Menschen finden, die von dieser höchsten Religiosität erfüllt waren und ihren Zeitgenossen oft als Atheisten erschienen, manchmal auch als Heilige. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, stehen Männer wie Demokrit, Franziskus von Assisi und Spinoza einander nahe.
Wie kann kosmische Religiosität von Mensch zu Mensch mitgeteilt werden, wenn sie doch zu keinem geformten Gottesbegriff und zu keiner Theologie führen kann? Es scheint mir, daß es die wichtigste Funktion der Kunst und der Wissenschaft ist, dies Gefühl unter den Empfänglichen zu erwecken und lebendig zu erhalten.
So kommen wir zu einer Auffassung von der Beziehung der Wissenschaft zur Religion, die recht verschieden ist von der üblichen. Man ist nämlich nach der historischen Betrachtung geneigt, Wissenschaft und Religion als unversöhnliche Antagonisten zu halten, und zwar aus einem leichtverständlichen Grund. Wer von der kausalen Gesetzmäßigkeit allen Geschehens durchdrungen ist, für den ist die Idee eines Wesens, welches in den Gang des Weltgeschehens eingreift, ganz unmöglich — vorausgesetzt allerdings, daß er es mit der Hypothese der Kausalität wirklich ernst nimmt. Die Furcht-Religion hat bei ihm keinen Platz, aber ebensowenig die soziale bzw. moralische Religion. Ein Gott, der belohnt und bestraft, ist für ihn schon darum undenkbar, weil der Mensch nach äußerer und innerer gesetzlicher Notwendigkeit handelt, vom Standpunkt Gottes aus also nicht verantwortlich wäre, sowenig wie ein lebloser Gegenstand für die von ihm ausgeführten Bewegungen. Man hat deshalb schon der Wissenschaft vorgeworfen, daß sie die Moral untergrabe, jedoch gewiß mit Unrecht. Das ethische Verhalten des Menschen ist wirksam auf Mitgefühl, Erziehung und soziale Bindung zu gründen und bedarf keiner religiösen Grundlage. ♦

Aus: Albert Einstein, Religion und Wissenschaft, Berliner Tagblatt 1930

Agnostisch an Gott glauben?

Posted in Christian Nürnberger, Literatur, Neuheiten, Philosophie, Theologie by Walter Eigenmann on 15. April 2008

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Jesus für Zweifler

«Ein subversiver Untergrund-Glaube in mir lässt mich inzwischen vermuten, dass das Schicksal der Welt davon abhängt, ob der Kirche nach zweitausendjährigen Fehlversuchen doch noch das Unwahrscheinliche gelingt: ihren Glauben als wahr zu erweisen. Ja, ich neige neuerdings wieder zu der Ansicht, dass die Botschaft des Juden Jesus vielleicht doch – unterm Strich – für die Welt ein Segen war, ist und bleibt, und dass diese Botschaft auch in der Zukunft verkündet, aber besser verstanden und praktiziert werden sollte. Vor allem: Diese Botschaft ist viel zu wichtig, als dass man sie den Gläubigen alleine überlassen dürfte, und schon gar nicht dem Lutherischen Weltbund, dem Papst, den feministischen Theologinnen, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken oder gar dem Opus Dei. Diese Botschaft geht alle an, auch die Ungläubigen, und darum ist es höchste Zeit, sich mal wieder mit diesem Jesus Christus zu beschäftigen, gerade für die Ungläubigen. Für die Gläubigen natürlich auch. Für die Zweifler sowieso.» (Christian Nürnberger)
Christian Nürnberger hat einen langen Weg hinter sich. Seinen Kinderglauben hat er verloren, und um einen Erwachsenen-Glauben zu entwickeln, studierte er Theologie. Doch den Glauben an Gott verlor er dabei endgültig. Und weil man nicht atheistisch an Gott glauben kann, hängte er die Theologie an den Nagel und zog nun als fröhlicher Agnostiker durch die Welt. Drei Jahrzehnte später erkennt Nürnberger, dass er in all den Jahren nichts anderes getan hat, als agnostisch an Gott zu glauben… (Verlagsinfo)

Christian Nürnberger, Jesus für Zweifler, Gütersloher Verlagsanstalt, 272 Seiten, ISBN 978-3579069678

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