15. August 2010, Romane schreiben, bis das eigene Leben zum Roman wird, 9.04 Uhr

Kaffee, Zigarette.
Trank und trinke meinen Kaffee in aller Ruhe, soll er mir doch heute unter dem Schreiben nicht kalt werden. Flanierte ein wenig durch das Netz. Las bei Melusine Barby, was immer wieder als ein Gewinn zu betrachten ist, klickte mich dann durch Perlentaucher, wieder andere Seiten, googelte mich selbst, um zu sehen, ob es mich denn noch gäbe und vor allem was es über mich gibt.
So einige Gedanken spukten mir heute schon durch den Kopf. Fassbinder sprang über meine Hirnbühne, weil ich eben ihn als einen der reinsten Künstler erachte. Dabei kommt es mir nicht auf seine Schöpfungen an, sondern auf die Herangehensweise, dieses beständige Fliehen in neue Richtungen. Er wandelte Genrefilme in seine Filme um, gab sich dem Aktuellen ebenso wie dem Historischen hin.
Und wenn ich schon beim Historischen bin, kann ich auch von Leszek Skurski berichten, dessen letzte Bilder für unser Projekt nun fertig sind und der sie mir gestern übersandte. Das wird ein Aufschrei bei den rechten Personen geben. Aber ich halte das für richtig und gut, denn dafür ist die Kunst ja nun auch da. Sie soll nicht nur einschläfern oder beruhigen, nein, sie kann auch ruhig einmal den einen oder anderen Entsetzensschrei produzieren. Zumal in diesem barocken Städtchen die Aufschreie eh viel zu kurz kommen.

Über unsere Reise will ich nichts mehr berichten, weil es für den Außenstehenden auch kaum noch etwas von erzählerischem Nährwert gibt. Wir verbrachten die letzten Tage unseres Aufenthaltes in den Fängen der Entspannung, besuchten eine Therme, die für alte Menschen wie auch mich wie geschaffen scheint. Man seilt den Körper in beruhigend warmes Wasser und verharrt, hebt hin und wieder mal den Kopf, um an die Decke zu starren und höchstens mal über Fassbinder nachzudenken. Hat er nicht dies gesagt? Filme drehen, bis das eigene Leben zum Film wird.
Das gefällt mir und ich will den Satz gerne auf mich ummünzen: Romane schreiben, bis das eigene Leben zum Roman wird.

Gestern sahen Seraphe und ich uns „In meinem Himmel“ von Peter Jackson an. Ein außergewöhnlicher Film, der sich selbst leider durch den übermäßigen Einsatz der Spezialeffekte demontierte. Er hätte sich weitaus mehr auf seine Story und auf seine tote Erzählerin verlassen sollen. Das hätte schon gereicht.

Am Abend fuhren wir noch zu einem Konzert hin, den Igels Sohn spielt in einer Band, die hart und kraftvoll zur Sache gehen. Früher mochte ich solche Musik, heute fällt mir das schwerer. Warum, das kann ich nicht sagen. Man verändert sich. Aber das ich ja auch gut so. Das Verharren würde uns töten. Da wären wir wieder bei Fassbinder, dem schwitzenden Dauerschaffer, der sich manchmal in drei bis vier Richtungen gleichzeitig entwickelte, dem nichts fremd war, nicht einmal das Melodram, an das sich so schnell kaum einer wagt.

Also hin zum Konzert in einem ehemaligen Steinbruch. Leider war nicht besonders viel los. Das tut einem schon immer leid, die Jungs hatten sich ins Zeug gelegt, es gab viel Werbung im Vorfeld, aber trotzdem waren hauptsächlich Freunde und Bekannte zugegen. Igels Sohn gefiel mir ausnehmend gut, seine wegbrechende Stimme, die mich an Tom Waits erinnert. Der Sound war leider breiig, zum Teil gar eine Zumutung. Der Mischer sollte sich schämen, zumal er nicht gerade wenig Geld für diese erbärmliche Zuschaustellung seiner Kunstfertigkeit nehmen wird.

Das war es schon fast, was es für den Moment zu schreiben gäbe, obwohl ich doch viel mehr erzählen müsste. Ich könnte über den grandiosen Film „A Single Man“ schreiben, der mich tief beeindruckte, über unser Pizzaessen in der Stadt, über dieses Wir-hocken-in-der-Sonne-und-dösen, ja über all dies könnte ich schreiben, aber es soll für den Moment genug sein.

Seraphe steht in den Startlöchern, um Sternchen vom Zelten zu holen. Ich werde jetzt noch einen Kaffee trinken, eine Zigarette rauchen und dann …

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2 Antworten zu 15. August 2010, Romane schreiben, bis das eigene Leben zum Roman wird, 9.04 Uhr

  1. Melusine Barby schreibt:

    Eigenartig das, ich muss heute auch dauernd an Fassbinder denken: die Effi Briest-Verfilmung und Die Ehre der Maria Braun. Später las ich den Roman und war furchtbar enttäuscht. „A Single Man “ habe ich verpasst, werde ich nun wohl auf DVD anschauen müssen.

  2. guidorohm schreibt:

    Bestellte mir nach dem Film gleich die literarische Vorlage „Der Einzelgänger“ von Christopher Isherwood. Da ich von dem Autor bisher noch nichts gelesen habe, harre ich gespannt der Lieferung.

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