Kaffee, Zigarette.
Ein Sonntag, eben, dieses Messer im Rücken meiner Kindheit, denn da saß ich immer am Vormittag in der Kirche, da musste ich hin, weil meine Eltern es verlangten, weil es die Blicke der Nachbarn von meinen Eltern verlangten, also ging ich hin in blankgeputzten Schuhen, in denen konnte man sich spiegeln, ich beugte mich vornüber, sah mein unwilliges Gesicht und schlenderte drauf los, hin zur Kirche. Da saß ich dann, dachte über die Schule nach, über mein zukünftiges Leben als Cowboy, denn ich war mich sicher, entweder würde ich Cowboy werden oder aber Priester, das würde ganz darauf ankommen, wer sich durchsetzen würde, ich oder meine Eltern, die mich in die Kirche schickten, die bei mir saßen, mein Vater mit geschlossenen Augen, mein Vater, der gar nicht zuhörte, wie er mir später gestand. Und weil gestern ein Sonntag war, ein Tag, an dem man sich an die Kindheit erinnern kann oder auch an den toten Vater, spazierten wir zum Friedhof hin, wir stellten uns am Grab auf, die Seraphe, das Sternchen und ich und grüßten meinen Vater, alle sagten wir laut der Reihe nach: Hallo!
Sternchen fand sich plötzlich, nur wenige Schritte mussten getan werden, unter einem Bombardement von Kastanien wieder, sie las auf, was in ihre und unsere Taschen passte, dann fiel ihr noch ein, sie solle sich für die Schule verschiedene Bäume ansehen, also sahen wir uns Bäume an, wir betrieben eine kleine Baumkunde der eigenwilligen Art, denn die Welt ist voller altmodischer und neumodischer Bäume, denn sieh mal dort, Sternchen, ein Laternenbaum, schlank im Stammwuchs, den obersten kahlen Ast vornübergebeugt wie der Hals einer Giraffe, und dieser erst, ein Briefkastenbaum, schmächtig, fast klein, dichtes Blattwerk, dicht wie eine glatte gelbe Oberfläche, ein außergewöhnliches Exemplar, du kannst sogar Post in diesen Schlitz hier werfen, dann kommen die Briefe auch bei den Vögeln an, gibt es denn einen Vogel, den du anschreiben möchtest, fragte ich.
Ja, das war ein anderer Sonntag, kein Sonntag meiner Kindheit, ich denke an gestern, ich denke Jahre zurück, ich werde mir jetzt noch einen Kaffee einschenken, eine Zigarette rauchen und dann …
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
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Guido Rohm, 36100 Petersberg E-Mail: HIERMeta
Die „blankgeputzten“ Schuhe – ich dachte, das sei Mitte der 70er endgültig vorbei gewesen. Dass Sie das noch kennen. Meine inspizierte jeden Sonntag Tante Gretchen, die Matriarchin der Familie, älteste Schwester meines Großvater, die den Clan mit eiserner Hand regierte. (Und da fällt es mir ein: Sie starb 1973. Danach musste ich keine Lackschühchen mehr tragen am Sonntag und keine Rüschenkleider. Das war also gar keiner gesellschaftlichen Entwicklung geschuldet, sondern bloß einem individuellen Tod.)
Ich kann mich noch gut an diese Schuhe erinnern. Sie waren eng und drückten. Aber sie sollten stets glänzen. Ganz so wie die Ehen und die Wohnungen.