Kaiser Wilhelm und der Frust des Chamäleons
Von Gabriele Haefs

Foto: ©Miguel Ferraz
Als Übersetzerin muss ich ja eigentlich ein Chamäleon sein und in die Sprache von anderen schlüpfen, und dabei ganz neutral bleiben, es heißt ja schließlich „das“ Chamäleon. Aber oft denke ich, es könnte „der“ Chamäleon heißen – so männlich geprägt ist die Sprache in gar zu vielen Übersetzungen. Ich glaube nicht einmal, dass es so gewollt ist, aber das Männliche gilt nun einmal als „normal“, und also wird männlich übersetzt und das soll dann „neutral“ sein. So ungefähr habe ich es immer wieder erlebt – und der Frust wird dann besonders groß, wenn ich es zur Sprache bringe und nur auf blöde Blicke stoße.
Hier soll jetzt nicht die Rede vom Binnen-I und anderen neuen, elaborierten Formen geschlechtsneutraler Ausdrucksweise sein, es geht mir ganz einfach um die Tatsache, dass es im Deutschen drei grammatische Geschlechter gibt, was sich auch in der Sprache niederschlägt. Ganz einfach, sollte man denken. Denkt die Übersetzerin auch. Aber aus irgendwelchen Gründen sitzen in Verlagslektoraten offenbar ganze Heerscharen von Leuten, die für maskuline Formen schwärmen. Beispiel gefällig? – Aus einem Roman der norwegischen Krimiautorin Anne Holt. Die Kommissarin braucht eine Unterkunft, der Kollege bietet an, bis sie eine Wohnung findet, könne sie sein Gästezimmer benutzen. Sie wehrt ab: „Deine Frau wäre sicher nicht begeistert von einem Logiergast.“ Im Norwegischen steht wirklich Logiergast, es ist sogar fast das gleiche Wort, vom französischen Logieren abgeleitet eben, und das norwegische Wort für Gast ist wie das deutsche auf jedes Geschlecht anwendbar. Das Lektorat machte daraus: „Einem Untermieter.“ Von Mietezahlen war nicht die Rede, und erst zwei Seiten vorher hatte die nämliche Kommissarin den nämlichen Kollegen zusammengestaucht, weil er eine Frau als „Koch“ bezeichnet hatte. „Das heißt Köchin, du Macho.“ Lauter Gründe, warum „Untermieter“ eine ganz falsche Übersetzung ist. Aber ich musste erst energisch mit diesen scheinbar selbstverständlichen Gründen auf den Tisch hauen, ehe in der Druckfassung dann „Logiergast“ stand, nicht „Untermieter“.
Oder, wenn Urahne, Großmutter, Mutter und Kind in dumpfer Stube beisammen sind, und jede schenkt sich erst mal ein Schnäpschen ein, ist „jede“ durch viele Jahrhunderte deutscher Sprachgeschichte als Femininum und Analogbildung zu „jeder“ (m.) und „jedes“ (n.) belegt, kann es da Probleme geben? Es kann, das Lektorat (und es ist egal, ob es Lektorinnen oder Lektoren sind, jedenfalls nach meiner Erfahrung) will unweigerlich „jeder“ haben, der Hinweis, dass hier doch nur von Frauen die Rede sei, und vor allem der Verweis auf Duden und Sprachgeschichte sind nötig, um „jede“ behalten zu dürfen. Und so geht es weiter, immer neue Kämpfe um das Femininum, und bisweilen sehne ich mich nach der Sprache des 19. Jahrhunderts. Als Karl May selbstverständlich seine „lieben Leserinnen und Leser“ anredete. Als das Pronomen „es“ benutzt wurde – wenn heute er und sie beide ein Eis essen wollen, finden viele es ganz normal zu sagen: „jeder bekommt ein Eis.“ Marie von Ebner-Eschenbach oder Theodor Fontane hätten geschrieben „jedes bekommt ein Eis.“ Geniale Lösung, denke ich dann oft. Aber: Die feministische Autorin schreibt im Original genderneutral, die Übersetzerin müht sich ab, eine Lösung zu finden, das Lektorat ändert um zu „jeder bekommt ein Eis.“ Neuer Kampf.
Warum ist das so? Keine Ahnung, ich habe nicht mal eine Theorie, dafür aber eine riesige Beispielsammlung. Das mit dem „es“ hat nämlich auch wieder seine Tücken. „Der Jüngling sah das Mädchen. Er küsste es.“ So schrieb Gottfried Keller, aber wir können davon ausgehen, dass der Jüngling davon überzeugt war, ein weibliches Wesen zu küssen, und sicher dachte er: Ich küsse sie, hurra. „Der Jüngling sah das Mädchen. Er küsste sie“, aber mögen die Lektorate gar nicht. „Er küsste es. Es sagte …“ und so weiter, die ganze Seite runter, es, es, es. Der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky hat ungefähr neunhundert Seiten darüber geschrieben, dass man dem natürlichen Geschlecht Vorrang vor dem grammatischen geben sollte. Aber der Verweis auf Chomsky und seine neunhundert Seiten ruft vor allem Trotzreaktionen hervor, Lektorate, egal welcherlei Geschlechts, lesen offenbar keine Fachliteratur. Weniger umfangreiche Werke der Fachliteratur zu erwähnen hilft auch nichts.
Seltsamerweise habe ich schon häufiger mit Erfolg Hilfe von ganz anderer Seite in Anspruch genommen. Kaiser Wilhelm II sagte einst auf die Frage, wie er sich im Falle eines Attentates verhalten würde, es käme ganz darauf an, ob ein „bärtiger Anarchist“ ihm ans Leben wolle, oder ob „es ein hübsches Mädchen wäre, die die Hand wider mich erhöbe“. Der Hinweis auf des Kaisers Erklärung wirkt Wunder, noch kein einziges Mal hat bisher irgendein Lektorat Einspruch erhoben, wenn ich ein Mädchen mit femininen Pronomen bezeichnen wollte und das mit dem kaiserlichen Beispiel begründete. Es ist natürlich irgendwie niedlich, dass fast hundert Jahre nach Wilhelms Abdankung ein kaiserliches Wort in den deutschen Redaktionen zu unbedingtem Gehorsam führt – aber es ist auch nervig und frustrierend, und weil ich zwar froh bin, dass ich mich auf den Kaiser berufen kann, aber dennoch viel lieber Austausch mit jetzt lebenden Frauen möchte, die mit Sprache umgehen und auf Sprache achten und in ihrer Sprache nicht nur den männlichen Standpunkt zulassen wollen – deshalb bin ich hier.
Gutes Buch zum Thema:
Sabine Messner/Michaela Wolf (eds.): Übersetzung aus aller Frauen Länder. Beiträge zu Theorie und Praxis weiblicher Realität in der Translation. Graz: Leykam (Grazer Gender Studies 7)
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Hat dies auf Nekos Geschichtenkörbchen rebloggt und kommentierte:
*schmunzelt* und da sag noch einer Monarchen waren zu nichts gut 🐾🐱
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Hat dies auf ilseluise rebloggt und kommentierte:
So wunderbar logisch argumentiert – das muss ich mir nahe ran holen. Danke!
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Hat dies auf Nike Leonhard – Fantasy und Historisches rebloggt und kommentierte:
Dieser Artikel ist eine so wunderbare Ergänzung zu der aktuellen Diskussion über Sexismus in der Sprache, die gerade auf den Blogs von Frau Schreibseele und mir läuft, dass ich ihn unbedingt übernehmen muss.
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ich war während meiner dreijährigen Ausbildung in den Siebzigern noch ein Bürokaufmann (w), was mir aber im Grunde nicht geschadet hat. Respekt ist doch viel entscheidender als die (vermeintlich) richtige oder falsche gendertypische Bezeichnung. Aber wahrscheinlich setze ich mich mit dieser Meinung zwischen zwei Stühlinnen … 🙂
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Danke für die Argumentationshilfe!
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Wobei mir eher von Noam Chomsky als vom Kaiser Hilfe holen werde 😉
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