DA MÜSSEN WIR DRINGEND NOCHMAL RAN
Von Simone Buchholz
Ich bin in einem Haus aufgewachsen, in dem es selbstverständlich war, dass Frauen arbeiten, und so bin ich dann auch erzogen worden: Mach dein eigenes Geld, sei finanziell unabhängig. Gleichzeitig lief in den Frauenköpfen unserer Familie aber auch noch ein anderes, viel älteres Programm: Sei eine gute Frau, koche, putze, und achte verdammt noch mal darauf, wie du aussiehst. Außerdem hab ich fast ausschließlich mit Jungs gespielt, damals auf dem Dorf gab es nicht so viele Mädchen. Also stand ich früh auf dem Bolzplatz im Tor und hab Bälle ins Gesicht gekriegt, ich hab gelernt, wie eine ordentliche Mutprobe aussieht (in Unterhosen durchs kindshohe Brennnesselfeld) und wie man Bandenchefin wird (Maul aufreißen), und ich hab gelernt, das alles mit hartem Humor zu versehen. Dann bin ich früh ausgezogen und zum Philosophiestudium in eine andere Stadt gegangen.
Bei all dem kam eine 25-Jährige raus, die dachte: Ich kann das. Ich kann mein eigenes Geld verdienen, ich kann kochen, ich sehe gut aus, ich kann einstecken und austeilen, und ich habe Geisteswissenschaften studiert. Mir steht ja wohl die Welt offen.
Dann trat ich in die Arbeitswelt ein.
Zuerst in die Redaktion eines Frauenmagazins. Da arbeiteten fast nur Frauen, das war herrlich. Nur die Chefs, die waren Männer. Das waren lustige Typen, auf jeden Fall, ich mag die auch heute noch sehr, aber sie sagten Sachen wie: „Schon wieder eine schwanger. Demnächst stelle ich keine Frauen mehr ein.“ Oder: „Du brauchst noch was für dein Arbeitszeugnis? Äh, also … ich fand deine Beine immer toll!“ Ich war irritiert, verstand nicht ganz. Meine nächste Station war der wöchentliche Ableger einer großen Tageszeitung. Daran, dass die Chefs alle männlich waren, hatte ich mich inzwischen gewöhnt. Aber dass die Frauen in der Redaktion vor allem als Dekoration betrachtet wurden, fand ich doch sehr merkwürdig. (Wenn wir dann auch noch gute Texte schrieben, waren wir eben Premiumdekoration.) Ich ging wieder weg und landete bei einem Wirtschaftsmagazin. Mit Frauen in der Chefetage. Lernte: Wenn die Männer sich nicht einmischten, lief es reibungslos. Wenn die Männer mitmachten, saßen wir in achtstündigen Konferenzen, die sich auf Nein-doch-Niveau bewegten.
Alter, dachte ich.
Und ging weg.
Ein paar Jahre später heuerte ich als Textchefin bei einem Hochglanzmagazin an. Meine direkte Vorgesetzte war eine fantastische Frau und Kollegin und ein Weib und überhaupt alles, wir hatten eine tolle Zeit. Bis ich spitz kriegte, dass meine männlichen Textchefkollegen das Doppelte von dem verdienten, was ich bekam, obwohl ich einen Großteil des Hefts durchschrubbte, während die beiden sich jeweils zwei Wochen lang mit einer Geschichte aufhielten. Ich bat den Oberchef (der Oberchef war selbstverständlich ein Mann) um ein Gespräch, und da tanzte ich so an, wie ich es inzwischen von meinen männlichen Kollegen gelernt hatte: Zu beruflichen Gesprächen immer Hosen und Stiefeletten tragen, sich dann breitbeinig hinsetzen, wenn möglich den linken Fuß noch auf dem rechten Knie platzieren oder die Füße am besten gleich auf den Tisch legen.
Der Oberchef war doppelt so groß wie ich. Ich verlangte trotzdem mehr Geld. „Weil ich es wert bin“, sagte ich. Er bot mir 25 Euro mehr am Tag, meine männlichen Kollegen bekamen 250 Euro mehr. „Die haben einfach mehr Erfahrung“, sagte er. Ich sagte, da könnte er mir ja auch jeden Tag einen Apfel auf den Tisch legen, und packte meine Sachen.
Das war mein letzter Job da draußen, ich hatte die Nase gestrichen voll von diesem Scheißspiel. Seit fast zehn Jahren steht mein Schreibtisch jetzt zu Hause. Manchmal denke ich, es ist ein Rückzug. Dann wieder denke ich: Nee, das ist ein ENTzug. Ich spiele nicht mehr mit, solange die Jungs, mit denen ich in den letzten 20 Jahren zu tun hatte, nicht die Spielregeln ändern. Hin und wieder rufen sie an. Ob ich nicht doch mal wieder Lust hätte, mitzuspielen … ? Dann sage ich, was das kostet und was ich sonst noch alles haben und sein will in ihrem Spiel, und dann legen sie erstaunt/empört/erschüttert auf. Als würden sie auch nur ein Stück weniger haben und sein, als ich haben und sein will. Was sie aber immer begreifen, ich kann es am geschwächten Klicken in der Leitung hören: dass ihnen gerade wieder ein sauguter, lustiger, mutiger Torwart durch die Lappen gegangen ist, der auch noch richtig einstecken kann.
Und so bin jetzt Käpt’n auf meiner eigenen Brücke, und ich morse mit glühenden Fingern nach draußen und verbreite meine Botschaft: Auch wenn du als junge Frau denkst, das mit der Emanzipation von alten Zöpfen ist längst geregelt, wirst du mit jedem Jahr, das du älter wirst, feststellen, dass überhaupt nichts geregelt ist. Dass wir da dringend noch mal ranmüssen. Dass sich was ändern muss, und wenn nicht mehr heute, dann bitteschön morgen. Weil die Freundinnen meines Sohnes, Grundschülerinnen, coole, kluge Mädchen, die selbstverständlich davon ausgehen, dass ihnen die Welt offen steht, es einmal besser haben sollen. Ich will, dass die gläserne Decke über ihren Köpfen verschwindet und dass sie die gleichen Möglichkeiten haben wie Männer, und ich will, dass Jungs wie mein Sohn das auch wollen. Ich will, dass alle laut und wild und frei leben können, ohne dass sie jemand auch nur blöd anglotzt. Ich möchte überhaupt, dass niemand mehr blöd angeglotzt wird, weil irgendwann hoffentlich alle kapiert haben, wie respektlos es ist, andere Menschen blöd anzuglotzen oder ihnen blöde Vorschriften zu machen, egal ob es sich um Frauen handelt oder um Schwule oder um Menschen, die aus anderen Ländern kommen oder aus anderen Welten oder sonstwie andere Farben tragen.
Feminismus ist für mich der Kampf um Menschenrechte, um den Anspruch auf Glück für alle, um Lebe-, Denk- und Reisefreiheit, um genug Geld und Gesundheit für jeden.
Ich finde nicht, dass das zu viel verlangt ist, ich finde, das ist das Mindeste, wofür wir kämpfen können, und worauf wir hinschreiben müssen.
Deshalb bin ich bei HERLAND.
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Ich hatte meinen ersten Job nach der Uni, fand einen Kollegen, der mit mir neu anfing nett und wir redeten ein wenig abends auch über Gehälter. Ihm war gesagt worden bei seiner Gehaltsrunde-kurz nach meiner – dass die Frau X ja so unweiblich verhandelt hätte, dass jetzt für sein Wunschgehalt nicht mehr so viel vorhanden wäre, wie geplant. Ich hab gedacht, mir fällt alles aus dem Gesicht. Danke für solche Statements!
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Liebe Simone Buchholz,
super guter Artikel.
Bis 1989 war es auch für mich selbstverständlich, dass Frauen arbeiteten. Ich hatte dieses Gleichberechtigungsdingbums mit der Muttermilch aufgenommen. Umso fassungsloser bin ich, wenn ich erleben muss, wie vorsintflutlich (oder rückständig) es in 2017 immer noch gehalten wird.
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Hat dies auf Stefunny's Weblog rebloggt und kommentierte:
Respekt.
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