Die Sammlerin

Es ist ja nichts Neues oder sonderlich Unanständiges, dass sich manche Frauen Gipsabdrücke der erigierten Schwänze ihrer verflossenen Liebhaber in die Wohnzimmervitrine stellen. Sorgfältig mit Hand beschriftete Namensschilder auf den Marmorsockeln verleihen den Penisbesitzern den Nimbus des Unvergänglichen, einer in Wirklichkeit nie erreichten Härte, und ließen schon so manchen ehemals Geliebten beim späteren gelegentlichen Kaffeeplausch in Rinkas Wohnzimmer wohlig und sehnsüchtig erschauern.
Bei Rinka, meiner alten unerfüllten Jugendliebe, waren diese Erinnerungsstücke noch auf unvergleichliche Weise aufgehübscht. Auf jedem der kalkweißen Teile prangten karmesinrote Abdrücke ihrer sinnlich halbgeöffneten Lippen, auf manchem nur einer, auf manchem zwei, aber nie mehr als vier, je nachdem, wie oft ihr der Sinn nach dem Verzehr gestanden hatte.
Die Penisse, etwa 80 an der Zahl, standen wie die Soldaten des Kaisers von China mit weichem Licht ausgeleuchtet in einem Glasschränkchen auf zwei Regalebenen; in der unteren Reihe die 16er und länger, oben die Kürzeren. Das waren allerdings nicht so viele, denn Rinka war anspruchsvoll und erkannte meist schon auf den ersten Blick, was gut in sie passte. Deshalb war auf dem oberen Regal noch ein Eckchen frei für ein paar ziemlich dicke, aber maximal 12er-Stumpen, die keine Lippenabdrücke aufwiesen. „Ach, so weit hab ich damals meinen Mund gar nicht aufgebracht“, erklärte mir Rinka einmal augenzwinkernd auf meine diesbezügliche Frage, „und auf das Andere hatt‘ ich dann schon gar keine Lust mehr.“ Jetzt, ja jetzt wäre das schon was Anderes, meinte sie neulich scherzhaft, da tät so ein Stumpen gelegentlich schon passen.
Dabei wusste sie doch genau, dass sie sich auch jetzt noch meiner bedienen könnte, ich war ja noch gar nicht in der Sammlung. „Ne ne, lass man stecken!“, winkte sie dann jedesmal ab, wenn sie meinen lustvollen Unruheblick bemerkte, „mit dir mag ich’s einfach nur platonisch, du bist so ein wunderbarer kluger Kopf.“ Na ja, klug war der vielleicht schon, aber halt nicht gerade besonders ansehnlich mit seiner schmalen, länglichen Schädelform.
So vergingen die Jahre zwischen uns geistreich plaudernd und kaffeetrinkend, und Rinkas Sammlung wuchs von Jahr zu Jahr langsamer, bis ich schließlich gar keine Neuzugänge mehr feststellen konnte. Wir sprachen zwar das Thema nicht an, aber ich sah in ihren Augen noch manchmal den Widerschein früherer Glut, wenn sie die Lesebrille abnahm und sich eine graue Strähne aus der Stirn strich.
Eines Abends, ich hatte ihr wie üblich einen seit unseren jugendlichen Bergsteigertagen so geliebten Strauß Edelweiß mitgebracht, bat sie mich mit einem verschmitzten Mädchenlächeln in die Küche. Es roch nicht wie sonst nach Kaffee, eher staubig, und Kerzen brannten in feierlicher Aufstellung auf dem Gewürzboard, dem Kühlschrank, dem Fenstersims und dem Küchentisch, in dessen Mitte ihre kostbare  Porzellanschüssel stand, fast bis zum Rand gefüllt mit einer grauen glibbrigen Masse.
Rinka führte mich heran, nahm mir mit einem zärtlich gehauchten „Hey Du!“ die Brille ab, drückte mich in einen Stuhl und begann behutsam, mit der Sorgfalt einer Frau, die weiß was sie will, meinen glatzköpfigen Langschädel mit Gipsbinden einzuwickeln.

wf

– auch im ebook „Von Küssen & Musen“

Du

‚Spoken Poetry‘ mal anders: Die erotisch-frivole Anmache „Du“ des Schweizer Lyrikers Hans-Ulrich Kaufmann, hier im voicing von ‚wf‘, vertont als Slow-Funk-Rap mit 70er-Originalinstrumenten von ‚Dirty Fingers‘

Hans-Ulrich Kaufmann/ wf

Published in: on Juni 26, 2008 at 12:10  Comments (2)  
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Wann

Mal ehrlich

Wann hast du wirklich gelebt? Ich meine richtig gelebt, mit jeder Faser gelebt?

Wann hast du dich richtig gespürt und gefühlt, und wann hast du gelitten? Nicht nur ein wenig gelitten, ich meine gebebt und gekrampft, hast getanzt auf der Schneide zwischen Himmel und Hölle?

Wann hast du dich gefreut, ich meine richtig gefreut, hast das Glück an den Hörnern gepackt und dich von ihm in die Höhe werfen lassen?

Wann lagst du alleine in deinem viel zu großen Bett, hast gezittert wie Espenlaub und dich nicht getraut zu schlafen, weil du das Telefon möglicherweise überhört hättest? Hast geschwitzt und gefroren, lagst wie ein Fötus gekauert, während dein Magen langsam aber unaufhaltsam zerfressen wurde vom Gift des Wartens?

Wie oft hast du dabei das Ende der Nabelschnur geprüft, hast den Stecker gezogen und wieder eingesteckt, hast den Hörer abgenommen, das Tuten vernommen und schnell wieder aufgelegt und warst dennoch unglücklich, weil du damit für drei lange Sekunden die Leitung besetzt hieltest?

Wann bist du zuletzt gehüpft auf und von diesen glitschigen Wolken aus Zimtzuckerwatte, so wie man im halb ausgetrockneten Flussbett von einem Stein zum anderen springt?

Wann hast du gestrahlt, bis hinter deine kleinen Ohrläppchen gestrahlt und wann hattest du zuletzt dieses Lachen, das alle Sorgen schneidet wie ein heißes Messer die Butter teilt?

Wann warst du das letzte Mal elektrisiert, weil du in fremde Haare gegriffen hattest, dabei das Gefühl, als würdest du jedes einzelne streicheln, als würde deine Hand von jedem einzelnen Haar liebkost.

Wann hast du zum letzten Mal mehr in als vor dem Spiegel gestanden, hast der Liebe deine Liebe gestanden und wann warst du vor dir und ihr wirklich nackt?

Kurz:

Wann warst du wirklich im Krater der Liebe?

Erich Meier

Published in: on Mai 16, 2008 at 1:01  Comments (2)  
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Frauen im Hass

Im Zustande des Hasses sind Frauen gefährlicher als Männer; zuvörderst weil sie durch keine Rücksicht auf Billigkeit in ihrer einmal erregten feindseligen Empfindung gehemmt werden, sondern ungestört ihren Hass bis zu den letzten Konsequenzen anwachsen lassen, sodann weil sie darauf eingeübt sind, wunde Stellen (die jeder Mensch, jede Partei hat) zu finden und dort hinein zu stechen: wozu ihnen ihr dolchspitzer Verstand treffliche Dienste leistet (während die Männer beim Anblick von Wunden zurückhaltend, oft großmütig und versöhnlich gestimmt werden).

Friedrich Nietzsche

aus „Menschliches, Allzumenschliches“
Published in: on März 19, 2008 at 2:03  Kommentar verfassen  
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Nach dem Flirt

Was machst du jetzt wohl?
Liegst vielleicht wie ich
noch wach / fandst den Abend
ganz nett – oder mehr?
Leicht angeheitert
wachträumst du von mir…

: verliebt! – oder doch
nur etwas wärmer als kühl?
Nur ein Abend lang
reizendes Spiel?

Dein Lächeln jedenfalls –
Ach! Was bild‘ ich mir ein!
Es war wohl nicht mehr
als freundlich und allgemein
und nur aus Eitelkeit,
dieser Angst,
austauschbar zu sein,
träum ich dich in mich hinein
als hättest du wirklich
mit jenem Lächeln
nur mich gemeint

wf

Published in: on Februar 5, 2008 at 12:55  Comments (2)  
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ich wollte von liebe sprechen

du sprichst von modellen,
von ängsten, von zeit
ich wollte von liebe sprechen;
gedruckt sehen worte hungrig aus
wie geifernde welpen an zitzen;
die schmatzen zu sätzen,
sentenzen sich satt,
die drehen sich nicht um;
der magen leer, die worte auch
ich bleib auf der liebe sitzen

Karolin Hingerle

Published in: on Januar 25, 2008 at 12:30  Kommentar verfassen  
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contemplation

Dragan Iljkic
Published in: on Januar 25, 2008 at 12:26  Kommentar verfassen  
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harte kissen

kissen wie wellblechdächer
in die der schlaf abrutscht
mit eiskaltem regenwasser
gemischt; am wintermorgen
spülen sich wilde träume
über regenrinnen an stirnen
hinfort; angefressen von
wodka gin und
schwerem bordeaux
kamen rapid eye movements
aus dem takt; eben doch
noch mit nem typen in
adidaspulli geknutscht!
dunkle locken
unbekannt jetzt; beim lüften
das gesicht verloren
schlicht entwichen
aus der besenkammer
hinter augenlidern; hart
aufgeschlagen auf
wellblechkissen und
zu bruch gegangen –
shit; schon wieder

Marina Bartolovic

Published in: on Januar 8, 2008 at 1:10  Kommentar verfassen  
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