Sieben Bücher für den Sommer

Markus Gasser hat sieben Bücher für den Sommer empfohlen. Ich mach das jetzt auch, aber weniger klassikerlastig. „Der Name der Rose“, „Der alte Mann und das Meer“ oder „Sturmhöhe“ sind zwar allesamt großartig, sollten euch aber längst bekannt sein.

Heimito von Doderer, Die Strudelhofstiege. Das einzige der Bücher, das nicht nur im Sommer spielt. Die Handlung erstreckt sich nämlich über einen längeren Zeitraum. Österreichischer Klassiker, leicht und angenehm zu lesen, wunderbar! Hauptperson ist Melzer (seinen Vornamen kennt der allwissende Erzähler nicht), das Personal dieses Romans ist allerdings beinahe unüberschaubar. Im Grunde ist es bloß eine Art Wiener Soap Opera in den Jahren vor und nach dem ersten Weltkrieg, glänzend geschrieben. Doderer ist ein Ungustl, aber das vergessen wir mal.

Siri Hustvedt, Der Sommer ohne Männer. Die Schriftstellerin Mia steckt in einer tiefen Ehekrise. Nach einem Zusammenbruch verbringt sie den Sommer in der Nähe ihrer Mutter, trifft alte Bekannte und unterrichtet eine Gruppe Mädchen in Lyrik. Klug, sensibel, ironisch, humorvoll.

Ruth Cerha, Bora. Eine Geschichte vom Wind. Wieder eine Schriftstellerin. Mara verbringt ihren Urlaub seit Jahren auf einer kroatischen Insel. Diesmal kommt eine Liebesgeschichte dazu sowie die Geschichte der Auswanderer der Insel. Sprachlich herausragend, dazu völlig kitschfrei.

Sabine Gruber, Stillbach oder Die Sehnsucht. Wieder ein sprachlich herausragendes Buch. Wieder mit einer Schriftstellerin, Clara, als Hauptperson. Schauplatz ist Italien, und zwar Rom und Südtirol. Clara löst den Haushalt ihrer plötzlich verstorbenen Freundin Ines in Rom auf und entdeckt dabei ein Manuskript, das Ines geschrieben hatte als sie in den Ferien als Zimmermädchen in einem Hotel arbeitete. Ach ja, auch hier braucht die Handlung mehr als einen Sommer.

Kurt Tucholsky, Schloss Gripsholm. Liebesgeschichte, Sommer, Schweden. Leicht.

Taichi Yamada, Sommer mit Fremden. Japan, Sommer, Hitze, Gruselgeschichte.

Maureen Daly, Siebzehnter Sommer. USA, 1940er Jahre. Der Sommer nach dem Schulabschluss, eine erste ernsthafte Beziehung, Erwachsenwerden. Gemächlich erzählt, wunderbar.

Inspiriert von diesem Video: https://www.youtube.com/watch?v=GUpQP2cXQTI

 

Frauenspaziergang in Margareten

Gestern, am 5.6.2018, fand im Rahmen der Bezirksfestwochen in Margareten ein geführter Spaziergang mit Petra Unger auf den Spuren von Künstlerinnen in Wien-Margareten statt. Ich war dabei und bin immer noch hellauf begeistert.

Petra Unger ist eine hervorragende Vortragende. Sie spricht klar, deutlich und druckreif. Beeindruckend. Ebenso beeindruckend ist ihr profundes Wissen, auch zu Randthemen. Man merkt erfreut die sorgfältige Recherche und Auseinandersetzung, dennoch wirkt die Präsentation leicht und ist gut verständlich.

Bei diesem Spaziergang waren Künstlerinnen in Margareten das Thema. Begonnen wurde in der Laurenzgasse 3, dem ehemaligen Wohnort der Bildhauerin  Teresa Feodorowna Ries. Ich kannte sie nicht, allerdings ist diese Künstlerin nicht vergessen und wird auch heute noch ausgestellt. Nach der Beschreibung ihrer Marmorhexe musste ich sie googeln und finde sie hinreißend.

Die nächste Station war das ehemalige Sulkowski-Theater in der Gassergasse.  Stella von Hohenfels-Berger hat dort gespielt. Mir war neu, dass hier einmal ein Theater war. Durch den Spaziergang habe ich nicht nur von den Künstlerinnen erfahren, sondern auch viel Wissenswertes über den Bezirk gelernt. Sehr fein.

Das Hochhaus etwa wurde anno dazumal als „Prominenten-Silo“ bezeichnet. Dabei war es ein Gemeindebau! Darin gewohnt haben etwa die Schauspielerin und Volkssängerin Gretl Schörg (Film zB „Die Fiakermilli“) und die Lyrikerin Christine Busta. Sehr bedauerlich, dass es das Restaurant ganz oben mit Terrasse nicht mehr gibt – heute sind dort Büroräumlichkeiten.

In der Siebenbrunnenfeldgasse hatte Julia Dorninger ein Atelier, im Matteottihof lebte Louise Stepanik-Wolf, in der Diehlgasse befindet sich an einer Hausmauer das Wandbild Familie 1939 mit Intervention Idylle von Ulrike Lienbacher. 

Das war bei weitem nicht alles, ich möchte nur einen kleinen Eindruck geben.

Es gibt viele verschiedene Frauenspaziergänge, ich werde mit Sicherheit wieder an einem teilnehmen. Übrigens: alle Geschlechter sind ausdrücklich willkommen.

Fazit: Wunderbar! Klare Empfehlung!

 

Doris Fleischmann: Alles was bleibt oder ein Haus in Wien

Doris Fleischmann ist eine Wiener Autorin, das vorliegende Buch ist ihr Debut-Roman.

Womit man mit verlässlich kriegt: Wien! Das Buch spielt in Wien, sogar in Margareten. Buchhändlerin! Eine der Protagonistinnen ist Buchhändlerin.

Es geht um die fünf Parteien, die in dem Haus leben, sowie um die Buchhändlerin im Erdgeschoss. Erzählt wird jeweils ein Kapitel aus der Sicht einer Bewohnerin oder eines Bewohners. Der Zeitpunkt ist April 2018, rund um das Hoffest der Hausgemeinschaft. Ach ja, und gegen Ende gibt es eine Überraschung in der Handlung. Freundlicherweise hat die Autorin auch einen Epilog im Herbst dazugefügt, wo alle Handlungsstränge sauber aufgelöst werden.

Ein schmaler Band. Kein Wort zuviel, keines zu wenig. Aber ich wäre gern noch länger in dieser Hausgemeinschaft geblieben.

Zum Murren gibt es selbstverständlich auch etwas: das auf dem Cover abgebildete Haus ist nicht das, wo die Geschichte spielt. Das Vorbild seht ihr auf dem Foto. Ich finde diese Verlagsentscheidung sehr schade, denn das Haus ist wirklich faszinierend. Und in der Realität gibt es vor dem Haus auch einen offenen Bücherkasten.

Fazit: für Margaretner sowieso eine Pflichtlektüre, für alle anderen eine Empfehlung.

Verlag

readingroom

bz

Jean-Luc Seigle: Ich schreibe Ihnen im Dunkeln

Dieses Buch war mein „Blind Date“ zum Welttag des Buches 2018. Das geht so: die Buchhandlung Anna Jeller verschenkt alljährlich zum Welttag des Buches Bücher. Diese werden hübsch verpackt, man darf sich eines aussuchen, weiß aber nicht, was im Packerl ist. „Blind Date“ eben.

Ich muss gestehen, selbst gewählt hätte ich diesen Titel nicht. Mich interessieren Geschichten über Verbrecher einfach nicht. Seit ein paar Jahren mag ich nicht einmal mehr Krimis lesen, obwohl ich sie früher verschlungen habe.

Seigle schreibt über Pauline Dubuisson. Diese Frau hat wirklich gelebt, von 1927 bis 1963. Sie wurde nach der Befreiung Frankreichs als Kollaborateurin (Pauline war die Geliebte eines deutschen Arztes gewesen) kahlgeschoren. Das „Volksgericht“ hatte sie zu Tode verurteilt, ihr Vater konnte sie aber retten.

Mit  Anfang zwanzig tötete sie ihren ehemaligen Verlobten Félix Bailly.  Ihr Vater beging daraufhin Selbstmord.

Dubuisson war die einzige Frau, für die jemals vor Gericht die Todesstrafe für ein im Affekt begangenes Verbrechen beantragt wurde. In ihrem Prozess, der erst drei Jahre nach der Tat stattfand, gab es auch „Leumundszeugen“, ihr Sexualleben wurde öffentlich ausgebreitet. Pauline wurde schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt und kam nach ein paar Jahren frei. Sie konnte ihr Medizinstudium abschließen, verließ aber Frankreich und lebte in Marokko.

1960 drehte  Henri-Georges Clouzot mit Brigitte Bardot den Film „Die Wahrheit“, angelehnt an den Prozess, aber ohne Pauline Dubuisson zu kontaktieren.

1963 nahm sich Pauline das Leben. Sie hinterließ drei Hefte mit Aufzeichnungen, die heute verloren sind. Seigle unternimmt den Versuch, diese Hefte sozusagen neu zu schreiben. Er teilt auch die Geschichte in Heft eins bis drei.

Dieses Buch ist nicht einfach, weil nichts eindeutig ist. Gut und böse verschwimmen, alles ist vielschichtig und kompliziert. Die Sprache hingegen ist poetisch und angenehm. Der Autor schafft erzählerisch sehr dichte, fesselnde Momente, wenn auch nicht durchgehend.

Seigle versucht, Dubuisson Gerechtigkeit zu erweisen. Dieses Ansinnen ist nachvollziehbar.  Ihr Prozess war (nach heutigen Maßstäben) ein Skandal. Fair trial? Nicht für diese Mörderin. Als sie Felix ermordete, war sie nach damaligen Recht minderjährig. Wie kann das Sexualleben einer Minderjährigen öffentlich ausgebreitet werden? Was hat ihr Sexualleben und ihre angebliche Kollaboration überhaupt im Mordprozess zu suchen? Das alles ist sehr widerlich und empört mich. Rechtsstaat bedeutet, dass jeder, egal was er getan hat, einen fairen Prozess bekommt. Und die Presse der damaligen Zeit wälzte das alles genüsslich aus. Widerlich.

Wie kann einem 15, 16jährigen Mädchen zum Vorwurf gemacht werden, die Geliebte eines 53jährigen Mannes gewesen zu sein? Der ihr Vorgesetzter (Pauline arbeitete im deutschen Krankenhaus als Krankenschwester) war und zusätzlich Besatzer? Welche Entscheidungsmöglichkeiten hatte sie überhaupt? Wäre der Vorwurf nicht an den erwachsenen Mann, der mit einem Mädchen Sex hatte, zu richten gewesen?

Seigle hat einen Roman geschrieben, keine Biographie. Er nimmt sich – was nicht grundsätzlich zu beanstanden ist – daher die Freiheit, Paulines Gedanken zu erfinden. Allerdings frage ich mich, was daran besser sein soll als an den Film, den er kritisiert. Auch Seigle hat nicht mit Pauline gesprochen, konnte er gar nicht mehr. Aber macht es das besser? Bemächtigt nicht auch er sich, wenn auch in guter Absicht, ihres Lebens?

Was mir wirklich, wirklich missfallen hat: die seitenlange Beschreibung der Vergewaltigungen durch die sogenannten Résistance-Kämpfern. Diese Massenvergewaltigung hat es vermutlich nicht gegeben (genauer dazu in der Rezension der NZZ). Und selbst wenn: einvernehmlichen Sex von Pauline beschreibt Seigle immer nur in wenigen Sätzen, den Gewaltexzess wälzt er aus. Muss das sein? Wozu?

Fazit: Mich hat das Buch sehr beschäftigt und berührt. Für eine Empfehlung reicht es aus den angeführten Gründen des Missfallens aber nicht.

Weitere Meinungen:

WDR

Wiener Zeitung

Gießener Allgemeine

 

 

Elena Favilli und Francesca Cavallo: Good Night Stories for Rebel Girls

100 außergewöhnliche Frauen

Ich bin enttäuscht. Richtig enttäuscht. So viele begeisterte Rezensionen, so lang bin ich um das Buch herumgeschlichen, und dann das.

Zuerst das Positive: die Illustrationen sind bemerkenswert und allein ein Grund, das Buch zu kaufen. 60 Frauen haben Portraits der außergewöhnlichen Frauen angefertigt und beeindrucken mit Kreativität und Vielfalt.

Auch die Idee zum Buch finde ich großartig. Endlich ein Buch, in dem starke, kluge, kreative, mutige etc. Frauen vorgestellt werden und nicht langweilige Dummchen und Prinzessinnen. Das ist toll! Die Portraits befassen sich mit äußerst unterschiedlichen Frauen, mit Widerstandskämpferinnen, Kriegerinnen, Piratinnen, Königinnen, Künstlerinnen,  Schriftstellerinnen, Nobelpreisträgerinnen, Sportlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen und vielen mehr. Es geht quer durch die Zeiten, von Nofretete und Hatschepsut bis zu noch heute lebenden Frauen und Mädchen. Es werden auch behinderte Frauen vorgestellt( etwa Ashley Fiolek, und Helen Keller), psychische Krankheiten (Depression bei Virginia Woolf) thematisiert und ein mutiges Transgender-Mädchen (Coy Mathis)  portraitiert.

Der Aufbau ist simpel: für jede Frau steht eine Seite Text und eine Seite Bild zur Verfügung. Eine Seite Text ist nicht viel. Mir ist klar, dass man hier Schwerpunkte setzen muss, und auch die Wahl, diese Schwerpunkte kindgerecht zu wählen, ist nicht zu beanstanden.

Jetzt komme ich zu meinem großen Kritikpunkt: die Biographien werden (teilweise – nicht in jedem Fall) zu stark vereinfacht und verkürzt, dadurch entstehen falsche Eindrücke. Ich bin der Meinung, dass man auch bei Vereinfachungen Wesentliches nicht weglassen darf. Und ich möchte nicht meine Inspiration aus falschen Vorstellungen ziehen.

Beispiele: Aung San Suu Kyi. Der Text endet mit: „Nach ihrer Freilassung gewann ihre Partei die Wahlen, und sie wurde zur Regierungschefin ernannt.“ Und weiter? Myanmar ist immer noch eine Militärdiktatur. Außerdem gehört es zu den Ländern, in denen minderjährige Mädchen unter dem ohnehin lächerlich geringen Mindestlohn für große Textilketten schuften. Davon wird nichts erwähnt, und das stört mich gewaltig.

Auch bei Evita Peron  oder Angela Merkel kein kritisches Wort. Reine Verherrlichung. Mag ich nicht.

Frida Kahlo – die Tragödien ihres Lebens enden laut dem Buch nach ihrer Hochzeit. Ich denke, das kann man so nicht stehen lassen.

Fazit: Idee und Illustrationen sind großartig, die Ausführung mangelhaft. Vereinfachung darf nicht zur Verfälschung führen.