Archiv für Juni 2009

Markus Dosch: Sehnen bis Zuletzt. Erotische Erzählungen

Freitag, 5. Juni 2009

Du willst es ja auch!

Wir alle wollen nur das eine, und wenn wir es nicht haben können, dann wollen wir wenigstens davon hören – und greifen zu dem Band „Sehnen bis Zuletzt“ mit neunzehn erotischen Geschichten des 1931 in Allach bei München geborenen Autors Markus Dosch.

Wir alle wollen nur das eine, und wenn wir es nicht haben können, dann wollen wir wenigstens davon hören – und greifen zu dem Band „Sehnen bis Zuletzt“ (2009) mit neunzehn erotischen Geschichten des 1931 in Allach bei München geborenen Autors Markus Dosch. Aber Vorsicht! Was heißt denn erotisch?! Ist es letztlich Sex, purer Sex, harter Sex, schmutziger Sex? Im Titel mit seinem „Sehnen“ schon angedeutet, wird bei den ersten Erzählungen schon klar, dass es hier mehr um das Rätsel der Anziehungskräfte und der geschlechtlichen Faszinationen geht, die Menschen zueinander bringen, ja, sie unwiderstehlich aneinander fesseln.

Die in diesem Band versammelten Erzählungen umfassen ein beeindruckendes Panoptikum menschlicher, allzumenschlicher Attraktionen, von denen der „reine Akt“ nur eine ist. Und noch einmal Vorsicht! Von tausend und mehr Bildern und Mustern geprägt, ist der Leser (gerade der erfahrene!) oft zu vorschnell geneigt, den Schluss der jeweiligen Geschichte zu erahnen, und wird dann von der Pointe eingeholt, die eben nicht zwanghaft auf eine unmögliche Wendung schielt und auch schon mal den „glücklichsten Clubbesitzer der Welt“ in eine wunderbare Zukunft blicken lässt („Bodyguardinnen“). Wer hier eine gewollte Nähe zu märchenhaften Zügen erkennen will, darf das tun, muss aber damit leben, dass auch im modernen Märchen Gelegenheiten versäumt werden und nicht alle Königskinder zueinander finden („Fatima auf der Station“). In „Nur ein Kuss“ sind die Königskinder ein trauriges Schwulenpaar, das vor der Trennung steht. Ein Hauch von Wehmut ergreift den Leser.

Markus Dosch kann aber auch anders. Er scheut sich nicht, die scheinbar heile, sanfte Erotikwelt durch grelle Thrillerelemente zu irritieren („Arrangement zu Dritt“ oder „Hinter der Grenze“) und auch unbequeme Themen wie Aids („Lady oder Biest“), Tötung auf Verlangen („Abschied“) oder Ausländerproblematik („Yonca, Onkel Kemal und der Nazi“) anzupacken. Damit wird klar: Festlegen lässt sich „Sehnen bis Zuletzt“ auf keinen bestimmten Stoff, auf keinen bestimmten Ton. Allenfalls die bundesrepublikanische Arbeitswelt ist in vielen dieser Erzählungen der gemeinsame Boden; allerdings sollte dieser Boden noch einmal umgepflügt werden, um die kleineren Textmängel zu beseitigen, die sich gelegentlich störend bemerkbar machen.

Am Ende aber steht man bewundernd vor der Vielfalt menschlicher Schicksale und erotischer Situationen, die hier geschildert werden – alle wollen nur das eine, aber wirklich nur wenige sind auserwählt… Der Leser jedoch wird für die entgangene libidinöse Erfüllung, die mancher Protagonist der Erzählungen eher schmerzhaft erfahren muss, seinerseits wohlig entschädigt durch die gewonnene Leselust, die sich bei der Lektüre von „Sehnen bis Zuletzt“ beim ihm einstellt.

Kurt Weih

Buchcover: Markus Dosch - Sehnen bis Zuletzt. Erotische Erzählungen

Buchcover: Markus Dosch - Sehnen bis Zuletzt. Erotische Erzählungen

Markus Dosch – Sehnen bis Zuletzt. Erotische Erzählungen.
BoD – Book on Demand, Noderstedt, 2009. 95 Seiten, € 13,80 (D).

Bereich: Erotik

Über Markus Dosch

Schöne Arbeitswelt !?

Donnerstag, 4. Juni 2009

Heitere und besinnliche literarische Texte und Lieder vorgestellt vom Ersten Wiener Lesetheater.

Mitwirkende: Ruth Aspöck, Gerald Grassl, Werner Gruener, Emilie Locatin, Christa Mitaroff, Rolf Schwendter

Wann: Dienstag, 9. Juni 2009, 13Uhr
Wo: PSD 16 (Psychosozialer Dienst, Klubraum), Hasnerstrasse 27, 1160 Wien

Erstes Wiener Lesetheater

RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 8

Mittwoch, 3. Juni 2009

VI Lichter

Diese Lichter nachts, überall, die machen mich ganz sentimental. Und ich frage mich, besonders wenn es draußen stockdunkel ist und die letzten Badegäste nach der Durchsage das Bad verlassen haben, während ich noch einmal eine letzte Kontrollrunde im Freien um die von den sanften Lichtkegeln der Scheinwerfer erleuchteten Becken drehe – liegt dort irgendetwas am Beckengrund? Hat irgendwer irgendetwas beim Schwimmen verloren? Dann suche ich noch ein letztes Mal den Boden der Edelstahlbecken ab, meine Augen wandern, scannen jeden Zentimeter ein, während ich immer wieder verzaubert innehalte und sich mein Blick für einen Augenblick in den geräuschlos tanzenden Luftblasen verliert, welche anmutig ruhig aus der Einströmleiste am Beckengrund aufsteigen. Ja, ich frage mich: Was mag am Grund des Ozeans verborgen sein, am Beckenboden der Weltmeere?

Der Schichtleiter meinte, dass er im Gegensatz zu mir keine Bedenken habe, Kunststücke vom 3-Meter-Turm zu vollbringen: „Ach je, wir ham so Sachen gemacht, seinerzeit. Wir sin aufn Dreimeterturm … und das war uns ja noch nich genug. Dann bin ich Klaus auf die Schultern gehockt und Gabi, damals Azubi, auf meine. Mein Gott … und dann sin ma noch auf ne Leiter gestiegen und alle mit Kopfsprung rein.“

Die Bremer Stadtmusikanten?

Am selben Abend erfuhr ich, dass man Kopfsprünge aus 120 Metern Höhe überleben könne, auch wenn er damit jetzt persönlich noch keine Erfahrungen gemacht habe und dass es Kakteen gibt, die über 40 Meter hoch wachsen würden. Mag sein, dass das stimmt. Was er aber am liebsten sagte und deswegen unentwegt wiederholte, war der Satz: „Das ist heut noch so..“ Die alte Fräs-Maschine, an der er vor 25 Jahren gearbeitet hatte „läuft heute noch“, ein unterirdischer Schwelbrand im Torf brennt seit Jahren unentwegt „… und selbstverständlich auch heute noch!“. Oder Vaters alter Trabband „1983 eigenhändig mit dem Taschenmesser repariert“, der heute noch „einwandfrei“ und „ohne Beanstandung“ fahre …

Herbst.

Auch wenn ich vor kurzem erst – während eines Abendspaziergangs – auf die schwarzbraunen Ackerfurchen blickend, für einen kurzen Moment lang in Erwägung zog, dass es auch genauso gut hätte Frühling sein können, ist es doch bereits November.

Bunte Blätter treiben über die Wasseroberfläche im Außenbecken wie auf einer zähflüssigen Substanz. Nebel quillt aus dem trüb gewordenen Becken.

Warum hat die Angst soviel Macht über mich? Warum gelingt es mir nicht, Rebecca zu lieben? Einfach nur – zu lieben?

Und: Warum musste der kleine Junge sterben?

Es war vor drei Tagen passiert. Er war am Grund des Beckens gelegen. Der Schichtleiter hatte ihn rausgefischt: Tot. Der Schichtleiter hatte nur gesagt „Zu DDR-Zeiten hätte es das nicht gegeben ( – ). Da konnten alle Schulkinder schwimmen.“, und: „Eher kamste nich inne Schule.“ Ja dachte ich, da gebe ich ihm nun doch einmal uneingeschränkt recht! Jetzt suchen alle – wie immer – einen Schuldigen. Es muss ja immer einen Schuldigen geben! Die Bildzeitung hat sich bereits die Eltern gekauft. Es wäre besser, Bild würde sich stattdessen weiterhin um eine aufmerksame Beobachtung von Britney Spears` Achselbehaarung bemühen, um der Welt rechtzeitig von schmutzigen Veränderungen in deren Achselhöhlen berichten zu können.

Wie seltsam eine Gesellschaft sein muss, die sich an drei Komma fünf Millimeter langer Achselbehaarung echauffiert, denke ich mir.

Aber das ist eine andere Frage.

Er war am Boden gelegen, mein Gott, ersoffen, in der Tiefe, am Boden. Vieles liegt im Schatten, aber tote Kinder sind noch einmal etwas ganz anderes. Manche fallen deutlich, manche still und leise, andere stehen ihr Leben lang im Rampenlicht. Auch Helden können fallen, denke ich, wie Gegenstände, Urteile und Grenzen. Wer hoch hinaus will, fällt manchmal tief. Ob er jetzt wohl denkt, er habe versagt? „Wenn Du nicht schwimmen kannst, gehen dir schnell mal die Lichter aus,“ hörte ich ihn erst kürzlich noch zu einer Schar übermütiger Kinder sagen. Wer denkt nun nicht: Was hat es genutzt?

Eis auf dem Außenbecken.

Wenn ich am Rand entlang gehe so schimmert das Wasser im Hallenbecken schwarz. Nahezu so schwarz wie die Kleidung unseres Betriebsleiters und seiner Sekretärin, die ersten Tage danach.

Auch wenn der Schnee nicht liegen bleibt, schneit es doch im Überfluss. Aprops Überfluss. Ich habe eigentlich alles. Doch das ist vielleicht auch zuviel? Vielleicht habe ich weit mehr, als ich zum Leben brauche. Zuviel an Dingen, an Wünschen, Gedanken, Ideen?

Ich kann nur weiter auf die Becken starren. Darüber hinaus bleibt nichts zu tun.

Offenbar.

Doch irgendwie treibt es mich auf das Eis. Ich darf es jedoch nicht betreten. Auf dem Computer lese ich die Temperatur des Außenthermometers: Minus drei Grad Celsius.

Was passiert aber, wenn ich mich der Ahnung widersetze. Welche Ahnung meine ich überhaupt?

Ich starre auf das Eis. Es kann sehr glatt sein unter der zarten Schneedecke. Glatt oder gar rissig. Ich entscheide mich dafür, das Eis nicht zu betreten. Ich traue dieser Schönheit nicht. Es wäre größenwahnsinnig und ein bisschen narzisstisch, den Gefallen an der eigenen Angst zu verehren, denke ich mir. Ich mache nicht mal vom Dreimeterbrett einen Kopfsprung. Vielleicht bin ich auch nur etwas feige. Das Eis trägt, das Eis trägt nicht. Der Kippmoment scheint beinahe fließend und irgend etwas Ominöses zieht mich in zwei Richtungen. Vielleicht ist es nur die Angst davor, nicht standzuhalten, einzubrechen. Was dann?

Zurück am See.

Das Licht für die Sturmwarnung wirft einen orangefarbenen Strich auf die graublaue Oberfläche des Sees, in unsere Richtung, der Richtung des Stegs, auf dem wir stehen. Ich von ihr weg gedreht, die Hände auf die Brüstung gestützt, Rebecca auf der gegenüberliegenden Seite, mit dem Rücken ans Geländer gelehnt.

Ich sage „hier war ich und habe an der Tiefe des Beckens geschrieben“ und dass ich (wieder) weg müsse, irgendwie, weit weg.

„Dann mach es doch endlich einmal und red nicht nur ständig davon!“

„Ich möchte aber viel lieber noch hier stehen und das einfach schön finden und Geld dafür bekommen,“ erwidere ich und bin froh, nicht sehen zu müssen, ob sie – während ich dies sage – die Augen verdreht.

Anschließend verlasse ich schnellen Schrittes den Steg.

Die einzelnen Teile werden im „Duftenden Doppelpunkt im Abstand von 14 Tagen veröffentlicht. Schreiben Sie Raphael Vogt Ihre Meinung zu seinem Text.

RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 1
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 2
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 3
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 4
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 5
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 6
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 7

Europa Slam

Dienstag, 2. Juni 2009

"Wettlesen um die Gunst des Publikums"

Wann: 10.06.09 um 20.00
Wo: Brick 5, 1150 Wien, Fünfhausgasse 5
VeranstalterIn: Kulturinitiative tmbh

Die Liste der Redenschwinger liest sich wie ein „who is who?“ des Poetry Slams: Clara Nielsen, Pauline Füg, Bleu Broode, Nektarios Vlachapopoulos aus Deutschland, Dara Hunziker und Guiseppe Maraun aus der Schweiz treten gegen die allesamt auch international erfahrenen österreichischen TeilnehmerInnen El Awadalla, Andi Pianka, Elwood Loud, Christopher, der Koschuh, Yasmin Hafedh und „Schreibi“ Schreibmüller stellen sich der Publikumswertung.
Durch den Abend führt das, vom LE-Slam bekannte Slammaster–Duo Diana Köhle und Günther Tschif Windisch.

Dialektpoetryslam "wos host gsogt"

Dienstag, 2. Juni 2009

DichterInnenwettlesen, diesmal mit Gästen aus Deutschland und der Schweiz. Anmeldung vor Ort. 5 Minuten eigene Texte – Publikumsjury.

Wann: 09.06.09 um 20.00 Uhr
Wo: Kulturcafe Tschocherl, Wurmsergasse 42, 1150 Wien
VeranstalterIn: Kulturinitiative tmbh

Anthologie „Existenz und Renitenz“

Dienstag, 2. Juni 2009

Unter dem Arbeitstitel „Existenz und Renitenz“ wuselt eine neue Anthologie ins Bewusstsein. Texte dazu sind gefragt. Ein weites Feld wiederum, denn nur Weniges in der Literatur hat nicht mit Existenz zu tun.
Wer thematische Eingrenzung bevorzugt, möge eben renitentere, aufmüpfigere Texte einsenden. Spannend wird es ohnehin meist dort, wo die Widerständigkeit, Widerborstigkeit, Renitenz, als Grundprinzip der Existenz, des Lebens begriffen wird. Als Kampf gegen Erstarrung, Lebensfeindlichkeit und Unbelebtheit. Einsendeschluss: 10. September 2009. Weiterlesen »

RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 9

Montag, 1. Juni 2009

EPILOG

Ich habe mir einen Boxsack gekauft. Er ist beigefarben, etwa einen Meter groß, hat einen Durchmesser von 30 Zentimetern und hängt an einem Balken im Stadel.

Am ersten Abend nach dem Kauf der neuen Errungenschaft habe ich gleich einmal den Schichtleiter vermöbelt. Nun ja, vielmehr wollte ich das tun. Ich habe den Boxsack verfehlt und daraufhin tat es mir fast leid, es überhaupt versucht zu haben. Ich haue nicht gerne auf Menschen ein. Auch nicht virtuell. Mir tut schon der Boxsack leid, … wenn ich ihn treffe. Nach jedem Training – wobei ich nun nicht so übertreiben möchte und mir der Begriff Training für eine meist lediglich nur vier bis fünf Minuten andauernde Einheit als nahezu peinlich erscheint – streichle ich deshalb zum Abschluss stets meinen Boxsack.

Eigentlich mag ich den Schichtleiter schon. Er erinnert mich an meinen eigenen Vater, was mich jedoch angesichts der Tatsache, dass sich bisher keiner – mein leiblicher Erzeuger eingeschlossen – jemals bedeutsam um diese Rolle bemüht hat, auch nicht sonderlich verwundert.

Ja, ich mag den Schichtleiter und das Land seiner ausschweifenden Erzählungen, all seine kuriosen Geschichten sowie seine holzige Art. Auch wenn er sich nicht anständig benehmen kann, so weiß ich jedenfalls, dass ich ihn dahingehend sogar ein wenig beneide, nämlich in dem was er ist oder wenn auch nur, so dennoch unmissverständlich vorgibt, zu sein: Ein Kerl von einem Mann!

„Wir bekommen nun auch so ein Kamera-Überwachungssystem von dem ich dir vor noch gar nicht allzu langer Zeit erzählt habe.“

„Tatsächlich? Na ja, wenn es hilft. An die Überwachung, allerorts, sind wir ja schon gewöhnt,“ erwiderte Theo.

„Das stimmt. Mein Schichtleiter meinte kürzlich, dass übrigens sämtliche Stasileute nahtlos im BND untergekommen seien. Wenn er auch viel erzählt, den lieben langen Tag, da kennt er sich wohl aus.“

„So gesehen wundert mich nichts mehr … in diesem Staat.“

„In diesem Staat? Linkes wie rechtes Gedankengut wird den Leuten weltweit, in Watte verpackt, fein demokratisch serviert. Schau dir nur einmal an, was Putin so getrieben hat! Bush und Rumsfeld haben sämtliche Hitlerbücher gelesen. Da wundert mich auch nichts mehr!“ „Bush? Wer hat ihm vorgelesen?“

Stromausfall.

Ich suche die Streichhölzer. Seit ich das Rauchen aufgegeben habe, ist es mir auch nie mehr gelungen, irgendwo im Haus ein Feuerzeug zu sehen. Sie scheinen allesamt auf nahezu mysteriöse Weise, in Solidarität mit den letzten Zigaretten, verschwunden zu sein.

Verschwunden ist ebenfalls meine Unruhe im Kopf, wenn auch erst seit wenigen Minuten. Ich denke, der orkanartige Wind hat irgendwo eine Stromleitung ausgehebelt oder gar einen ganzen Masten umgeschmissen. Wundern würde mich das nicht. Drei Fenster sind nämlich gleichzeitig zugefallen und zwar in einer Lautstärke, dass es mich schon fast etwas überrascht, dass sie dabei nicht zerbrochen sind. Das Haus ist ein bäuerlicher Altbau, der schätzungsweise an die 120, wenn nicht auch schon 150 Lebensjahre zählt und dessen Fenster nach wie vor aus jeweils zwei dünnen, in bereits erheblich verloderten Holzrahmen angebrachten, Einzelglasscheiben bestehen.

Der Sturm lässt nach, es hat zu regnen begonnen. Die Streichhölzer liegen direkt neben der dicken Kerze auf dem Küchentisch. Mit dem Strom ist meine Unruhe verschwunden. In mir … wie vermutlich auch in den Teichen, Seen und Außenbecken, … hat sich der Schlamm gesetzt.

Ich wollte gerade eben den Computer anschalten und vermutlich noch einiges mehr – aus dem mittlerweile erheblich angewachsenen Repertoire Strom fressender Wohlstandsutensilien … und nun gibt es nicht einmal mehr heißen Kaffee!

Die Kerze flackert lieblich, während es zu nun einsetzendem Donner und Geblitze riesige Tropfen an die Scheiben schleudert.

Ich gehe in die dunkelste Ecke der Wohnung und krame nach vorsichtigem Herantasten mein grünes Notizbuch aus dem Regal.

Nichts geht mehr.

Dass ich mich jemals so frei gefühlt haben könnte, denke ich mir, muss – wenn überhaupt – dann schon sehr lange her sein …

Und ich warte, warte weiterhin, auf irgendetwas, wie schon einmal erwähnt. Ich bin unterwegs und wohin ich will weiß ich immer noch nicht. Alles was ich weiß ist, dass ich dabei bin, mein kleines grünes Notizbuch zu öffnen, um mich weiterhin ausgiebig meinen Illusionen zu widmen. Jeder macht sich ja seine ganz individuellen Illusionen. Ich für meinen Teil ziehe es dabei vor, ein Schriftsteller, Musiker, Regisseur und Künstler zu sein; vielleicht auch nur, um vor mir selbst den Anschein zu wahren, mir all meiner Illusionen bewusst und deren eigener Konstrukteur zu sein.

Joe

Schreiben Sie Raphael Vogt Ihre Meinung zu seinem Text.

RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 1
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 2
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 3
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 4
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 5
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 6
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 7
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 8
RAPHAEL VOGT – DIE TIEFE DES BECKENS – Teil 9