Archiv für Juli 2010

Donau, Stahl und Wolkenklang

Freitag, 30. Juli 2010

René Freund – Lesereise Linz. Donau, Stahl und Wolkenklang.

„Heute Abend kommen wir nach Linz, von dessen Schönheit die ganze Welt gehört hat.“
Zugegeben: Ein Buch über Linz muß einem besonders strengen Blick standhalten, gerät ebendieses in die Hände einer gebürtigen Linzerin und langjährige Bewohnerin der oberösterreichischen Hauptstadt.

Strenge Fragen muß es auch über sich ergehen lassen: Wollen wir doch mal sehen, wie ein „Zugreister“ diese Stadt wahrnimmt. Wird er der gebürtigen Linzerin Altbekanntes – und auch in jedem x-beliebigen Reiseführer Nachzulesendes – präsentieren? Weiß er um Weikerlsee, Ferialjobs in der VOEST und Leberkas-Pepi, um die Konkurrenz zwischen den BewohnerInnen von Linz und Urfahr? Weiß er um die Geschichte des Limonistollens? Traut er sich, die „braune“ Vergangenheit der Stadt zu erwähnen.

Nach den ersten Seiten wird deutlich: René Freund, geborener Wiener, seit zwanzig Jahren in Oberösterreich beheimatet, weiß um Seen – und dass der Pleschingersee beinahe jedes Jahr aufgrund der Hitze „kippt“. Er weiß um die generationenzusammenschweißende Bedeutung der Ferienjobs in der VOEST – und auch jenen in der Linz Chemie. Er weiß um die Linzer‘schen Rivalität mit denen „über“ der Donau – und welche Bedeutung dem Autokennzeichen UU beikommt. Er kennt die Geschichte des Limonistollens – und dessen Bedeutung als Luftschutzkeller während des Zweiten Weltkrieges. Er wagt den Blick auf die Geschichte von Linz – das von Hitler zu seiner Lieblingsstadt erklärt wurde.

René Freund berichtet von trefflichen Ausflüge in die Umgebung von Linz, weist auf die Gaumberger Weinberge hin, und „warnt“ davor, Linzer Nachbarstädte wie Traun, Ansfelden oder Leonding als Linzer Vororte zu titulieren. Die Erwähnung einer sprachlichen Besonderheit bezüglich Leonding zeigt Rene Freunds genaue Wahrnehmung. „Die Leondinger sind keine Linzer. … Sogar die Sprachen ähneln einander nur äußerlich: Der Linzer etwa sagt Leondinger (mit Betonung auf dem ersten E), während der Eingeborene selbst seine Stadt als Leonding (Betonung auf dem O) bezeichnet.“

Es freut die Lesenden der Hinweis auch auf zwei andere Linz-„Werke“ abseits von 08/15 Reiseführern: „Linz literarisch“ und „Linzer Stadtführerin“.

René Freund begibt sich auf seiner „Lesereise Linz“ weg vom oberflächlichen Rundgang. Er läßt sich ein auf die Stadt – und er hält sogar für die gebürtige Linzerin Unbekanntes fest. Zum Beispiel, daß die 1630 erstmalig erschienene „Linzer Zeitung“ die älteste noch existierende Zeitung der Welt ist, „ein Titel den die gut siebzig Jahre jüngere Wiener Zeitung in spätimperialer Selbstüberschätzung fälschlicherweise für sich usurpiert“. Oder die in Alt-Urfahr gelegeneVilla Nunwarz, die einst ein Foto-Atelier beherbergte, in dem Karl May sich in Kostümen seiner Romanhelden abbilden ließ. Oder die architektonische Besonderheit der ÖSWAG-Werft-Kantine. Oder den Geigenbaumeister Übelhör. Oder den vermutlich ältesten noch erhaltenen Teil von Linz.

Strengem Blick und strengen Fragen erfolgreich standgehalten, gesellt sich „Lesereise Linz. Donau, Stahl und Wolkenklang“ zu der im Picus Verlag 1998 gestarteten Reihe „Lesereisen“.

Petra Öllinger

PS: Der von René Freund erwähnten Trockenheit der Linzer Torte kann durch einen Klacks Schlagobers abgeholfen werden; nicht nur die Sachertorte hat ein Recht auf Schlag …

PPS: Das eingangs erwähnte Zitat stammt von keiner gebürtigen Linzerin. Francis Trollope, gebürtige Britin, hielt diesen Satz im Bericht über ihre Reise 1836 von London nach Wien fest. Quelle: Frances Trollope: Ein Winter in der Kaiserstadt. Wien im Jahre 1836. Promedia Verlag, Wien, 2003.

René Freund – Lesereise Linz. Donau, Stahl und Wolkenklang. Überarbeitete Neuausgabe 2010. Picus Verlag, Wien, 2010. 132 Seiten, Euro 14,90 (Ö).

Zum Tod von Brigitte Schwaiger

Mittwoch, 28. Juli 2010

Wir trauern um Brigitte Schwaiger.

Österreichische Schriftstellerin, 6. April 1949 – 26. Juli 2010.

Petra Öllinger und Georg Schober

Ohne Flugphase

Freitag, 23. Juli 2010

Das von Manfred Bürstmayr und Gerald Franz herausgegebene Buch „Zu Fuß. Geschichten über das Gehen“, beschäftigt sich mit einer „Fortbewegungsart, bei der es im Gegensatz zum Laufen keine Flugphase gibt. Der Körper hat also in jeder Phase des Bewegungszyklus Kontakt zum Boden über Beine und Füße“.

Kaum läßt die „trockene“ Wikipedia-Definition ahnen, welch eine Vielfalt dieser (menschliche) Bodenkontakt über Bein und Fuß in sich birgt!

Ein paar Kostproben der Vielfalt.

Kommt der Zug ausnahmsweise pünktlich, der zum Zug eilende Pendler jedoch nicht, sind die Folgen ein „Daunenmeer“, auf dem eben dieser Mann „jeden Schritt neu probiert“. (Robert Kraner, „Loos geht“)

September 1945, fünf Kilometer zur Schule gehen, fünf Kilometer und „viele unvorhergesehene Zwischenstopps, denn es gab immer etwas Neues zu entdecken“. (Anneliese Wolf, „Ge[h]schichten aus meiner Kindheit“)

Ohne Ziel gehen, durch Wald und Stadt streifen, Wanderpoesie und Traumpfade, schrittweises Vorgehen als ideale Methode, „um an ein gesetztes Ziel zu gelangen (von gr. ‚meta‘, bei, neben hinter, und ‚hodos‘, Weg)“. (Auriel Schmidt, „Gehen als Selbsterfahrung“)

FußgeherInnen als blinde „Flecken im Hirn der Planer und die Gestaltung der Umwelt, die dem Auto eindeutig den Vorzug gibt“. (Hermann Knoflacher, „Planung für Fussgeher“)

Gehen als alltägliche Notwendigkeit, als sportliche Aktivität, als eine Form des Reisens, als Variable in einer wissenschaftlichen Studie über die Folgen von Arbeitslosigkeit, als ökologisch und sozial verträglichste Möglichkeit von A nach B zu gelangen, als Flucht vor Terror, als Inspiration zu Literarischem, als Leseform einer Stadt.

Eine zum Laufen, Wandern, Schlendern, Flanieren sehr anregende Mischung an Sprache und Inhalt facettenreicher Texte vielen Schwarz-Weiß-Fotos – herausgegeben als Buch, dessen Format und Gewicht erlauben, es auch auf Fußwegen bequem mitzunehmen.

Petra Öllinger

Manfred Bürstmayr & Gerald Franz (Hg.) – Zu Fuß. Geschichten über das Gehen. Promedia Verlag, Wien, 2010. 240 Seiten, € 14,90 (Ö).

Kategorie: Verkehrsmittel, allgemeine und einführende Schriften

Lyrik aus dem Schatten holen

Mittwoch, 14. Juli 2010

Nicht selten fristet Lyrik ein „Schattendasein“ im Verlagswesen. Fein, wenn Verlage sich „drübertrauen“, diese literarische Gattung aus der „dunklen Ecke“ zu holen. Ein Beispiel dafür ist der Diskurs Verlag, der Susanne Ulrike Maria Albrechts Texte publizierte.

Eine Kostprobe aus ihrem Schaffen:

Hab eine Blume gefunden

Hab eine Blume gefunden,
denk an mich
und pflück sie nicht.

Auf deiner Haut ruht sich
ein Schmetterling aus,
ich denk an dich
und lass ihn fliegen.

Blutgetränkte Erde,
ist der Sieg des Friedens
nur ein sehnsuchtsvoller Traum?

Weitere Texte von Susanne Ulrike Maria Albrecht finden sich in ihrem neu erschienen Lyrik-Band „Weiße Hochzeit“.

Buchcover Susanne Ulrike Maria Albrecht Weisse Hochzeit

Susanne Ulrike Maria Albrecht – Weiße Hochzeit
Diskurs-Verlag, Dresden, 2010. 39 Seiten, ca. Euro 6,20 Euro (Ö).

Über Susanne Maria Albrecht

Bereich: Lyrik