Archiv für November 2012

Die ungewöhnlichen Gedanken des Christian Hänggi

Freitag, 30. November 2012

Gastfreundschaft dem freien Geist

In Zürich belästigte vor wenigen Wochen ein gigantisches Megaposter am Bellevue den empfindsamen Passanten. Calida ließ eine Frau in Dessous posieren und betextete das Bild mit den Worten: „Mittelpunkt des Universums: Ich“! Auch wenn das nur zu gut nach Zürich passt, und wenn es Hunderten von kleinen Mittelpunkten im smartphonefixierten Vorbeihasten wohl gar nicht auffiel, kann man solche Werbebotschaften als Belästigung und usurpatorische In-Besitznahme des öffentlichen Raumes wahrnehmen. Dabei geht es doch auch anders!

Da ist beispielsweise das ebenso diskrete wie unscheinbare Traktätchen mit dem Titel „Vorträge für Besetzungen, und nicht nur…“, das mir bei einer ohnehin schon obskuren Veranstaltung wie dem Theory Tuesday im Corner College in Zürich in die Augen und in die Hände fiel. Im Vorwort macht der Autor, der sich bescheiden C. H. abkürzt, das Heftlein dem, der es aufnehmen will, zum Geschenk.

Der Autor schien aus dem Umkreis der Autonomen Schule Zürich zu stammen und schon dachte ich: „Ohje, die autonome Szene und ihre Sprache, antifaschistischer Imperativ, Basta-Bleibt-Rhetorik …“, las trotzdem rein und war überrascht: Da arbeitete einer mit der Sprache, da spann einer ungewöhnliche Gedanken, da drückte einer diese ungewöhnlichen Gedanken ungewöhnlich gut aus, sagen wir ruhig: Da zeigte sich ein Denk- und Sprachvirtuose.


Dann wollte ich es doch genauer wissen, wer hinter den Initialen C. H. steckt. Eine Internetrecherche klärt schnell: Es ist Christian Hänggi, Philosoph und „Medien-Ökologe“. Und ich stieß auf seine Dissertation „Gastfreundschaft im Zeitalter der medialen Repräsentation“, erschienen im Passagen-Verlag. Dort arbeitet er die Gedanken aus den „Vorträgen“ ausführlich aus.

Hänggi beschreibt die Informationsgesellschaft in ihrer unangenehmsten Ausprägung: der Werbung. Sie fällt uns im öffentlichen Raum an, erhebt den Anspruch, unser Blickfeld zu besetzen. Hänggi beschreibt den absurden Effekt, dass der ständig erhöhte Aufwand einer „Ökonomie des Exzesses“ die Wirksamkeit verringert, dass der abnehmenden Wirkung mit einer weiter zunehmenden Verbreitung von Werbebotschaften begegnet wird und führt die nicht weniger absurde Tatsache an, dass ad-busting juristisch als Verletzung der Eigentumsrechte gewertet wird, während die werbende Wirtschaft mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung sich in unsere Wahrnehmung, in unser Leben eindrängt.

Man muss schnell denken, denn Hänggis Sprünge von Thema zu Thema wirken manchmal willkürlich. Sie kommen wieder zusammen, warmherzig und freundlich, mit Empathie und einem mutigen Enthusiasmus. So geht er das Problem über solch scheinbar altmodische Begriffe wie die der Gabe und der Gastfreundschaft an:

„Unser Geist beherbergt viele Botschaften, doch im Zeitalter der zahllos produzierten und reproduzierten Informationen ist nicht Raum für alle da. Wie müssen diese Botschaften beschaffen sein, damit sie unser Gastrecht verdienen? Wann müssen wir es ihnen wieder entziehen?“

Hänggi selbst macht mit seinen Gedanken und mit seiner Broschüre klar: Die Geste ist das entscheidende! Hier drängt sich eine Wirtschaftsmacht mit Führungsanspruch auf, dort stellt ein freier Geist seine Gedanken zur freien Verfügung für frei entscheidende Geister. Und als ich nach der Lektüre der Dissertation die Broschüre noch einmal in die Hand nehme, spricht deren entschieden politischer Gestus zu mir: mit Hänggis Aufruf, gelegentlich die Gelassenheit hinter sich zu lassen, das Geformt-Werden durch einseitige Flexibilität nicht zu akzeptieren, diese Niederlage nicht hinzunehmen.

Ich setze die Broschüre wieder frei, in einem Bus der Linie 34, als Gabe für den freien Geist, der ihr Gastfreundschaft gewähren will.

Peter Metz

Links zu weiteren Texten von Christian Hänggi und zu im Artikel genannten Orten und Institutionen:

Christian Hänggi. Stockhausen at Ground Zero

Corner Collage

Theory Tuesdays

Autonome Schule Zürich

Brillis Wort zum Montag

Montag, 26. November 2012

Ein Hund ein Wort

Redaktionshund Brilli mit grauer Baskenmütze

Elektro-Kommunikation – Teil 2

Oft schon boten die beiden Hauskaspars ein allerliebstes Bild, wenn sie am Boden lagen, unter dem Schreibtisch zwischen zusammengeknülltem Papier und sich Verzweiflung auf ihren Gesichtern zeigte, da die Kabeln des PCs sich von Salat hin zu einem undurchdringlichen Urwald verwandelt hatten. Oder wenn sie vor dem offenen Kühlschrank knieten und wir ein großes Fragezeichen über ihren Köpfen schweben sahen: Warum ist es da drinnen finster, obwohl die Tür offen ist? Oder wenn sie sich um den Drucker versammelten, um dessen geheimnisvolle Farbspuckereien zu ergründen.

Elektrogeräte und die Hauskaspers – stets eine drollige Mischung, vor allem, wenn erstere Macken machen. Es ist immer derselbe Ablauf. Ein Hauskaspar ruft „Der Fön macht ein Problem!“ oder „Der Mixer qualmt!“ oder „Die Waschmaschine hüpft!“ Der andere Hauskaspar eilt herbei. Dann stehen beide einige Minuten schweigend und grübelnd vor dem Elektro-Ding. Anschließend klopft einer der beiden vorsichtig darauf, brummt etwas wie „So so. Na ja“ und der andere Hauskaspar nickt dazu. Dabei sehen sie aus wie zwei Ärzte bei der Visite. Aber statt den Puls zu messen oder das Fieberthermometer zu zücken, kommt der Standardsatz: „Ich hol mal das Werkzeug.“
Ein Hauskaspar verschwindet. Der andere wartet derweil beim „Patienten“, schüttelt ihn, murmelt dabei Unverständliches. Der zweite Hauskaspar kehrt zurück, beide Hände und die Hosentaschen voll mit allem, was die Werkzeugkiste hergibt: Flachzange, Rohrzange, Hammer, zwei Schraubenzieher, einen Bit-Satz, Klebeband, Holzleim. Zwei, drei Minuten Beratung, dann schreiten sie zur Tat, begleitet von einer Kakaphonie aus Ping, Kloing, Zong.

Fortsetzung folgt …

Ein herzliches Wuff,
Ihre Brilli Paralia

Brillis Elektro Post

Literatur-Twitter des „Duftenden Doppelpunktes“

Donnerstag, 22. November 2012

Weihnachtliche Twitteratur im Adventkalender

Öffnen Sie ab dem 1. Dezember Fenster für Fenster die Welt der weihnachtlichen Twitteratur!

Mit dem Satz „Es lebe Pfeffernuss und Spekulatius! Literatur-Twitter: 140 Zeichen über Weihnachten“ starteten die „Duftenden Doppelpunkte“ am 13. September gemeinsam mit Robert Lenders „Nur ein Blog“ die Suche nach Gedichten und Aphorismen für den Adventkalender des „Duftenden Doppelpunktes“.

Der Aufruf, Humorvolles, Kritisches beziehungsweise Spirituelles aus „eigener Feder“ zu twittern, verhallte in den ersten Tagen nur scheinbar ungehört.

Ab Anfang November wurde immer zahlreicher und vielfältiger über Weihnachten gezwitschert.
Alleine am 15. November, dem letzten Tag des Literatur-Twitters, nahmen 19 TwitteratInnen mit 58 Tweets teil.

Insgesamt erreichten uns via @lit_tweet 261 Tweets. Für ausreichend Beschäftigung der Jury war also gesorgt.

Die Konkurrenz zwischen den „140 Zeichen“ erwies sich als groß. Neben viel Humorvollem setzten sich eine Reihe von Tweets kritisch, manchmal durchaus ironisch, mit unserem „weihnachtlichem“ Verhalten in der Konsum- bzw. Informationsgesellschaft auseinander.

Der vierköpfigen Jury „rauchten“ alsbald die virtuell zusammengesteckten Köpfe …

Das Ergebnis:

24 Fenster, hinter denen sich die Tweets folgender TwitteratInnen befinden, warten ab dem 1. Dezember darauf, von Ihnen geöffnet zu werden: @sammelmappe, @buntblaettle, @west47, @rueblimundart, @lyrikscheune, @wos_was_i, @malezka, @LaskaFreyh, @Anwardya, @mikelbower, @IlseMohr, @norbert_hayduk, @Ismenchen, @toenz.

Lassen Sie sich in der Adventzeit täglich von einem neuen Tweet überraschen.

Die HauptpreisträgerInnen: @IlseMohr / @Anwardya / @wos_was_i und @lyrikscheune. An jedem der Adventsonntage wird ein Tweet dieser Vier als E-Card im „Duftenden Doppelpunkt“ veröffentlicht. Die AutorInnen erhalten außerdem ein Set mit gedruckten Weihnachtskarten, auf denen sich ihr Tweet befindet.

Herzlichen Dank allen, die fleißig mitgetwittert haben.

PS: Gedichte von Alexander Puschkin, Paula Dehmel, Klabund, Heinrich Heine, Erich Mühsam und vielen anderen wurden in den Adventkalendern des „Duftenden Doppelpunktes“ in den letzten Jahren veröffentlicht. Sie finden die entsprechenden Links in dem mit dem Gedicht „Vom Christkind“ von Anna Ritter eingeleiteten Beitrag „Weihnachtliche Gedichte“.

Brillis Wort zum Montag

Montag, 19. November 2012

Ein Hund ein Wort

Redaktionshund Brilli mit grauer Baskenmütze

Elektro-Zwiesprache – Teil 1

„Alle machen, was sie wollen!“
Zwetschke und ich blicken einander an. Dieses Mal sind nicht wir damit gemeint. Dann würde es ja heißen „Die zwei machen, was sie wollen.“
Die beiden Hauskaspars knien in der Küche vor dem geöffneten Backrohr, und Hauskaspar II gibt hin und wieder obigen Satz von sich. Und was halten sie in Händen? Gabel? Messer? Löffel? Schöpfer? Neeein! Es sind dies: Hammer, Zange. Und Taschenlampe. Mit dieser leuchtet Hauskaspar I in die Finsternis des Herdes. Es ist schon eine Weile her, dass im Backrohr, sobald es eingeschaltet wurde, ein Lichtlein anging. Irgendwann machte es Peng! und dunkel ward’s im Rohr.
Warum diese Taschenlampen-Aktion? Suchen sie nach Kuchen, Torten, Bäckerei? Nach Braten, Auflauf, Trockenobst? Nach Backgut, das in der Dunkelheit verloren ging? Nix da. Stattdessen vernehmen wir, wie Hauskaspar I in das Backrohr schimpft: „Ja, gibt’s denn so was!? Spinnst du jetzt völlig!?“ Sie gelten dem Herd, diese vorwurfsvollen Worte. So sind sie, die Hauskaspars: halten Zwiesprache mit ihren Elektrogeräten, davon wird auch der Küchenherd nicht ausgenommen.

Es rummst und scheppert. Die beiden rütteln mit vereinten Kräften am Kuchengitter, schlagen mit dem Hammer! drauf, zerren mit der Zange daran. Nach wenigen Minuten kippt Hauskasper I am Boden erschöpft zur Seite. Das Kuchengitter hat sich keinen Millimeter bewegt, es bleibt verkeilt und eingeklemmt in der Halterung.
Zwetschke und ich haben es uns einstweilen gemütlich gemacht. Aus sicherer Entfernung – wer will schon von Hammer oder Zange getroffen werden – verfolgen wir dieses unterhaltsame Schauspiel.
Übrigens nicht zum ersten Mal.

Fortsetzung folgt …

Ein herzliches Wuff,
Ihre Brilli Paralia

Brillis Elektro Post

Eine Stadt. Ein Buch

Sonntag, 18. November 2012

„Eine Stadt. ein Buch“ findet dieses Jahr bereits zum elften Mal statt.
Unter den bisher kostenlos verteilten Büchern finden sich beispielsweise Frederic Mortons „Ewigkeitsgasse“, Nick Hornbys „Fever Pitch“ oder Ruth Klügers „weiter leben“.

Ab 22. November 2012 werden in Wien 100.000 Exemplare des Romans „Eine Hand voller Sterne“ von Rafik Schami verschenkt. Das Buch wird unter anderem bei der Buchmesse „Buch Wien“ und in Büchereien beziehungsweise Buchhandlungen aufliegen.

Homepage von Rafik Schami

Über das Buch „Eine Hand voller Sterne“

Der 1946 in Damaskus geborene Autor, er lebt seit 1971 in Deutschland, wird anlässlich der Aktion „Eine Stadt. Ein Buch“ in der Fernwärme Wien zu Gast sein.

Wo: Fernwärme Wien (Foyer), Spittelauer Lände 45, 1090 Wien
Wann: 23. November 2011, Beginn: 19.00 Uhr

Der Eintritt ist frei. Zählkarten sind aber erforderlich und am Kulturpoint, 9., Spittelauer Lände 45 erhältlich. Eine Reservierung der Zählkarten ist nicht möglich!

Türkische Lyrik 1 – Ein kurzer Überblick

Donnerstag, 15. November 2012

Die türkische Lyrik ruht auf dem Fundament jahrhundertealter Traditionen und genießt zwischen „Bosporus und Ararat“ große Wertschätzung.

Anders als im deutschsprachigen Raum; hier müssen viele, nicht nur türkische LyrikerInnen, gegen ein bescheidenes Interesse an ihren Gedichten anschreiben.

Trotz dieser schwierigen Ausgangslage stoßen Übersetzungen aus dem Türkischen zunehmend auf Interesse. Nicht zuletzt aus der sogenannten Gastarbeiterliteratur entwickelte sich ein breites literarisches Schaffen türkisch-deutschsprachiger AutorInnen. Darunter befinden sich immer mehr Frauen wie Seher Çakir (1971), Siir Eroglu (1961) oder Gülbahar Kültür (1965). Das Gedicht „Fremde Flügel auf eigener Schulter“ von Zehra Çirak (1960) wurde in die vom Literaturwissenschafter Harald Hartung herausgegebene Anthologie „Jahrhundertgedächtnis – Deutsche Lyrik im 20. Jahrhundert“ aufgenommen.

Der Dichter Yunus Emre († um 1321) ist einer der ersten türkischen Volksdichter. Seine Dichtung ist geprägt durch islamische Mystik und die sozialen Konflikte seiner Zeit.

Kommt, lasst uns Bekanntschaft schließen.
Lasst die Dinge schlichter fließen.
Lasst uns in Liebe leben.
Niemand überlebt die Welt.

Im Laufe der Jahrhunderte ist die Volksdichtung immer wieder Sprachrohr gegen Unterdrückung und Willkür im Osmanischen Reich.

So wird der alevitische Dichter Pir Sultan Abdal (16. Jh.) für seine Gedichte, sie sind reich an Fantasie und sufistisch inspirierten Metaphern über Gott, die Natur und die Liebe zu den Menschen, hingerichtet.

Ich als Fluss, der sich im Meer verloren hat.
Ich als Rose, vor der Zeit erblüht und verwelkt.
Ich als kalte Asche – das Feuer ist lange erloschen.
Freund dein Leid entflammt in mir.

Aus dem Gedicht „Ötme bülbül ötme“

Rund vierhundert Jahre später, im Sommer 1993 versammeln sich Dichter, Schriftsteller und Musiker in Sivas, um im Rahmen eines alevitischen Kulturfestivals Pir Sultan Abdal zu gedenken. Das Hotel, in dem sich viele von ihnen aufhalten, wird angezündet. 35 der Autoren und Musiker überleben das Feuer nicht.

Bis ins 19. Jahrhundert gibt es einerseits wandernde Volksdichter und andererseits die „Diwan-Literatur“. Letztere ist mit dem osmanischen Hof verbunden und verwendet eine Sprachmischung aus Arabisch, Persisch und Türkisch. Auch ihre Vertreter, beispielsweise Seyhi, Fuzûli oder Nef’i, sind bis heute unvergessen.

An der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert steht Tevfik Fikret (1867-1915). In seinen Gedichten verarbeitet er impressionistische Elemente. Er gilt als einer der Modernisierer der türkischen Lyrik.

Einer der ganz Großen unter den türkischen Dichtern des 20. Jahrhunderts ist Nazim Hikmet (1902-1963). Er schreibt über die Liebe genauso berührend wie über Verzweiflung, Not und Solidarität.

Leben wie ein Baum, einzeln und frei
doch brüderlich wie ein Wald,
das ist unsere Sehnsucht.

Aus dem Gedicht „Die Einladung“ (Davet)

17 Jahre verbringt Hikmet in türkischen Gefängnissen. Bis 1960 bleiben seine heimlich gelesenen Gedichte verboten. Er stirbt 1963 im Moskauer Exil.

Auch Ahmed Arif (1927-1991), ein kurdischstämmiger Dichter, ist aus politischen Gründen von 1950 bis 1952 im Gefängnis. Zeitlebens veröffentlicht Arif nur einen, jedoch viel gelesenen Band mit Gedichten: „Hasretinden Prangalar Eskittim“.

Der Schriftsteller, Lyriker und Philosoph Necip Fazil Kisakürek (1904-1983) lernt die türkischen Gefängnisse ebenfalls von innen kennen. Er wird wegen „starker Opposition zu Ismet Pasa und der Republikanischen Volkspartei“ einige Jahre eingesperrt.

Der türkische Romancier Yasar Kemal (1923)schreibt über die Schriftsteller seiner Generation:

„Es gibt praktisch keinen, der nicht durchs Gefängnis gegangen ist. Sabahattin Ali, der als erster Romane über die Bauern geschrieben hat, wurde ermordet. Hikmet war 17 Jahre im Gefängnis, Kemal Tahir 15 Jahre, Aziz Nesin 5 Jahre, Ahmed Arif, unser bedeutendster Lyriker der Gegenwart, 5 Jahre, Ruhi Su auch fünf Jahre. Auch Orhan Kemal saß lange Zeit im Gefängnis. Ich selbst war dreimal im Gefängnis. Das erste Mal mit 17 Jahren, dann wieder 1950, als ich gefoltert wurde. 1971 wurde ich wieder festgenommen, aber nach vielen internationalen Protesten wieder freigelassen. Es gibt keinen Zweifel – das Gefängnis ist die Schule der türkischen Gegenwartsliteratur.“

2008 wird er mit der höchsten türkischen Kultur-Auszeichnung, dem Kulturpreis des Präsidenten, ausgezeichnet. Bei der Entgegennahme des Preises nimmt er folgendermaßen Stellung:

„Dass mir dieser Preis zugesprochen wird, möchte ich als Zeichen dafür sehen, dass politische Standfestigkeit und der Kampf für Frieden und Menschenrechte nicht länger ein Grund zur Ausgrenzung sind und dass sich allmählich ein Weg zum Frieden in unserer Gesellschaft öffnet.“

Weiterführende Links:

Alevitische Lyrik

Türkischdeutsche Literatur – Chronik einer Wanderung

Themenschwerpunkt: Türkische Literatur auf dem Weg nach Europa


Liste deutsch-türkischer SchriftstellerInnen

38 in Österreich lebende türkische Autorinnen und Autoren haben mit ihrer Lyrik zur Anthologie „heim.at. Anthologie türkischer Migration“, herausgegeben von Gerald Kurdoglu Nitsche beigetragen.

„Kultgedichte – Kült Siirleri“ (hgg. v. Erika Glassen und Turgay Fisekçi, Türkische Bibliothek, Bd. 14, Zürich, Unionsverlag 2008)

Der rote Faden der Türkischen Bibliothek: Zwanzig Bände versuchen einen Gesamteindruck von der modernen türkischen Literatur von 1900 bis zur Gegenwart zu vermitteln

Türkische Lyrik 2: Gedichte von Hatice Arargüç

Donnerstag, 15. November 2012

Der folgende Beitrag macht Sie mit der Autorin Hatice Arargüç bekannt.

Der Artikel „Türkische Lyrik 1 – Ein kurzer Überblick“ versucht darüber hinaus anhand einiger weiterer AutorInnen, Appetit auf die vielfältige Welt der türkischen Lyrik zu machen.

Hatice Arargüç veröffentlicht im „Duftenden Doppelpunkt“ erstmals eine kleine Auswahl ihrer Gedichte im Internet und freut sich über Gedanken und Anregungen zu ihrer Lyrik. Gerne leiten wir Ihre Nachricht an Hatice Arargüç weiter.

Die Autorin schreibt über sich:

Hatice Arargüç

Ich, Hatice Arargüç, geboren im nordostanatolischen Erzurum, aufgewachsen in Deutschland/Rheinland Pfalz, bin eine, die zwischen zwei Kulturen hin und her pendelt und trotz enormer Schwierigkeiten versucht, auf ihre Art, das Beste daraus zu machen.

Mit meinen Gedichten möchte ich den Menschen beider Kulturkreise Einblick in die Welt eines typischen Gastarbeiter-Kindes gewähren. Das Unausgesprochene und mich zutiefst Bewegende an interessierte Leser und Leserinnen weitergeben.

Darum reichen Sie mir die Hand, um mit mir unvoreingenommen durch dick und dünn zu gehen. Lassen Sie uns gemeinsam die Wunder der Sprache entdecken und somit zum besseren gegenseitigen Verstehen beitragen.

Jedem der mich geprägt hat, im Guten als auch im Schlechten, möchte ich meinen Dank aussprechen. Schön, dass es euch gibt.

Geh langsam und bedacht durchs Leben
von ungefähr komm ich entgegen.
Trau dich, trete ein in die Welt einer
türkischen Frau/Erdenbürgerin
Musst sie nicht verstehen;
lehrreich und nachdenklich
sollte es dich aber stimmen!

Ich danke meiner Mutti, weil sie mich an meinen Kindheitstraum, das Schreiben erinnert und mich ermutigt. Es befreit mich unwahrscheinlich! Und ich gedenke durch meine Lyrik Papa, einem unveröffentlichten Gedichteschreiber.

Mein Glaube und meine Kinder Muhammed-Mert und Meryem-Sena sind mein einziges Hab und Gut!

Wie der helle Tag bin ich in deine Nacht eingedrungen
Und wie gestern hast du aufgeschaut und bist wortlos
an mir vorbeigegangen. Deine Sonne hat sich die Haare
im Nacken gebunden und ist ihren Weg gegangen. Egal
ob der Schatten ihr folgt oder nicht! Lachen und vergessen
ist besser, als sich zu erinnern und traurig zu sein.

Gewidmet jenen, die mein Herz erobern durften!
In der Hoffnung, dass man dem Stift einer einfühlsamen, anatolischen Frau aus der tiefsten Provinz der Türkei Gehör schenkt!

Heimat
Endlich in der Heimat
Fast die Hälfte zurückgelassen.
Sprung ins kalte Wasser
Können wir im Hiesigen überleben?
Einfach wird es nicht.
Alles so verschieden nah und doch
So fern, hier wirst du verschrien
Als verdeutscht und als Snob hingestellt
Denkst deutsch und handelst türkisch oder umgekehrt?
Wo willst du stehen!?
In Deutschland Karriere gemacht
Hier bist du leider keinen Pfennig wert.
Verkannt und allein gelassen.
Ach Eltern, was habt ihr aus uns gemacht?
Haben wir genug Ehrgeiz, um von Neuem zu beginnen?
Einzig die rastlose Seele, endlich zur Ruhe gekommen
Das ist unser gewonnener, nachdenklich stimmender Preis!

Zugehörigkeit
Tief in meinem Innern ist etwas verloren gegangen
Hab versucht, es in Deutschland zu finden.
Verrückt – Bin doch ne Türkin!?!
Komme mir nicht nah, in meinem Sumpf könntet ihr ertrinken.
Wem hätte ich vertrauen sollen und wen wirklich an meiner Seite finden?
Hätte ich dieses Land vielleicht nie betreten sollen?
Wäre dann alles anders gekommen?
Ständig zwischen Sein und Nichtsein jahrelang verharrt.
Ich werde mir nicht noch mehr Verletzungen zuziehen
und euch den Rücken zu wenden. Ich schaue zurück,
empfinde nichts, verdächtig trügerisch!
Die eine Träne, die noch fällt, war mein Selbstmord in mir.
Es geht einfach nicht, ich bin ein Teil von dir.

Brillis Wort zum Montag

Montag, 12. November 2012

Ein Hund ein Wort

Redaktionshund Brilli mit grauer Baskenmütze

Schlachterei

Sein Name ist Kürbis. Butternuss Kürbis. Er wohnt seit zwei Monaten bei uns in der Küche. Hinten im Eck. Da, wo auch die 1000-Milliliter-Gurken-und-Maiskölbchengläser stehen.
In diese Zeit hat er sich nicht verändert. Keine braunen Dellen, kein grünweißer Schimmel. Er wartet darauf, seiner Bestimmung zugeführt zu werden, die da lautet: Kürbisrisotto. Oder Kürbiscremesuppe. Oder gebratener Ofenkürbis. Aber es reichte nicht einmal zum ausgehöhlten und alsdann kunstvoll geschnitzten Samhainkürbis!

„Ob der noch gut ist?“ Seit vielen Wochen schon höre ich diese Frage von Hauskaspar I.
Darauf antwortet Hauskaspar II, seit genauso vielen Wochen: „Ich werde ihn mal aufschneiden, so sehen wir, ob er noch gut ist.“
Dann kommt die Bemerkung von Hauskaspar I: „Ich glaube, ich werfe ihn lieber weg.“
Dann verlassen beide die Küche. Der Kürbis bleibt zurück und wartet.

Mindestens alle zwei Tage nimmt Hauskaspar I den Kürbis in die Hand, dreht ihn hin und her – erinnert dabei an die Szene mit dem Totenkopf in „Hamlet“ –, spricht die Worte: „Irgendwie unheimlich.“ Gefolgt von der Frage: „Ob der noch gut ist?“
„Schlachtet ihn, verkostet ihn, kocht Eintopf daraus oder werft ihn weg, aber macht was mit ihm!“, möchte ich den Hauskaspars zurufen. Jedoch, ich halte inne. Ich entsinne mich dabei jedes Mal Zwetschkes Worte im Zusammenhang mit einem Rotkrautkopf, der sehr lange Zeit im Kühlschrank wohnte: „Die sind einfach zu gutherzig für eine Schlachterei.“
„Oder zu faul“, wende ich in Gedanken ein. Und sehe Kürbis – Butternuss Kürbis – vor meinem geistigen Auge, wie er noch jahrelang – äußerlich unverändert! – auf die Erfüllung seiner Bestimmung wartet.

Ein herzliches Wuff,
Ihre Brilli Paralia

Brillis Elektro Post

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