Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger
5. Mai
Die Vereinigung „Recht auf ordentlichen Käse“ hatte für heute zu einer Demonstration aufgerufen. Bereits zu Mittag fanden am Mariahilfer Platzl unter dem A-Ständer des Kebab-Hauses die ersten Kundgebungen statt. Einige Teilnehmer schwenkten Fahnen in Form von Emmentaler-Scheiben, andere trugen Transparente mit der Aufschrift „Kein Aufschlag auf Roquefort“, „Quo vadis, Quargel?“ und „Wir lassen uns keinen Topfen als Hartkäse vormachen“. Nach jeder Ansprache folgte eine Mischung aus stürmischem Applaus, schrillen Pfiffen und Musikfetzen. Um circa 14.00 Uhr setzte sich der Mäuse- und Rattenzug Richtung Mauseumsquartier1 in Bewegung, wo die Abschlusskundgebung stattfinden sollte. Dass Erwin ebenfalls mit dabei war, wunderte mich überhaupt nicht, aber dass auch Elsbeth …?
Bericht und Ergänzung von Frau Elsbeth: Worin Erdnussflips beinahe einen schweren Unfall auslösen und die Fillgraderstiege sich als hervorragender Kundgebungsort erweist.
Die Überraschung stand Herrn Leopold buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Selbstverständlich waren wir bei dieser Demonstration dabei. Erwin und ich hatten dafür im Vorfeld eine Arbeitsgruppe gebildet. Eine sehr kleine Arbeitsgruppe. Sie bestand aus Erwin und mir. Seine Überlegung war, bei der Veranstaltung auch auf die städtische Wohnungsmiesere von Ratten und Mäusen aufmerksam zu machen. Zuerst war ich nicht überzeugt von seiner Idee. Würden andere sein Anliegen überhaupt verstehen? „Wir lassen uns keinen Topfen als Hartkäse vormachen“ – der Spruch war von Erwin, und er war symbolisch gemeint. „Ich will damit zum Ausdruck bringen, dass die Verantwortlichen endlich ihr Versprechen, allen Nagern eine würdige Unterkunft zur Verfügung zu stellen, erfüllen sollen.“ Sein Enthusiasmus war nicht zu bremsen. „Noch immer“, so seine Begründung, „hausten zu viele wie die Ratten in ihren Löchern.“ 2 Meine letzten Zweifel am Gelingen konnte er nicht ausräumen, aber wenn Erwin sich in einen Plan verbissen hatte …
Die Mariahilfer Straße wimmelte an diesem Nachmittag einmal mehr vor Menschen, die an Auslagen vorbeihasteten, in Geschäfte hineinhuschten und aus Geschäften herauseilten, einander anrempelten, Einkaufstaschen gegen fremde Schienbeine knallten. Das Gewurrle und Durcheinander kam uns sehr zugute. Niemand nahm Notiz von uns, die wir in geordneten Reihen rasch die Gehsteigkante entlangmarschierten. Sogar die Hunde, die von ihren Besitzern in diesem Trubel mitgeschleift wurden und wegen der vielen hektischen Menschenbeine sehr gestresst waren, ignorierten uns. Lediglich auf Höhe der Haydnkirche kamen zu einem kleineren Zwischenfall. Zwei weiße Hausmäuse wurden fast von einer Packung Erdnussflips getroffen, die einem kleinen Kind aus der Hand geglitten war. Zum Glück waren die zwei unverletzt geblieben.
Beim Aufprall war allerdings die Verpackung aufgeplatzt, Erdnussflips quollen daraus hervor, verteilten sich auf dem Gehsteig, rollten in die Gruppe der Demonstrierenden. In dieser Situation war sogar Erwin die Lust aufs Naschen vergangen. Das Menschkind brüllte los, wollte die Knabbereien vom Boden aufheben und in den Mund stopfen, was die Eltern ebenfalls lautstark zu unterbinden versuchten, das Menschenkind brüllte noch lauter. Wir nutzten diesen Tumult, entfernten uns rasch und konnten unsere Demonstration ohne weitere Störung fortsetzen.
Am Fuße der Fillgraderstiege, im „Mauseumsquartier“, verliehen die Sprecherinnen und Sprecher der einzelnen Gruppen ihren Forderungen nochmals Nachdruck. Sie dampften die Inhalte rhetorisch ein. Was blieb war: Käse, Käse, Käse.
Und die Ratten und Mäuse werden wohl auch weiterhin in ihren Löchern hausen.
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1 Das „Mauseumsquartier“, errichtet auf dem Areal eines ehemaligen Autoparkplatzes am Fuße der Fillgraderstiege, bietet heute, eingebettet in eine großzügige Parklandlandschaft aus rotem Sonnenhut und Storchenschnabel, kulturelle und kulinarische Unterhaltung für Mäuse jeden Alters.
2 Erwins spätere Einsicht: „Zu dumm nur, dass die versteckte Botschaft von den meisten nicht verstanden wurde.“
Fortsetzung folgt am 16. Juni 2015.
Alle bisherigen Abenteuer mit Herrn Leopld finden Sie hier.
Beiträge vor einem Jahr:
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