Archiv für März 2016

10 Jahre TARANTEL

Mittwoch, 30. März 2016

Drei gute Gründe um der „TARANTEL“ – Monatszeitschrift für Kultur von Unten im WERKL im Goethehof zum 10. Geburtstag zu gratulieren und gemeinsam zu feiern.

Wann: Donnerstag, 7. April 2016, 19 Uhr
Wo: Schüttaustraße 1, 1220 Wien

1. „HERZBLUT“

Werner Lang feiert Geburtstag und präsentiert sein neues Buch „Herzblut“.

2. „DER WIENER KREIDEKREIS“

Auch Alexander Weiss ist ein Jahr älter geworden und stellt sein Buch „Der Wiener Kreidekreis“ vor.

3. „6000 NÄCHTE LÄRMEN DES ALLOTRIA“

Außerdem: Buchpräsentation Eugen Bartmer „6000 Nächte lärmendes Allotria“ – Vorletzte Erzählungen

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

Dienstag, 29. März 2016

Notizen und Aufzeichnungen aus Wien-Mariahilf

Herr Leopold Portraet28. August
Theophilus hat sich nach dem Unfall sehr gut erholt. Bereits heute war er munter und fidel.

30. August
Gestern ist er abgereist. Frau Elsbeth und Erwin versuchen, mich aufzuheitern. Ein netter Versuch. Ein schwacher Trost.


1. September

Die Kornkreiswiese und der Höllenwald: weg. Abgeholzt, niedergemäht. Zinnien, Korn- und Mohnblumen, Wicken, Steinklee, alles weg. Lediglich ein paar Sonnenblumen halten noch wacker die Stellung.

10. September
Ein Tag zum Mäusemelken. Es regnet ohne Ende. Die vom Sommer ermatteten und wie Papier knisternden Malvenblätter sehen aus wie schmutziges Papiermaché, das jemand an die Stängel geklebt hat.

12. November
Ich rieche den kommenden Schnee.

15. November
Ich werde ans Meer fahren. Ans richtige Meer!

***
Hier enden die Eintragungen von Herrn Leopold.

Abschließend eine editorische Notiz von Petra Öllinger

Die Serie „Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger“ versammelt Herrn Leopolds sämtliche Aufzeichnungen, die er von April bis November zu Papier brachte. Die Eintragungen erfolgten in unregelmäßigen Abständen. Täglichen Aufzeichnungen folgten Pausen von mehreren Tagen, oft sogar von ein, zwei Wochen.

Weitere Tagebücher, Notizen, Briefe, Postkarten usw. konnten in der Wohnung von Herrn Leopold nicht gefunden werden. Es ist möglich, dass sich diese Quellen an anderen Stellen befinden, die allerdings bis dato weder von Theophilus Makadamia noch von mir gefunden wurden und somit dieses Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Die Übersetzung spezieller Begriffe aus dem Mausischen – zum Beispiel für Bierkäse – wurden dem Wörterbuch „Was sagt die Maus? Übersetzen für Fortgeschrittene“ von Professorin Doktorin Mechthild Scheiblett entnommen. Die Orthografie sowie die Interpunktion orientiert sich im übersetzten Text an der Menschensprache. Eine besondere Herausforderung boten jene Stellen, in denen Herr Leopold das Ableben vom Einäugigen Erwin schildert. Einige Zeichen waren an teilweise wichtigen Stellen (befand sich hier ein Knöllchen am Silbenästchen, war ein Silbenbogen kurz, viertel- oder halbkurz gefasst?) zerlaufen. Sie konnten jedoch anhand des übrigen Inhaltes zumindest sinngemäß erschlossen werden.

Theophilus und ich kamen nach längeren Diskussionsprozessen zu dem Entschluss, inhaltliche Leerstellen und Ungereimtheiten in Herrn Leopolds Aufzeichnungen durch Gespräche mit den Hauptnagern so weit als möglich zu klären. Eine weitere Herausforderung stellte die Suche nach dem Einäugigen Erwin dar. Weder kannten Frau Elsbeth noch Theophilus seinen Wohnort, noch fanden sich in Herrn Leopolds Notizen exakte Hinweise darauf. Unsere Vermutung, der Einäugige Erwin müsse im Bereich des ehemaligen Ratzenstadls wohnen (Herrn Leopolds Notizen deuteten dies an einer Stelle kurz an), entpuppte sich als richtig, wobei uns, zugegebenermaßen, auch „Kommissar Zufall“ zu Hilfe gekommen ist.

Der Einäugige Erwin erklärte sich sofort zur Mitarbeit bereit, ebenso Frau Elsbeth. Die Gespräche wurden auf Mausisch geführt. Frau Doktorin Scheiblett unterstützte mich bei der Transkription der aufgezeichneten Gespräche und deren Übersetzung.

Alle Abenteuer finden Sie hier.

Und nun ist wirklich Schluss.

Tagung an der FHWien der WKW: „Schreiben an Hochschulen“

Mittwoch, 23. März 2016

Am 14. April 2016 findet zum 3. Mal eine Tagung zum Thema „Schreiben an Hochschulen“ statt.
Ort: FHWien der WKW, Währinger Gürtel 97, 1180 Wien.
Uhrzeit: 08.30 bis 18.00 Uhr
Teilnahmegebühr: Euro 110,- (inkl. Mittagessen und Catering in den Pausen).

Unter dem Titel „Vom wissenschaftlichen zum beruflichen Schreiben“ sollen bereits erprobte und neue Methoden sowie Konzepte vorgestellt werden, um akademische und professionelle Schreibkompetenzen zu entwickeln, anzuleiten und zu fördern.

In insgesamt 12 Workshops (3 Parallel-Sessions) wird dabei beispielsweise folgenden Fragen nachgegangen:

* Wie kann wissenschaftliches und berufliches Schreiben optimal gefördert werden?
* Welche Kompetenzen benötigen Studierende für das Schreiben im Studium und im Beruf?
* Gibt es Unterschiede zwischen diesen Schreibkulturen?
* Welche Hilfestellungen können in der Lehre gegeben werden, um Studierende auf das Schreiben im Studium/Beruf vorzubereiten?

Ulrike Scheuermann wird als Key-note Speakerin über „Sich beim Denken zusehen: Schreibdenken als pragmatisches Werkzeug für Studium und Beruf“ referieren und ihre Expertise über Schreiben als Werkzeug für tiefgehendes Denken, nachhaltiges Lernen, fokussiertes Selbstcoaching und inspirierende Lehre teilen.

Die Tagung richtet sich an alle Fachhochschul- und Universitäts-Lehrende, die wissenschaftliches Arbeiten anleiten und an einer Erweiterung ihres Methoden-Repertoires sowie am Austausch mit KollegInnen interessiert sind.

Das ausführliche Tagungsprogramm und weitere Infos zur und rund um die Tagung.

Die Enteignung der Massen. Ein EU Projekt

Samstag, 19. März 2016

Erste Vorlesung der Volksakademie mit Reinhold Sturm

Eine kritsche Auseinandersetzung mit der Politik der EU

Beschleunigt werden auf allen Ebenen („europäisch“, staatlich, regional und kommunal) durch angebliche „Sachzwänge“ begründete Verschlechterungen des Lebensstandards – nicht nur der „Unter-„, sondern auch der „Mittelschichten“ – propagiert und durchgesetzt. Seit der Jahrtausendwende sinken die Realeinkommen. Dies hat nichts mit (Wirtschafts-, Griechenland- oder Flüchtlings-) „Krisen“ zu tun, sondern ist originäres Projekt des Klassenkampfes von oben. Reinhold Sturm

Zeit: Dienstag, 22.3.2016, 18.30
Ort: Projektraum MAG 3, Schiffamtsgasse 17, 1020 Wien
Erreichbar über U2 Taborstrasse oder U4 Schottenring (Ausgang U2 Herminengasse)
Veranstalter: Volksakademie in Kooperation mit webbrain und MRP (Menschenrechtspartei)

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

Mittwoch, 16. März 2016

Notizen und Aufzeichnungen aus Wien-Mariahilf

Herr Leopold Portraet27. August

Ich hätte Theophilus niemals von der zersausten Frau und ihrer Harmlosigkeit erzählen dürfen!
Heute am Vormittag schob sie ihren vollgepackten Kinderwagen die Fügergasse entlang. In Windeseile war er auf einen Reifen, dann an einer Stange hochgeklettert und anschließend zwischen braunem und schwarzem Plüsch verschwunden. Ich vernahm noch ein „Juhu!“ aus der Mitte der Bärengruppe, schon war die Frau ums Eck in die Millergasse gebogen. Was dann passierte, jetzt noch zittern mir die Pfoten und flattert mein Herz, war eine Spritztour des Grauens. Der Kinderwagen schlingerte plötzlich führerlos die Gasse hinunter. Und ich raste hinterher. Nicht schon wieder Ärger, dachte ich und verfluchte das Gefälle zwischen Mariahilfer Straße und Wiental, das bewirkte, dass der Kinderwagen an Geschwindigkeit zulegte.
Obwohl er mich zwischen all den Teddybären bestimmt nicht hören konnte, brüllte ich: „Theophilus! Theophilus!“
Wie nur konnte der Wagen gestoppt werden? Der zischte vorbei am Minna-Lachs-Park, vorbei an der großen Platane am Oskar-Werner-Platz. Was folgte, war ein fürchterlicher Knall. Metall schrammte über Plastik. Irgendwo machte es „Ploing“, dann war es mucksmäuschenstill. Atemlos traf ich am Unglücksort ein. Ich schloss die Augen, ich war der Ohnmacht nahe.
Als ich sie wieder öffnete, bot sich ein, nun ja, eigenartiges Bild. Kurz vor der Liniengasse war der Kinderwagen in ein mobiles Klo-Häuschen gedonnert und so zum Stehen gekommen. Die blaue Klotüre war tief eingedellt, der Kinderwagen hatte sein linkes Vorderrad verloren und stand völlig schief. Als ich nach oben blickte, sah ich, wie zwei mir sehr bekannte, behaarte Ohren langsam zwischen den Plüschbären auftauchten. Dann kam ein Kopf zum Vorschein und schließlich zeigte sich der ganze Theophilus. Er stieg, zwar etwas ramponiert, jedoch völlig unverletzt, vom Kinderwagen herab, kletterte über eine Pommes-frites-Gabel, drei originalverpackte Karamellbonbons sowie einen Kugelschreiber mit rosaroten Federn – all das war durch den Aufprall aus dem Korb katapultiert worden –, lächelte seltsam und murmelte: „Hallo, mein Name ist …“
Dann fiel er um.

Nachtrag – 21.33 Uhr: Die Plüschbären dürften beim Aufprall das Schlimmste verhindert haben. Doktor van Keehs schaute am Abend vorbei und meinte, zwei Tage Bettruhe und Theophilus sei wieder fit. Hoffentlich, denn in zwei Tagen muss Theophilus – zu meinem großen Bedauern – wieder nach Hause fahren.

Fortsetzung folg am Dienstag, 29. Mär 2016.

Alle bisherigen Abenteuer finden Sie hier.

Elternferne in der Kinder- und Jugendliteratur und kindgerechtes Sprachlernen

Mittwoch, 9. März 2016

Eine moderierter ExpertInnen-Talk im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wertigkeiten der Bildung“.

„ … Sobald du meiner bedarfst und du bläst auf dieser Kupferpfeife, die ich dir gebe, so werde ich immer da sein, dir zu helfen; lass mich nur frei! So oft du meiner bedarfst, blase nur, und ziehe dieses Kupfergewand an …“

Das ungarische Volksmärchen „Das Kupfer-, Silber- und Goldgestüt“ handelt von einem „halbnärrischen“ Jugendlichen, der auf einen Strohhaufen aufpassen soll. Anders als seine überheblichen Brüder bewältigt er die Aufgabe nicht nur dadurch, dass er achtsam gegenüber der Natur ist – auch entkommt er der familiären Situation.

Von spielerisch vermittelten Kultur- und Sprachkompetenzen und elternfernem Lernen in der Kinder- und Jugendliteratur erzählen uns MMag.a Barbara Koncsek (ungarische Germanistin, Deutschlehrerin und Mitgründerin von „Sprach Camp Austria“) und Mag.a Sophie Blauensteiner, B.A. (österreichische Soziologin und mit Auszeichnung graduierte Germanistin zum Thema der Elternlosigkeit in der Kinder- und Jugendliteratur).

Eine Veranstaltung des „Wiener Bücherschmauses – Verein für Leseförderung und Buchkultur“ in Kooperation mit der ABSOLVENTENAKADEMIE, „Zitier-Weise, Agentur für Plagiatprävention“ und der Kultur- und Wissenschaftsinitiative „Duftender Doppelpunkt“.

Zeit: Montag, den 14.03.2016 – Beginn um 18.00 Uhr pünktlich (Anmeldung nicht erforderlich)

Ort: Buchhandlung „Wiener Bücherschmaus“, Garbergasse 13 (Ecke Mittelgasse am Oskar-Werner-Platz) – 1060 Wien

Kostenbeitrag: 8,00 Euro pro Person – geht zu 100 % als Spende an den Verein und somit direkt in die Leseförderung!

RETROSPEKTIVE 10 JAHRE MAG3

Donnerstag, 3. März 2016

Präsentationen von Bild-, Klang-, Film- und Medienarbeiten aller bisher im Projektraum MAG3 an den Ausstellungen und Installationen beteiligten KünstlerInnen (2006-2015).

Eröffnung + Video-Filmpräsentation: Mi., 09.03.2016, 19:00 Uhr
Zur Ausstellung: Gue SCHMIDT

Dauer: 10.03. – 01.04.2016 | 17:00-20:00 Uhr

MAG3:Schiffamtsgasse 17, 1020 Wien. (Erreichbar über U2 Taborstraße oder/und U4 Schottenring Ausgang U2 Herminengasse). PHONE: +43 676 3409218 EMAIL: MAG3@MUR.AT

10 Jahre MAG3 Die Präsentation umfasst den 10-jährigen Zeitraum seit Gründung des Projektraums MAG3 im Jahr 2006; deren thematischer Bezug, der schon seit Anbeginn des Bestehens von MAG3 verfolgt wird, lässt sich wie folgt beschreiben:

Nur in der Kunst hat die bürgerliche Gesellschaft die Verwirklichung ihrer eigenen Ideale geduldet und sie als allgemeine Forderung ernst genommen. Was in der Tatsächlichkeit als Utopie, Phantasterei, Umsturz gilt, ist dort gestattet. In der Kunst hat die affirmative Kultur die vergessenen Wahrheiten gezeigt, über die im Alltag die Realitätsgerechtigkeit triumphiert. Das Medium der Schönheit entgiftet die Wahrheit und rückt sie ab von der Gegenwart. Was in der Kunst geschieht, verpflichtet zu nichts. Sofern solche schöne Welt nicht überhaupt als längst vergangene dargestellt wird, wird sie, eben durch den Zauber der Schönheit, entaktualisiert. Im Medium der Schönheit durften die Menschen am Glück teilhaben. Aber auch nur im Ideal der Kunst wurde die Schönheit mit guten Gewissen bejaht, denn an sich hat sie eine gefährliche, die gegebene Gestalt des Daseins bedrohende Gewalt. Die unmittelbare Sinnlichkeit der Schönheit verweist unmittelbar auf sinnliches Glück. Der entscheidende Charakter der Schönheit ist, Lust zu erregen: Lust ist nicht nur eine Begleiterscheinung der Schönheit, sondern konstituiert ihr Wesen selbst. (H.M.)

Unter den insgesamt 23 Positionen befinden sich Medien-, Klang und Spracharbeiten, Installationen und Filmprojekte, sowie Werke der bildenden Kunst.
Weiters wird ein Videofilm von Fritz FRO präsentiert, worin alle Ausstellungen, Installationen, Performances und Projekte, die bisher im projektraum MAG3 gezeigt wurden, quasi im Zeitraffer nachvollzogen werden können; der Videofilm hat eine Dauer von ca. sieben Minuten.

Die einzelnen in der Ausstellung präsentierten Werke stammen von: Nora BACHEL (A), Gottfried BECHTOLD (A), Gustav BÖHM (A), Osvaldo CIBILS (ROU), Felipe EHRENBERG (MX), Josef FLOIS (A), Fritz FRO (A), Romana HAGYO (A), Leon HAINZL (A) Gertraud HASSELBACH (GER), Maria HUBINGER (A), Francisco KLINGER CARVALHO (BR), Thomas KUSCHNY (A), Werner LANG (A), Silke MAIER-GAMAUF (A), Adriana MARMOREK (CO), Assunta ABD El AZIM MOHAMED (A), Helga PETRAU-HEINZEL (A), Claudia PLANK/ Hans Werner POSCHAUKO (A), Tulio RESTREPO (CO), RHIZOM (A), Christiane SPATT (A), Edgardo Antonio VIGO (RA) und mir.

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

Dienstag, 1. März 2016

Aufzeichnungen und Notizen aus Wien-Mariahilf

Herr Leopold Portraet26. August

Heute in der Früh war die Wohnungstüre blockiert. Ein riesiges Auge füllte den Türrahmen und starrte ins Vorzimmer. Die Äderchen im Augapfel sahen aus wie dicke rote Schnüre. Nachdem sich Theophilus vom ersten Schock erholt hatte, konnte ich ihn nur mit Mühe davon abhalten, dem Auge eins aufs Auge zu geben.
Ich kenne dieses Auge. Es war mittlerweile mehrmals zu Besuch bei mir. Nun, Besuch ist übertrieben. Das Auge hatte hin und wieder einen kurzen Blick in meine gute Stube geworfen. Das Auge gehört der Frau mit dem zersausten Haar. Beinahe täglich schiebt sie einen Kinderwagen, vollgepackt mit ebenso zersausten Teddybären und anderen Seltsamkeiten, vorbei an meiner Haustüre.
„Und das Auge schaut hin und wieder bei dir herein?“, fragte Theophilus, sein zweifelnder Unterton war nicht zu überhören.
Ich versicherte ihm, das Auge, also die Frau sei völlig harmlos. Zugegeben, ich selbst war bei unserer ersten Begegnung – ich erinnere mich sehr gut daran – zu Tode erschrocken. In der Zwischenzeit hat sich allerdings so etwas wie gute Nachbarschaft zwischen uns ergeben. Sie brüllt nie wie am Spieß, wirft nicht mit Dingen nach mir oder sucht das Weite, wenn sie mich sieht.
Theophilus drehte sich um und wollte nochmals in die Pupille schauen, da war das Auge bereits verschwunden.

Porträt von Theophiuls MakadamiaBericht und Ergänzung von Theophilus: Worin Herr Leopold zum ersten Mal der Frau mit den zersausten Haaren begegnet, er gegen sein Prinzip handelt und über eine seltsame Erscheinung in der Wohnungstüre erschrickt.

Ah ja, die Frau mit den zersausten Haaren. Nachdem ich mich von meinem ersten Schrecken – nicht alle Tage trifft man auf ein Auge im Türrahmen – erholt hatte, erzählte mir Onkel Leopold über seine erste Begegnung mit der Frau. Das Erlebnis erschien mir außerordentlich kurios, ich bat Onkel Leopold, seinen Bericht aufzeichnen zu dürfen 1.

Das Gespräch mit Onkel Leopold, transkribiert und übersetzt aus dem Mausischen.

Onkel Leopold: Ich war auf dem Weg vom Malvenhain nach Hause, wollte die Fügergasse überqueren, da saß sie auf der Gehsteigkante neben einer schwarzen Mülltonne. Anscheinend hatte sie deren gesamten Inhalt fein säuberlich neben sich aufgereiht: einen blau gepunkteten Badezimmerteppich, ein Puppenbett, zwei Kochtöpfe, einen Suppenlöffel, fünf Styroportassen und einen Brotkasten aus Holz. Was die Menschen alles wegwerfen! Jeden Gegenstand nahm sie in die Hand, betrachtete ihn von allen Seiten. Was sie brauchen konnte, stopfte sie in den Kinderwagen, der andere Kram wanderte zurück in die Tonne. Sie saß mit gebeugten Rücken zum Eingang meiner Wohnung. Über ihrem Kopf leuchtete das mit roter Farbe auf die Wand gepinselte Wort „ankerbande“.
Wie konnte ich an ihr vorbei, ohne von ihr gesehen zu werden, ohne Gefahr zu laufen, gejagt und vielleicht sogar gefangen zu werden? Ich weiß nicht, wie lange ich sie beobachtete. Da! Plötzlich schaute sie in meine Richtung. Ich erschrak. Was, wenn sie mich auch in ihren Kinderwagen stopfte? Oder, noch schlimmer, in die Mülltonne? So einen Blick habe ich bei Menschen noch nie gesehen, wenn sie meiner ansichtig wurden.
Theophilus: Und du hattest überhaupt keine Angst?
Onkel Leopold: Na, und wie! Schon wollte ich die Flucht ergreifen. Aber bei der Frau: Keine Spur von Furcht oder Ekel, vielmehr lag etwas Fiebriges in ihren Augen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, dann widmete sich die Zersauste wieder dem Müll.
Ich nahm allen Mut zusammen, straffte Ohren und Schnurrhaare, richtete meinen Schwanz pfeilgerade nach hinten und rannte los. Ohne auf den Verkehr zu achten – ich hätte tot sein können, plattgewalzt von einem Auto –, raste ich über die Fügergasse zum Hostel und versteckte mich hinter einem der blaugestrichenen Pflanzentröge, die links und rechts vor dem Eingang stehen.
Theophilus: Die Frau hat dich gar nicht bemerkt?
Onkel Leopold (lacht): Eine gute Frage, Bub. Ich weiß es nicht. Zwar war ich nun aus dem Blickfeld der Frau verschwunden, doch da vernahm ich aufgeregtes Gegacker und Gekichere. Keine Sekunde zu früh konnte ich mich in den Spalt zwischen Trog und Hausmauer quetschen. Menschen traten aus dem Gebäude und blieben vor dem Eingang stehen. Und dann …“
(Eine kurze Pause, ein tiefer Atemzug ist zu hören.) Oh nein, denke ich, hoffentlich hat mich niemand gehört. Ein großer Zeh mit schwarzen Härchen war vor dem Spalt stehengeblieben. Ich wich ein Stück zurück. Würde ich auf der anderen Seite hinausschlüpfen und fliehen können? Doch auch dieser Fluchtweg war blockiert, durch eine weiße Schuhspitze. In meiner Panik fühlte ich den Blumentrog immer näher kommen, sah mich von ihm gegen die Hauswand gepresst und zerquetscht werden. Und dann tat ich, was ich in meinem ganzen Leben noch nie getan hatte.
(Es folgt eine längere Pause. Im Hintergrund ist das Ticken einer Uhr zu hören.) Ich biss zu!
Theophilus (hörbar entsetzt): Du hast zugebissen? Du hast in den Schuh gebissen?
Onkel Leopold: Ach was, in den Schuh! Da hätte ich mir doch alle Zähne ausgebissen. In den Zeh! Glaub mir, es gibt kaum etwas Ekelhafteres als ein Zeh mit schwarzen Härchen drauf.
Theophilus: Und wie schmeckt so ein Zeh?
Onkel Leopold: Schlimmer als alles zusammen, was Erwin je an Essbarem, besser gesagt, nicht mehr Essbarem herangeschleppt hat. G r a u e n h a f t! SCHEUSSLICH! Aber das Opfer hatte sich gelohnt. Sofort brach ein lautstarker Tumult aus. Turnschuhe trampelten umher, Flip-Flops klatschten auf den Asphalt, Sandalen hüpften auf und ab. Es gab ein „Iiiih!“ und ein „Qu‘est que c’est?“ und ein „Merde!“ Noch bevor jemand auf die Idee kam, hinter dem Blumentrog nachzusehen, raste ich zwischen den Füßen hindurch zu meiner Wohnung. Da hatte mich bereits ein Mann entdeckt, brüllte „La, regardez, une marte 2 !“, und eilte mir nach, gefolgt von zwei weiteren Männern. Was für ein Spektakel!
Noch immer saß die zersauste Frau am Gehsteigrand. Was jetzt passierte … (man hört Herrn Leopold tief durchatmen, es folgt eine längere Pause), … sie wandte sich um zu mir, ich spürte, wir das Herz in meine Hose rutschte. Ich war verloren! Links die Touristen, rechts die Zersauste. Die griff sich eine Pfanne, die neben ihr lag, hob sie hoch und ließ sie mit einem ohrenbetäubenden Scheppern auf den Gehsteig fallen. Wie versteinert blieben die drei Männer stehen. Das war meine Chance. In Windeseile huschte ich zum Eingang. Mit vor Aufregung zitternden Pfoten gelang es mir, die Tür aufzusperren. Ich war in Sicherheit. Jedoch! Himmel nochmal, was für ein Unglück. Ich wollte die Türe schließen, da war plötzlich dieses Auge! In der schwarzen Pupille konnte ich meine zitternden Schnurrbarthaare ganz deutlich erkennen, mir selbst wurde auch fast schwarz vor Augen. Schon vermeinte ich eine Hand zu spüren, die mich packte, um mich aus der Wohnung zu zerren und mir den Hals umzudrehen. Theophilus, ich sage dir, ich war einer Ohnmacht nahe. Das ist dein Ende, Leopold, dachte ich.
Aber es kam keine Hand und nichts und niemand versuchte, mir den Garaus zu machen. Bloß ein kurzes heiseres Krächzen, oder war es ein Lachen?, und weg war das Auge. Ich wagte nicht nachzuschauen, wohin es verschwunden war, hörte nur sich entfernendes Stimmengemurmel und französische Satzfetzen.


1: Mit einem Transponder 625X, den Theophilus, wie sollte es anders ein, in seiner Umhängetasche verstaut hatte.
2: Bedauerlicherweise kommt es immer wieder vor, dass Mäuse mit Mardern verwechselt werden. Bei einer Ratte wäre es eventuell noch nachvollziehbar; jedoch bei Mäusen?

Fortsetzung folgt am Dienstag, 15. März 2016.

Alle bisherigen Abenteuer finden Sie hier.