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Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

Dienstag, 4. August 2015

Tagebuchaufzeichnungen und Notizen aus Wien-Mariahilf

Herr Leopold Portraet31. Juli
Herrje, war mein erster Gedanke, als ich den Zettel las, den Theophilus auf dem Küchentisch zurückgelassen hatte. Herrje, herrjemine. Erwin und sich keine Sorgen machen! Das war mein zweiter. Das gibt gewaltigen Ärger, dachte ich als drittes.
Und den gab es dann auch. Als die beiden zurückkehrten, zierte Theophilus‘ Stirn eine riesige Beule und Erwin humpelte mit einer zerrissenen Hose daher. Theophilus erzählte wirres Zeug von Eisernen Jungfrauen und Zuckerln. Wie soll ich diesen Zustand seinen Eltern erklären?

Der post-it Zettel von Theophilus

Abbildung 4: Faksimile der Notiz von Theophilus auf Mausisch, die Herr Leopold in seinem Tagebuch aufbewahrte. Die Nachricht lautet übersetzt: Lieber Onkel Leopold! Ich bin mit dem Einäugigen Erwin im Haus des Meeres.
Mach dir keine Sorgen.

Dein Theophilus.

Einaeugiger Erwin Portraet

Bericht und Ergänzung von Erwin: Worin er sich mit Theophilus auf den Weg zum „Haus des Meeres“ macht, beide in einem nicht vertrauenserweckenden Eingang verschwinden und Unheil in einer Perücke stiften.

Der Kleine soll etwas erleben, denk ich mir. Ich frag ihn, ob er das Meer sehen will. Also, nicht nur schnuppern und Brise um die Ohren wacheln. Er nickt. Ich frag ihn, ob er was Gefährliches sehen will; Drachen und mäusefressende Fische und so was.
Es haut ihn fast aus den Patschen.
Tja, dann reicht die Matrosengasse wohl nicht aus, überleg ich und sag: „Haus des Meeres.“
„Ein Meer in einem Haus?“, fragt der Kleine.
„So in der Art. Lass dich überraschen.“
„Das geht nicht.“
„Was?“
„Wenn du sagst: ‚Lass dich überraschen‘, dann soll ich das Weite suchen.“
„Wer sagt so einen Topfen?“
„Onkel Leopold“, sagt der Kleine.
Hätt ich mir denken können, denk ich.
„Und?“, frag ich.
„Wie bitte?“, fragt der Kleine.
„Suchst jetzt das Weite?“, frag ich.
Er schüttelt den Kopf. Dann geht er in die Küche, krakelt was auf einen Zettel.

Wir also los. Es ist ein langer Hatscher, weil wir müssen nämlich über die Gumpendorferstraße durch den Esterházy-Park, wegen dem Fuchs und dem Esel und dem Ratten-Biber. Und auf dem Weg fragt mir der Kleine Käselöcher in den Bauch. „Gibt’s da wirklich Drachen?“, „Verspeisen diese Fische tatsächlich Mäuse?“, „Ist da wirklich ein Meer in dem Haus?“ und hört einfach nicht mehr auf. Dann endlich stehen wir vor dem Flacksturm und der Kleine ist fürs Erste schmähstad, ich fürcht, er kriegt ein steifes Gnack, wie er den Turm raufstarrt. Und während er so starrt, fragt er: „Wie kommen wir hinein, ohne dass uns jemand bemerkt?“

Ich will sagen „Lass dich über…“, kann mich aber noch rechtzeitig bremsen. Stattdessen sag ich: „Keine Sorge, ich kenn mich aus mit dem Meer. Drüben, hinter dem Gitter, wo sich die Turmstiege befindet, gibt’s einen Geheimgang.“
Und ich hoff, dass nicht wieder ein unnädiges Klumpert davorsteht. Letztens war’s ein riesiger Senfkübel, den hab nicht einmal ich beiseiteschieben können. Zum Glück ist heute alles frei und grad will ich durchs Gitter durch und zum Eingang wieseln, da zieht mich der Kleine am Ärmel und deutet auf was hinter uns. Ich denk noch, bitte nicht, da geht die Fragerei wieder los.
„Was steht da?“
„Keine Ahnung“, grumml ich und will in den Geheimgang.
„Ich denke, du kannst die Menschensprache?“
„Garage“, antwort ich und will in den Geheimgang.
„Das glaub ich nicht. Da sind grausliche Bilder aufgemalt. Das ist sicher keine Garage. Erwin, was steht da?“
Ich merk, dass es keinen Sinn hat, den Kleinen zu beschwindeln oder zu ignorieren, also sag ich, und hoff, dass die Antwort reicht, um da nicht runtersteigen zu müssen: „Foltermuseum.“
Jetzt blinkt’s und funkelt’s in den Augen von dem Kleinen. „Können wir nicht zuerst da hingehen?“
Und ich steh da, die linke Pfote auf dem Türgriff der geheimen Eingangstür, die rechte Pfote wird mir von einem Dreikäsehochjungmäuserich fast ausgerissen, weil der mich in Richtung von diesem Museum zerrt. Ich versuch’s noch mit dem Hinweis auf die Drachen im Haus des Meeres, aber die Folter siegt.
„Gut, wennst willst. Aber nicht, dass du dich danach beklagst, weil’s so gruselig war.“
Und schon stehen wir vor dem Eingang. Naservas. Der wirkt, ich geb‘s zu, nicht gerade vertrauenserweckend. Ein steile Stiege führt ins Schummrige, fast Dunkle. Bereits von oben hören wir ein Jammern und ein Klagen. Ich seh schon vor mir, wie es dem Kleinen das Fell sträubt, und will ihm erklären, dass das Gesudere nur vom Tonband kommt. Aber nix. Kein gesträubtes Fell, keine zitternden Schnurrbarthaare, keine flatternden Ohren. Wir klettern also über die hohen Stufen runter ins Schummrige, fast Dunkle. Und noch immer nix. Kein gesträubtes Fell, keine zitternden Schnurrbarthaare, keine flatternden Ohren. Im Gegenteil. Der Kleine ist begeistert und huscht gleich zur Eisernen Jungfrau und von der Eisernen Jungfrau zum Grillrost und vom Grillrost weiter in die Ecke mit den Kneifzangen und Daumenschrauben. Er hantelt sich an der Hose und der Jacke von einem Folterknecht aus Wachs hoch und springt auf dem seine Schulter. Zuerst komm ich ihm fast nicht nach. Schließlich gelingt‘s mir allerdings doch. Beide sitzen wir jetzt auf der Schulter eines ganz üblen Burschen.

Wie es weitergeht, erfahren Sie schon nächste Woche am 11. August 2015.
Alle bisherigen Abenteuer finden Sie hier.

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

Dienstag, 28. Juli 2015

Tagebuchaufzeichnungen und Notizen aus Wien-Mariahilf

Herr Leopold Portraet19. Juli
Anruf von meinem Bruder Arthur. Er fragte, ob Theophilus für eine Woche zu mir auf Besuch kommen könne. „Seine Schnurrbarthaare sollen ja auch mal Großstadtaroma schnuppern.“
Lachte dabei wie ein Walross. Ich befürchte, ich kann nicht ablehnen.

21. Juli
Arthur meldete sich heute nochmals und fragte, ob Theophilus eventuell zwei Wochen bleiben könne.
Was hätte ich antworten sollen …

24. Juli
Morgen also kommt mein Neffe Theophilus, um mich für drei Wochen zu besuchen.
Man kann sich seine Familie nicht aussuchen.

25. Juli
Den ersten Tag gemeinsam mit einem jungen Mäuserich bewältigt.
Theophilus scheint ein sehr gut erzogenes, braves Kerlchen zu sein.

Na wenn Herr Leopold sich da nicht täuscht.

Um Sie nicht allzu lange auf die Folter zu spannen, folgt bereits kommende Woche, am 4. August das erste Abenteuer mit Theophilus.

Alle bisherigen Erlebnisse finden Sie hier.

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

Dienstag, 14. Juli 2015

Tagebuchaufzeichnungen und Notizen aus Wien-Mariahilf

Herr Leopold Portraet16. Juni
Jetzt ist abermals etwas passiert! Dieses Mal ist in der Laimgrubenkirche ein Feldhamster ins Weihwasserbecken gestürzt. Während der Besichtigung hatte sich der Hamster von der Gruppe entfernt und ist hinaufgeklettert.
Hedwig, eine Cousine von Elsbeth, sie wohnt in der Kirche, war Augenzeugin dieses Vorfalls und hat ihr davon erzählt. Mich wundert, dass davon nichts in der Zeitung stand.1 Befürchtet man Nachahmer?

17. Juni
Eine leichte Nordwestwind-Strömung hat aus dem Wiener Umland ländliche Gerüche nach Mariahilf gebracht. Vor meiner Haustür in der Fügergasse riecht es nach Dung. Ich hole tief Luft und fühle mich ein bisschen wie auf dem Land.


30. Juni

Ich erzählte Elsbeth von meinen Dufterlebnissen. Das kostete ihr nur ein müdes Lächeln. In ihrer Stadtwohnung in der Windmühlgasse 2 sei es damit vorbei, seitdem ihr neuerdings der Auspuff eines Busses in regelmäßigen Abständen die Abgase in ihre Wohnung blase. Elsbeth klang sehr verzagt, so kenne ich sie gar nicht. Das Menschenhaus selbst sei ja wunderhübsch, die Eingangstüre renoviert und neu gestrichen, jedoch brösle zunehmend Erde, Laub und Kehricht über das Abstreifgitter durch ihre Wohnzimmerdecke. „Und wenn der Bus dann durchfährt, ach …“, winkte sie ab. Sie werde heuer wohl etwas früher in ihr Sommer-Landhäuschen in die Magdalenengasse übersiedeln. Gute Idee. Elsbeths städtisches Domizil ist für meinen Geschmack sowieso zu futuristisch. Flachbauweise, darüber ein Abstreifgitter und erst die Eingänge! Zwölf Röhren – für jeden Mieter eine – führen im Abstand von 1 Groß-Pfot in das Innere. Ich könnte nie so Röhre an Röhre mit anderen wohnen.
Mir persönlich gefällt ihr Salettl dort hinter dem Lattenzaun unter dem Kastanienbaum sowieso besser.


1: Hier irrte Herr Leopold. Das Ereignis fand Erwähnung in einer Kurzmeldung sowohl im Wochenblatt „Mäusepostille“ (Nummer 23, 5. Jahrgang) als auch in „ratzfatz“ (Ausgabe vom 2. Juli). In beiden Blättern wird explizit darauf hingewiesen, dass die zwei Vorfälle, jener mit der Haselmaus aus Dortmund und jener mit dem Feldhamster – er stammt übrigens aus Hasenleiten in Simmering und unternahm an diesem Tag mit seinem Kulturverein einen Tagesausflug nach Mariahilf –, nicht in Zusammenhang stünden. Tatsächlich fand seit diesem Tag auch kein (Beinahe-)Unfall dieser Art mehr statt.
2: Eine Bestandsaufnahme vor Ort macht deutlich: Die nur wenige Zentimeter über dem Gehsteig liegenden Wohnungen sind nicht nur für Belastungen durch Feinstaub und CO2 prädestiniert, sondern auch für Verschmutzungen durch Zigarettenstummel, Wurstpapiere, Rotz und Schlimmeres.


Die Fortsetzung folgt am 28. Juli 2015.

Alle bisherigen Abenteuer finden Sie hier.

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

Dienstag, 30. Juni 2015

Tagebuchaufzeichnungen und Berichte aus Wien-Mariahilf

Der Literaturspaziergang mit Herrn Leopold führte die TeilnehmerInnen u.a. in die Matrosengasse. Lesen Sie heute, welche Bedeutung diese Gasse für Herrn Leopold hat.

Herr Leopold Portraet24. Mai
Das Meer und die weite Welt, alles bei mir um die Ecke. Diese Brise! Wenn sie zart – zugegeben, hin und wieder gibt’s einen veritablen Sturm – durch meine Schnurrbarthaare streift, dann die Matrosengasse entlang und die Bürgerspitalgasse hinunter ins Wiental weht, wie wundervoll. Zwei, drei tiefe Atemzüge: Ich komme, Welt! Und wenn ich die Augen schließe und ich dem Automobilverkehr am Gürtel lausche, dann … Nein, nein, was schreibe ich denn da!

Nachtrag – 02:45 Uhr: Nach der Rückkehr von meinem Ausflug ans Meer eine böse Überraschung erlebt. Schon wieder waren das Vorzimmer und die Küche drei Millimeter hoch überflutet. Zweibeiner? Vierbeiner? Jedenfalls hatte jemand eine sehr volle Blase. Und die musste ausgerechnet – und das bereits zum dritten! Mal – vor meiner Wohnungstür entleert werden? Um halb drei Uhr morgens war ich endlich fertig mit Aufwischen und Möbelschleppen. Nachdem letztes Jahr ein kleiner Mensch meinen Küchentisch und die vier Sessel, die ich zum Trocknen auf den Gehsteig gestellt hatte, mit den Worten wegtrug – was heißt wegtrug, bestohlen wurde ich! – „Schau Mami, Möbel für meine Barbie“, muss ich meine nasse Einrichtung in den Malvenhain stellen.
Mit Müh und Not schaffte ich den Tisch vorbei an den drei Mülltonnen und an der Stange mit dem Gacksackerlspender, und nur dank meines präzisen Augenmaßes gelang es mir, anschließend die Möbelstücke neben der Tafel „Hier wird gegartelt“ durch das Metallgitter zu bugsieren. Ich versteckte den Tisch und die Sessel hinter dem Topf mit den Feuerbohnen. Hoffentlich frönen die Menschen nicht ausgerechnet heute und morgen hier ihrer gärtnerischen Leidenschaft. Ich bin erledigt.

Nachtrag – 04:15 Uhr: Ich tippe auf Zweibeiner, ich glaube nicht, dass Hunde Bier trinken.

25. Mai

Ein ganzer Tag im Malvenhain. Um meine Möbel im Auge zu behalten, werde ich jetzt hinübermarschieren und dort den Tag verbringen. Die meisten Menschen beginnen zu schreien, wenn sie eine Maus sehen. Wie würden die sich erst aufführen, sähen sie eine möbelschleppende Maus! Ich muss also bis zum Einbruch der Dunkelheit warten, um meine Einrichtung wieder nach Hause tragen zu können.

Die Fortsetzung folgt am 14. Juli 2015.
Alle bisherigen Abenteuer finden Sie hier.

Literatur-Spaziergang mit Herrn Leopold

Mittwoch, 17. Juni 2015

Herr Leopold PortraetWussten Sie, dass es beim Raimundtheater fliegende, belegte Brötchen gibt? Dass in der Webgasse beim fünften Gingkobaum links hinter den drei Schwammerln der Eingang zum Radiossender FM-AUS liegt?
Erleben und erlauschen Sie mit der 1. Bezirksschreiberin von Mariahilf, Petra Öllinger, fellsträubende Mäuse-Abenteuer von Herrn Leopold und Co. Neue Blicke auf Mariahilf sowie Käseproviant inklusive. Für kleine und große Zweibeiner.

Achtung: Bei Regen entfällt der Spaziergang.

Treffpunkt: vor dem Raimundtheater, Wallgasse 18-20
Datum: Samstag, 20. Juni 2015
Uhrzeit: 14.00 Uhr
Dauer: ca. 1 Stunde
Teilnahme: kostenlos, keine Anmeldung erforderlich

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

Dienstag, 16. Juni 2015

Tagebuchaufzeichnungen und Berichte aus Wien-Mariahilf

Herr Leopold Portraet23. Mai

Wie oft schon habe ich dem Einäugigen Erwin eingebläut, nichts zu essen, was in Regenbogenfarben schillert. Oder seltsam riecht. Oder sich an den Rändern wellt. Oder eingetrocknet ist. Und was macht er? Kommt bei mir vorbei mit einem Extrawurstblatt im Schlepptau, das ständig von einer Regenbogenfarbe in die andere changiert, und seltsam riecht, und sich an den Rändern wellt, und eingetrocknet ist, und fragt mich, ob ich davon kosten wolle! Gefragt hat er genaugenommen nicht. Vielmehr streckte er mir kauend und schmatzend diesen vergammelten Teil entgegen. Mein heftiges Kopfschütteln quittierte er mit einem Schulterzucken. Nachdem er das letzte Stück hinuntergewürgt hatte, bot er an, mich in die weite Welt zu begleiten.
„Da warst du doch länger nicht“, bemerkte er.
Ich lehnte ab. Wenn ich die Luft der weiten Welt schnuppern oder mir die Meeresbrise um die Ohren wehen lassen will, mache ich das alleine, dazu brauche ich Erwin nicht, der dann stets mit seinen Erinnerungen an seine Abenteuer als Schiffsratte prahlt. „Und beim Zweikampf mit dem Kapitän der ‚Mausolos‘ hab ich mein linkes Aug verloren.“ Dazu brauche ich auch seine Bemerkungen nicht wie „Ja, Leo, wir zwei haben‘s immer gewusst: Wien liegt am Meer“ – und haut mir dabei mit seiner Pranke auf die Schulter – oder „Strafft die Segel, der Wind Richtung Wiental ist gerade günstig!“ oder „Schiff ahoi, Leo, und pass auf, dass du nicht vom Kurs in die Matrosengasse abkommst!“.
Er winkte zum Abschied und bog behände in die Millergasse ein; ein Tempo, das man einer so alten Ratte – Erwins Berichten nach, müsste er mindestens dreihundertfünfundsiebzig Jahre alt sein, haha – nicht zutrauen würde. Noch dazu einer Ratte, die ihr linkes Auge im Kampf gegen den Kapitän eines Schiffes verloren hatte, das nach einem persischen Regenten benannt war.
Aber Erwin hatte natürlich recht. Es ist wieder einmal an der Zeit, die Matrosengasse aufzusuchen. Gleich morgen will ich mich auf den Weg machen, denn jeder hat seine urbanen Wunder.

Die Fortsetzung folgt am 30. Juni 2015.

Alle bisherigen Abenteuer finden Sie hier.

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

Dienstag, 2. Juni 2015

Herr Leopold Portraet5. Mai
Die Vereinigung „Recht auf ordentlichen Käse“ hatte für heute zu einer Demonstration aufgerufen. Bereits zu Mittag fanden am Mariahilfer Platzl unter dem A-Ständer des Kebab-Hauses die ersten Kundgebungen statt. Einige Teilnehmer schwenkten Fahnen in Form von Emmentaler-Scheiben, andere trugen Transparente mit der Aufschrift „Kein Aufschlag auf Roquefort“, „Quo vadis, Quargel?“ und „Wir lassen uns keinen Topfen als Hartkäse vormachen“. Nach jeder Ansprache folgte eine Mischung aus stürmischem Applaus, schrillen Pfiffen und Musikfetzen. Um circa 14.00 Uhr setzte sich der Mäuse- und Rattenzug Richtung Mauseumsquartier1 in Bewegung, wo die Abschlusskundgebung stattfinden sollte. Dass Erwin ebenfalls mit dabei war, wunderte mich überhaupt nicht, aber dass auch Elsbeth …?

Frau Elsbeth PortraetBericht und Ergänzung von Frau Elsbeth: Worin Erdnussflips beinahe einen schweren Unfall auslösen und die Fillgraderstiege sich als hervorragender Kundgebungsort erweist.

Die Überraschung stand Herrn Leopold buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Selbstverständlich waren wir bei dieser Demonstration dabei. Erwin und ich hatten dafür im Vorfeld eine Arbeitsgruppe gebildet. Eine sehr kleine Arbeitsgruppe. Sie bestand aus Erwin und mir. Seine Überlegung war, bei der Veranstaltung auch auf die städtische Wohnungsmiesere von Ratten und Mäusen aufmerksam zu machen. Zuerst war ich nicht überzeugt von seiner Idee. Würden andere sein Anliegen überhaupt verstehen? „Wir lassen uns keinen Topfen als Hartkäse vormachen“ – der Spruch war von Erwin, und er war symbolisch gemeint. „Ich will damit zum Ausdruck bringen, dass die Verantwortlichen endlich ihr Versprechen, allen Nagern eine würdige Unterkunft zur Verfügung zu stellen, erfüllen sollen.“ Sein Enthusiasmus war nicht zu bremsen. „Noch immer“, so seine Begründung, „hausten zu viele wie die Ratten in ihren Löchern.“ 2 Meine letzten Zweifel am Gelingen konnte er nicht ausräumen, aber wenn Erwin sich in einen Plan verbissen hatte …

Die Mariahilfer Straße wimmelte an diesem Nachmittag einmal mehr vor Menschen, die an Auslagen vorbeihasteten, in Geschäfte hineinhuschten und aus Geschäften herauseilten, einander anrempelten, Einkaufstaschen gegen fremde Schienbeine knallten. Das Gewurrle und Durcheinander kam uns sehr zugute. Niemand nahm Notiz von uns, die wir in geordneten Reihen rasch die Gehsteigkante entlangmarschierten. Sogar die Hunde, die von ihren Besitzern in diesem Trubel mitgeschleift wurden und wegen der vielen hektischen Menschenbeine sehr gestresst waren, ignorierten uns. Lediglich auf Höhe der Haydnkirche kamen zu einem kleineren Zwischenfall. Zwei weiße Hausmäuse wurden fast von einer Packung Erdnussflips getroffen, die einem kleinen Kind aus der Hand geglitten war. Zum Glück waren die zwei unverletzt geblieben.

Beim Aufprall war allerdings die Verpackung aufgeplatzt, Erdnussflips quollen daraus hervor, verteilten sich auf dem Gehsteig, rollten in die Gruppe der Demonstrierenden. In dieser Situation war sogar Erwin die Lust aufs Naschen vergangen. Das Menschkind brüllte los, wollte die Knabbereien vom Boden aufheben und in den Mund stopfen, was die Eltern ebenfalls lautstark zu unterbinden versuchten, das Menschenkind brüllte noch lauter. Wir nutzten diesen Tumult, entfernten uns rasch und konnten unsere Demonstration ohne weitere Störung fortsetzen.

Am Fuße der Fillgraderstiege, im „Mauseumsquartier“, verliehen die Sprecherinnen und Sprecher der einzelnen Gruppen ihren Forderungen nochmals Nachdruck. Sie dampften die Inhalte rhetorisch ein. Was blieb war: Käse, Käse, Käse.

Und die Ratten und Mäuse werden wohl auch weiterhin in ihren Löchern hausen.


1 Das „Mauseumsquartier“, errichtet auf dem Areal eines ehemaligen Autoparkplatzes am Fuße der Fillgraderstiege, bietet heute, eingebettet in eine großzügige Parklandlandschaft aus rotem Sonnenhut und Storchenschnabel, kulturelle und kulinarische Unterhaltung für Mäuse jeden Alters.
2 Erwins spätere Einsicht: „Zu dumm nur, dass die versteckte Botschaft von den meisten nicht verstanden wurde.“

Fortsetzung folgt am 16. Juni 2015.

Alle bisherigen Abenteuer mit Herrn Leopld finden Sie hier.

Herr Leopold live bei den Wiener Bezirksfestwochen

Donnerstag, 21. Mai 2015

schau:zu_fuss – „Offenes Atelier mit Mäuserich Herrn Leopold“

Am Freitag den 29. Mai 2015 ab 19.00 Uhr gibt’s die Abenteuer – inklusive der Schilderung einer Zahnstocher-Attacke – von Herrn Leopold, Theophilus, dem Einäugigen Erwin und Frau Elsbeth live.

Die beiden akademischen MalerInnen Gerhard Cervenka & akad. Malerin Kathalin Szábo zeigen ihre Bilder im Atelier Cervenka – das gut zu Fuß erreichbar ist – und stehen im Anschluss gemeinsam mit der Bezirksschreiberin Petra Öllinger für Gespräche zur Verfügung.

Freitag, 29. Mai 2015, 19.00 Uhr, Atelier Cervenka, Luftbadgasse 11, 1060 Wien

Alle bisherigen Abenteuer von Herrn Leopold und Co. finden Sie hier.