Archiv für die Kategorie 'Rezensionen'

Armin Baumgartner – Die Wucht des Banalen

Freitag, 8. Februar 2013

Stamperl, Kredenz; und Karel Gott hängt neben Jesus

Gleich vorweg: Mit Wucht „kommen“ Armin Baumgartners Texte nicht „daher“; vielmehr schleichen sie sich auf leisen Sohlen heran. Und dann machen die Texte Halt in – vermeintlich – Banalem.

Armin Baumgartner ist ein genauer Beobachter von Begebenheiten; hält den Blick auf kleine Szenen, die sich sonst allzu oft dem Alltagsblick entziehen. Ein Schamotteziegel, aus dem „entsetzte Augen“ schauen und der an den Kohlenhändler erinnert, dessen Sohn sich erhängt hat; ein Ziegel, der an all die „versäumten Momente“ erinnert („Das Gesicht im Schamotteziegel“). Eine Bank am Wienerberg, eine Smart Export und Rudolf; ein Gespräch zwischen zwei Männern – nichts Spektakuläres, schon gar nichts Wuchtiges – und doch entsteht eine lebendige Szene, die lange im Gedächtnis haften bleiben wird („Dienstag“).

Einer der berührendsten Texte ist „Rattenfänger“. Armin Baumgarter, der als Techniker bei Film und Fernsehen war, breitet darin die Hintergrundarbeit für eine Tierdokumentation aus. „Es musste eine Entscheidung getroffen werden: Die Mutter wurde herausgenommen, mit einem leisen Knacks wurde ihr kurzerhand das Genick gebrochen, danach wurde der Kadaver wieder zu den Kleinen ins Nest gelegt.“

Der Tod hat oft einen leisen Auftritt. Ein Vogel fliegt gegen die Balkontüre („Der kleine Tod des Vogels“) . Eine alte Frau – in ihrer Wohnküche hängen an der Wand Karel Gott und Jesus – hinterlässt ein Rezept für Nusskipferl („Die langen grauen Haare“). Eine Katze verwest im Sarkophag mitten im Zimmer von O. W. Fischer. „Das Vergehen war zum ästhetischen Ereignis geworden, verstörend zwar, doch auch verzaubernd.“ („Fischer Katze“)

„Die Wucht des Banalen“ bietet auch Skurriles. Zum Beispiel eine erbensgroße Erhebung mitten auf der Stirn des Ich-Erzählers in „Die Talgdrüse“. Das erbsengroße Gewächs gedeiht zu einem veritablen Horn und wird von seinem Träger als Sonnenuhr eingesetzt. Die unangenehmen Folgen der Wucherung lassen jedoch nicht lange auf sich warten …

Einigen wenigen Texten hätte ein letzter sprachlicher und inhaltlicher Schliff gutgetan. Zum Beispiel steht die Mozartstatue in Wien nicht im Volksgarten.
Und es stellt sich die Frage: Warum gibt es kein Inhaltsverzeichnis im Buch?

Sehr erfreulich hingegen ist, dass wunderbare, altmodische Wörter in den Textminiaturen erhalten geblieben sind: Trottoir, Kaffeehäferl, Fleischhacker, Stamperl, Kredenz.

Petra Öllinger

Buchcover: Armin Baumgartner - Die Wucht des Banalen

Armin Baumgartner – Die Wucht des Banalen. kitab Verlag, Klagenfurt 2012.
126 Seiten. € 16,00 (A).

Mögen die schönen Dinge nicht in Vergessenheit geraten

Dienstag, 18. Dezember 2012

Heute schon das Wort Nackerpatzl, Papperlapapp oder Schnoferl in den Mund genommen? Wer jetzt wegen dieser Begriffe völlig deschparat ist, kann in Irene Ricks Buch „Mögen die schönen Dinge nicht in Vergessenheit geraten“ Abhilfe finden.

Bei der Auswahl der Worte handelt es sich um Ausdrücke aus Irene Ricks Kindheit, die wieder durch Wörterbücher und Internet in Erinnerung gerufen wurden.

„In alphabetische Reihenfolge gebracht und pro Buchstabe eine andere Schrift verwendet – es gibt ja nicht nur Helvetica und Times …“ Mit diesen Worten begleitet die gelernte Grafikerin die LeserInnen auch auf eine Reise durch die Geschichte der Druckschrift vom 15. Jahrhundert bis heute.

Die alphabethische Reihenfolge findet übrigens ihren bildlichen Ausdruck in Holzlettern.
„Die Holzlettern stammen aus meinem persönlichen Bestand, so wurden diese auch persönlich im Büro mit einer kleinen Handpresse gedruckt, fotografiert und für den Offsetdruck aufbereitet.“

Kurzum: ein sprachliches und grafisches Kleinod.

Hier können Sie filmisch im Buch „blättern“.

Mögen die schönen Dinge nicht in Vergessenheit geraten. Worte aus fast vergangenen Tagen. ISBN 978-3-200-02774-9 € 34,90.

Erhältlich ist das Buch direkt bei TRIAS Print Consulting GmbH.

Oder in den folgenden zwei Buchhandlungen:
Buchhandlung Leporello am Stephansplatz
Buchhandlung Dr. Posch. Lerchenfelder Straße 91-93, 1070 Wien. Tel.: 01/5223995

Die ungewöhnlichen Gedanken des Christian Hänggi

Freitag, 30. November 2012

Gastfreundschaft dem freien Geist

In Zürich belästigte vor wenigen Wochen ein gigantisches Megaposter am Bellevue den empfindsamen Passanten. Calida ließ eine Frau in Dessous posieren und betextete das Bild mit den Worten: „Mittelpunkt des Universums: Ich“! Auch wenn das nur zu gut nach Zürich passt, und wenn es Hunderten von kleinen Mittelpunkten im smartphonefixierten Vorbeihasten wohl gar nicht auffiel, kann man solche Werbebotschaften als Belästigung und usurpatorische In-Besitznahme des öffentlichen Raumes wahrnehmen. Dabei geht es doch auch anders!

Da ist beispielsweise das ebenso diskrete wie unscheinbare Traktätchen mit dem Titel „Vorträge für Besetzungen, und nicht nur…“, das mir bei einer ohnehin schon obskuren Veranstaltung wie dem Theory Tuesday im Corner College in Zürich in die Augen und in die Hände fiel. Im Vorwort macht der Autor, der sich bescheiden C. H. abkürzt, das Heftlein dem, der es aufnehmen will, zum Geschenk.

Der Autor schien aus dem Umkreis der Autonomen Schule Zürich zu stammen und schon dachte ich: „Ohje, die autonome Szene und ihre Sprache, antifaschistischer Imperativ, Basta-Bleibt-Rhetorik …“, las trotzdem rein und war überrascht: Da arbeitete einer mit der Sprache, da spann einer ungewöhnliche Gedanken, da drückte einer diese ungewöhnlichen Gedanken ungewöhnlich gut aus, sagen wir ruhig: Da zeigte sich ein Denk- und Sprachvirtuose.


Dann wollte ich es doch genauer wissen, wer hinter den Initialen C. H. steckt. Eine Internetrecherche klärt schnell: Es ist Christian Hänggi, Philosoph und „Medien-Ökologe“. Und ich stieß auf seine Dissertation „Gastfreundschaft im Zeitalter der medialen Repräsentation“, erschienen im Passagen-Verlag. Dort arbeitet er die Gedanken aus den „Vorträgen“ ausführlich aus.

Hänggi beschreibt die Informationsgesellschaft in ihrer unangenehmsten Ausprägung: der Werbung. Sie fällt uns im öffentlichen Raum an, erhebt den Anspruch, unser Blickfeld zu besetzen. Hänggi beschreibt den absurden Effekt, dass der ständig erhöhte Aufwand einer „Ökonomie des Exzesses“ die Wirksamkeit verringert, dass der abnehmenden Wirkung mit einer weiter zunehmenden Verbreitung von Werbebotschaften begegnet wird und führt die nicht weniger absurde Tatsache an, dass ad-busting juristisch als Verletzung der Eigentumsrechte gewertet wird, während die werbende Wirtschaft mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung sich in unsere Wahrnehmung, in unser Leben eindrängt.

Man muss schnell denken, denn Hänggis Sprünge von Thema zu Thema wirken manchmal willkürlich. Sie kommen wieder zusammen, warmherzig und freundlich, mit Empathie und einem mutigen Enthusiasmus. So geht er das Problem über solch scheinbar altmodische Begriffe wie die der Gabe und der Gastfreundschaft an:

„Unser Geist beherbergt viele Botschaften, doch im Zeitalter der zahllos produzierten und reproduzierten Informationen ist nicht Raum für alle da. Wie müssen diese Botschaften beschaffen sein, damit sie unser Gastrecht verdienen? Wann müssen wir es ihnen wieder entziehen?“

Hänggi selbst macht mit seinen Gedanken und mit seiner Broschüre klar: Die Geste ist das entscheidende! Hier drängt sich eine Wirtschaftsmacht mit Führungsanspruch auf, dort stellt ein freier Geist seine Gedanken zur freien Verfügung für frei entscheidende Geister. Und als ich nach der Lektüre der Dissertation die Broschüre noch einmal in die Hand nehme, spricht deren entschieden politischer Gestus zu mir: mit Hänggis Aufruf, gelegentlich die Gelassenheit hinter sich zu lassen, das Geformt-Werden durch einseitige Flexibilität nicht zu akzeptieren, diese Niederlage nicht hinzunehmen.

Ich setze die Broschüre wieder frei, in einem Bus der Linie 34, als Gabe für den freien Geist, der ihr Gastfreundschaft gewähren will.

Peter Metz

Links zu weiteren Texten von Christian Hänggi und zu im Artikel genannten Orten und Institutionen:

Christian Hänggi. Stockhausen at Ground Zero

Corner Collage

Theory Tuesdays

Autonome Schule Zürich

Armin Schmidt, Marinus Münster – Die Spargelstecherin

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Unmajestätische Ernte von königlichem Gemüse

Oft wird er mit dem Attribut „nobel“ versehen – der Spargel. Weniger nobel hingegen sind die Bedingungen, unter denen das Gemüse das Licht der Welt erblickt.

Verlegen senkt er den Kopf und geht auf Melinka zu, die wie zur Abwehr ihren rechten Arm hebt.

So endete Armin Schmidts „Die Erntehelferin“. Diesen Text hatte der Autor im Rahmen der zweiten Stufe des Literaturpreises „Der Duft des Doppelpunktes“ verfasst; gemeinsam mit Marinus Münster. Und sie entwickelten die Geschichte der polnischen Erntehelferin Melinka weiter in der Erzählung „Die Spargelstecherin“.

Melinka verdingt sich in Deutschland gemeinsam mit Landsleuten als Hilfskraft auf dem Spargelhof von Wolfgang Hillebrand. Dieser nutzt als Arbeitgeber Melinkas Abhängigkeit von ihm aus. Er stellt ihr nach, und als sie seine „Avancen“ ablehnt, intrigiert er gegen sie. Die Frau des Hofbesitzers, Gretchen Hillebrand, scheint unwissend.
Spargelfelder und Wohncontainer; Liebe und Rivalität, Intrigen und Solidarität, das Ernten des „königlichen Gemüses“ im Akkord bei unerträglicher Hitze, Fremdsein und Sorgen um die daheim Zurückgelassenen sind die „Ingredienzien“ dieser Saisonarbeit.

Armin Schmidt und Marinus Münster geben Einblick in ein Arbeitsleben, deren ProtagonistInnen nur selten in der Öffentlichkeit beachtet werden. Über das Spargelstechen schreiben die Autoren in einer bildlichen Sprache, dass man beim Lesen den Rhythmus dieser Tätigkeit beinahe körperlich spürt. Darüber hinaus halten sie ein Ende parat, in dem nicht nur Gretchen Hillebrand überrascht …

Petra Öllinger

Marinus Münster, Armin Schmidt: Die Spargelstecherin.
Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2011. 155 Seiten. € 11.- (D).

Homepage von Marinus Münster

Erzählungen vom Wandel der Arbeitswelten

Mittwoch, 19. September 2012

Abhängig Beschäftigte erzählen ihre Lebensgeschichte

Hubert Schmiedbauer über seinen Arbeits- und Lebensweg

„Dieser Krieg ist noch lange nicht vorbei“, ist Hubert Schmiedbauers Fazit. In „Arbeit ist das halbe Leben …“ berichten 20 AutorInnen über Veränderungen ihrer Arbeitswelt und über ihr gewerkschaftliches und politisches Engagement.

Schmiedbauer, Schriftsetzer, Journalist, Gewerkschafter und Kommunist, kommt aus einer „polygraphischen Dynastie“ in Graz. Krieg nennt er sowohl die „Zerstampfung des Sozialsystems in Reformschritten“ als auch die “Zerstörung der Muttersprache“. In seiner Aufzeichnung „Sie haben ihre Muttersprache gelernt wie wenige andere …“. beschreibt seinen beruflichen und politischen Lebensweg. Zeitgleich kritisiert er die herrschenden Verhältnisse.

Der qualifizierte Schriftsetzer, dessen Arbeitsleben 1949 in Wien begann, ist den technisch/organisatorischen Änderungen seiner Branche ausgesetzt. Wie seine Kollegen auch, spürt er hautnah die sozialen und gewerkschaftspolitischen Auswirkungen sowie die veränderten Anforderungen an die erworbene Qualifikation.

Vom Handsatz, der Fähigkeit spiegelverkehrt zu lesen, beste Kenntnisse der Rechtschreibung und Grammatik, wurden viele nur mehr zum Bedienelement des Computers, zur Arbeitslosigkeit verurteilt oder zur völligen Neuorientierung in der beruflichen Laufbahn gezwungen. Die einmal so stolze Gruppe von hochqualifizierten gewerkschaftlich gut organisierten Facharbeitern spürte den Verlust ihrer Kampfkraft unmittelbar in den „ausgejäteten“ Kollektivverträgen und in menschlichen Tragödien.

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Arbeitswelten in Bild und Wort

Donnerstag, 19. Juli 2012

Cover: Werner Lang, Arbeitswelten in Bild und Wort „Arbeitswelten in Bild und Wort“ – die in der Publikation veröffentlichen Bilder und Worte bilden eine Auswahl seiner langjährigen künstlerischen und literarischen Auseinadersetzung mit der Arbeitswelt.

Das Buch ist zu beziehen über den Literaturverein „VEWZ“ (Wienzeile).

Werner Lang: Arbeitswelten in Bild und Wort.
2012. Hardcover, 80 Seiten, Preis: 45.- €.

Aus Reinhold Sturms Rede bei der Buchpräsentation: „Arbeitswelten in Bild und Wort“ von Werner Lang.

Statt einer Biografie von Werner Lang, ein kurzer Text, der auch im Buch abgedruckt wurde:

Ich als Sohn
eines Werksarbeiters
Geboren
und angepasst
fürs Werk

vom Werk
eingesaugt
aufgebraucht
und freigesetzt
zum Sterben

so wie jeder hier
vor den Toren
des großen Werkes
Aufgewachsene

als Jugendlicher
getrennt vom Elternhaus
verlorengegangen
in den Produktionsmühlen
der Zeit
und ausgespuckt
vor der Ablaufzeit
des Lebens
stehe ich nun da
vor geschlossenen Türen
meines Geburtshauses

Zurückkehren
und
gemeinsam auf den Tod warten
war mein Begehr
aber keiner ist mehr da
von euch

seht doch her
ihr habt mich wieder

wenn auch
vorzeitig ausrangiert

aber doch
nachträglich
an den Rändern
schöngemacht
und zurückgekehrt
zu euch

so nehmt mich doch an
Vater, Mutter, Bruder

warum ist denn keiner mehr da

Entfesselt im Rollstuhl

Dienstag, 15. November 2011

Geschichten aus dem Leben. Über das Meer, die Sehnsucht und eine Entfesselung.

Die beiden ProtagonistInnen des Buches, Hanna Höfer und Leo Fischer, wurden mit dem Krankheitsbild „Spina Bifida“, einer Fehlbildung des Neuralrohres, geboren. Die LeserInnen dürfen sie dabei begleiten, wie sie humorvoll, aber auch nachdenklich und reflektierend einen Blick auf sich und ihre Umwelt werfen; das Leben meistern und entfesselt ihres Weges rollen. Am Cover spielen sie mit der Klischeevorstellung, die sich viele „normale“ Menschen vom An-den-Rollstuhl-gefesselt-Sein machen: Mit einem dicken Seil sind sie in ihren Rollstühlen fixiert.

Aber von einem fixiert im Sinne von starr und unbeweglich sind Hanna Höfer und Leo Fischer weit entfernt. Bei all ihren Unternehmungen werden sie von ihren Assistenzhunden Nils und Ronja begleitet. Diese Vierbeiner machen sich über Hanna und Leo bzw. über die Zweibeiner so ihre Gedanken und führen die LeserInnen durch das Buch. Da Hunden die Kulturtechnik des Schreibens unbekannt ist, wurden deren Beobachtungen mit Hilfe von Monika Hirschmugl-Fuchs festgehalten. Weiterlesen »

Wohin treibt die Schweiz?

Montag, 7. November 2011

Vernünftige Visionen

Vielleicht sind Alpenrepubliken für Außenstehende ja grundsätzlich nicht so einfach zu verstehen. Der Sammelband „Wohin treibt die Schweiz?“ kann da zumindest eine Starthilfe leisten.

Er ist zusammengestellt aus Vorträgen, gehalten im Schauspiel Basel. Julie Paucker, junge Dramaturgin am Schauspielhaus, und Peer Teuwsen, Journalist, haben den Band herausgegeben und versprechen „gewagte Prognosen“, Provokationen und Visionen. Diesem Anspruch wird der Band leider nicht gerecht.

Wie der Beitrag von Jakob Tanner sind viele der Texte: historisch informativ, hier vor allem die kurzen Bemerkungen zum Aufstieg des Rechtspopulisten Blochers, aber außer einigen knappen Bemerkungen im Schlussabschnitt: zur Zukunft kein Wort. Weiterlesen »