Archiv für die Kategorie 'Rezensionen'

Irene Ferchl (Hgin.): Auf einem Badesteg. Schriftstellerinnen am See

Samstag, 12. September 2009

Mit Lesebändchen ans Gewässer

„Baden, Schwimmen, Spazieren oder Eislaufen und natürlich faul auf einem Badesteg liegen, was sonst kann man an einem See unternehmen?“

Diese Frage stellt Irene Ferchl in ihrem Vorwort von „Auf einem Badesteg. Schriftstellerinnen am See“. Man kann noch viel mehr an einem See unternehmen. Zum Beispiel in diesem Buch über Teiche, Seen, Flüsse, Meere lesen. Und über Menschen, deren Geschichten im Zusammenspiel mit dem Element Wasser handeln.

Die Kulturjournalistin und Herausgeberin von literaturblatt Irene Ferchl, selbst am Bodensee geboren, hat Prosa und Lyrik unterschiedlichster Autorinnen in acht nach Schwerpunkten geordneten Abschnitten versammelt. Zitate aus den jeweiligen Texten, und nicht „nüchterne“ Überschriften, übertiteln diese Abschnitte – ein poetischer Freiraum für die eigenen Gedanken. Ein kurzes Luftholen und dann ein Wieder-Eintauchen beispielsweise in Fanny Lewalds „Eine Winternacht am See“, Elisabeth Borchers „Später Nachmittag“, Virginia Woolfs „Die Faszination des Teichs“, Katharina Hagenas „Schwimmen ist Fliegen für Feiglinge“ oder in drei Gedichte von Elisabeth, Kaiserin von Österreich. Schwarz-Weiß-Fotos von Gewässern „aller Art“ vervollständigen das Bild eines wieder mit Hingabe gestalteten Buches – sowohl den Inhalt als auch die optische Aufbereitung betreffend.

Überhaupt die Buchgestaltung: An dieser Stelle muß auch einmal auf die Praktikabiliät der Aviva-Bücher hingewiesen werden. Da ist erstens das Lesebändchen! Alle jene, die ihrer als Lesezeichen verwendete Postkarten, Kassenzettel oder Kuverts schon mal in Uferböschungen, zwischen Badesteg-Planken oder durch „leichte“ Meeresbrisen verlustig geworden sind, werden dieses „Utensil“ schätzen. Da ist zweitens der Buchdeckel. Er hält Wasserspritzern und Sonnenölattacken stand und läuft nicht Gefahr, Eselsohren aufzustellen. Und jene, die sich nicht an und auf und in Gewässern tummeln können, sei versichert: Das Buch ersetzt auch einen Aufenthalt am See.

Petra Öllinger

Buchcover - Auf einem Badesteg

Buchcover - Auf einem Badesteg

Irene Ferchl (Hgin.) – Auf einem Badesteg. Schriftstellerinnen am See.

Aviva Verlag, Berlin, 2009. 192 Seiten, € 17,80 (D).

Bereich: Frauen – Literatur

Colin Cotterill: Dr. Siri sieht Gespenster

Montag, 7. September 2009

Durch die Hitze mit dreiundreißig Zähnen

Dr. Siri Paiboun, einziger Leichenbeschauer von Laos, ist auch in seinem zweiten Fall kein wohlverdienter Ruhestand gegönnt. Und auch dieses Mal ist der gewitzte Held mit allerlei Seltsamen konfrontiert.

Dem alten Fuchs Dr. Siri Paiboun, einziger Leichenbeschauer von Laos, ist auch in seinem zweiten Fall nicht der wohlverdiente Ruhestand gegönnt. Und auch dieses Mal ist er in seinr Arbeit als Pathologe mit allerlei Seltsamen konfrontiert.

Laos leidet unter brütender Hitze. Eine Bestie treibt ihr Unwesen in den Straßen von Vientiane und zerfleischt unter anderem eine Frau auf dem Plumpsklo. Zwei tote Radfahrer landen auf Dr. Siris Seziertisch. Holzpuppen in einer Truhe treiben ihr Unwesen. Dtui, Krankenschwester und Siris Assistentin, verschwindet plötzlich spurlos. Ein Mann reißt sich den Kopf ab. Dies ist nur eine kleine Auswahl an Eigenartigkeiten, die Dr. Siri Gespenster sehen läßt. Daß er dazwischen auch tot ist, tut seiner Tatkraft keinen Abbruch.

In der wieder sehr gelungen Übersetzung aus dem Englischen von Thomas Mohr führt der Autor Colin Cotterill durch das Laos der 1970-Jahre, und dies in einer sehr unterhaltsamen Mischung aus Spannung und Witz. Die Leserinnen und Leser treten in Kapitel wie „Ende einer Durchfallkranken“, „Der Krötenimitator“ oder „Der Mond ist ausgegangen“ eine Reise in das auch heute noch kaum bekannte Land an.

Colin Cotterill, der am 16. Juli dieses Jahres von der Criminal Writers‘ Association (CWA) mit dem Dagger in the Library (Auszeichnung für Kriminalliteratur in Großbritannien – Autor des Jahres in den Ausleihbibliotheken) ausgezeichnet wurde, gelingt wie schon im ersten in seinem ersten Krimi „Dr. Siri und seine Toten“ der Spagat zwischen Glaubwürdigkeit und teilweise völlig absurdem Geschehen. Sei es Dr. Siris Fähigkeit, mit den Geistern von Verstorbenen zu kommunizieren ist er doch kein geringerer als die Wiedergeburt des großen Yeh Ming (der englische Originaltitel „Thirty Three Teeth“ bezieht sich auf den Umstand, „dass man sozusagen als Brücke zur Geisterwelt geboren wurde“). Seien es traditionelle Zauberer und „Genossen Schamanen“, die sich auf Geheiß des Kulturministeriums im Rathaus einfinden müssen, damit diese den Königsgeistern ein Ultimatum stellen (zum Schreien komisch das Kapitel „Der Exorzismus-Conga“) – die seltsamen Puzzleteile fügen sich immer zu einem kohärenten Ganzen.

Das Ende sei hier natürlich nicht verraten, nur soviel, daß alles in allem gar nicht so schlecht ausgeht. Einziger Wermutstropfen: „Dr. Siri sieht Gespenster“ ist vorerst der letzte ins Deutsche übersetzte Band. Jedoch sind weitere Titel bei Manhattan in Vorbereitung (da wären noch „Disco fort the Departed“ und „Anarchy and Old Dogs“), denn, um es mit Loriots Worten in etwas abgewandelter Form zu sagen: Man kann ohne Dr. Siri leben, aber es lohnt sich nicht.

Petra Öllinger

Buchcover - Dr. Siri sieht Gespenster

Buchcover - Dr. Siri sieht Gespenster

Colin Cotterill – Dr. Siri sieht Gespenster. Originaltitel: Thirty Three Teethes. Aus dem Englischen von Thomas Mohr

Manhattan bei Goldmann, Randomhouse, München, 2009. 320 Seiten, € 18,50 (Ö).

Bereich: Kriminalroman

Über Colin Cotterill:

The Dagger Award

Monika Zachhuber (Hgin.): 6 Worte und mehr über das Leben.

Dienstag, 1. September 2009

Geschichte(n) machen

Jeder Mensch hat eine Geschichte lautet das Motto von Monika Zachhuber. Zwölf Jahre lang stand sie in ihrem Buchladen „Ebbe und Flut“ im dritten Wiener Bezirk den Menschen mit Rat und Tat zur Seite – nicht selten lotste sie KundInnen auch durch persönliche Gezeiten.

Das Geschäft ist leider Geschichte, Monika Zachhubers Umtriebigkeit glücklicherweise nicht. Als Begleiterin für (auto-)biografisches Schreiben regt sie Menschen an, ihre (Lebens-)Geschichten aufzuschreiben. Eine spezielle Form von lebensgeschichtlichen Texten findet sich in „6 Worte und mehr über das Leben“. In diesem Kalender für 2010 brachten TeilnehmerInnen der Schreibwerkstatt „Jeder Mensch hat eine Geschichte“ und des Lehrgangs „Biografisches Schreiben in psychosozialen Berufen“ an der Alice Salomon Hochschule Berlin ihre wichtigsten Lebenstationen in sechs Worten auf den Punkt. Auch autobiographische Texte unter anderem von Isabel Allende, Ingeborg Bachmann, Ruth Klüger, Henning Mankell, Petra Öllinger, Julia Onken, Amos Oz, Brigitte Schwaiger, Karl Valentin finden sich in diesem außergewöhnlichen Begleiter für das kommende Jahr.

Nicht nur Termine können darin festgehalten werden, dieser Kalender motiviert zum eigenen Schreiben durch Anregungen, die zum Erinnern und Aufschreiben inspirieren, in Verbindung mit lebensgeschichtlichen Texten weltbekannter und noch kaum bekannter Autoren und Autorinnen. Darüber hinaus lassen spannende Infos rund ums Lesen & Schreiben, über Erinnerungsprojekte wie Memory Books, Steine der Erinnerung, den Tagebuchtag und Veranstaltungstipps (Schreibworkshops, Buchmessen) die Herzen lese- und schreibfreudiger Menschen höher schlagen.

Petra Öllinger

Buchcover - 6 Worte und mehr über das Leben.

Buchcover - 6 Worte und mehr über das Leben.

Zachhuber Monika (Hgin.) – 6 Worte und mehr über das Leben. Kalender 2010 Jeder Mensch hat eine Geschichte … 384 Seiten, € 14,90 (D).

Erhältlich ist der Kalender in A5-Format direkt bei Ebbe & Flut Textwerkstatt
Monika Zachhuber, Tel./Fax: 01/597 18 26, e-Mail und über den Buchhandel

Anna Pavord: Wie die Pflanzen zu ihrem Namen kamen

Freitag, 28. August 2009

Ein gewichtiges (Um-)Graben

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. So einfach und so schön im Sinne von Gertrude Steins berühmten lyrischen Zeilen. So kompliziert und so viele Fragen aufwerfend („Welche Rosensorte?“) im Sinne der Botanik. So spannend und so neugierig machend auf den kulturgeschichtlichen Kontext von Botanik im Sinne von Anna Pavords Buch „Wie die Pflanzen zu ihren Namen kamen“.

Fragen stellen, nach Antworten suchen, benennen, kategorisieren – nicht erst seit Carl von Linné (1707 – 1778), der die Grundlagen der modernen botanischen und zoologischen Ordnungssysteme schuf, forschen Menschen nach einer Systematik von Pflanzen. Sie bemühen sich um eine Struktur, „die ihrer Überzeugung nach in der verwirrenden Vielfalt der natürlichen Welt verborgen sein musste“, schreibt die britische Gartenexpertin und Autorin Anna Pavord im ersten Kapitel. Den Anfang dieser Suche macht hier der griechische Philosoph und Naturforscher Theophrast (371 bis 287 vor unserer Zeitrechnung). Anhand seiner Arbeiten wird deutlich, wie kompliziert seine Versuche waren, die Pflanzen in Gruppen einzuteilen. „Theophrast schrieb keine Pflanzenenzyklopädie … Er stellte Fragen über Pflanzen.“ Schon die Auswahl der Kategorisierungskriterien warf viele dieser Fragen auf zum Beispiel: Was ist der einer Pflanze eigentümliche Teil? Ist es die Wurzel, der Stamm, der Ast? Verwirrend kam hinzu, daß dieselben Pflanzen in unterschiedlichen Gegenden unterschiedliche Namen aufwiesen.

Auch nach Theophrast wurde die Klassifizierung nicht einfacher. Nicht selten führten Fehler beim Übersetzen seiner Schriften und jener anderer Forscher zu Falschinformationen, die zu Selbstläufern wurden.

Nicht nur Worte trieben das botanische Wissen voran, auch Bilder vermochten dieses Wissen zu beeinflussen. Durch eine spezielle Entwicklung um 100 nach unserer Zeitrechnung, war es möglich, Papyrus auch in Blättern und nicht nur in Rollen herzustellen. „Jetzt wurde es sehr viel leichter, einen Text zu illustrieren.“ Alle Teile einer Pflanze konnten im richtigen Größenverhältnis zu einander in einem einzigen Bild dargestellt werden, was beispielsweise die Bestimmung einer Pflanze erleichterte.

Noch viele weitere „Erleuchtungsmomente“ in diesem ausgezeichnet recherchierten Buch beweisen: Auch eine Wissenschaft, die sich mit der „natürlichen“ Welt befaßt, entwickelt sich nicht losgelöst von sozialen, politischen, kulturellen Umbrüchen, nicht abseits von menschlichem Ehrgeiz oder wissenschaftlichen Ränkespielen.

„Die Kulturgeschichte der Botanik“ ist kein leichtes Buch – im wahrsten Sinn des Wortes, wiegt es doch beinahe zweieinhalb Kilo und bei diesem physischen Gewicht ist etwa ein Gemütliches-im-Bett-lesen nicht möglich. Auch inhaltlich verlangt Anna Pavords 567-seitiges Werk vollste Aufmerksamkeit. Queerbeetlesen ist nicht möglich, die 26 Kapitel bauen großteils inhaltlich aufeinander auf und wollen eines nach dem anderen „umgegraben“ werden.

Hin und wieder bleibt die Autorin Erklärungen zum Beispiel von Pflanzennamen schuldig, was eigene Recherchen in (botanischen) Lexika erfordert. Trotzdem, die Gründlichkeit, mit der viele im Buch dargestellten Forscher bei ihrer Arbeit vorgegangen sind, weisen auch Anna Pavords „Grabungen“ auf. Im letzten Teil von „Wie die Pflanzen zu ihrem Namen kamen“ findet sich eine Chronologie dieser Namenssuche, eine Zusammenstellung aller Protagonisten, die an der Suche und an dem Finden beteiligt waren sowie ein ausführliches Literatur- und Abbildungsverzeichnis.

Das Buch ist ein „Hirn- und Augenschmaus, sowohl für Pflanzen- als auch für BuchliebhaberInnen. Zahlreiche Abbildungen in ausgezeichneter Druck- und Farbqualität von Pflanzen aus alten Kräuterbüchern, auf Fresken, in Handschriften und Skizzen lassen eine/n diese schönen Darstellungen einfach „nur“ betrachten und sich fühlen wie beim Besuch einer seheneswerten Ausstellung.

Petra Öllinger

Buchcover - Wie die Pflanzen zu ihrem Namen kamen

Buchcover - Wie die Pflanzen zu ihrem Namen kamen

Anna Pavord – Wie die Pflanzen zu ihren Namen kamen. Eine Kulturgeschichte der Botanik. Originaltitel: The Naming of Names. The Search for Order in the World of Plants. Übersetzt von Hainer Kober.

Berlin Verlag, Berlin, 2008. 567 Seiten, € 39,90 (D).

Bereich: Sachbuch – Botanik, Kulturgeschicht

Krimikiste

Dienstag, 16. Juni 2009

Dank des Mikrobloggingdienstes Twitter stolperte ich dieser Tage über die „Krimikiste“. Kristine Greßhöner hat in ihr einen wahren Schatz an Krimirezensionen zusammengestellt. Das Besondere: Den Buchbesprechungen kann im Form von Podcasts – kleinen radioartigen Sendungen, die Sie am PC hören oder auf Ihren MP3 Player laden können – gelauscht werden. Im „Duftenden Doppelpunkt“ stellt Kristine Greßhöner die Krimikiste vor.

Wir wünschen viel Vergnügen beim Hören der Vorstellung und vor allem beim anschließenden Stöbern in der Krimikiste.

Die Krimikiste vorgestellt von Kristine Greßhörner zum Anhören:

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autonomes Frauenzentrum Linz: Reisen im Damenabteil. Frauen erzählen.

Freitag, 12. Juni 2009

Ohne Pickelpflaster und Büstenhalter

2008 schickten 118 Autorinnen ihre Texte auf eine Reise zum Schreibwettbewerb „Frauen. Reisen. Anders.“, der vom Linzer autonomen Frauenzentrum initiiert wurde. Am Reiseziel angekommen sind nun 25 Beiträge. Der Name des Reiseziels: „Reisen im Damenabteil. Frauen erzählen.“ Und wie sie reisen! Und wie sie erzählen!

Keine kitschigen Urlaubssouvenirs, keine Muscheln, die die Ohren mit Wellenrauschen füllen, keine Ferienliebe bei Sonnenuntergang. Stattdessen erleben zwei Frauen in Andrea Mattavis „Bergsteigen mit Marianne“ ihre Verwandlung in einer Höhle: „Wilde Frauen sind wir, Wölfinnen sind wir.“ Das eigene Sterben beeindruckt in Monika Gillers „Reise in den Tod“. Wie sich Menschen gemeinschaftlich in einem indischen Frauenabteil zur Ruhe begeben, erzählt Bettina Hutterer in „Kollektives Einschlafen“. Elisabeth Vera Rathenböcks Protagonistin erkundet als Mann New York und wohnt in einem Hotelzimmer „ohne Pickelpflaster und Büstenhalter“ („Reisen als Mann“). Kim Schorn stellt in ihrer Geschichte klar, daß Frauenfußball „Besser als Urlaub“ ist. Diese und die weiteren Autorinnen nehmen die LeserInnen in ihren Texten mit auf eine Reise in unterschiedliche Sprach- und Stilwelten.

Nicht nur Lesbares, auch „Sehbares“ gibt es in der Anthologie zu entdecken. Laura Tomiceks Schwarz-Weiß-Fotos sind 2004 bei einer Bahnreise zwischen Wien und Zürich entstandene Momentaufnahmen aus der Serie „Reisen im Damenabteil“. Frauen beim Kartenspielen, beim Lesen, Schreiben, miteinander Plaudern und Lachen – allesamt sympathische Bahnreisende. „Die querformatigen Schwarzweißfotografien spiegeln eine besondere Freiheit wieder: die Lust am Reisen.“ Dieser Aussage kann frau / man nur zustimmen – und mit der Anthologie im Gepäck gestalten sich sogar nervende (ÖBB-Bahn-)Reisen lustvoll.

Petra Öllinger

Cover - Reisen im Damenabteil

Cover - Reisen im Damenabteil

autonomes Frauenzentrum Linz – Reisen im Damenabteil. Frauen erzählen.
autonomes Frauenzentrum, Linz, 2009. 130 Seiten, € 14,80 (Ö).

Bereich: Reise literarisch

Markus Dosch: Sehnen bis Zuletzt. Erotische Erzählungen

Freitag, 5. Juni 2009

Du willst es ja auch!

Wir alle wollen nur das eine, und wenn wir es nicht haben können, dann wollen wir wenigstens davon hören – und greifen zu dem Band „Sehnen bis Zuletzt“ mit neunzehn erotischen Geschichten des 1931 in Allach bei München geborenen Autors Markus Dosch.

Wir alle wollen nur das eine, und wenn wir es nicht haben können, dann wollen wir wenigstens davon hören – und greifen zu dem Band „Sehnen bis Zuletzt“ (2009) mit neunzehn erotischen Geschichten des 1931 in Allach bei München geborenen Autors Markus Dosch. Aber Vorsicht! Was heißt denn erotisch?! Ist es letztlich Sex, purer Sex, harter Sex, schmutziger Sex? Im Titel mit seinem „Sehnen“ schon angedeutet, wird bei den ersten Erzählungen schon klar, dass es hier mehr um das Rätsel der Anziehungskräfte und der geschlechtlichen Faszinationen geht, die Menschen zueinander bringen, ja, sie unwiderstehlich aneinander fesseln.

Die in diesem Band versammelten Erzählungen umfassen ein beeindruckendes Panoptikum menschlicher, allzumenschlicher Attraktionen, von denen der „reine Akt“ nur eine ist. Und noch einmal Vorsicht! Von tausend und mehr Bildern und Mustern geprägt, ist der Leser (gerade der erfahrene!) oft zu vorschnell geneigt, den Schluss der jeweiligen Geschichte zu erahnen, und wird dann von der Pointe eingeholt, die eben nicht zwanghaft auf eine unmögliche Wendung schielt und auch schon mal den „glücklichsten Clubbesitzer der Welt“ in eine wunderbare Zukunft blicken lässt („Bodyguardinnen“). Wer hier eine gewollte Nähe zu märchenhaften Zügen erkennen will, darf das tun, muss aber damit leben, dass auch im modernen Märchen Gelegenheiten versäumt werden und nicht alle Königskinder zueinander finden („Fatima auf der Station“). In „Nur ein Kuss“ sind die Königskinder ein trauriges Schwulenpaar, das vor der Trennung steht. Ein Hauch von Wehmut ergreift den Leser.

Markus Dosch kann aber auch anders. Er scheut sich nicht, die scheinbar heile, sanfte Erotikwelt durch grelle Thrillerelemente zu irritieren („Arrangement zu Dritt“ oder „Hinter der Grenze“) und auch unbequeme Themen wie Aids („Lady oder Biest“), Tötung auf Verlangen („Abschied“) oder Ausländerproblematik („Yonca, Onkel Kemal und der Nazi“) anzupacken. Damit wird klar: Festlegen lässt sich „Sehnen bis Zuletzt“ auf keinen bestimmten Stoff, auf keinen bestimmten Ton. Allenfalls die bundesrepublikanische Arbeitswelt ist in vielen dieser Erzählungen der gemeinsame Boden; allerdings sollte dieser Boden noch einmal umgepflügt werden, um die kleineren Textmängel zu beseitigen, die sich gelegentlich störend bemerkbar machen.

Am Ende aber steht man bewundernd vor der Vielfalt menschlicher Schicksale und erotischer Situationen, die hier geschildert werden – alle wollen nur das eine, aber wirklich nur wenige sind auserwählt… Der Leser jedoch wird für die entgangene libidinöse Erfüllung, die mancher Protagonist der Erzählungen eher schmerzhaft erfahren muss, seinerseits wohlig entschädigt durch die gewonnene Leselust, die sich bei der Lektüre von „Sehnen bis Zuletzt“ beim ihm einstellt.

Kurt Weih

Buchcover: Markus Dosch - Sehnen bis Zuletzt. Erotische Erzählungen

Buchcover: Markus Dosch - Sehnen bis Zuletzt. Erotische Erzählungen

Markus Dosch – Sehnen bis Zuletzt. Erotische Erzählungen.
BoD – Book on Demand, Noderstedt, 2009. 95 Seiten, € 13,80 (D).

Bereich: Erotik

Über Markus Dosch

TÜRKISCH-DEUTSCHE KINDERBÜCHER

Donnerstag, 14. Mai 2009

Auf der Site der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW finden Sie eine Seite mit Rezensionen türkisch-deutscher Kinderbücher aus dem Anadolu-Verlag und dem Talisa-Verlag.

Siehe auch den Beitrag „Fremdsprachige Kinderbücher“ im „Duftenden Doppelpunkt“.