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Nähere Infos: Wiener Bücherschmaus

Elternferne in der Kinder- und Jugendliteratur und kindgerechtes Sprachlernen

9. März 2016 von eag

Eine moderierter ExpertInnen-Talk im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wertigkeiten der Bildung“.

„ … Sobald du meiner bedarfst und du bläst auf dieser Kupferpfeife, die ich dir gebe, so werde ich immer da sein, dir zu helfen; lass mich nur frei! So oft du meiner bedarfst, blase nur, und ziehe dieses Kupfergewand an …“

Das ungarische Volksmärchen „Das Kupfer-, Silber- und Goldgestüt“ handelt von einem „halbnärrischen“ Jugendlichen, der auf einen Strohhaufen aufpassen soll. Anders als seine überheblichen Brüder bewältigt er die Aufgabe nicht nur dadurch, dass er achtsam gegenüber der Natur ist – auch entkommt er der familiären Situation.

Von spielerisch vermittelten Kultur- und Sprachkompetenzen und elternfernem Lernen in der Kinder- und Jugendliteratur erzählen uns MMag.a Barbara Koncsek (ungarische Germanistin, Deutschlehrerin und Mitgründerin von „Sprach Camp Austria“) und Mag.a Sophie Blauensteiner, B.A. (österreichische Soziologin und mit Auszeichnung graduierte Germanistin zum Thema der Elternlosigkeit in der Kinder- und Jugendliteratur).

Eine Veranstaltung des „Wiener Bücherschmauses – Verein für Leseförderung und Buchkultur“ in Kooperation mit der ABSOLVENTENAKADEMIE, „Zitier-Weise, Agentur für Plagiatprävention“ und der Kultur- und Wissenschaftsinitiative „Duftender Doppelpunkt“.

Zeit: Montag, den 14.03.2016 – Beginn um 18.00 Uhr pünktlich (Anmeldung nicht erforderlich)

Ort: Buchhandlung „Wiener Bücherschmaus“, Garbergasse 13 (Ecke Mittelgasse am Oskar-Werner-Platz) – 1060 Wien

Kostenbeitrag: 8,00 Euro pro Person – geht zu 100 % als Spende an den Verein und somit direkt in die Leseförderung!

RETROSPEKTIVE 10 JAHRE MAG3

3. März 2016 von wela

Präsentationen von Bild-, Klang-, Film- und Medienarbeiten aller bisher im Projektraum MAG3 an den Ausstellungen und Installationen beteiligten KünstlerInnen (2006-2015).

Eröffnung + Video-Filmpräsentation: Mi., 09.03.2016, 19:00 Uhr
Zur Ausstellung: Gue SCHMIDT

Dauer: 10.03. – 01.04.2016 | 17:00-20:00 Uhr

MAG3:Schiffamtsgasse 17, 1020 Wien. (Erreichbar über U2 Taborstraße oder/und U4 Schottenring Ausgang U2 Herminengasse). PHONE: +43 676 3409218 EMAIL: MAG3@MUR.AT

10 Jahre MAG3 Die Präsentation umfasst den 10-jährigen Zeitraum seit Gründung des Projektraums MAG3 im Jahr 2006; deren thematischer Bezug, der schon seit Anbeginn des Bestehens von MAG3 verfolgt wird, lässt sich wie folgt beschreiben:

Nur in der Kunst hat die bürgerliche Gesellschaft die Verwirklichung ihrer eigenen Ideale geduldet und sie als allgemeine Forderung ernst genommen. Was in der Tatsächlichkeit als Utopie, Phantasterei, Umsturz gilt, ist dort gestattet. In der Kunst hat die affirmative Kultur die vergessenen Wahrheiten gezeigt, über die im Alltag die Realitätsgerechtigkeit triumphiert. Das Medium der Schönheit entgiftet die Wahrheit und rückt sie ab von der Gegenwart. Was in der Kunst geschieht, verpflichtet zu nichts. Sofern solche schöne Welt nicht überhaupt als längst vergangene dargestellt wird, wird sie, eben durch den Zauber der Schönheit, entaktualisiert. Im Medium der Schönheit durften die Menschen am Glück teilhaben. Aber auch nur im Ideal der Kunst wurde die Schönheit mit guten Gewissen bejaht, denn an sich hat sie eine gefährliche, die gegebene Gestalt des Daseins bedrohende Gewalt. Die unmittelbare Sinnlichkeit der Schönheit verweist unmittelbar auf sinnliches Glück. Der entscheidende Charakter der Schönheit ist, Lust zu erregen: Lust ist nicht nur eine Begleiterscheinung der Schönheit, sondern konstituiert ihr Wesen selbst. (H.M.)

Unter den insgesamt 23 Positionen befinden sich Medien-, Klang und Spracharbeiten, Installationen und Filmprojekte, sowie Werke der bildenden Kunst.
Weiters wird ein Videofilm von Fritz FRO präsentiert, worin alle Ausstellungen, Installationen, Performances und Projekte, die bisher im projektraum MAG3 gezeigt wurden, quasi im Zeitraffer nachvollzogen werden können; der Videofilm hat eine Dauer von ca. sieben Minuten.

Die einzelnen in der Ausstellung präsentierten Werke stammen von: Nora BACHEL (A), Gottfried BECHTOLD (A), Gustav BÖHM (A), Osvaldo CIBILS (ROU), Felipe EHRENBERG (MX), Josef FLOIS (A), Fritz FRO (A), Romana HAGYO (A), Leon HAINZL (A) Gertraud HASSELBACH (GER), Maria HUBINGER (A), Francisco KLINGER CARVALHO (BR), Thomas KUSCHNY (A), Werner LANG (A), Silke MAIER-GAMAUF (A), Adriana MARMOREK (CO), Assunta ABD El AZIM MOHAMED (A), Helga PETRAU-HEINZEL (A), Claudia PLANK/ Hans Werner POSCHAUKO (A), Tulio RESTREPO (CO), RHIZOM (A), Christiane SPATT (A), Edgardo Antonio VIGO (RA) und mir.

Beiträge vor einem Jahr:
„Humor ist, wenn man (trotzdem) wissenschaftlich schreibt“

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

1. März 2016 von eag

Aufzeichnungen und Notizen aus Wien-Mariahilf

Herr Leopold Portraet26. August

Heute in der Früh war die Wohnungstüre blockiert. Ein riesiges Auge füllte den Türrahmen und starrte ins Vorzimmer. Die Äderchen im Augapfel sahen aus wie dicke rote Schnüre. Nachdem sich Theophilus vom ersten Schock erholt hatte, konnte ich ihn nur mit Mühe davon abhalten, dem Auge eins aufs Auge zu geben.
Ich kenne dieses Auge. Es war mittlerweile mehrmals zu Besuch bei mir. Nun, Besuch ist übertrieben. Das Auge hatte hin und wieder einen kurzen Blick in meine gute Stube geworfen. Das Auge gehört der Frau mit dem zersausten Haar. Beinahe täglich schiebt sie einen Kinderwagen, vollgepackt mit ebenso zersausten Teddybären und anderen Seltsamkeiten, vorbei an meiner Haustüre.
„Und das Auge schaut hin und wieder bei dir herein?“, fragte Theophilus, sein zweifelnder Unterton war nicht zu überhören.
Ich versicherte ihm, das Auge, also die Frau sei völlig harmlos. Zugegeben, ich selbst war bei unserer ersten Begegnung – ich erinnere mich sehr gut daran – zu Tode erschrocken. In der Zwischenzeit hat sich allerdings so etwas wie gute Nachbarschaft zwischen uns ergeben. Sie brüllt nie wie am Spieß, wirft nicht mit Dingen nach mir oder sucht das Weite, wenn sie mich sieht.
Theophilus drehte sich um und wollte nochmals in die Pupille schauen, da war das Auge bereits verschwunden.

Porträt von Theophiuls MakadamiaBericht und Ergänzung von Theophilus: Worin Herr Leopold zum ersten Mal der Frau mit den zersausten Haaren begegnet, er gegen sein Prinzip handelt und über eine seltsame Erscheinung in der Wohnungstüre erschrickt.

Ah ja, die Frau mit den zersausten Haaren. Nachdem ich mich von meinem ersten Schrecken – nicht alle Tage trifft man auf ein Auge im Türrahmen – erholt hatte, erzählte mir Onkel Leopold über seine erste Begegnung mit der Frau. Das Erlebnis erschien mir außerordentlich kurios, ich bat Onkel Leopold, seinen Bericht aufzeichnen zu dürfen 1.

Das Gespräch mit Onkel Leopold, transkribiert und übersetzt aus dem Mausischen.

Onkel Leopold: Ich war auf dem Weg vom Malvenhain nach Hause, wollte die Fügergasse überqueren, da saß sie auf der Gehsteigkante neben einer schwarzen Mülltonne. Anscheinend hatte sie deren gesamten Inhalt fein säuberlich neben sich aufgereiht: einen blau gepunkteten Badezimmerteppich, ein Puppenbett, zwei Kochtöpfe, einen Suppenlöffel, fünf Styroportassen und einen Brotkasten aus Holz. Was die Menschen alles wegwerfen! Jeden Gegenstand nahm sie in die Hand, betrachtete ihn von allen Seiten. Was sie brauchen konnte, stopfte sie in den Kinderwagen, der andere Kram wanderte zurück in die Tonne. Sie saß mit gebeugten Rücken zum Eingang meiner Wohnung. Über ihrem Kopf leuchtete das mit roter Farbe auf die Wand gepinselte Wort „ankerbande“.
Wie konnte ich an ihr vorbei, ohne von ihr gesehen zu werden, ohne Gefahr zu laufen, gejagt und vielleicht sogar gefangen zu werden? Ich weiß nicht, wie lange ich sie beobachtete. Da! Plötzlich schaute sie in meine Richtung. Ich erschrak. Was, wenn sie mich auch in ihren Kinderwagen stopfte? Oder, noch schlimmer, in die Mülltonne? So einen Blick habe ich bei Menschen noch nie gesehen, wenn sie meiner ansichtig wurden.
Theophilus: Und du hattest überhaupt keine Angst?
Onkel Leopold: Na, und wie! Schon wollte ich die Flucht ergreifen. Aber bei der Frau: Keine Spur von Furcht oder Ekel, vielmehr lag etwas Fiebriges in ihren Augen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, dann widmete sich die Zersauste wieder dem Müll.
Ich nahm allen Mut zusammen, straffte Ohren und Schnurrhaare, richtete meinen Schwanz pfeilgerade nach hinten und rannte los. Ohne auf den Verkehr zu achten – ich hätte tot sein können, plattgewalzt von einem Auto –, raste ich über die Fügergasse zum Hostel und versteckte mich hinter einem der blaugestrichenen Pflanzentröge, die links und rechts vor dem Eingang stehen.
Theophilus: Die Frau hat dich gar nicht bemerkt?
Onkel Leopold (lacht): Eine gute Frage, Bub. Ich weiß es nicht. Zwar war ich nun aus dem Blickfeld der Frau verschwunden, doch da vernahm ich aufgeregtes Gegacker und Gekichere. Keine Sekunde zu früh konnte ich mich in den Spalt zwischen Trog und Hausmauer quetschen. Menschen traten aus dem Gebäude und blieben vor dem Eingang stehen. Und dann …“
(Eine kurze Pause, ein tiefer Atemzug ist zu hören.) Oh nein, denke ich, hoffentlich hat mich niemand gehört. Ein großer Zeh mit schwarzen Härchen war vor dem Spalt stehengeblieben. Ich wich ein Stück zurück. Würde ich auf der anderen Seite hinausschlüpfen und fliehen können? Doch auch dieser Fluchtweg war blockiert, durch eine weiße Schuhspitze. In meiner Panik fühlte ich den Blumentrog immer näher kommen, sah mich von ihm gegen die Hauswand gepresst und zerquetscht werden. Und dann tat ich, was ich in meinem ganzen Leben noch nie getan hatte.
(Es folgt eine längere Pause. Im Hintergrund ist das Ticken einer Uhr zu hören.) Ich biss zu!
Theophilus (hörbar entsetzt): Du hast zugebissen? Du hast in den Schuh gebissen?
Onkel Leopold: Ach was, in den Schuh! Da hätte ich mir doch alle Zähne ausgebissen. In den Zeh! Glaub mir, es gibt kaum etwas Ekelhafteres als ein Zeh mit schwarzen Härchen drauf.
Theophilus: Und wie schmeckt so ein Zeh?
Onkel Leopold: Schlimmer als alles zusammen, was Erwin je an Essbarem, besser gesagt, nicht mehr Essbarem herangeschleppt hat. G r a u e n h a f t! SCHEUSSLICH! Aber das Opfer hatte sich gelohnt. Sofort brach ein lautstarker Tumult aus. Turnschuhe trampelten umher, Flip-Flops klatschten auf den Asphalt, Sandalen hüpften auf und ab. Es gab ein „Iiiih!“ und ein „Qu‘est que c’est?“ und ein „Merde!“ Noch bevor jemand auf die Idee kam, hinter dem Blumentrog nachzusehen, raste ich zwischen den Füßen hindurch zu meiner Wohnung. Da hatte mich bereits ein Mann entdeckt, brüllte „La, regardez, une marte 2 !“, und eilte mir nach, gefolgt von zwei weiteren Männern. Was für ein Spektakel!
Noch immer saß die zersauste Frau am Gehsteigrand. Was jetzt passierte … (man hört Herrn Leopold tief durchatmen, es folgt eine längere Pause), … sie wandte sich um zu mir, ich spürte, wir das Herz in meine Hose rutschte. Ich war verloren! Links die Touristen, rechts die Zersauste. Die griff sich eine Pfanne, die neben ihr lag, hob sie hoch und ließ sie mit einem ohrenbetäubenden Scheppern auf den Gehsteig fallen. Wie versteinert blieben die drei Männer stehen. Das war meine Chance. In Windeseile huschte ich zum Eingang. Mit vor Aufregung zitternden Pfoten gelang es mir, die Tür aufzusperren. Ich war in Sicherheit. Jedoch! Himmel nochmal, was für ein Unglück. Ich wollte die Türe schließen, da war plötzlich dieses Auge! In der schwarzen Pupille konnte ich meine zitternden Schnurrbarthaare ganz deutlich erkennen, mir selbst wurde auch fast schwarz vor Augen. Schon vermeinte ich eine Hand zu spüren, die mich packte, um mich aus der Wohnung zu zerren und mir den Hals umzudrehen. Theophilus, ich sage dir, ich war einer Ohnmacht nahe. Das ist dein Ende, Leopold, dachte ich.
Aber es kam keine Hand und nichts und niemand versuchte, mir den Garaus zu machen. Bloß ein kurzes heiseres Krächzen, oder war es ein Lachen?, und weg war das Auge. Ich wagte nicht nachzuschauen, wohin es verschwunden war, hörte nur sich entfernendes Stimmengemurmel und französische Satzfetzen.


1: Mit einem Transponder 625X, den Theophilus, wie sollte es anders ein, in seiner Umhängetasche verstaut hatte.
2: Bedauerlicherweise kommt es immer wieder vor, dass Mäuse mit Mardern verwechselt werden. Bei einer Ratte wäre es eventuell noch nachvollziehbar; jedoch bei Mäusen?

Fortsetzung folgt am Dienstag, 15. März 2016.

Alle bisherigen Abenteuer finden Sie hier.

Beiträge vor einem Jahr:
Ich bin ein Kind und ich habe Rechte

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

18. Februar 2016 von eag

Aufzeichnungen und Notizen aus Wien-Mariahilf

Dieses Mal ausnahmsweise an einem Donnerstag!

Herr Leopold Portraet23. August

Erwin ist nicht nur tot, er ist auch verschwunden. Wir entdeckten Pfotenabdrücke, die aus dem Dickicht herausführten. Dann verloren sich die Spuren. Hatte ihn jemand weggetragen? Aber wer? Und vor allem: warum?1

Einaeugiger Erwin PortraetBericht und Ergänzung von Erwin: Worin ein Himbeerkracherl Aufschluss über seine vermeintliche Vergiftung gibt, eine Käseplatte seinen Orientierungssinn durcheinanderbringt und seine Erinnerungen einige Lücken aufweisen.

Ist es der 24. oder der 25 August? Ich hab’s nicht so mit dem genauen Datum, ich jedenfalls klopf beim Leo an. Der macht auf und wird weiß, wie das Innere von einem Kaisersemmerl. Und dann kippt er einfach um. Der Kleine eilt herbei, wird auch weiß, fällt aber nicht um. Zu zweit hieven wir den Leo auf sein Kanapee2 .
„Du lebst?“, fragt der Kleine. Ich bin ein bisserl besorgt um ihn, vielleicht tut ihm das Stadtleben nicht gut. Und überhaupt, was ist da los?, denke ich noch, da wacht der Leo aus seiner Ohnmacht auf und fragt mich: „Du lebst?“
„Burschen“, sage ich, „wollt‘s ihr mich pflanzen?“
„Aber, da war doch Blut an deinem Mund“, meldet sich der Kleine.
Ich glaub, ich spinn. Was palavern die da?
Die beiden schauen mich an, als wär ich von den Toten auferstanden.

Dann erzählen sie mir, was in der besagten Nacht vorgefallen ist.
Mir fällt die Kinnlade runter. Naservas, denk ich, da hat sich mein Appetit aber diesmal ausgezahlt.

Dann bericht ich, was tatsächlich passiert ist und währenddessen fällt den beiden die Kinnlade runter: Ein alter Spezi von mir, den kenne ich noch von der Zeit der Seefahrerei, hat zu einem, na, wie hat er das genannt, zu einem Bankett, geladen. Bankett! Ha, der ist ja jetzt ein ganz Foiner geworden. Ferdl darf ich auch nicht mehr zu ihm sagen. „Erwin“, flötet er, „bitte nenne mich bei meinem Taufnamen: Ferdinand Heinrich.“ Also, der Ferdinand Heinrich hat mich zu diesem Bankett eingeladen. Und ich hab’s an diesem Abend wohl ein bisserl übertrieben mit dem Bauchvollschlagen3. Da gekostet, dort probiert, die Käseplatte geplündert. Himmel, war mir schlecht. Ich glaub, so vollgefre…, angestopft, also vollgegessen, war ich mein Lebtag noch nicht. Wahrscheinlich hat’s mir deswegen den Orientierungssinn durcheinandergehaut, wie wär ich sonst auf dem Platz neben den Hydranten gelandet. Erinnerungen? Futschikato, nix. Erst als ich mitten in der Nacht aufwach und merk, dass ich in einem Gebüsch lieg und neben mir zwei Burschen schnarchen – hätt ich ahnen können, dass ihr zwei mitten in der Nacht im Freien herumkugelts? –, also während die schnarchen, denk ich zuerst: Die Käseplatte hat’s aber ganz schön in sich gehabt. Dann denk ich: Erwin, jetzt schaust, dass du heimkommst. Es ist ein etwas längerer Heimweg geworden, weil, wie gesagt, die üppige Käseplatte und der Orientierungssinn. Zuerst bieg ich nach rechts und hatsch und hatsch. Plötzlich zwickt‘s mich in der Nase, meine Schnurrbarthaare vibrieren. Ich riech was Feucht-Schlammiges: der Wienfluss. Ich bin völlig verkehrt gelaufen!

Rechts von mir steht dieses gelbe Gebäude, in dem Rattenköder und Mäusefallen verkauft werden. Jeder vernünftige Nager macht einen großen, einen sehr großen Bogen!, darum. Links liegt diese kleine Grünanlage. Weißt eh Leo,, dieser Treffpunkt für Tauben4 . Die sind zwar ein bisserl grauslich, aber harmlos. In der Dunkelheit allerdings treibt sich zwielichtiges Nagegetier herum. Erwin, du bist auf der „Mausolos“ mit üblen Typen fertiggeworden, da schaffst du die hier in Nullkommanix, red ich mir gut zu und verschaff mir einen Überblick. Es gibt zwei Wege5 , um nach Hause zu kommen. Entweder runter zum Fluss und dann stromabwärts bis kurz vor das U-Bahn-Haus, auf die Gefahr hin, von Fledermäusen, Kanalratten angepöbelt und von Brücken geworfenen Dingen6 getroffen zu werden. Oder die Straße entlang, um von Autoabgasen eingenebelt zu werden.

Ich wähl die Autos.

„Ende. An mehr erinnere ich mich nicht.“

Der Leo und der Kleine haben noch immer eine heruntergeklappte Kinnlade.

„Aber, das Blut …“, stammelt der Kleine.
„Das Blut war kein Blut, sondern ein Himbeerkracherl!“, schließ ich meinen Bericht.
Der Leo klappt seine Kinnlade als Erster wieder zu, fragt: „Tee? Kaffee?“
Und alles ist wieder in Ordnung.

1: Die folgenden zwei Seiten wurden aus dem Tagebuch herausgerissen. Von wem und weshalb? Dieses Rätsel wird wohl ungelöst bleiben müssen. Vermutlich enthielten sie Herrn Leopolds Aufzeichnungen über den weiteren Verlauf der Ereignisse rund um Erwins Verschwinden.

2: Die geneigten Leserinnen und Leser mögen Erwins bemerkenswerte Wortwahl an dieser Stelle beachten.

3: Interessant wäre gewesen, was genau Erwin mit „bisserl übertrieben mit dem Bauchvollschlagen“ meinte. Er hielt sich jedoch, trotz mehrmaligen Nachfragens, diesbezüglich bedeckt.

4: Speziell jener Tauben, die nicht mehr viel vom Leben erwarten, ermattet und lustlos Körner und anderes Zeug aufpicken, sich kaum noch vom Aufstampfen eines Menschenfußes oder vom aufgeregten Bellen eines Vierbeiners beeindrucken lassen.

5: Es gib einen dritten Weg: die Mollardgasse. Erwin kannte mit Sicherheit auch diese Möglichkeit. Dass er sie nicht in Erwägung gezogen hatte, schreibt er der Käseplatte zu. Nun ja …

6: Dazu zählen unter anderem: Flaschen mit alkoholischem Inhalt, Fahrräder, Einkaufswagen, Herren-und-Damen-Unterbekleidung, Schuhe.

Fortsetzung folgt am Dienstag, 1. März 2016.

Alle bisherigen Abenteuer finden Sie hier.

Es ist angerichtet – Bilderbuchworkshop für Große

11. Februar 2016 von eag

Jetzt hol ich mir eine neue Mama„Das Essen ist fertig!“, so tönt es oft durch Wohnungen und Häuser, kurz bevor sich eine hungrige Familie rund um den Tisch einfindet. Ist das auch in Bilderbüchern so? Wie wird dort gegessen? Wer isst wo? Mit wem? Was wird dort verspeist?

Im Rahmen dieses Workshops begeben wir uns auf die Suche nach Essensszenen in Bilderbüchern. – Gemeinsam blättern wir uns durch eine vielfältige, sorgfältig durchdachte Auswahl, diskutieren neue Denk- sowie Analyseansätze und entdecken dabei Lieblingsbücher für uns und unsere Familien.

Für dieses Festmahl funktioniert das Team vom „Wiener Bücherschmaus“ seine Büchertische zu Esstischen und die Buchhandlung zum Esszimmer um. – „Greifen Sie zu! Es ist bereits angerichtet!“

Datum: Samstag, 5. März 2016
Uhrzeit: 14:30 bis 17:00 Uhr
Teilnahmegebühr: € 22.-
Ort: Verein und Buchhandlung „Wiener Bücherschmaus“, Garbergasse 13/Ecke Mittelgasse, 1060 Wien
MindestteilnehmerInnenzahl: 8 Personen
Um den „Esstisch“ vom „Wiener Bücherschmaus“ finden maximal 15 Menschen Platz.

Bitte um Anmeldung bis Montag, 22. Februar 2016 per E-Mail: E-Mail.

Leitung: Mag.a Andrea Kromoser, Familienlektüre, gelernte Buchhändlerin, Studium der Germanistik, Rezensentin für Kinder- und Jugendliteratur, freie Workshopleiterin
Familienlektüre

©“Jetzt hol ich mir eine neue Mama“ von Brigitte Raab und Manuela Olten.
Hamburg: Oetinger, 2007

Die Heimatlosen (Los surcos del azar)

9. Februar 2016 von eag

Die Heimatlosen  Paco Roca BuchcoverVon Idealismus und den Irrungen des Zufalls

Die Heimatlosen präsentiert ein feinfühliges Porträt jener Republikaner, die nach dem Spanischen Bürgerkrieg im Exil für ihr Ideal weiterkämpften. Paco Roca berichtet mit großem erzählerischen und künstlerischen Talent von der Odysee fern ihrer Heimat.

Die Handlung der Geschichte beginnt hier: Alicante, 1939. Am Ende des Spanischen Bürgerkrieges sind tausende von Menschen, ideologisch auf der Seite der Republikaner, im Hafen von Alicante eingeschlossen und hoffen auf Hilfe von Außen. Hier begegnen wir erstmals Miguel Ruiz, anhand dessen Erinnerungen die Geschichte von La Nueveerzählt wird. La Nueve war eine Kompagnie, die es tatsächlich gab, sie bestand größtenteils aus republikanischen Spaniern im Exil und trug einen wesentlichen Teil zur Befreiung von Paris aus den Händen der Nationalsozialisten bei.

Die Heimatlosen wird auf zwei Zeitebenen erzählt: Die Geschichte beginnt in der Gegenwart, in der Paco Roca, der Autor, den gealterten Miguel Ruiz in seinem französischen Exil aufsucht, um ihn zu seiner Vergangenheit zu befragen. Ruiz lebt alleine in einer französischen Kleinstadt und fristet dort ein zurückgezogenes Leben. Griesgrämig, launisch, einzelgängerisch. Sein Nachbar Albert ist seine einzige Bezugsperson, aber auch mit ihm hat er keine innige Beziehung. Anfangs möchte Ruiz nicht aus seiner Vergangenheit erzählen, nach und nach merkt er aber, wie wichtig es ist, sich daran zu erinnern und seinen Zuhörern Paco und Albert von der Vergangenheit zu berichten.
Ruiz berichtet von der Flucht aus Spanien und damit auch von der Flucht vor einem Krieg, der Flucht von Francos faschistischer Diktatur. Das spanische Exil war kein leichtes: Die turbulente Ausreise an Bord der Stanbrook, die Ankunft in Oran und eine anschließende Verfrachtung in ein unwirtliches Arbeitslager in der Sahara kosteten vielen Republikanern ihre Zuversicht. Dennoch hatte Miguel immer ein Ziel vor den Augen: Den Faschismus in Spanien zu bekämpfen, koste es, was es wolle.

So kommt es, dass sich Miguel und seine Kameraden nach einigen anderen Stationen schließlich der Kompagnie La Nueve unter General Leclerc anschließen und zur Befreiung von Paris beitragen. Ein Kampf, der eigentlich nicht der ihrige ist. Ihr Ziel, Spanien vom Faschismus zu erlösen, verwandelt sich erst Jahrzehnte später in Realität. Ihnen bleibt das Exil, fern von ihrer Heimat, die sie vergessen hat.

Die Heimatlosen beeindruckt und besticht vor allem wegen seiner Vielschichtigkeit. Die Geschichte mit ihren sorgsam recherchierten Fakten und unzähligen historischen Details wäre schon spannend genug, die narrative Struktur, die Roca wählt, macht das ganze aber besonders faszinierend und ermöglicht eine Vielzahl von Lesemöglichkeiten. Die detailreichen Zeichnungen demonstrieren das profunde Interesse und die ausgiebige Recherche Rocas, die er im Nachwort näher erläutert. Nicht zuletzt reflektiert das Buch auch über den kreativen Schaffensprozess und streift metaliterarische Überlegungen über den Autor und seine Beziehung zu realen Vorbildern und literarischen Gestalten. Ganz kurz gesagt: Ein Meisterwerk an narrativem Können, künstlerischem Talent und das Resultat einer sehr feinen Beobachtungsgabe.

Auch die Wichtigkeit in der politischen Aktualität ist bedeutsam: Am Anfang der Geschichte möchte Miguel nicht weiter über seine Vergangenheit sprechen und meint: „Das sind doch alte Geschichten. Wen interessieren die noch?“
Woraufhin Paco antwortet: „Ich finde, sie sollten jeden interessieren. Das faschistische Gedankengut darf nicht nochmal um sich greifen, finden Sie nicht auch?“

Indem Roca eine historische Geschichte in eine fesselnde und gleichzeitig äußerst informative Graphic Novel verpackt, trägt er genau dazu bei.

Paco Roca (Valencia, 1969) ist einer der bekanntesten Comicautoren Spaniens. Ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen erlangte er internationale Bekanntheit durch sein Werk Den Kopf in den Wolken (Originaltitel: Arrugas, Astiberri, 2007). Dieses Werk wurde auch verfilmt.

Teresa Mossbauer

Paco Roca: Die Heimatlosen Graphic Novel. Aus dem Spanischen von André Höchemer.
Reprodukt, Berlin, 2015. 328 Seiten, € 39,00 (D).

Mehr über Paco Roca

Alles Gold, was glänzt – Wertigkeit von Bildung

4. Februar 2016 von eag

Am Montag, den 8. Februar 2016 findet der 5. Abend der Veranstaltungsreihe „Wertigkeit von Bildung“ statt.

Diesmal wird sich das Gespräch um das Thema „Skills“ und Weiterbildung drehen. Was muss/soll man alles können, um heutzutage einen Job zu finden?!
Jobausschreibungen machen eines sehr deutlich: Man will MitarbeiterInnen, die was können.
Gut so, oder? Oder haben wir uns mittlerweile gesellschaftlich in ein Vermarkten von Kompetenzen hineingeritten, wo lediglich die Sammlung von Abschlüssen, Zertifikaten und Zeugnissen mehr wert ist, als die damit erworbenen Skills an sich?

„Für das Leben lernen wir.“ – was bedeutet dieser Satz überhaupt (noch)?, fragt Mag.a Dr.in Natascha MILJKOVIĆ (Leiterin der Agentur „Zitier-Weise“, Science Counsellor und Lehrende) an diesem Abend.

Zeit:
Montag, den 08.02.2015 – Beginn um 18.00 Uhr pünktlich (Anmeldung nicht erforderlich)

Ort: Buchhandlung „Wiener Bücherschmaus“, Garbergasse 13 (Ecke Mittelgasse am Oskar-Werner-Platz) – 1060 Wien

Kostenbeitrag: 8,00 Euro pro Person – geht zu 100 % als Spende an den Verein und somit direkt in die Leseförderung!
InhaberInnen des Kulturpasses bzw. des Mobilpasses sind vom Kostenbeitrag befreit.

Eine Veranstaltung gemeinsam von den „Duftenden Doppelpunkten“, dem „Wiener Bücherschmaus – Verein für Leseförderung und Buchkultur“, der ABSOLVENTENAKADEMIE und der „Zitier-Weise, Agentur für Plagiatprävention“.

Beiträge vor einem Jahr:
Papa hat sich erschossen

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

2. Februar 2016 von eag

Aufzeichnungen und Notizen aus Wien-Mariahilf Porträt von Theophiuls Makadamia
Bericht und Ergänzung von Theophilus zu Herrn Leopolds Eintrag vom letzten Mal: Worin er gemeinsam mit Herrn Leopold und Frau Elsbeth Erwin findet und vieles ein bisschen anders verläuft als gedacht.

Erwins rechtes Auge starrte uns an. Der Blick schien gebrochen, die Pupille milchig trüb. Frau Elsbeth schloss sanft das Auge.
Zum ersten und zum letzten Mal wagte Onkel Leopold, die Klappe, die Erwins linkes Auge bedeckte, zur Seite zu schieben. Was würde uns erwarten? Ein Glasauge? Ein schwarzes Loch? Was wir sahen, war ein rosiges Augenlid, das sich wie eine Plane über die leere Augenhöhle spannte. Um die Augenhöhle herum verlief eine weißliche Narbe und ließ Erwin aussehen, als trüge er ein Monokel. Wer oder was konnte eine solche fast kreisrunde Wunde verursachen?
„Der Esel, der Fuchs, die den Ratten-Biber attackieren“, murmelte Onkel Leopold. Mit einem seltsam leeren Blick zu mir gewandt fügte er hinzu: „Weißt du, das riesige schwarzweiße Wandbild, vor dem Erwin immer solche Angst hatte …“ Er hielt inne, schüttelte den Kopf: „Spekulationen, Hypothesen.“

„Wo wollen wir ihn begraben?“ Frau Elsbeths Frage riss uns aus der Erstarrung. Jetzt war keine Zeit für Trauer, jetzt musste gehandelt werden. Die Situation verlangte nach Pragmatik und straffer Organisation. „Am besten, wir tragen ihn fürs Erste dort hinüber“, schlug sie vor und zeigte auf die dichten Büsche neben der Kirchenmauer, wo zwei Fahrräder vor sich hin rosteten, „dann ist er aus dem Blickfeld der Menschen und wir können in Ruhe nachdenken.“
Erwin ist zu seinen Lebzeiten ein schwerer Brummer gewesen, jetzt, wo er tot war, erschien uns sein Körper noch gewichtiger. Wir hoben ihn zu dritt hoch. Frau Elsbeth und Onkel Leopold griffen jeweils eine Vorderpfote, ich nahm Erwins Hinterpfoten. Vorsichtig trugen wir ihn vom Hydranten weg über die Pflastersteine in Richtung Kirchenmauer. Mir wurden die Arme schwer, auch Onkel Leopold schienen die Kräfte zu verlassen. Beinahe wäre uns Erwin aus den Pfoten gerutscht. Mit knapper Not gelang es uns, ihn vorsichtig auf den Boden zu legen.
„Ich brauche eine Verschnaufpause“, japste Onkel Leopold. Seine Nasenspitze war dunkelrot, seine Schnurrbarthaare zitterten vor Anstrengung.
Wir durften uns hier nicht zu lange aufhalten, jeden Moment konnten wir entdeckt werden.

Die Kirchenuhr schlug halb elf.
Wir hatten uns soweit erholt, dass wir Erwin wieder hochnehmen und ihn tief hinein ins Dickicht tragen konnten. Dort legten wir ihn auf die dunkelgrünen Blätter des über den Boden kriechenden Efeus.

Die Kirchturmuhr schlug elf.
„Ich muss was holen“, sagte ich und weg war ich. Ich kam zurück, beide Arme voll mit Blättern, die von den Lindenbäumen gefallen waren. Ich war erstaunt darüber, dass bereits jetzt im Sommer die Bäume ihr Laub verloren. Auch die Linden sind wohl erschöpft und traurig, dachte ich.
Wir breiteten die Blätter über Erwins toten Körper, dann setzten wir uns neben ihn.
„Und jetzt?“, fragte Frau Elsbeth. „Wir können Erwin hier nicht liegenlassen.“
„Ihn hier zu bestatten, ist ebenfalls zu riskant“, gab Onkel Leopold zu bedenken; und er hatte recht. Er wusste, dass sich hier in der Nacht Räuber herumtrieben. Innerhalb kurzer Zeit hätten sie Erwins Witterung aufgenommen, ihn ausgebuddelt und … Ich verfolgte den Gedanken lieber nicht weiter.
„Und in einem der Blumenbeete?“ Ich deutete in Richtung Kirchenvorplatz.
Frau Elsbeth schüttelte den Kopf. „So tief können wir Erwin gar nicht eingraben, dass nicht spätestens im Herbst die Gartenmenschen ihn beim Jäten und Umgraben wieder ausgraben würden.“
„Außerdem hätte er sicher keine Freude mit diesen Schildern zwischen den Blumen. Sie machte ihn rasend, die Aufschrift ‚Wer Tauben füttert, füttert Ratten!‘“, seufzte Onkel Leopold.
Ich musste ihm zustimmen. Ich würde auch keine Gedenktafel haben wollen, auf der der Zusatz vermerkt ist „Sind dir 36.- wurscht?“.

Die Kirchturmuhr schlug halb zwölf.
Kaum war der zweite Schlag verklungen, fragte Frau Elsbeth: „Leopold, du weißt doch, dass ich aus einem sehr alten Geschlecht von Mühlmäusen stamme?“
Onkel Leopold sah sie verdutzt an. „Ja?“
„Und dass meine Vorfahren ihren Stammsitz in der Mollardmühle hatten.“
Jetzt warf Onkel Leopold mir einen verdutzten Blick zu.
Frau Elsbeth ließ sich nicht beirren. „Ein kleiner Teil davon soll noch erhalten sein. Manche behaupten, es sei das Tor des ehemaligen Gumpendorfer Schlosses. Egal1. Mein Großvater erzählte mir, dass diese Reste vom ursprünglichen Platz in der Wallgasse in die Gumpendorferstraße gebracht wurden. Angeblich sind sie dort heute noch zu finden. In einem Garten. Nahe der Gumpendorfer Kirche. Was ich sagen will: Vielleicht ist das ein geeigneter Ort, um Erwin zu bestatten?“
Onkel Erwin nickte. Er war nicht mehr verdutzt, er schien völlig abwesend.
Frau Elsbeth wandte sich mir zu. „Ich mache mich sogleich auf die Suche und inspiziere die Stelle.“
Jetzt war ich der Verdutzte „Haben Sie denn keine Angst, alleine mitten in der Nacht? Kann das nicht bis …?“
Frau Elsbeth war jedoch bereits verschwunden.
„Natürlich hat sie keine Angst“, seufzte Onkel Leopold, der aus seiner Erstarrung erwacht war, „in ihren Adern fließt das Blut ihrer Vorfahren.“
„Dieser Mollardmühlmäuse?“
Er nickte.

Und dann erzählte er mir ein bisschen über Frau Elsbeths Vorfahren. Dass sie mutige Mäuse gewesen seien, die sich wacker schlugen im Kampf gegen die Katzen, die in der Mühle lebten, um den Mäusen den Garaus zu machen. Sogar mit dem Müllermeister selbst hätte sich einer aus dem Geschlecht der Mollardmühlmäuse angelegt; einige hatten vor dessen Augen Getreidekörner gestibitzt.
„Als Rache für diese Dreistigkeit ließ der Meister in der ganzen Mühle Fallen aufstellen, schließlich ist er aber selbst in eine getreten. So erzählen es jedenfalls die Chroniken … 2
Für einen längeren Moment war es still.
„Onkel Leopold?“, flüsterte ich. Als Antwort kam ein leises Schnarchen.

Die Kirchturmuhr schlug dreiviertel zwölf.
Ich hielt nun alleine Totenwache bei Erwin.

Die Kirchturmuhr schlug Mitternacht.
Bei mir zu Hause hätte ich mich im Freien gefürchtet. Die Dunkelheit ist auf dem Land: dunkel. Teilweise sieht man die eigene Pfote vor den Augen nicht. Und sie ist niemals vollkommen still. Ständig ist ein Rascheln, Kratzen, Scharren, Wispern zu hören. Aber hier. Sogar durch das Blattwerk der Sträucher bahnen sich die Lichtstrahlen der Laternen ihren Weg. Hin und wieder fuhr ein Auto vorbei, oder ich hörte Menschen auf der Straße sprechen oder bei einem offenen Fenster eine Frau kurz auflachen.

„Erwin ist weg!“ Jemand rüttelte mich am Arm. Nur schwer gelang es mir, meine Augen zu öffnen. Ich blickte in zwei verschwommene Gesichter. Nach und nach erkannte ich Onkel Leopold und Frau Elsbeth.
„Als ich zurückkam, habt ihr beide geschlafen“, sagte sie mit einem leicht vorwurfsvollen Ton . „Ich habe den Überrest des Tores gefunden. Es ist gleich schräg vis-à-vis in einem Hof. Aber nun“, sie zeigte auf den Platz, auf dem Erwin zuvor gelegen hatte und auf dem ein paar zerdrückte Linden- und Efeublätter an ihn erinnerten, „ist das vorerst nicht mehr wichtig.“

1: Egal? Mitnichten! Schloss, Mühle? Was stimmt denn nun? In einer alten Chronik heißt es, dass Ende des 17. Jahrhunderts die alte „Feste“ auf der Stadtseite einen größeren Zubau erhielt, „worin ein Mühlwerk untergebracht wurde; das ist eben der heute noch stehende Trakt“. Kaiser Leopold! I. habe 1679 dem damaligen Besitzer, einen gewissen Graf Franz Maximilian Mollard, zu seinem Gute Gumpendorf ein Privilegium „zur Erbauung und Zurichtung eines Silberhammers, einer Stampf- und Großmühle“ erteilt.

2: In einem Dokument aus dem Jahr 1682 heißt es: „So zogeten ein Grupp von Mausen gegen den habgierig Müller und besiegeten ihn und seine Muhlkatz, derer waren sechs und hernach waren zwo geflohet. Und der Müller waret bekehrt und gab den Mausen ihren Anteil von Getreidekorn. Alsnach die tapfer Grupp von Mausen wurde erhebet in den hohen Stand und nennte sich von da ‚Die von Mollardmühl‘“.


Fortsetzung folgt am Dienstag, 16. Februar 2016.

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