Es ist schon eine seltsame Reise, die die namenlose Ich-Erzählerin in Cornelia Travniceks hundertdreiundvierzig Seiten dickem Buch, Erzählung? Roman? mit dem vorübergehend arbeitslosen Psychologen Joshua, einem schmutzig weißen Pinscher namens Napoleon, der mittelgroßen blauen Urne und dreihundertdreizehn Euro zwanzig Cent nach Marokko unternimmt, um die Asche ihrer Schwester nach deren letzten Wunsch in den Rifbergen zu verstreuen.
Vorher und nachher gibt es je eine bis eineinhalb Seiten lange Reflexion über Austauschbarkeit und Erinnerung und dann drei Kapitel, die von Barbara Ebelings schönen Blumenbildern eingeleitet werden.
Im ersten Kapitel werden wir in die traumatischen Erinnerungen der Erzählerin und in ihre Beziehung zu der Schwester eingeführt, die zu wachsen aufhörte, als die Mutter den Vater verließ.
Die Schwester litt daran und klammerte sich an den Vater, bewunderte die starke Andere, die das mit der Mutter viel leichter nahm und dem Vater eine Stütze war, aber die hatte Probleme mit ihrem Freund, der ihr offenbar trotz schwanger werden weggenommen wurde und den sie schließlich mit einem Messer sticht, als er ihr zu nahe kommt, während der Vater schweigt…
Im zweiten Kapitel werden die Perspektiven gewechselt und von Joshua Meier erzählt, der kein Jude ist, aber auch nicht Michael oder Stefan heißt und der, um der Menschheit einen Gefallen zu tun, Psychologie studiert und einer neunzehnjährigen Rothaarigen zuliebe, Linguistik, um sich kurzentschlossen einem Trupp missionarischer Entwicklungshelfer anzuschließen, denen er in den indonesischen Urwald folgt, wo er sich in eine schöngeschminkte puppenhafte Zeichnerin verliebt, die ihn mit Eierkuchen füttert, aber beim Geschlechtsakt weint, weil sie die Schwester ist, die im dritten Kapitel, bei einem Autounfall ums Leben kam, so daß die seltsame Reise beginnt, da der Hund an Flugangst leidet.
Und es passiert auch viel auf dieser Reise durch Italien, Frankreich und Spanien.
Der Psychologe betreibt Zuckertourismus und ernährt sich unentwegt von Schokolade und Gummibärchen, während Napoleon die Nahrung verweigert, in Barcelona geht das Auto kaputt und es wird aus Geldmangel am Strand geschlafen.
Joshuas Handy wird geklaut und die Einreise nach Marokko scheitert fast an einem fehlenden Stempel, während die Ich-Erzählerin einen Sperling auf den Finger gesetzt bekommt, der sie dann beinahe nicht mehr verlassen will.
Trotzdem erreichen sie ihr Ziel, streuen singend die schwesterliche Asche aus, nur den inzwischen toten Hund lassen sie zurück, bevor ihr Nachhauseweg in eine vielleicht bessere Zukunft des skeptischen Miteinanders beginnt.
Es ist ein locker dahin erzähltes Buch mit schweren Themen, vielen Wortschöpfungen und originellen Wendungen und der Hoffnung auf eine neue Liebe der verhinderten Weltretter und Familiengestörten, das leicht und spannend zu Lesen war und wenn ich einen kritischen Einwand machen darf, ein Psychologe ist nicht unbedingt ein Analytiker, wenn er sich nicht dafür extra ausbilden läßt und er hat auch keinen anderen Zugang zu Drogen, als die Normalsterblichen, aber sonst haben mir die lockeren Wendungen und Beschreibungsbilder gefallen und sind mir auch stimmig vorgekommen.
Cornelia Travnicek, die für dieses Buch die Autorenprämie des Bundesministeriums bekommen hat, hat inzwischen, wie auf ihrem Blog nachzulesen ist, ein neues Buch herausgebracht und den ersten Entwurf ihres nächsten Romans fertiggestellt, den sie nun ein Monat in der Schublade liegen lassen will, während ich ja bald meinen Text korrigieren werde.
Und es war auch sehr interessant, den Text mit meinem Schreibprozess zu vergleichen um herauszufinden, wie es die viel Jüngeren machen.
2009-02-04
Die Asche meiner Schwester
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