„Mit Unterthänigkeit, Scardanelli!“, soll Friedrich Hölderlin seine letzten Briefe unterzeichnet haben. So steht es im Alte Schmiede-Programm und so hat es heute dort eine Frau einer anderen erklärt. Und Marcel Beyer hat sein Eröffnungsreferat immer wieder mit den Sätzen „Wenn ich Scardanelli lese, dann denke ich an …!“ eingeleitet. Ich hatte um sechs Uhr eine Stunde. Um sieben stellte in der alten Schmiede Friederike Mayröcker ihren neuen Gedichtband vor. Und ich wußte, das heißt, daß ich, wenn ich die zwei Stationen mit einmal umsteigen mit der U-Bahn fahre und fünf oder zehn Minuten verspätet hinkomme, irgendwo eingepfercht unter Menschenmassen am Gang stehe und nichts sehen werde.
So war es bei der Saisoneröffnung 2007, würde ich einmal schätzen, da ist es mir ähnlich gegangen. Ich habe mich zentimeterweise nach vorn gedrängt und bin am Schluß noch lange geblieben, habe die Leute, die mich nicht oder schon grüßten, an mir vorbeigehen lassen und das Mayröckerische Stammpublikum beobachtet. Elfriede Gerstl war dabei, damals und hat ein paar Tage später gelesen, da war es dann nicht ganz so voll und eine Klientin von mir hat ihr eine Rose gebracht.
Elfriede Gerstl fehlte also und ich glaube auch Herbert J. Wimmer, die anderen waren da. Angelika Kaufmann, Elfriede Haslehner, Julian Schutting, Bodo Hell, neben letzterem bin ich gestanden, als es mir gelungen war, mich bis zum Saaleingang zu drängen, als die Mayröcker dann ein ihm gewidmetes Gedicht gelesen hat, habe ich ihn hautnah beobachten können.
„Scardanelli“ ist ein Gedichtband mit Hölderlin Bezug, vierzig Gedichte, die imaginierte Begegnungen mit dem großen Dichter schildern, der sechsundreißig Jahre in einer Turmstube in Tübingen lebte, entnehme ich dem Programm.
Marcel Beyer sprach in seiner Einleitung von bella donna, der schwarzen Tollkirsche, der Kunst der Heilkräuter und der Apotheker. Ein Gedicht, das Frau Mayröcker las, handelte vom Sterben und davon, daß sie eine Rose und keine Kränze haben möchte und eigentlich noch nicht sterben will, weil das Leben zu kurz für alles ist, was noch zu machen ist.
Eines war natürlich wieder E. J. gewidmet. Ich stand neben einer Frau, an die sich zwei kleine Mädchen drückten, die mehr oder weniger geduldig zuhörten, während die Studentinnen teilweise am Boden saßen und als sich der alte Mann, der seine Tage im Wienerwald verbringt und dort offenbar auch Kräuter sammelt, mit diesen im Rucksack und seinen Wanderstock durch die Menge drängte, offenbar in dem Bestreben wegen seiner Gebrechlichkeit doch einen Sitzplatz zu bekommen, ist ihm das nicht geglückt, er wurde nur an das andere Ende geschickt. Aufgeregt hat sich aber niemand und ich denke, er, der Außenseiter, der zum literarischen Stammpublikum zählt, hat genau zu diesen Texten und in diese Stimmung gepasst.
Hölderlin war wahrscheinlich auch ein Außenseiter und ein literarisches Original, Frau Mayröcker ist eine große Dichterin und neben mir stand Anfangs eine Rucksackträgerin, die zwei Buttons stecken hatte, „Ich bin das Publikum“ und „Ich kann lesen“ ist darauf gestanden.
Soweit ein paar Gedankensplitter zu einem großen Abend, der sehr kurz war oder auch nicht, denn ich bin, während Friederike Mayröcker signierte, noch lang herumgestanden und habe mit einer Frau gesprochen, die ich vom Lesetheater kenne, die vom dramatischen Zentrum kommt, wo sie die Körperarbeit erlernte, die sie jetzt den Frauen zur Selbstverteidigung in Volkshochschulen beibringt.
Ich kann natürlich ein paar Friederike Mayröcker Bonmots beisteuern, die ja ganz in der Nähe, nämlich in der Zentagasse wohnt und deren Zettelwohnung inzwischen Legende und Ausstellungsstück ist.
Ich kenne sie von der GAV und von Lesungen, war bei ihrem Fest vor einigen Jahren in Mürzzuschlag bzw. Neuberg an der Mürz, das inzwischen schon Legende ist. Die Feste für Ernst Jandl, Gerhard Rühm und Friederike Mayröcker, die ich erleben durfte. Sie hat ihr Buch „brütt oder die seufzenden Gärten“ vorgestellt, Wendelin Schmidt Dengler hat eingeleitet und es gibt ein paar schöne Fotos. Bei einem stehe ich unter einem Mayröcker-Bild in der Mayröcker Ausstellung im Kunsthaus Mürz, das hat der inzwischen verstorbene Johann Barth geknipst, der ein großer Fotograf war.
Ich habe ein paar Mayröcker-Bücher und einem meiner Bücher ein Motto von ihr vorangestellt: „Da hat man sich sein gesamtes Leben für die Literatur eingesetzt und es kommt noch immer nichts heraus dabei!“.
Das ist ein Satz, der passt, für mich jedenfalls. Für Frau Mayröcker nicht. Sie hat einen großen Fankreis und wenn man nicht rechtzeitig erscheint, bekommt man keinen Platz.
Das wußte ich, bin trotzdem gekommen und bereue es auch nicht.
2009-04-20
Scardanelli
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