Die Erzählung einer WG von Andrea Stift ist wohl mehr eine Erzählung über verletzte Gefühle, Beziehungswechsel, Alltagserlebnisse von beispielsweise einer Essen vorbei schleppenden Mutter deren Sohn gar nicht anwesend ist, Alk und Drugs, vor allem aber über Sex und Rudelficken.
Eine höchst sinnliche Erzählung also, der Reigen des einundzwanzigsten Jahrhunderts, Feuchtgebiete auf steirisch, etc.
„Wenn es nicht bei „Wieser“ erschienen wäre, wäre es wohl ein Beststeller geworden!“, schreibt Werner Schandor weise, andere Rezensenten sehen das sich Austobenmüssen der Jugend in dieser Erzählung, die aus 84 Kurzkapiteln mit trendigen Überschriften besteht.
„Eine wunderschöne eigenbrötlerische Studie über jene Welt der Jugendlichen, von der gesetzte Erwachsene kaum etwas mitbekommen“, meinte Helmuth Schönauer.
Der nicht sofort verständliche Titel kommt vom russischen Wein, denn das sind die Pflanzen, die die esoterische Annabell in zwei raumdominierenden Töpfen in ihrem Zimmer stehen hat.
Annabell konsumiert zum Frühstück Misosuppe und ist mit Martin und der Ich-Erzählerin, die Germanistik studiert und Seminare über Oswald von Wolkenstein besucht oder nicht besucht, zur Schule gegangen.
Zur Wohngemeinschaft kam es, weil sich Annabell in den dauerbekifften Stefan verliebte, die Ich-Erzählerin wohnte noch im Studentenheim, ihr Freund in einer Altbauwohnung mit verdrecktem Klo am Gang. Geld war zwar kaum vorhanden, die Wohnung aber bald gefunden.
Dann geht es los in den vierundachtzig Kurzkapiteln, die von vorn nach hinten springen und von dort wieder zurück.
Die Beziehungen werden ver- und ausgetauscht, Gruppensex und Dreier gehören zur Tagesordnung, Beleidigtsein und verletzte Gefühle und natürlich sehr viel Alkohol und die allerfeinsten Haschischkekse, die von einem Besucher namens Simon gebacken werden.
Schwangerschaft und Abtreibung kommen vor, aber auch sehr schöne Stimmungsbeschreibungen von Prag und Rom, wo die Ich-Erzählerin den abwesenden Stefan sucht, aber nichts mit ihm hat, während sie doch vorher so wütend war, daß Martin, obwohl die Beziehung ohnehin schon lang nicht passt, Annabell am Damenklo beim Kotzen half, während sie es mit einem Typen an der Kirchenmauer versuchte. Es gibt aber auch noch Außenfreunde, der Ire und der Tiroler beispielsweise und Beziehungen, bei denen man sich gar nicht mehr erinnern kann, wer jetzt bei wem die Nacht verbrachte.
Der leicht ironische Ton wird in den Kritiken gelobt, das Darüberstehen über all den elenden Versuchen, sein Leben zwischen Kunst, Drugs, Sex und Alk zu meistern, während das Studium den Berg hinunter geht, die Wohnung aber nach einem Putzplan aus dem Internet mit biologisch abbaubaren Putzmitteln aus der Billigdrogerie gesäubert wird.
Die Sprache ist schön, hat viele stimmige Bilder, sanft und poetisch auf der einen Seite, dann gibt es aber auch die Kraftausdrücke aus der Pornowelt, dem Englischbuch, bzw. der CD-Booklets, vielleicht auch aus dem steirischen Dialekt.
All das ist eine Mischung, wo man nachher nicht recht weiß, wo man ist und auch nicht, wie es den jungen Menschen dieser WG wirklich geht und wie sie den Weg in die Bürgerlichkeit und Spießigkeit schaffen werden?
Als Psychotherapeutin kennt man diese Geschichten aus der Praxis, hat sie in der eigenen Studienzeit an psychisch nicht sehr stabilen Freundinnen erlebt und weiß inzwischen auch, was aus ihnen geworden ist.
Daß Sex und Alk und Drugs ein Thema sind, das gerne gelesen wird, weiß man auch. Man kann herrlich darüber schimpfen, seine Phantasie ausleben, sich begeilen oder was auch immer.
Und wenn es dann noch in einer poetisch schönen Sprache geschieht, hat auch die Literaturgeschichte etwas davon.
Ein Buch für die Erotiknacht bei „Rund um die Burg“ würde ich vorschlagen.
Denn es ist ja sicher interessant, wie die jungen Frauen heute die Sexualität in die Hand nehmen, was sie darüber meinen und wie sie sie beschreiben.
Dazu passt gut das alte Interview mit Elfriede Jelinek über den 1989 erschienenen Roman „Lust“, in dem die Sexualität als Unterdrückung der Frau gesehen wird.
In diesem Buch ist das nicht so, trotzdem geht es, denke ich, weder der esoterischen Annabell, noch der Ich-Erzählerin wirklich gut und die Männer, und das ist interessant, bleiben überhaupt ziemlich schemenhaft.
2009-04-26
Klimmen
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