Literaturgefluester

2009-06-18

Lärchenau

Filed under: Uncategorized — jancak @ 01:10

Die Zeit ist ein sonderbar Ding, die Uhren stehen still, das märkische Dörfchen heißt Lärchenau, das Wirtshaus „Zum Ochsen“ und der „Rosenkavalier“ spielt eine wichtige Rolle im Leben der „Nur Hausfrau“ Adele Konarske, die das Kind des „Fiehrors“ ist, der sich aber letztendlich nur als Dorftrottel erweist.
Eine Provinzgroteske als Brennspiegel der deutschen Geschichte, steht auf dem Umschlagtext. So kann man also auch den Roman zur Wende schreiben, die deutsch-deutsche Geschichte als Arztroman der letzten sechzig Jahre, aber eigentlich beginnt es schon im dritten Reich.
Da spielt der gute Arzt Rochus Lingott seinen Patientinnen Bach, Mozart, Beethoven, Schönberg und Swing zur Erbauung und versteckt das Hitlerbild hinter dem Abbild eines Wasserschierlichs und Schwester Rosie, die Tochter des Milchmanns, die von ihrem Vater mißbraucht wird, bekommt bei Wagnerklängen ein Kind von ihm, nämlich Gunther Konarske, der später Nobelpreisträger werden will.
Während „Prinzessin“ Adele aus dem vogtländischen Dorf Katzgrün ihren Vater zuerst für Wilhelm Pieck hält, da sie ja in einer DDR-Schule zum real existierenden Sozialismus erzogen wird und nach dem Tod der Liese Möbius, die sich mit ihrer Zwillingsschwester Lotte zerstreitet, ein Heimkind wird, in diesem jede Form von Gewalt erlebt, die in dem Roman von Kerstin Hensel wahrscheinlich das einzig Realistische ist, bevor sie vom zum LPG Vorsitzenden gewordenen Bauer Eden nach Lärchenau geholt wird und sich in den Medizinstudenten Gunther Konarske verliebt.
Der nennt sie Mauseprinzessin und will, wie erwähnt, Nobelpreisträger werden, experimentiert deshalb schon seit Kindertagen mit Spritzen und Ampullen und gilt als Wunderheiler.
Während er sich in der Kreisstadt zum Professor hinaufarbeitet, bleibt Adele auch in der DDR zu Hause, liest Westzeitungen, hat die besten Westdelikatessen, während sich die DDR-Bauersfrauen über das ehemalige Heimkind mokieren und ihr die Sonderbehandlung heimzuzahlen versuchen.
Dann gibt es noch den Mennichensee mit dem Ungeheuer, in den Rosie Konarske nach Ende des Krieges ihren Vater trieb und Jahre später die Mennichenbande, deren Mitglied auch der übergewichtige Konarske-Sohn Timm, ist, der statt zu studieren, Fleischhauer geworden ist, seine Experimente treibt.
Es gibt den Stasi-Spitzel Hanswerner Giersch und während Gunther Konarske in Amerika Kongresse besucht und bei Adele, die sich mit Musik und Alkohol zu trösten weiß, der Fernseher eingeht, passiert die Wende und ab da entgleitet das Ganze total.
Zuerst kommt aber Graf Gutfried nach Lärchenau zurück, bezieht mit seiner Gräfin das alte Schloß und beginnt das Dorf zu schikanieren, Gunther Konarske ist längst Professor und spritzt Adele Ampullen zur Verjüngung, nachdem es mit der Trüffelschweingewinnung nicht so klappt, die schließlich im Kinderkleidchen das Haus verläßt, während nicht er, sondern der Kollege den Nobelpreis bekommt.
Die Zeit ist ein sonderbar Ding, denn alles ändert sich, das tausendjährige Reich zu vierzig Jahre DDR und kommt schließlich zur europäischen Union. Nur die Menschen sind gewaltsam, korrupt, machtbesessen und dumm geblieben.
Was das mit dem Rosenkavalier zu tun hat, der ja seine Dekadenz in Wien und unter der Herrschaft Maria Theresias erlebte, weiß ich nicht, spielt aber auch bei Uwe Tellkamp eine Rolle und am Schluß gibt die 1961 in Karl Marx Stadt geborene, am Literatur-Institut Leipzig ausgebildete und in Berlin lebende Autorin Kerstin Hensel noch den Warnhinweis, daß alles frei erfunden ist.
Wers glaubt wird selig und hat vielleicht trotzdem zwanzig Jahre nach der Wende ein Stück Geschichte gelernt, obwohl das Buch schon 2008 erschienen ist.
Ich habe es, obwohl es mich manchmal ein wenig ratlos machte, begierig gelesen, kenne ich ja die Autorin persönlich und habe sie, 1990 und 1992 in der Linienstraße, die auch in dem Roman eine Rolle spielt, besucht, sie aber aus den Augen verloren. So daß das bei fix poetry gewonnene Buch, das ich schon vor einem Jahr bei „Morawa“ in Händen gehabt habe, ein Anlaß sein könnte, wieder in Kontakt zu kommen.

3 Kommentare »

  1. Aber wer hat denn das Buch überhaupt geschrieben? Überlese ich da etwas?

    Kommentar von Maria Heidegger — 2009-06-18 @ 09:40 | Antworten

  2. Die 1961 in Karl-Marx-Stadt geborene Kerstin Hensel

    Kommentar von Eva Jancak — 2009-06-18 @ 09:53 | Antworten

  3. Ach ja, überlesen, Entschuldigung! Vielleicht wäre es aber gut, Titel und Autorin/Autor in der Rezessions-Überschrift anzuführen, es hilft zur Orientierung! Vielen Dank und Entschuldigung noch einmal.

    Kommentar von Maria Heidegger — 2009-06-18 @ 20:32 | Antworten


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