Auf der Hofpürglhütte habe ich an diesem Wander-Wochenende „Die Gleichgültigen“, des 1907 geborenen und 1999 verstorbenen, italienischen Dichters Alberto Moravia zu Ende gelesen, eine Aufbau-Verlag Ausgabe aus dem Jahr 1979, die Alfred von seinen DDR Aufenthalten nach Hause brachte, ein besonderes Detail der Lesegeschichte des 1929 erschienenen Debutromanes eines Zweiundzwangjährigen, der mit dieser psychologischen Charakterstudie über Nacht berühmt wurde.
Im Klappentext der DDR Ausgabe wird angemerkt, daß der Roman, obwohl er mit keinem Wort die Politik erwähnt, als gründliche Verdammung der faschistischen Diktatur zu verstehen ist und ich war, wie schon geschrieben, von den starken Bildern und der präzisen Beschreibung der Mutter Mariagrazia, die mit ihren Kindern, der fünfundzwanzigährigen Tochter Carla, dem wahrscheinlich jüngeren Sohn Michele, ihrem Liebhaber Leo und ihrer dicken Freundin Lisa, in einer gutbürgerlichen Villa, am Rande Roms, ein gutbürgerliches Leben zu leben versucht, sehr beeindruckt.
Man speist, plaudert, zieht sich um und plant die Abendgestaltung, Tantztees, Theaterbesuche, Bälle, obwohl das nicht so einfach ist, denn das Pirandello Stück „Sechs Personen suchen einen Autor“ wäre zwar sehr interessant, kann aber von Mariagrazia nicht besucht werden, da es sich um eine Volksvorstellung handelt.
Mariagrazia spricht ihren Liebhaber, den offensichtlich wohlhabenden Geschäfts- und Lebemann Leo Merumeci per „Sie“ und mit seinen Nachnamen an, gleichwohl macht sie ihm ständig Vorhaltungen und ist sehr eifersüchtig.
Berechtigt, denn der Liebhaber hat nichts anderes im Kopf, als die schöne Carla zu verführen, die ihrerseits an ihrem Geburtstag beschließt, ihr Leben zu verändern, aus den bürgerlichen Bahnen auszubrechen und sich Leo hinzugeben. Dann gibt es noch Michele, Student wahrscheinlich, der herausbekommen hat, daß die Familie ruiniert, d.h. von Leo abhängig ist und ihm das mit einer Hypothek belastete Haus, wahrscheinlich überlassen muß …
Am nächsten Tag wird Carlas Geburtstag gefeiert, Leo kommt mit einem teuren Geschenk und zwei Flaschen Sekt, mit denen er Carla betrunken machen will, um sie leichter in sein Bett zu bekommen.
Es wird getafelt und die Geburtstagstorte gegessen, die Mutter wünscht sich einen reichen Ehemann für die Tochter, aber wer heiratet ein armes Mädchen?
Da gibt es zwar die reiche Familie Berardi mit ihren Sohn Pippo, die die Mutter auf ihren Ball einlädt, aber Carla will sich ja mit Leo im Gärtnerhäuschen treffen, der spinnt im Kopf die schönsten Phantasien der Verführung, die in der Realität daran scheitern, daß die betrunkene Carla kotzen und die Verführung bis nach dem Abendessen verschoben werden muß.
Während man sich auf den Ball bei den Berardis vorbereitet, zerstreitet sich die eifersüchtige Mutter mit Lisa, die Michele, den sie verführen will, erzählt, daß sie Carla auf Leos Schoß sitzen sah.
Der kauft sich einen Revolver, schmiedet den Plan, Leo umzubringen und phantasiert, wie er sich vor Gericht verteidigen wird, bevor er in Leos Wohnung fährt und dort prompt Carla im Schlafzimmer trifft. Er schießt, nur leider hat er die Patronen vergessen, Leo bietet Carla die Heirat an, die sie auch bereit ist, anzunehmen, aber jetzt will Michele sie daran hindern, hat er ja in seinen Phantasien, um die Villa und den Wohlstand nicht zu verlieren, Leo Carla längst als Geliebte angeboten.
Ein starkens Buch in einer starken Sprache, mit sehr beeindruckenden immer noch aktuell erscheinenden Bildern, obwohl sich inzwischen nicht nur das Frauenbild, sondern auch der reale Sozialismus verändert hat.
Moravias Männerphantasien spiegeln zwar durch und auch seine Vorstellung von Moral, interessant ist aber trotzdem, daß Carla nicht nur als verführtes Opfer, sondern auch in ihrer Lust an der Verführung beschrieben wird.
Ein bißchen langatmig wirkt das Buch vielleicht. Zuviele Beschreibungen, zuviele Phantasien, wo wir heute ja viel schneller und viel abgebrühter sind.
Die psychologische Studie mit ihren starken Bildern besticht aber immer noch und auch die starke Gesellschaftskritik, die es schafft, die Mißstände aufzuzeigen, ohne das Wort Politik zu erwähnen. Moravia macht es in Andeutungen, in dem er in einem Nebensatz erwähnt, daß sich die bankrotte, in Geldfragen unerfahrene, boshafte, zänkische Mutter, nicht unters Volk mischen und sich daher auch in keine Mietwohnung begeben will.
Der bürgerliche Schein wird mit allen Mitteln, auch mit denen der Illusion, versucht aufrecht zu erhalten. Es wird verführt, gelogen und betrogen in dieser Gesellschaft der Gleichgültigen, am Ende verkleiden sich alle in ihre schönsten Masken und fahren zum Ball, um ihr Leben und ihre Liebhaber zu genießen.
Und weil wir wieder eine Wirtschaftskrise haben und sich die Gesellschaft, wie man hört, zu einem konservativen Bild zurückentwickelt, ist dieser 1929 geschriebene Roman wirklich zu empfehlen, so daß ich nur raten kann, nachzusehen, ob er nicht ungelesen im Bücherregal steht, bzw. sich antiquarisch oder auch in einer aktuellen Ausgabe erwerben läßt.
2009-08-23
Die Gleichgültigen
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