Ein Bericht über Friederike Kretzens „Ich bin ein Hügel“, eines meiner Ein-Euro-Buchlandungsbücher, mit dem ich gerade fertiggeworden bin. Rezension, Besprechung, Leseeindruck?
Da gibt es ja ein Buch des Literaturwissenschaftlers Stephan Pomolka „Kritiken schreiben“, das Leselustfrust gelesen hat und daran hat sich eine rege Diskussion entfacht, was Blogger eigentlich schreiben?
Ich bin darauf gekommen, daß ich meine Besprechungen zwar Rezensionen nenne, weil das kompetent klingt, sie aber als spontan subjektive Leseeindrücke verstehe. Wo ich leicht und locker über das Gelesene darüberflüstern will. Berufskritikerin bin ich ja keine.
Wohl kann aber die Autorin aus den Büchern anderer für ihr Schreiben lernen und soll sie solcherart lesen und da eignet sich „Ich bin ein Hügel“ auch bestens.
Ist die 1956 in Leverkusen geborene Friederike Kretzen, die Soziologie und Ethnologie studierte, während ihres Studiums eine Theatergruppe aufbaute und später Regieassistentin und Dramaturgin war, ja seit einigen Jahren Tutorin beim Klagenfurter Literaturkurs.
Das 1998 erschienene Buch, ich habe die dtv-Ausgabe von 2001, die Bezeichnung Roman, fällt mir etwas schwer, ist die Pubertätsgeschichte eines dicken Kindes von armen Eltern, das in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, eine höhere Töchterschule einer westdeutschen Chemiemetropole besucht. Eines dicken und unansehnlichen Mädchens, dessen Vater an Tuberkulose leidet, weil ihm zehn Jahre nach dem Krieg eine Kugel aus der Schulter herausgewachsen ist, so daß eine Lungenfunktion stillgelegt werden mußte.
Deshalb stehen am Speicher nicht nur die Koffer mit den hellgrünen Bettüchern, die zur Aussteuer der Mutter gehören, sondern auch die väterlichen Röntgenaufnahmen mit den schwarzen Löchern und während die Ich-Erzählerin die Aufmerksamkeit der Mutter sucht, weil die nur Zeit für das Füttern des Papageis hat, wünscht sie sich, daß ihr jemand sagen würde, sie sei sehr nett!
Sie wäre auch gern in einem Internat und würde reiten lernen oder, wie Hanni und Nanni aus ihren Mädchenbüchern, Tee trinken und Sardellenbrötchen essen.
Besucht aber, wie bereits erwähnt, die höhere Schule für Frauenbildung, wo sie Französisch, Kochen, Fechten und Handarbeiten lernt und sich ziemlich einsam unter den Ärztetöchtern mit dem Mathematiklehrer Schreck, der einmal Offizier gewesen ist „Später meine Damen könnt ihr eure Rechenaufgaben euren Männern überlassen, jetzt versuchen Sie es selber!“ und der Deutschlehrerin, die ihre Gedichtinterpretationen übertrieben findet, herumquält, während die Griechin Vicki „Ein Schiff wird kommen!“, singt, der Sinn der Mondfahrt zu begründen ist und Lex Barker in den Winnetou-Filmen brilliert.
Die Cousine hat ein paar uneheliche Kinder, die Mutter passt auf sie auf und die älter gewordene Heldin kämpft für ein Jugendzentrum, bringt in den Theater der Jugend-Aufführungen Bruno Ganz zur Verzweiflung, weil der als Prinz von Homburg sein eigenes Grab ausheben soll und kommt auch mit Trotzkisten in Berührung.
Trotz dieser Realität wird das einfühlsame Protokoll einer weiblichen Jugend von Märchenbildern begleitet, das Pferd Fallada erscheint beispielsweise, während die Namenlose mit Freund Bernhard den damaligen Kultfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ anschauen geht.
Die Mutter ist ein Berg, der Vater ebenso, sie selber bekanntlich ein Hügel, dick und unansehnlich und am Ende stirbt der Vater, so daß sich die Hügel zu kleinen Fischen transformieren, die schon früher eine Rolle spielten.
Ein sehr poetischer Prosatext, in einer metaphernreichen Sprache, die manchmal etwas ganz Normales erzählt. Eine deutsche Nachkriegsjugend zwischen Weltkriegstraumen und 1968. Ein einziger Ich-Monolog, zu Klagenfurt sehr passend.
„Verblüffende Bilder, ungewöhnliche Metaphern, schräge Pointen und damit zugleich vor unseren Augen ein merk-würdiger Erfahrungsbericht des kleinbürgerlichen Alltags in Westdeutschland“, hat Birgit Schwaner, die ebenfalls sehr poetische Autorenkollegin, in der Wiener Zeitung geschrieben.
Die realistische Schreiberin tut sich bekannterweise nicht ganz leicht damit, trotzdem hatten die schönen Worte ihre Wirkung und das kleinbürgerliche Nachkriegsleben ist sehr dicht herausgekommen. Am Anfang hat die Psychologin zwar die Schilderung einer Eßstörung erwartet, bis sie begriffen hat, daß es hier um etwas anderes geht.
2009-09-14
Ich bin ein Hügel
2 Kommentare »
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liebe eva jancak,
kannst du mal einen link reinstellen, ich finde den leselustfrustblog nicht oder bin zu blöd dazu 🙂
liebe grüße
andrea
Kommentar von andrea — 2009-09-14 @ 21:24 |
leselustfrust.wordpress.com
Kommentar von Eva Jancak — 2009-09-14 @ 23:56 |