Noch einmal alte Schmiede, noch einmal Textvorstellungen. Diesmal im Saal und Angelika Reitzer hatte für ihren zweiten Abend, die Welt als verlorene Erinnerung gewählt. Angelika Reitzer steht, denke ich, für die starke Sprache und für Autoren, die schon einmal beim Bachmannwettbewerb gelesen haben oder das noch tun werden. So saß auch Andrea Grill im Publikum, die ja auch einmal dort gelesen hat, neben Barbara Zwiefelhofer vom Literaturhaus und auf dem Büchertisch lagen Bücher vom Luftschachtverlag.
Angelika Reitzer hielt ein Einleitungsreferat, das sowohl sehr poetisch als auch theoretisch war. Dann begann Hanno Millesi. Ich bin ja irgendwie ein Fan von Hanno Millesi, wenn so etwas möglich ist. Kennengelernt habe ich ihn vor Jahren bei einem dieser Wahnsinnssymposien, da hat er mich durch seinen starken Text, in dem er mit sehr beklemmenden Worten eine Kindheit, die zur Psychose führen könnte, beschrieben hat, beeindruckt. Sehr beeindruckend auch der Text, den er beim Bachmannpreis gelesen hat. Für den hätte ich gestimmt und habe ihn für den besten gehalten, aber die Österreicher gewinnen da ja nicht sehr viel, behaupte ich noch einmal, diesmal war er viel milder und ironisch sarkastisch.
Es geht, hat Angelika Reitzer eingeleitet bei „Alles Gute“, um ein Kalendarium und beginnt mit dem Geburtstag von Dorothy Parker. Denn die Ich-Figur feiert jedes Monat den Geburtstag oder auch den Todestag eines ihm sympathischen Dichters oder Dichterin und sauft sich zu dieser Gelegenheit meistens stilvoll an. Das Saufen in der Literatur ist schon überwunden, hat Gustav Ernst in seinem letzten Buch zwar erklärt, Hanno Millesis Ich-Figur tut es aber immer noch und treibt an seinen Geburtstagstagen auch die seltsamsten Aktionen. So bleibt er den ganzen Tag nackt, um dem ersten, der ihn an diesem Tag besucht, in diesen Zustand die Türe aufzumachen, es kommt aber keiner oder er rezitiert jedem der anruft, ein Gedicht von Emily Dickinson. Er geht auch in den Supermarkt, um in die Tiefkühltruhe Gedichte auszusetzen, um einen Gegentrend gegen das stumpfsinnige Konsumieren zu setzen und dann träufelt er noch im Liegen Orangensaft mit irgendeiner Sorte Schnaps in sich hinein, bis er ganz verklebt und besoffen ist, so weit, des Dichters grandiose Dichtergeburtstagshuldigungen.
Dann kam Johannes Weinberger an die Reihe, 1975 geboren, von dem ich bisher nicht viel mehr als seinen Namen kannte und der las seine „Vatertrilogie“ und da hatte ich wieder einmal eines meiner Aha-Erlebnissse, wo ich am Überlegen war, ob ich nicht den Saal verlassen soll?
Denn der Vater, um den es ging, schob im schönsten Monolog, der sprachlich gelungensten Sätze, Worte vor sich her in denen das Blut nur so um sich spritze, an der Zunge tote Fliegen im Reis klebten und der Vater das Kind in den Bauch der Mutter schieben, unter Wasser drücken oder ihm zu Weihnachten eine Bärenfalle schenken möchte, um sich von seinem knautschigen Schnarchen zu befreien. Die beklemmenste Aggression in die wunderschönsten Worten eingepackt und man sitzt da, hört zu und klatscht am Schluß und das will ich nicht. Dann dachte ich, daß das die Beschreibung einer Psychose ist und an Hanno Millesis Kindertexte, die ja umgekehrt beklemmend waren und dachte, ich werde den Autor fragen, ob er nicht fürchtet, daß er im Falle einer Scheidung, das Sorgerecht wahrscheinlich nicht zugesprochen bekommt?
Da mußte ich lachen und konnte sitzenbleiben. Der Autor erzählte in der Diskussion etwas von seiner Psychotherapie, in der viel hochgekommen wäre und, daß das Unterdrücken von Aggression auch nicht gut sein kann. Natürlich nicht. Dennoch denke ich, daß ich mir das zwar in einer Therapiestunde, aber nicht in der alten Schmiede hören will, auch wenn es noch so schön geformte Sätze sind.
Dann kam die Überraschung des Abends, nämlich die 1989 in Graz geborene Valerie Fritsch, eine schöne junge Frau mit einer hohen Stimme, die von einer Ärztin las, die früher einmal Hure war, in wunderschönen Wortkaskaden, wie Andrea Winkler oder Richard Obermayr voll von Metaphern und Bildern, aber auch mit gelegentlichen Sätzen wie, in der Dusche ist das Wasser heiß. Ohne jeden Zweifel geballte Sprachgewalt. Die Bachmannpreisleserin von übermorgen vielleicht, die dann ähnlich daneben, wie Andrea Winkler oder Angelika Reitzer stehen wird, aber viel weniger beklemmend war, als die Wortbilder der beiden Männer, die ohne jeden Zweifel auch Sprachkünstler sind.
Angelika Reitzer fragte nach der Recherche, ob sie für die Ärztin in Paris, die früher einmal Hure war, viel nachgegooglet hätte? Nein, antwortete die junge Frau mit den blonden Haaren und den Handschuhen ohne Finger, da gehe ich schon direkt an den Ort und habe zwei Tage im Bordell verbracht und dort viel geplaudert. Der Besitzer hat mich auch zum Essen einladen wollen, ich mochte aber nicht, er war mir unsympathisch. Naiv oder arrogant? Mit zwanzig kann man das vielleicht sein.
Als ich zwanzig war, habe ich auch eine Erzählung geschrieben, die in Paris spielte und von einer Hure handelte, die an den Nachmittagen in ein Kloster gegangen ist und sich dort um arme Kinder kümmerte. Ein Bordell habe ich dafür nicht besucht. Das hätte ich mich nicht getraut. Dafür war sie sprachlich nicht so schön, allerdings habe ich mit den reinen Wortschwällen meine Schwierigkeiten, aber sicher drei interessante Autoren gehört, was das aber mit verlorener Welterinnerung zu tun hat, habe ich nicht ganz verstanden?
2010-02-05
Die Welt hat ihre Erinnerung verloren
5 Kommentare »
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ersuche um zwei, drei bspe für „reine wortschwälle“ bittedanke. lg rl
Kommentar von rudolf lasselsberger — 2010-02-12 @ 13:01 |
Rein subjektiv antworte ich, wenn du auf zwei drei Seiten poetisch, die Schönheit eines Gänseblümchens besingst, würde ich vermutlich ungeduldig werden und mich fragen, um was geht es da eigentlich? Jetzt hätte ich schon gern, daß etwas passiert, auch wenn du es noch so schön erzählst!
Das gilt auch für einen Nagel, einen Bahnhof oder einen Hosenbund, um die Beispiele beliebig auszuweiten.
Ich bin eben eine realistische Schreiberin, nun ja!
Kommentar von Eva Jancak — 2010-02-12 @ 14:36 |
ahso, aha, na ich dachte du meinst einzelne sätze…
Kommentar von rudolf lasselsberger — 2010-02-12 @ 23:49 |
Die kannst du dir selbst ausdenken oder auch nachlesen. Im „Gefälschten Himmel“ oder „Drei,vier Töne, nicht mehr. Elf Rufe“, wird man sicher welche finden. Beides tolle Bücher.
Kommentar von jancak — 2010-02-20 @ 20:56 |
Zu Valerie Fritsch ist zu ergänzen, daß sie zwar noch nicht den Bachmannpreis aber immerhin den dritten Platz des FM4 Wortlaut Wettbewerbs 2010, wie ich eben erfahren habe, gewonnen hat.
Kommentar von jancak — 2010-09-22 @ 21:43 |