Literaturgefluester

2010-05-31

Bagheria

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:02

In Erinnerung an unseren Sizilienurlaub vor einem Jahr hab ich jetzt Dacia Marainis „Bagheria-Eine Kindheit auf Sizilien“ gelesen, eines der ein Euro Bücher, das ich mir im November, um Roman Gutschs Geburtstagsgutschein gekauft habe.
Die langjährige Lebensgefährtin Alberto Moravias wurde 1936 in Florenz geboren, ging dann mit ihrer Familie nach Japan, wo sie drei Jahre in japanischen Konzentrationslagern interniert war. 1947 ist sie mit ihren Eltern und ihren beiden Schwestern nach Bagheria, in die Villa Valguarnera, in der ihre Mutter, die einer italienischen Adelsfamilie entstammt, großgeworden ist, zurückgekommen, um dort ihre Kindheit, in einem umgebauten Stall zu verbringen.
Später ist sie mit ihrer Mutter nach Palermo und weil sie Sehnsucht nach ihren Vater hatte, zu diesem nach Rom gegangen, wurde Schriftstellerin, Feministin, Lebensgefährtin Alberto Moravias und ist erst später wieder nach Bagheria zurückgekommen, um über ihre Kindheit in Sizilien zu schreiben.
Und schreibt nicht viel davon, in dem 1993 erschienenen Buch, das in Italien mit zweihundertausend verkauften Exemplaren, ein Überraschungserfolg wurde, wie auf dem Buchrücken steht.
Das Buch beginnt mit der Rückkehr der Familie in die kleine Stadt, die Zeit in Japan, die Schrecken und der Hunger in den Konzentrationslagern wird kurz erwähnt und die amerikanischen Marinesoldaten, die die Elfjährige mit Schokoladeriegeln und rot-weiß gestreiften Zuckerstangen überhäufen. Dann geht es mit einem mageren Pferd von Palermo in die Villa, in der sie der sterbende Großvater, die Großmutter, eine Tante und ein Onkel erwarten.
Zwei Jahre lebt die Familie in dem umgebauten Hühnerstall, bis auf einmal der Vater, zu dem sie eine zärtliche und unverstandene Liebe verbindet, plötzlich verschwindet und die Mutter mit den drei Kindern und einem Schuldenberg überbleibt.
Danach wechselt Dacia Maraini das Thema und erzählt von Büchern, die die Geschichte der Stadt beschreiben, von der wunderschönen Kartause in der Villa Butera und der Enteignung seitens der Gemeinde, um die Mitte der Fünfzigerjahre, wo unter dem Vorwand ein neues Schulgebäude zu erbauen, die grünen Lungen Bagherias zerstört wurden.
Dacia Maraini prangert einen Ingenieur Giammanco an, spricht von der Mafia und erzählt von dem sexuellen Mißbräuchen, denen die Mädchen in Italien damals ausgesetzt waren und die sie erst Jahre später in ihren Frauengruppen erkannten.
Jahre später kommt sie aus Rom, an der Seite einer Freundin in die Villa Valguarnera zu Tante Saretta zurück, die wenig später stirbt und die Villa mit all ihren Schätzen den Jesuiten vermachte. Mit dieser geht sie durch die Räume und denkt an die Familiengeschichte, die sehr kompliziert ist.
Haben dort doch Königinnen übernachtet, die ihre Fensterläden mitbrachten, weil sie gerne in abgedunkelten Zimmern schliefen und das Stuckwappen an der Fassade abschagen ließen, weil sie unter keinem fremden Wappen wohnen wollten.
All das steht in dem Buch, daß Tante Felicita geschrieben hat und dann gibt es noch den Roman über die „Stumme Herzogin“ ebenfalls eine Vorfahrin, deren Bild in der Villa hängt, mit dem Dacia Maraini berühmt geworden ist und die Geschichte von der chilenischen Großmutter, die Sängerin werden wollte und ihr Leben lang darunter litt, daß sie diesen Beruf, als Gattin eines Herzogs nicht ausüben durfte und den liberalen Vater, der Ethnologe und Schriftsteller war.
Dacia Maraini erzählt das, während die mit ihrer Freundin durch die Zimmer der Villa geht, um sich zuletzt mit der Tante im Salon zu treffen und sich von einer Frau mit Stöckelschuhen und roten Fingernägeln, die berühmten kleinen Eistörtchen in Blumenform servieren zu lassen.
Dazwischen wird noch die Geschichte der Unterdrückung der sizilianischen Frauen erzählt, die niemals mit einem Mann in einem Zimmer bleiben durften, weil das schon als Aufforderung zur Vergewaltigung verstanden wurde, kurz und flüchtig wird auch der Name Alberto Moravia und die eigene Kinderlosigkeit nach einer Fehlgeburt erwähnt.
Ein interessantes Buch über eine unbekannte, vergangene Welt und einen Teil Siziliens in dem wir nicht gewesen sind.
Dacia Maraini, die als die erste italienische Schriftstellerin gilt, die sich mit Gewalt, Prostitution, Inzest oder lesbische Liebe auf feministische Weise auseinandersetzte, hat, wie ich bei Google nachgesehen hat, sehr viele Bücher geschrieben.
Gelesen hatte ich noch nichts von ihr, ihren Namen aber in den literarischen Sizilienführer, den ich auf die Reise mitgenommen habe, entdeckt.

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