Andrea Stift hat in ihrem Blog von der „Magie der Halbzeit“ gespochen. Da passiert auf Seite fünfzig eines Textes, meint sie, immer etwas ganz Wunderbares. Man sieht das Kindesköpfchen, weiß, das bald geboren werden kann und hat Angst, daß etwas schiefgegangen ist.
Dem kann ich mich nur anschließen und als ich ihren Blogeintrag gelesen habe, war ich bei „Absturzgefahr“ auch auf Seite fünfzig oder leicht darüber. Erinnern wir uns, vor etwa einem Monat, habe ich damit begonnen und nach der nochmaligen Lektüre von „Ein Roman in einem Jahr“ einen euphorischen Bericht übers Sommerschreiben verfaßt. Dann kam das Wochenende, ich schrieb und schrieb, kam zuerst auf vierundzwanzig, dann auf achtundvierzig Seiten. Vor einer Woche bin ich, glaube ich, wieder dagesessen, die Psychiater nennen das wahrscheinlich, die manisch depressive Schwankung und habe gedacht, ich kann es nicht, wiederhol mich nur, mache alles falsch, in dem ich mich fröhlich unbeholfen ins Abseits schreibe und mir die Pointen selbst zerstöre. Dann muß ich, das kenn ich schon, korrigieren, in Wien, wo mein Drucker steht, bin ich aber nur bis Szene sechs damit gekommen. Am Mittwoch habe ich es in Harland erst mal fertig gemacht, kann es aber nicht ausdrucken.
Die neuen Ideen sind aber trotzdem, nach einer ziemlich niedergeschlagenen Nacht gekommen, nachdem ich die vierundfünfzig Seiten, die ich vor einer Woche hatte, ersteinmal auf einundfünfzig verringert habe. Dann habe ich über meine Figuren nachgedacht und mir die Handlungsstänge angestrichen, die sich entwickeln lassen und begonnen eine Szene mit Margrets Traumatisierung zu schreiben. Da habe ich ja eine Vorlage, aber die will ich sehr entfremden und das ist mir, glaube ich, auch gelungen. Dann sind die Mails an Fritzi auch viel glaubhafter, die ihre Liebe zu dem polnischen Priester Janusz Warszinski entwickelt, der am Schluß die Kirche verläßt, um mit ihr nach Linz zu ziehen, wo beide Psychotherapeuten werden….
Bernhard Listringer sammelt inzwischen eifrig die Bücher vom offenen Bücherschrank und bringt sie nach Hause, eine türkische Komparatistikstudentin stellt da ihre Rezensionsexemplare, zum Beispiel Andrea Winkler, hinein, er findet aber auch einen Sack alter Krimis, soweit so gut.
Das Entwickeln neuer Handlungen ist eine schöne Sache, für mich jedenfalls, da ich damit immer noch ein wenig experimentiere und das Spannende ist, wie weit ich mich von der Vorlage entferne. Da habe ich eine Idee, zum Beispiel was gesehen, erlebt oder gehört und denke, darüber will ich schreiben. Dann fange ich an, verwende das erlebte Material und sehe, ich bin wenn ich es geschrieben habe, im off und weiß nicht weiter, denn jetzt muß ich die Handlung kommen lassen. Da hat mir Anni Bürkl, als ich am „Haus“ geschrieben habe, einmal einen guten Tip gegeben.
„Show, not tell!“, aber auch weg von der Vorlage, was Neues machen und das ist, glaube ich, am Donnerstag bei einer meiner Fritzi Szenen passiert. Denn da war ich ja im Mai bei der Muttertagseinladung der Bezirksvorstehung Mariahilf im Haus des Meeres. Das heißt, ich bin vorher im Estherhazypark gesessen und habe mich über das Verbot Tauben zu füttern, geärgert und darüber, daß die Parkwächter von den alten Frauen, die das trotzdem tun, abkassieren, aber das hatte ich schon vorher in der Bezirkszeitung gelesen. Im Park saß eine Kindergartengruppe mit einer Englisch sprechenden Betreuerin, die Knabberstangen an die Kinder mit den gelben Mützen verteilte und als diese dann den Tauben zum Opfer fielen, engagiert „No food for birds, only food for kids!“, vor sich hin trällerte.
Kann sein, daß etwas Ähnliches in „Absturzgefahr“ zu finden sein wird, dann sitzt die Fitzi im Burggarten mit ihren Laptop, liest ihre Mails von Jan und macht das Textcoaching für Harald Hoffmanns Fünffrauenroman.
Das Szenenschreiben ist wirklich spannend und macht Türen auf, ich muß es nur festhalten, daß ich es nicht verliere und nicht in Eigentore abgleite. Thomas Wollinger schreibt in seinem wunderbaren Blog „Schreiben“ auch gerade übers Szenenschreiben und macht sehr deutlich, wie das gehen kann.
Man findet ein Schweineherz in einer Fleischerei, macht ein Foto, hat aber noch keine Szene, denn dann muß man erfinden und das ist das Spannende am Schreiben. Die Schreibratgeber meinen dann, daß man übertreiben und gestalten soll, denn das Alltagsleben interessiert ja niemanden. Im Roman muß es schon ein bißchen schillender, glänzender, ungewöhnlicher sein. Mag sein, daß das stimmt, ich denke trotzdem, man muß nicht übertreiben, denn das, was mir meine Klienten so erzählen, ist spannend genug, da brauche ich keinen Mord und Totschlag, um zu zeigen, was Traumatisierung ist.
Mal sehen, wie es wird, ein Textcoach, der mich an der Schulter nimmt, wenn ich zum Eigentorschießen anfange, wär natürlich gut, aber zum Glück gibt es die Autorenblogs mit den Ratschlägen für die Schreibenden und Andrea Stift hat sicher recht, wenn sie mahnt, nicht so schnell zu sein, da gibt es einen schönen Film von ihr, in dem sie über ihr Schreiben spricht.
Zeitlassen, ein Roman kann ruhig ein zwei Jahre dauern und muß nicht in einem Monat fertig sein, wie es mir, bei meinen Erzählungen, wie meine Leser wissen, öfter mal passiert. Macht aber auch nichts, schnell sein ist kein Manko, nur kommt man weiter, beim Zeitlassen, das habe ich schon bemerkt, habe aber einige tausend Seiten gebraucht, bis ich daraufgekommen bin…
So sollte ich also diesen Sonntag zum Weiterschreiben nützen, wems interessiert, sechsundsechzig Seiten, sechzehn Szenen und einige Romankapitel sinds inzwischen schon.
2010-07-25
Fortschrittsbericht
Kommentar verfassen »
Du hast noch keine Kommentare.
Kommentar verfassen