Ich bin ja nicht so besonders reiselustig, für kostenlose Werbegaben aber sehr empfänglich und daher seit längeren in den Karteien diverser Kaffeefahrten, was der Literatur zu Gute komme, zehren solcherart doch sowohl „Eine begrenzte Frau“, „Die Zusteigerin oder die Reise nach Odessa“, „Wilder Rosenwuchs“ und wahrscheinlich einiges mehr davon.
Solche Werbefahrten schärfen den sozialen Blick und da ich ja mit und ohne Joseph Roth mit Sprache unterwegs sein will, habe ich mich, als ein Brief von „Rosi-Reisen“ mit der Aufforderung kam „Einen wunderschöne Urlaubstag in der Oststeiermark zu machen: Rosenausstellung, Stadtrundfahrt, Blumen-Versteigerung, Bauernmarkt, Frühstückbuffet, Mittagessen, dazu die Übergabe des Hauptgewinnes aus der großen Sommerverlosung, sowie ein Extrapräsent im Wert von achtundsiebzig Euro und eine Rundfahrt entlang der Schlösserstraße bis nach Ungarn, kostenlos für mich und meine Gäste“, zu machen, angemeldet und bin, da sehr konsequent und gewissenhaft, trotz Buch-Wien und Toleranzpreisverleihung, um halb sechs aufgestanden. Der Bus kam pünktlich und hatte die vorherigen Stationen schon abgefahren, so daß mein Lieblingsplatz besetzt war. Der Chauffeur erkundigte sich, ob ich einen Reisepaß mit hätte und begann einem Fahrgast zu erklären, daß man immer einen Paß bei sich tragen müßte, weil man sonst Strafe zahlen muß und er uns nach Szombathely bzw. an die Tankstelle in der Triesterstraße bringen würde, wo ein anderer Chauffeur die Fahrt übernehme.
Die beiden heiligen Trinker, die ich schon von den letzten Busfahrten kenne, öffneten ihre Schnapsfläschchen und begannen darüber zu schimpfen, daß sie schon eine Stunde herumfahren würden und der andere Chauffeur kreiste etwas etwas später in Oberpullendorf und schien etwas zu suchen, so daß wir an sehr schönen Häusern vorbei, die kleinsten Wege fuhren.
Die beiden begannen zu streiten, ob wir nach Sopron oder Szombathely fahren und welcher Grenzübergang der richtige wäre, den der Chauffeur schließlich auch fand. In Szombathely an Hofer, Lidl, Tesco vorbei und etliche Kilometer hinaus zum Restaurant Joszi Baczi, wo der Chauffeur den Werbeleiter holte.
Herr Mark erschien sogleich und führte in den großen Saal, wo es Frühstück gab. Ein Teller mit Wurst, Käse, Butter, einer Gurkenscheibe und Kaffee. Herr Mark, der nichts als Ehrlichkeit forderte, verschenkte eine Puppe einer verblüfften Dame und verkaufte einem Herrn ein, wie er meinte, wertvolles Messerset für zwanzig Euro.
„Das werde ich an diesen Tag noch dreimal machen!“, versprach er und ich dachte an Joseph Roths Spuren. Vielleicht finden sich die in dem kleinen Dorf? Denn das war das Eck von Szombathely Petöfi telep, wo wir gelandet waren. Die Straßen mit großen Wasserlöchern, eine verstecktes Kircherl, zwei Spielplätze und sonst nur Straßenzeilen mit teilweise sehr schönen Häusern in deren Gärten, die Hunde so laut kläfften, daß ich mich nicht daran vorbeigehen traute. Katzen liefen herum und hin und wieder ein Passant, der freundlich grüßte.
Herr Mark erklärte inzwischen, daß er Molekularmediziner sei, begann von Q 10 zu sprechen und, daß man zwischen Kur und Therapie unterscheiden muß. Zitierte ein paar Bücher von Nobelpreisträgern und zeigte Kuverts mit fünfhundert Euroscheinen her, die er verschenken würde, man müße aufzeigen, wenn man interessiert ist. Etwa zwanzig Personen taten das. Herr Mark schien erschreckt. Da hat doch jemand etwas mißverstanden! Was machen wir da? Erklären, daß man das Geld nur bekommt, wenn man die Kur für tausenddreihundert Euro kauft, dazu wird noch eine Puppe oder ein Stoffhund geschenkt.
Das Essen kam. Cordon Bleu mit Reis und Pommes Frites, dazu Krautsalat. Die Lehrerin, die neben mir saß, erzählte mir von ihren Allergien und daß sie unter den Türkenkindern in ihrer Klasse leide, weil die nicht deutsch lernen würden und unwillig wären.
Herr Mark war von den verkauften Therapien offenbar so entzückt, daß die Verteilung der Kleinteile mit weniger Druck als sonst passierte.
„Jeder, der etwas kauft, bekommt ein so großes Geschenk!“, scherzte der Molekularmediziner, riß die Finger auseinander und zog ein Plastiksackerl hinter seinen Rücken hervor.
Dann kam der zweite Teil, auf den die Lehrerin schon gewartet hatte, nämlich die informative „Rosi-Reisen“-Show, dem zweite Sponsor, der den Bus bezahlte. Dann war es schon halb fünf vorbei und als ich den Chauffeur fragte, ob wir jetzt in die Steiermark fahren würden, schüttelte der den Kopf. Er weiß von nichts oder, wie hat Frau Stephanie das letzte Mal in Sopron gesagt? „Alles nur Schmäh!“
Eine Dame hat inzwischen noch ein Fahrrad gewonnen, das versprochene Präsent war ein Scheibenmesser, unverbindlicher Richtpreis 78 Euro stand tatsächlich auf der Schachtel. Zurück zur Triesterstraße, wo die Chauffeure wieder wechselten. Es wurde etwas ungemütlich, der Chauffeur weigerte sich in die Schönbrunnerstraße zu fahren, eine Frau schrie „Passen Sie auf, Sie sind bei rot in die Kreuzung gebogen!“, eine andere „Macht doch den Chauffeur nicht nervös!“
Auf den Spuren Joseph Roths nach Ungarn, nicht in die Oststeiermark, weil die Restaurants dort, wie Herr Mark erklärte, zwanzig Euro Umsatz von den Gästen verlangen oder weil, wie der Chauffeur meinte, Werbeveranstaltungen in Österreich verboten sind.
So fahren die kleinen ältere Leute jeden Morgen mit „Rosi“ oder anderen Reisen, nach Sopron, Bratislava oder Szombathely und haben, wenn sie nicht zu viel kaufen, durchaus ihren Spaß dabei. Die heiligen Trinker schimpfen über die langen Fahrten und packen ihre Bierdosen aus, die Lehrerinnen freuen sich über geschenkt bekommene Zusatzreisen und die Werber, die sonst vielleicht arbeitslos wären, über ihren Umsatz.
Ob Joseph Roth viel in Ungarn war, weiß ich nicht. Ödon von Horvath hat in seiner Zeit, aber auch viel von den kleinen Leuten, Vertretern und Verkäufern geschrieben. Und die Lesung der ukrainischen Schriftstellerin Oksana Sabuschko in der Hauptbücherei ist sich nun doch nicht ausgegangen, hätte aber gut gepasst.
2010-11-19
Werbefahrt mit Joseph Roth
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