Jetzt die zweite (Kriminal)geschichte des Meistererzählers Michael Köhlmeier „Calling“ aus dem Deuticke Verlag, die sich bei mir angesammelt hat und die ich mir zu lesen vorgenommen habe. Über „Dein Zimmer für mich allein“ habe ich schon geschrieben. „Calling“, das wie im Klappentext steht, auf einer wahren Begebenheit ruht und auch an der Wienzeile spielt, in einer Dachwohnung gegenüber dieser schönen Jugendstilhäuser, wo die „grünspanüberzogenen, fünfmal lebensgroßen Frauenfiguren am Dachrand des goldenen Hauses, die Hände wie Trichter vor dem Mund halten , stumm in die Stadt rufen und nie damit aufhören, so daß man sich fragt, wer es zuläßt, daß solche Verzweiflung als Schmuck auf Hausdächer gestellt wurde?“
Früher habe ich Michael Köhlmeier gelegentlich in der Kettenbrückengasse gesehen, vielleicht hat er also selber eine solche Dachwohnung. In der im Buch beschriebenen, wohnt die zweiundvierzigjährige Elisabeth Muhar, Spezialistin für Jazz bei Ö3 oder so, die ist von Harry, dessen Vater ihr die teure Dachwohnung zur Verfügung stellte, geschieden, weil Harry sie sechs oder sieben Mal betrogen hat, wird von ihm aber regelmäßig besucht. Danach pflegt er sie immer anzurufen und sich für die schönen Stunden zu bedanken.
Als das Telefon diesmal klingelt, ist es nicht Harry, sondern ein Mann, der behauptet Harry in der Telefonzelle als Geisel genommen und mit einer Pistole bedroht zu haben. Harry würde vor dem Anrufer am Boden knien und sich vor Angst anbrunzen und Elisabeth soll mit dem Anrufer sprechen. Was macht man in einer solchen Situation?
Das ist der Ausgangspunkt einiger psychologischer Studien und Michael Köhlmeier spielt auch brillant auf der Tastatur der Gefühle. Gelegentlich erzählt er ein bißchen aus Elisabeths Leben, so daß wir die Geschichte auch verstehen können, ansonsten läßt er uns eintauchen in die Gedanken und Phantasien von Opfer und Täter.
Der Anrufer behauptet Elisabeth sei für Harrys weiteres Schicksal verantwortlich und dürfe sich nicht falsch entscheiden, behauptet auch, er würde alles über sie wissen, fragt sie über ihr Leben aus und erzählt ihr eine Geschichte von einem Entwicklungshelfer in Afrika.
Elisabeth versucht sich dagegen einen Plan zurechtzulegen, schreibt auf einen Block ihren Namen, bittet die Polizei zu rufen und läutet damit bei der Nachbarin. Es öffnet die kroatische Putzfrau, die nicht lesen kann. Später erscheint die Nachbarin und wird kurzfristig selbst zur Geisel, bis Elisabeth sie hinauschmeißt. Das tut der Geiselnehmer inzwischen auch mit Harry. So daß der kurz darauf an ihrer Türe läutet. Elisabeth öffnet jedoch nicht und geht auch nicht zum Telefon, als Harry sie aus der Nachbarohnung anzurufen versucht. Schließlich verläßt sie selbst die Wohnung „schritt eilig in den Vierten Bezirk hinein, bis zur Wiedner Hauptstraße und dann weiter bis zum Gürtel, ging am Gürtel entlang bis zum Westbahnhof und weiter bis zur U-Bahn-Station Alserstraße. Dort setzte sie sich auf eine Bank.“
„Mit einer faszinierenden Mischung aus Detailrealismus und kalkulierter Künstlichkeit gelingt es Köhlmeier eine Atmosphäre zerbrechlicher Initmität heraufzubeschwören“, schreibt die Tageszeitung, München auf der Buchrückseite.
Ich habe es psychologisch interessant gefunden und denke, daß es wahrscheinlich wirklich Michael Köhlmeiers Spezialität ist, sehr beklemmende Geschichten aufzuschreiben, die im ersten Moment fast ein wenig irritierend erscheinen und auch Abwehr erzeugen können.Schließlich geht das Thema ja sehr nah und man weiß auch nicht, wie man sich selbst in einer solchen Situation verhalten würde.
Michael Köhlmeier ist, glaube ich, auch ein Vielschreiber, stoße ich doch immer wieder auf einen Text von ihm, von dem ich noch nichts gehört habe, ein Kaffeehausliterat und ein Märchen und Bibelerzähler, ein Jazzmusiker oder Jazzspezialist, ist er glaube ich auch.
2010-12-22
Calling
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