Literaturgefluester

2011-01-07

Hecke

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:02

In seinem 1983 erschienenen, zweiten Roman „Hecke“ erzählt der 1951 in Köln geborene Hanns-Josef Ortheil seine Lebensgeschichte.
Ein Sohn, Anfang Dreißig, vom Beruf Architekt, den er nicht besonders liebt, er wäre gern Pianist geworden, hat dieses Ziel jedoch aufgegeben, als er erkannte, daß er es nicht über die Mittelmäßigkeit hinausbringen wird, ein, wie er meint, mit sich selbst beschäftigter Einzelgänger, der nur einen Freund und eine flüchtige Frauenbeziehung hat, kehrt an einem Montag in sein Elternhaus zurück, das er für eine Woche hüten soll, weil die Mutter, den sich in der Schweiz befindenden Vater besucht.
Mit langsam behäbigen Worten und einer großen Genauigkeit der Sprache beginnt Hanns-Josef Ortheil diese Geschichte, die abwechselnd das Leben des Ich-Erzählers und das seiner Mutter erzählt, die im März 1933, als die Nazis in Deutschland an die Macht kamen, ein junges Mädchen war, das mit Eltern, Bruder, Schwester im Dorf Knippen im nördlichsten Teil des Westernwalds lebt. Das heißt zu dieser Zeit ist sie gerade von der klösterlichen Erziehung zurückgekommen und leitet die Pfarrbibliothek. An einem Sonntag, als sie den Dorfbewohnern nach der Messe die Bücher ausgeben soll, ist sie jedoch verschwunden.
So beginnt die Geschichte, in die uns der Ich-Erzähler langsam hineingleiten läßt, bzw. hat ihm das die Mutter, die gut erzählen kann, berichtet, als er sie zum Bahnhof brachte.
„Die Nazis hätten sie an diesem Sonntag zwar nicht verhaftet, wohl aber festgenommen!“, dann fährt sie ab, den Rest wird sie nach ihrer Rückkehr weitererzählen. So kehrt der Ich-Erzähler in das Haus, das er hüten soll, bzw. in die Blockhütte auf dem Grundstück, in der er seltsamerweise schläft.
Der Ich-Erzähler beschließt alles herauszubekommen und macht in der einen Woche, der Roman ist in sieben Kapitel gegliedert, die von „Montagabend“ bis „Der letzte Abend, die letzte Nacht“ reichen, lange Spaziergänge durch das Dorf, bzw die Gegend ringsherum und erfährt von einem Bauern, der ihm zum Essen einlädt, was an jenem Sonntag geschah.
Die Mutter war ein junges Mädchen aus einer streng katholischen Familie, als plötzlich die Nazis ihre Umzüge machten, die Fahnen aufstellten und am Sonntag in die Pfarrbibliothek eindrangen und von Katharina die Auslehnlisten verlangten, die sie verweigerte, so daß sie für einen Vormittag mitgenommen wurde, ihre Stelle als Bibliothekarin verlor und fortan ihrer Mutter im Haushalt half. Sie war auch ein wildes junges Mädchen, obwohl der Bruder Carl Theologie studierte, das sich mit dem Kirchenmaler Hacker anfreundete und mit ihm den heimlichen Widerstand erprobte, trotzdem freundete sie sich auch mit Henner, Sohn einer kinderreichen Bauernfamilie an, der unter Mühen studierte und, um Karriere zu machen, in die SA eintrat, an. Sie hat zu ihm zwar ein etwas seltsames Verhältnis und die Bücher aus der ehemaligen Pfarrbibliothek, die von Heine etc, die für die Bücherverbrennung vorgesehen waren, klaut sie auch und versteckt sie im Dachboden des elterlichen Hauses. Als der Bruder Carl aber seine Primiz erlebt, gleichzeitig sollen die Kirchenfresken enthüllt werden, die Nazis sich der Kirche bedrohlich nähern, um sie zu räumen und Henner das zu verhindern weiß, verlobt sie sich mit ihm und zieht mit ihm nach Berlin, um dort, während er in Polen Eisenbahnschienen verlegt, ihr erstes Kind zu bekommen. Während der Luftangriffe hat sie böse Ahnungen und erlebt eine Totgeburt. Das zweite Kind kommt im elterlichen Haus zur Welt, die Mutter flüchtet vor der Realität in eine Ammensprache und mit Kind, Eltern, Schwester auf den Hof „Hecke“, wo das Kind 1945, als schon die Amerikaner eintrafen, bei einem Granatenangriff stirbt. Henner kommt verwundet von der Front, wo er lange an den Endsieg glaubte, zwei weitere Fehlgeburten folgen, bis der Ich-Erzähler bei einer ängstlich besorgten Mutter das Licht der Welt erblickt und überlebt.
All das erzählt er uns in dieser Woche bzw. bekommt er das von der Tante, der jüngeren Schwester der Mutter, dem Maler Hacker und der anderen Tante Adelheid, der Schwester des Vaters, die Sohn und Mutter feindlich gegenüber steht und etwas seltsam ist, erzählt. Er schreibt es auf, pflanzt für die Mutter einige Rotbuchen und wimmelt die besorgten Anrufe der wiederaufgetauchten Freundin, des Freundes und des Arbeitskollegen ab, denn in die Vergangenheit einzuzudringen, ist mühsam und anstrengend. Dazwischen ruft die Mutter mehrmals an und bittet den Sohn sie vom Bahnhof abzuholen. Er stellt sich auch immer vor, wie die Mutter mit dem Vater, der seltsam vage und im Hintergrund bleibt, der Erzähler rechnet aber nicht mit ihm ab, in der Schweiz spazieren geht, ein Glas Wein mit ihm trinkt etc.
Am Ende sind die Aufzeichnungen fertig, das Haus aufgeräumt, da verlangt die Mutter eine eigene Ordnung und der Sohn bereit, sie vom Bahnhof abzuholen, was er sich jedoch überlegt.
„Ich hoffe wir sehen uns bald wieder. Ich wage nicht daran zu denken, daß Du all diese Blätter liest. Aber ich gehe jetzt, ich gehe. Adieu -“
Hanns-Josef Ortheil entnehme ich Wikipedia, bzw habe ich ihn bei einigen Buchmesseninterviews sagen gehört, wuchs als fünftes Kind in Köln, Westernwald, Wuppertal und Mainz auf. Er hatte vier Geschwister, zwei starben im zweiten Weltkrieg, zwei waren Totgeburten. Da die Mutter erleben mußte, wie eines ihrer Kinder durch einen Granatsplitter starb, verstummte sie. Ortheil lernte deshalb erst mit sieben Jahren sprechen. Ab 1956 erhielt er Klavierunterricht und wollte Pianist werden. Massive Sehnenscheidenentzündungen zwangen ihn zur Aufgabe seiner Karriere. So studierte er Philosophie, Komparatistik und Germanistik, ist seit 1988 freier Schriftsteller, hat seit 1990 eine Dozentur für kreatives Schreiben an der Universität Hildesheim, seit 2003 ist er dort Professor und hat eine ganze Reihe von Sachbüchern und Romanen geschrieben, die regelmäßig im „Volltext“ und in „Literaturen“ besprochen werden.

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