„Das Antwerpener Testament“ von Evelyn Grill ist kein Roman über das Alter, wie ich zuerst dachte, sondern eine Familiengeschichte, die zum größten Teil in den Fünfzigerjahren und an der englischen Seafront spielt, so daß ich ihr den Charme von Rosamunde Pilcher zuschreiben würde, obwohl ich von der britischen Bestsellerlady noch nichts gelesen habe.
Der Klappentext spricht von einem großen Gemälde und da ist der Gedanke an das Rijksmuseum nicht weit, spielt Amsterdam in dem Buch ja auch eine Rolle.
Ein ziemlich globaler Familienroman also, der 1942 in Garsten OÖ geborenen Evelyn Grill, die wenn ich das jetzt richtig wiedergebe, in den späten Siebzigern von Elfriede Haslehner für den Wiener Frauenverlag entdeckt wurde. Ihr Roman „Rahmenhandlungen“ wurde dort verlegt und den habe ich in Fortsetzungen in der sozialistischen „Frau“ gelesen, die meine Mutter abonniert hatte.
Inzwischen ist Evelyn Grill literarisch aufgestiegen, verlegt bei Suhrkamp, Residenz etc und lebt mit ihrem Mann, der, glaube ich, ein Literaturwissenschaftler ist, in Freiburg im Breisgau und das kommt in dem Buch, um wieder zu dem Roman zurückzukommen, ebenfalls vor und der beginnt 1983 an der Worthing Seafront, wo Henriette Stanley an einem stürmischen Märztag begraben wird.
Am Grab der strengen Katholikin stehen ihr epileptischer Sohn Harry, die Tochter Ann mit ihrem deutschen Ehemann und den drei Kindern, der Hausarzt Dr. Crack, die Putzfrau Molly und die meist der upper Class angehörigen Schülerinnen mit bläulich oder rosa gefärbten Löckchen und fein gepuderten Gesichtern, der ehemaligen Französischprivatlehrerin, dann taucht noch Miss Stanley, die jüngere Schwester von Henriettes verstorbenen Ehemanns auf, bleibt am Grab stehen und verschwindet ohne sich zu bekreuzigen und das Begräbnis wird von dem alten Cannonicus Crew gehalten, der öfter vom Teufel spricht.
Aber auch Henriette Stanley hatte ihre Schwierigkeiten, litt an Parkinson und war in ihren letzten Lebenjahren an den Rollstuhl gefesselt, wo sie von einer Sozialarbeiterin, der Putzfrau Molly und dem epileptischen armen Henry betreut wurde. Sie war auch, die aus einer sehr angesehenen Antwerpener Reederfamilie stammte, mit ihrem Leben nicht zufrieden. Hat sie doch ihr Bruder Frans, der Patriarch der Familie, der, wie die streng katholische Familie meinte, in ständiger Sünde mit seiner Maitrresse und Haushälterin Mejuffer Vorsterman lebte, in die Ehe mit den englischen Reedersohn Alan gezwungen, der laut Henriette schuld am Tod ihres dritten Kindes Kitty war und auch sonst ein Gambler und ein Gauner, so daß Henriette mit ihren zwei älteren Kindern wieder nach Antwerpen zurückging und denen ständig vorhielt, daß es nur ihr zu verdanken war, daß sie nicht verhungerten.
Später kehrt Henriette mit den Kindern doch in das Haus an der Seafront zurück, lebt von Französischstunden und verlangt von Harry und von Ann, daß sie sich nie verheiraten, was beiden nicht sehr gut bekommt. Hat sich doch Harry, der Chemie studiert, in Schottland in Hillary verliebt und als er sie zu Weihnachten der Familie vorstellt und sie von der Mutter ignoriert wird, löst das seine Krankheit aus, die ihn nie wieder verlassen wird. Ann hat sich inzwischen in Deutschland in Ulrich verliebt und will das ihrer Mutter beichten, geht aber nicht, daß sie einen Deutschen heiratet, denn die Deutschen haben ja, wie wir aus der Geschichte wissen, großes Unheil über Belgien gebracht.
Ann und Ulrich heiraten trotzdem und es ist auch eine sehr seltsame Ehe, die sie führen werden, der älteste Sohn David ist genauso krank, wie Harry, behindert und lebensunfähig, während es Ulrich wegen seiner verfrühten Ehe nie zu der wissenschaftlichen Karriere brachte, die er eigentlich machen sollte.
Erzählt wird der Roman in acht Kaptiel, das erste spielt 1983 an der Seafront, dann geht es in die Fünfzigerjahre zurück, wo das Schicksal Anns und Ulrichs erzählt wird. Zwei Kapitel werden aus der Sicht Lillys, einer in New York lebenden Cousine Ulrichs geschildert. Dann gibt es noch ein Kapitel, das in Antwerpen spielt und von dem Testament berichtet, das dem Buch den Namen gibt, wurde Henriette doch angeblich von dem Patriarchen enterbt, weil Ann einen Deutschen heiraten mußte. Eines spielt 1975 und schildert das Leben des meist getrennt lebenden Paars Ulrich und Ann mit dem behinderten erstgeborenen Kind. Am Schluß geht es nach Worthing zurück, da dorthin die inzwischen an Krebs erkrankte Ann reiste, um den kranken Bruder in einem Nursingheim unterzubringen und das Haus zu verkaufen, was ihr aber nicht sehr gut bekommt, so daß das Buch mit einem neuerlichen Begräbnis endet.
Evelyn Grill erzählt dieses etwas altmodische Familienpanorama mit feiner Sorgfalt. Die Teeszenen mit den Scones, Muffins und den winzigen Sandwiches, wo dem alten Cannonicus, die Whipped cream an der Nase hängen bleibt, während Harry in seinen Absencen in dem Salon mit dem Chippendale Glasschrank aus Mahagoni, dem schwarzen Steinway-Flügel und dem sicher schon ein wenig abgenützen reinleinenen Damasttischtüchern, herumgeistert, sind köstlich geschildert, hin und wieder taucht ein englisches Wort in dem Text auf, so murmelt der alte Pfarrer „jolly good“, zwischen seiner Predigt, von der Whipped cream, an die mich noch gut erinnern kann, als ich vor dreißig Jahren in England war, wurde schon geschrieben.
Evelyn Grill beschreibt die Themen, die mich interessieren, so habe ich das Suhrkamp-Buch „Winterquartier“, in dem es um eine alleinstehende, gehbehinderte Änderungsscheiderin geht, das ich einmal bei Buchlandung in einem Sonderangebot kaufte, noch ungelesen von mir. Aus dem ebenfalls bei Residenz erschienenen Roman „Der Sammler“, der mit dem Otto-Stoessl-Preis ausgezeichnet wurde, habe ich einer Lesung bei „Rund um die Burg“ gehört. „Ins Ohr“ habe ich von von Elfriede Haslehner geschenkt bekommen, das Buch einer Klientin empfohlen und war, als ich es gelesen habe, über die fast Bernhardsche Schimpfmanier erstaunt.
Evelyn Grill scheint also über eine große Stilvielfalt zu verfügen.
2011-02-15
Das Antwerpener Testament
2 Kommentare »
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Klingt NICHT sehr aufmunternd, diesen Roman zu lesen. Danke trotzdem. Loli
Kommentar von hannelore kreutzer — 2011-04-19 @ 19:02 |
War aber doch sehr spannend und interessant
Kommentar von jancak — 2011-05-08 @ 17:51 |