Auf meinem Harlander Bücherstapel liegt seit mehr als zwei Jahren ein kleines dünnes Büchlein „Ein Stück trockenes Brot“, ausgewählte Erzählungen von Josef Burg, das ich im Mai 2009 von Theodor Kramer Preis, der damals an den noch in Czernowitz lebenden, Jiddisch schreibenden Dichter vergeben wurde, mitbrachte. Alfred hat mir damals zwei der dünnen im Hans Boldt Verlag erschienenen Bändchen, in denen das Werk auf Deutsch erschienen ist, geschenkt. Da meine Leser wissen, daß ich nicht so gerne dünne Erzählungen lese, sondern lieber zu dicken Romanen greife, werden sie sich nicht wundern, wieso das Buch bis jetzt liegen geblieben ist. Aber jetzt habe ich meine Hundert-Bücher-Liste und lese alles auf und das zweite Bändchen „Begegnungen – Eine Karpatenreise“, habe ich auch im August 2009 gelesen, nachdem Josef Burg am 2. 8. 2009 gestorben ist. Dem Namen und dem Dichter bin ich aber im österreichischen Rundfunk und durch die Theodor Kramer Gesellschaft immer wieder begegnet und auch die Titelgeschichte habe ich schon zweimal gehört und habe auch noch ein drittes Bändchen aus dem Hans Boldt Verlag, nämlich „Über jiddische Dichter“, das mir einmal, der Verlag oder die Theodor Kramer Gesellschaft mit der Bitte vor Weihnachten zusandte, ich solle etwas spenden, damit Josef Burg in der Ukraine seine Krankenpflegerin zahlen kann. Es gab auch im Oktober 2008 eine Benefizveranstaltung im alten Rathaus, wo man auf das Wohl von Josef Burg ein Achterl trinken konnte und Felix Mitterer „Ein Stück trockenes Brot“ las. Bei der Kramer Preis Verleihung in Krems Stein vor zwei Jahren hat er sie auch gelesen und jetzt war der Erzählband an der Reihe, was auch gut passt, naht sich bald der zweite Todestag, so daß ich an einen der oder dem letzten in jiddischer Sprache geschrieben habenden Dichter erinnern kann. Das hat er auch selber immer wieder getan, so handelt auch das Bändchen über „Jiddische Dichter“, das ich ebenfalls gelesen habe, davon und Josef Burg zu lesen ist auch höchst beeindruckend, zieht er doch gekonnt einen Bogen durch sein literarisches Schaffen und wechselt von der Erzählung zu seinen natürlich sehr reichhaltigen und höchst historischen Lebenserinnerungen.
So beginnen die ausgewählten Erzählungen mit der Geschichte „Einsamkeit“. Da sitzt eine vierzigjährige, aber trotzdem schon gealterte Wäscherin mit roten Händen am Abend einsam in ihrem leeren Haus und denkt über ihr Leben nach. Vor zwanzig Jahren war sie jung und das Haus hell erleuchtet, sie trug ein geborgtes Hochzeitskleid und der Tisch bog sich vor Hochzeitsspeisen von geborgten Geld, gab es doch ihre Hochzeit mit Sunje, dem Holzfäller zu feiern, der am Morgen in den Wald mußte und dort von einem Baum erschlagen wurde. Geblieben ist die Not und der Ring am Finger, da läutet jemand an der Tür des dunklen Hauses an und bittet für eine milde Gabe, weil er für eine Waise eine Hochzeit ausrichten muß. Sie schaut auf ihre Hand, nimmt den Ring herunter und beichtet das schuldbewußt am nächsten Tag, das am Grab dem Ehemann, der sie dafür segnet.
Dann geht es weiter in die Geschichte eines langen Lebens. Von dem jüdischen Forscher und Kritiker Schatz-Anin wird da erzählt, den Josef Burg, der ja, glaube ich, in Wien studierte, 1937 im Cafe Central kennenlernte und dessen Tochter er viel später in Riga trifft.
„Am Zugfenster“ erzählt von einer Fahrt auf die weißrussische Grenze hin, ein Mann sitzt im Zug und zeigt wo „1941 schwere, erbitterte Kämpfe stattgefunden haben. Die Deutschen rückten auf Moskau vor.“ und dann auf die Felder „wo der Horizont ist, dort liegen meine Eltern zusammen mit Hunderten anderen ermordeten Juden..“
Im Zug sitzt noch eine junge Krankenschwester, die ein jiddisches Buch liest, außerdem gibt es einen „kräftigen etwa sechzigjährigen Mann, sehr blond und hager“, von dem sich herausstellt, nachdem der den Erzähler auf Deutsch anspricht, daß er aus Memel ist und „offenbar zu den sogenannten „Volksdeutschen“ gehörte, die 1940, verführt von der Nazi-Propaganda, ihre angestammte baltische Heimat verlassen hatten.“
Ganz am Schluß gibt es dann die Titelgeschichte „Ein Stück trockenes Brot“, die ebenfalls sehr beeindruckend ist.
Da geht es um das „Gedenken an Babi Jar, das sich zum fünfzigsten Mal jährte“. Ein alter Mann, der etwas, das in ein schmutziges Tuch eingewickelt ist, in Händen hält, steht neben dem Mädchen Miriam und erzählt ihr seine Geschichte. Vor fünfzig Jahre war er zwanzig, wie sie heute und „war in jenem schrecklichen September 1941 auch dabei, als die Nazis unser Volk erbarmungslos vernichteten.“ Er sollte auch erschoßen werden und war schon in der Grube mit den Toten, konnte sich aber retten und flüchten, dabei hat er einen Bettler getroffen, der ihm ein Bündel mit einem Stück trockenen Brot gegeben hat, ihm aber sagte, daß er es nicht essen, sondern aufheben solle. So ist er damit durch die Wälder geirrt, bis er endlich zu den Partisanen kam, als er dann das Bündel öffnete, bemerkte er, es war ein Stück Holz darin.
Und weil es zum heutigen Tag passt, an dem Otto Habsburg in der Kapuzinergruft begraben wird, zitiere ich auch das Nachwort in dem steht, daß „Am 17. Juni 2007 der ungefähr gleichaltrige Otto von Habsburg mit Begleitung den „Österreicher Josef Burg“ in Czernowitz besucht und ihm damit gezeigt hat, daß er nicht vergessen ist.“
2011-07-16
Ein Stück trockenes Brot
2011-07-15
Podium Portrait – Kurt Klinger
Ein bißchen Lyrik in der Badewanne, nämlich die sechsundzwanzig Gedichte, die im Podium-Portraitheftchen Nummer 12 erschienen sind, die ich mir im letzten Jahr aus dem niederösterreichischen Literaturhaus anläßlich der Kramer-Preis-Verleihung mitgebracht habe.
Der 1928 in Linz geborene, 2003 in Wien gestorbene Kurt Klinger, Literaturfunktionär, Redakteur und Journalist, der Vizepräsident der Gesellschaft der Literatur gewesen ist, Chefredakteur von „Literatur und Kritik“ und Mitherausgeber der „Rampe“ war, ist wahrscheinlich den literarisch Interessierten nicht so bekannt, obwohl er über eine große Veröffenlichungsliste verfügt und viele Preise und Auszeichnungen bekommen hat.
Zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag sollte das Podium-Portrait erscheinen, dessen Vorwort von dem 1955, ebenfalls in Linz geborenen Bernhard Widder stammt, leider ist er früher gestorben, so daß das Vorwort, wie Bernhard Widder ausführte, ein bißchen anders wurde und ein Widder-Gedicht zum Begräbnis gibt es auch:
der himmel über wien, von nordwesten her
war immer mehr dunkelgrau, fast schwarz,
kam langsam näher im verlauf einiger stunden.
schwarze gewitterwand im westen. später kam
regen wie aus wut. graue schräge wasserwand
vor dem dritten tor des Zentralfriedhofs.
Dann führt er in seinen Begegnungen mit Kurt Klinger „Im Getöse des Lebens“ noch aus, daß Kurt Klinger in Rom eine Wohnung hatte, wo er nach seiner Pensionierung einige Jahre lebte, die er endlich auflösen wollte, weshalb er dorthin fuhr und eine Verabredung mit Bernhard Widder wegen der Podium-Gedichte auch verschieben mußte, weil er sich eine Erkältung zugezogen hat.
Am 23. April 2003 ist er gestorben und ich weiß nicht genau, ob ich Kurt Klinger jemals gesehen habe, der Name war mir aber bekannt, weshalb ich den Band auch mitgenommen habe und nach dem intensiven Prosa-Seminar der letzten Woche mir jetzt eine Stunde Lyrik in der Badewanne gönnte und von den sechsundzwanzig ausgewählten Gedichten, hier ein paar Proben wiedergeben will.
Da wäre einmal „Im Lesesaal“, das auch auf der Heftrückseite abgedruckt ist.
Heiße Köpfe
Innen brodelt
zartes Hirngewebe
Vorsichtig faßt die Pinzette
meiner Fragen hinein.
Die Weisheit fühlt sich verletzt.
Entgeisterter Dampf
entweicht betroffen
ins ungebildete All.
Und am Anfang gibt es ein „Selbstinterview“
Ich bin leider nicht Franzose
je suis Austrichien
làutre chien
Nennen Sie diesen Zustand
wie Sie wollen
dann noch ein Stückchen aus „Der Kuß?“
„Ich glaube“ urteilt der Zahnarzt
„wir haben noch einmal Glück gehabt.
eine Infektion weiter nichts
unangenehm, aber belanglos
Spülen Sie in den nächsten Tagen
mit diesem sympathischen Antisepticum
aber – küssen Sie nicht“
Von den Podium-Heftchen habe ich ja einige, das Lebert-Portrait wurde im Geflüster schon besprochen und bei der Präsentation der letzten Hefte bin ich auch in der Alten Schmiede gewesen.
2011-07-14
Zweimal fertig
Nun kommt hoffentlich Applaus von meiner Leserschaft, ich schließe mich mit innerer Zufriedenheit an, denn ziemlich unerwartet und überraschend, bin ich gestern mit dem Korrigieren meiner beiden works on progress fertiggeworden. „Die Absturzgefahr“ geht jetzt an die Druckerei, es gibt keine Verlagssuche mehr, über das Literaturgeflüster können die sich aber gerne bei mir melden, wenn sie wissen wollen, was eine mit Leidenschaft und leiser Stimme so beharrlich seit fast vierzig Jahren schreibt, Zuschußverlage bitte nicht, aber die finden seltsamerweise ebenfalls nicht zu mir.
Im Netz ist die langversprochene Leseprobe jetzt zu finden und die Vorschau mit dem kleinen Ausblick und für die, die es interessiert mit den Schreibberichten, wie das Ganze seit ungefähr einem Jahr entstanden ist, gibts auch schon seit Ende April. Und auch die „Zwillingswelten“ sind jetzt an den Alfred gegangen, damit er draus das Buch machen kann.
„Lisbeths Leseliste“, die es ja wirklich gibt, die ich mir im März zu Studienzwecken zusammengestellt habe und einen Linzführer habe ich für das Titelbild herausgesucht. Sizilienfotos passen ebenfalls und ich kann auch die Anna, wenn sie nächste Woche nach Harland kommt, fragen, ob sie mir die Titelseite graphisch gestalten will. Sie hat es für den „Stadtroman“, „Novembernebel“, „Mutter möchte zwanzig Kinder“, „Schreibweisen“,
und „Und trotzdem“ getan. Ihre Entwürfe sind immer sehr schön geworden und haben gefallen und jetzt Zeit für das Nächste.
Davon habe ich ja schon ein paar Mal geschrieben und kann die entsprechenden Artikel auch heraussuchen, das Buch sechsundzwanzig oder so, das kann ich mir nie merken, es gibt ja schon so viele „Die Frau auf der Bank“ heißen könnte und die Geschichte von drei Frauen, die den fünfunddreißigsten Geburtstag feiern oder ungefähr so alt sind, wird.
Selma, Sevim und Svetlana könnten meine Heldinnen heißen. Ich bin ja eine, die ihre innere Geschichte mit sich herumträgt, sie gerne schreiben will und bis jetzt immer irgendwie stecken geblieben ist. Versuche über eine gehemmte, vielleicht auch depressive Frau zu schreiben, die in Wien spazieren geht, ihre Bücher aus dem Bücherschrank zieht und dabei berühmte Männer trifft, gibt es schon viele. Die „Begrenzte Frau“ ist so ein Versuch, die „Radiosonate“, die „Sophie Hungers“, aber auch die „Reise nach Odessa“. Seit der Felizitas Fee, die in einigen unervöffentlichten Versuchen, dann in der „Viertagebuchfrau“ erscheint, geht mir diese Idee nicht aus dem Kopf. So könnte die Selma wieder eine Art Alter Ego von mir werden. Zu der Idee hat mich vor ein paar Monaten ein Klient gebracht, als er mir erzählte, daß er in Wien herumfahren und sich jeweils einen Bezirk gründlich anschauen könnte. Da habe ich an eine Art Stadtsheriffa gedacht, die viel auf Bänken sitzt, in Wien herumfährt oder geht und das, was ihr auffällt, dem Wiener Bürgermeister meldet, in Realita oder in der Fantasie könnte sie ihn im Rathaus besuchen, denn, daß die Selma eine Paranoia oder eine Borderlinestörung hat, ist mir auch eingefallen. Sie könnte stationär oder ambulant im AK behandelt werden, ihre Therapeutin ist die Psychiaterin in Ausbildung Svetlana, die aus einer Belgrader Barackensiedlung kommt und sich erst in Wien adaptieren muß, obwohl sie da ja ins Gymnasium ging und studierte und auf der Bank kann die Selma auch die Sevim treffen, eine ebenfalls fünfunddreißigjährige in Wien geborene Türkin, die Friseurin lernte, bis sie sich gegen eine Zwangsheirat wehrte, trotzdem den falschen Mann geheiratet hat und sich jetzt nach dem ihre beide Kinder mit der VS bzw. der neuen Mittelschule fertig sind, Tochter Gülsen aufs Gymnasium will, der Papa und die Schwiegermutter was dagegen haben, ein zweites Mal emanzipieren muß. Facebook und die neuen Medien könnten auch eine Rolle spielen oder eine Türkeireise der Familie.
Alles nicht sehr neu, im „Novembernebel“ kommt eine Romaärztin vor, in der „Sophie Hungers“ und der „Heimsuchung“ zwei junge Türkinnen, die in Wien geboren sind und Sozialarbeiterinnen wurden. Die Selma gibts in unzähligen Varianten, trotzdem liegt mir das Thema am Herzen und die Verknüpfung dieser drei Frauenschicksale, könnte vielleicht wirklich der große Roman werden, mit dem ich bisher stecken geblieben bin.
Denn das stimmt ja wirklich, ich bin zu schnell und wenn ich an die Tiefen oder Grenzen stoße, zu rasch fertig, statt mich damit ernsthaft auseinanderzusetzen. Ich denke aber, daß man genauso lernt, wenn man neunmal etwas Neues schreibt, statt eines in neun Fassungen.
Jemand der mich, wenn ich flüchten will, an die Schulter nimmt und sagt „Bleib dabei!“, wäre trotzdem gut und, daß ich manchmal ausgelutschte Metaphern nochmals verwende, weils einfacher ist, habe ich bei den „Zwillingswelten“ gemerkt, da sind sicher einige Klischeefiguren enthalten. Da hilft mir vielleicht Thomas Wollingers „Erfolglos schreiben-Serie“ weiter, denn daß ich da aufpassen sollte, ist mir schon bewußt.
Daß man aus seiner Haut nicht kann und vielleicht auch nicht soll, weiß ich natürlich auch, nehme mir aber den Vorsatz des „Zeitlassen“ mit, wenn ich demnächst mit meinem grünen Notizbuch, in dem schon einiges von der „Frau auf der Bank“ steht, in Richtung Wilhelmsburg aufbreche. Die Istambulgedichte von Gerrit Wustman und Seher Cakirs „Zitronenkuchen für die fünfunddreißigste Frau“, werde ich mir am Dienstag aus Wien holen. Ob ich Yasar Kemals „Granatapfelbaum“ brauche, weiß ich gar nicht, denn den wird eine fünfunddreißigjährige Wiener Unterschichttürkin, die sich gegen ihren Mann wehren will, vielleicht nicht lesen, die bringt ihre Töchter aufs Gymnasium, meldet sich für eine Pflege- oder Kindergartenhelferinausbildung an und läßt sich scheiden. Wenn sie trotzdem noch etwas Besonderes machen will, geht sie alleine oder mit einer Freundin ins Cafe Sperl oder in einen Tanzkurs und ist stolz darauf.
Also die Figuren reifen lassen und mich nicht gleich mit der ersten Idee in die Falle schreiben. In allen drei Frauen liegt Potential für etwas Neues und wenn ich die Männer den Frauen nicht immer gleich auf den Busen schauen lasse, nicht von „rinnenden Nasen“ schreibe, sondern mir vielleicht ein wenig von der Klagenfurter Metaphernvielfalt mitnehme, kanns nur besser werden, denn ich glaube schon, daß in meinen Sachen viel zu finden ist, das habe ich auch öfter gehört.
Die Falle ist nur, den Schwierigkeiten nicht ausweichen und der Satz „Ich kann es nicht!“, wird wohl auch noch öfter auftauchen, wenn ich das dann im Literaturgeflüster schreibe, lerne ich daraus, vieleicht haben auch meine Leser ein paar nützliche Hinweise.
So gesehen wirds auch die Schreibberichte weiter geben und als ich 2005 von Erika Kronabitter in diese Textwerkstatt nach Vorarlberg eingeladen wurde und aus der „Fluchtbewegung“ gelesen habe, habe ich mir die dortige Kritik auch zu Herzen genommen und sprachlich umgearbeitet.
Eine Wortakrobatin, die mit den Metaphern in wahren Worträuschen um sich schmeißt, a la Andrea Winkler oder Richard Obermayr, die beide den Priessnitz-Preis bekommen haben oder bekommen, will ich nicht werden, aber ein bißchen sorgfältiger und genauer sein, kann nicht schaden und natürlich auf die Fallen achten, damit wirklich was Neues entstehen kann und dann, das glaube ich ebenfalls „man schreibt immer denselben Roman ein Leben lang“, die Barbara Frischmuth, der Gerhard Roth und die Elfriede Jelinek tun das wahrscheinlich auch.
2011-07-13
Ludwig muß sterben
Es ist ein seltsames Buch, der erste Roman des 1964 geborenen Thomas Hettche, „Ludwig muß sterben“, den er, da 1989 erschienen, offenbar sehr jung geschrieben hat. Sehr poetisch und schwer verständlich, bzw. auf vielerlei Weise zu deuten. So steht auch auf der Buchrückseite „In seiner bildkräftigen und suggestiven Prosa erkundet Thomas Hettche die Macht und Ohnmacht der Sprache und lotet die Grenzen des Erzählbaren aus.“
Es gibt einhundertvierundachtzig Seiten und fünfunddreißig Kapitel, die jeweils schöne Titel tragen, beginnen tut es im Nullkaptiel mit einem Wiederbelebungsversuch in Coney Island 1940 und endet „als flatterte das Buch noch dort, die Seite in der Hand, das Photo mit dem Titel:“
Dazwischen wird ein namensloser Ich-Erzähler, von dem man auch sonst nicht viel erfährt, für ein Wochenende, Freitag bis Dienstag aus der Psychiatrie entlassen, um die Zeit bei seinem Bruder Ludwig zu verbringen. Aber der offenbar herzkrank und nach einem Infarkt ist an die ligurische Küste gefahren. So kommt der Protagonist in die Wohnung und beginnt in Büchern und einem Anatomieatlas von Gefrierschnitten etc zu lesen. Plötzlich tauchen zwei Besucher, ein junges Mädchen, das offenbar aus dem Buch mit den Gefierschnitten entsprungen ist und ein alter Mann auf, die Bademäntel tragen und sich in der Wohnung einmieten. Der alte Mann erzählt ein Märchen vom Gevater Tod, der hatte ja ein Patenkind, das ein berühmter Arzt wurde, weil er immer wenn er an das Bett des Kranken trat, sah, ob der Tod am Fuß- oder Kopfteil stand.
Der Protagonist kennt sich mit seinen Gästen nicht aus, weiß nicht, ob sie wirklich oder Wahnvorstellungen sind, überlegt schon seinen Arzt Dr. Minks davon zu verständigen. Er scheint aber auch in Kontakt zu seinem Bruder zu treten und zu sehen, was der gerade an der ligurischen Küste macht. Er trifft ein Mädchen, eine Studentin aus Triest namens Lene und der Protagonist versucht vor seinen Gästen in ein Kino zu flüchten. Das Mädchen aus dem Buch ist aber ebenfalls dort und liegt auch in der Nacht neben ihm im Bett. Am nächsten Morgen ist sie verschwunden und der alte Mann in der Küche, der schon die Hörnchen aus der Tiefkühltruhe holte und Kaffee gekocht hat, stellt sich als Dr. Tichtel aus Wien vor, der inzwischen auf der ganzen Welt praktiziert, sein Diplom aber im fünfzehnten Jahrhundert vom Kaiser oder König in der Stephanskirche erhalten hat und er erzählt von seinen Erfahrungen, die er mit dem Tod machte, als er ihn auszutricksen versuchte. Es gibt aber Zeitsprünge, deshalb ist das Mädchen auch dem Atlas entsprungen und jetzt mußte sie, Dr. Tichtel, nennt sie nur „unsere französische Freundin“ plötzlich verreisen. Der Protagonist beginnt zu ahnen, daß sie zu Ludwig will und sendet ihm ein Telegramm, um ihm zu warnen. Dr. Tichtel schüttelt nur müde den Kopf und verläßt im Bademantel die Wohnung. Inzwischen erlebt der Protagonist Ludwigs Herzschmerzen und studiert auch Bücher in denen die chronische Karonarinsuffizienz beschrieben wird. Ludwig reist inzwischen mit Lene nach Triest oder Venedig, der Protagonist erlebt das alles mit und windet sich in Schmerzen bzw. im Sperma und sieht am Schluß, während Ludwig sterben muß oder schon gestorben ist, ihn in einem Hotelzimmer, wo er und Lene nur zwei Einzelzimmer bekommen konnten, weil das letzte Doppelzimmer gerade ein anderes Paar bezogen hat, ihn am Gang ein Mädchen mit weißen Bademantel treffen, das ihn auf Deutsch anspricht.
Ein äußerst seltsames Buch, eines sehr jungen Mannes, der Germanistik und Philosophie studierte, von 1995 bis 1999 Bachmannpreisjuror war und 2010 mit „Die Liebe der Väter“, auf der Longlist des deutschen Buchpreises stand, in einer sehr poetischen wunderschönen Sprache geschrieben, das verschiedene Deutungen zu läßt, der Psychotherapeutin fallen da natürlich die Wahnvorstellungen eines Schizoprenen ein, das mit dem „Ausloten der Grenzen der Sprache“ habe ich nicht so gesehen oder auch nicht verstanden. Nach dem Intensiven Bachmannpreishören, das ich gerade hinter mir habe, fällt mir natürlich das Neue ein, das dort gefordert wurde und das scheint, sowohl 2011, wie auch 1989 in der Sprache zu liegen. Und ein Märchen ist es natürlich auch, beziehungsweise ist darin ja eines, wenn ich mich nicht täusche, der Brüder Grimm verborgen, neben den poetischen Sätzen, einer „Butter die vergilbt“, wird aus Fachbüchern zitiert und eigentlich ist es eine sehr schön erzählte Geschichte, obwohl einer, der wirklich eine Paranoia hat, sie wahrscheinlich ganz anders erlebt.
2011-07-12
Sommerfrischen-Schreibwerkstatt
Nach zwei Wiener Praxistagen, wo ich den Montag wieder im Kino unter Sternen am Karlsplatz bei einem Film über eine iranische Familie „exile family movie“, war, wieder aufs Land zurückgekommen, wo nach dem intensiven Bachmannpreisschauen letzte Woche, das Sommerfrischeschreiben beginnt. Zwar hat der Bachmannpreis noch nicht richtig aufgehört, höre ich doch gerade die „Lange Nacht der Literatur im Radio“ vom Studio Kärnten, wo gerade Maja Haderlap nochmals ihren Siegertext liest, den Peter Wawerzinek, der durch den Abend führt, kommentiert. Es sind aber schon wieder literarische Neuigkeiten eingetroffen, so zum Beispiel, daß Richard Obermayr, der heurige Priessnitz-Preisträger, der im Oktober im Literaturhaus vergeben wird, geworden ist und Neuigkeiten zum deutschen Buchpreis gibt es auch, beziehungsweise wird dort gerade die Liste mit den zwanzig Büchern, die im August bekanntgegeben wird, zusammengestellt und ich habe wieder ein paar Tage vor mir, wo ich hoffe mit meinen beiden Manuskripten, der „Absturzgefahr“, die vielleicht noch vor dem Urlaub an die Druckerei gehen soll und den „Zwillingswelten“ für die es noch kein Umschlagbild gibt, fertig zu werden, um für das Neue offen zu werden und mit dem nächsten Romanprojekt zu beginnen. Da liegen ein paar Vorbereitungsbücher immer noch in Wien, das grüne Buch mit den Notizen habe ich mit und wie ich mit den Recherchen für das drei Frauenprojekt Selma, Svetlana und Sevim, beginne, weiß ich noch nicht so recht. Bin ich derzeit auch ein wenig unmotiviert, ist es ja nicht sehr aufregend in den Manuskripten nach Fehlern zu suchen und dann immer wieder zu denken, „Wozu tue ich mir das dann, es wird ja ohnehin sicher wieder nichts?“, obwohl ich mir das natürlich antuen werde, beziehungsweise ist es vielleicht wirklich eine gute Idee mir eine Sommerfrische Zeit zulassen und sozusagen mit einer Schreibwerkstatt zu beginnen.
Eine Schreibwerkstatt alleine zu veranstalten ist zwar vielleicht etwas seltsam. Ich kann mich aber erinnern, daß ich vor ein paar Jahren, bei einem Standard Gewinnspiel mitmachte, wo man einen Platz bei einer Schreibwerkstatt gewinnen konnte, ich habe mir dafür sogar frei genommen, aber natürlich nichts gewonnen, so bin ich stattdessen nach Harland gekommen und mir gedacht, mache ich mir die Schreibwerkstatt selber, nur nicht recht gewußt, wie ich das beginne. Einen Kurt Bracharz Krimi habe ich mir, kann ich mich erinnern, herausgesucht, weil man ja im Sommer Krimis lesen soll, bin damit Rad gefahren und mit alten Bachmannpreisbüchern in die Badewanne gestiegen. Jetzt weiß ich schon ein wenig mehr, wie man eine Schreibwerkstatt beginnt, beziehungsweise hat Thomas Wollinger in seinem tollen Blog gerade ein paar Videos darüber hineingestellt, die ich mir morgen anhören will. Dann meine Texte solange mehr oder weniger geduldig durchgehen bis sie passen, dazwischen Bücher lesen, Thomas Hettches „Ludwig muß sterben“ ein gewesener Bachmannpreisjuror, der das, glaube ich, gewesen ist, als ich 1996 live dort war, ist gerade dran und dann das Neue beginne, mit dem ich hoffe, ein bißchen weiter zu kommen, mal sehen was daraus wird. Mir soviel Zeit dazu lassen, daß ich damit in den Nanowrimo hineinkomme, ist auch eine Idee, die nur gut sein kann, wenn sie mir gelingt. Zwei Wochen habe ich jetzt zum Fertigwerden, dann geht es mit den Reiseschreiblernbuch nach Polen und da habe ich ja vor einige Reisetexte entstehen zu lassen, damit kann ich meinen Blog im August füllen und dann langsam in meine drei Frauengestalten, die serbische Psychiaterin, die Wiener Türkin Sevim und die Schizoprenie oder Borderlinepatientin Selma hineinwachsen. Der Kopf ist, glaube ich, jetzt ein bißchen frei und das Selbstbewußtsein auch ein bißchen da.
So gesehen war die erste Sommerfrischewoche 2011, das Bachmannpreisverfolgen, auch sehr intensiv und ich habe wieder viel gelernt dabei. Vorige Woche bin ich ja nicht viel zum Korrigieren gekommen, die „Zwillingswelten“ habe ich am Freitagvormittag aber doch durchgeschaut und da auch das zweite Kapitel „Friedhof der ungelesenen Bücher“, das ich auf seine Bachmannpreistauglichkeit überprüfen wollte. Ist es natürlich nicht, damit hätte wohl auch nur ein „Schon wieder eine Schilderung einer Depression, einer Midlifekrise und einer Pensionierung und schlecht geschrieben ist es auch!“, als Reaktion bekommen. Die Figur der Lisbeth ist mir aber trotzdem die liebste an dem Stück und das zweite Kapitel mag ich auch.
2011-07-11
Wüste
„Wüste“ ist ein Roman von J.M.G.Le Clezio, dem Nobelpreisträger von 2008, den ich damals im Oktober nicht gekannt habe, inzwischen habe ich das zweite Buch von ihm gelesen.
Seinen eher experimentellen Roman „Das Protokoll“, habe ich vor einem Jahr in einer freien Entnahmkiste gefunden, als das Wien-Souvenier Geschäft in der Kettenbrückengasse geschlossen wurde.
„Wüste“ gab es zu Jahresende, bzw. Jahresanfang in der Thalia-Abverkaufskiste in der St. Pöltner Kremsergasse und es scheint ein etwas typischer Le Clezio-Roman zu sein und ist auf jeden Fall sehr poetisch. Zwei Handlungsstränge sind ineinander geflochten. Da zieht einmal im Winter 1909-1910 eine Karawane durch die Wüste. Wir begegnen dem jungen Nour, lesen schöne Landschaftsbeschreibungen, erfahren vom Hunger und dem Sterben und auch einigen kriegerischen Handlungen.
Die zweite Handlung spielt Jahrzehnte später. Wir lernen die junge Lalla kennen, die von einem berühmten Wüstenstamm abstammt, in der Cite bei einer Tante lebt, nachdem ihre Mutter gestorben ist, aber sehr naturverbunden ist. Sie geht ans Meer, läßt sich vom alten Fischer Naman und ihrer Tante Geschichten von ihrer Herkunft und von einem geheimnisvollen blauen Mann erzählen, geht auch zu dem Hirten Hartani, der zwar nicht taub ist, aber die Menschensprache nicht spricht und nach der Tante und deren Söhne kein guter Umgang für Lalla ist, der ihr aber das Licht in den Grotten und andere Naturschönheiten zeigt.
In der Cite ist man sehr arm, es gibt aber schöne Stunden im Badehaus und bei den Festen nach dem Fasten, wo ein Hammel geschlachtet wird und die Tante Mehlkrapfen bäckt und obwohl das Ganze weitab von jeder Zivilisation zu spielen scheint, gibt es doch Micky Mouse Hefte, die die Söhne der Tante, der Analphabetin Lalla manchmal zeigen, sie trinkt auch gelegentlich ein Fanta und der Fischer Naman, der einst in Marseille Koch war, nennt ihr die Namen fremder Städte: Sevilla, Algeciras, Granada, Madrid. Irgendwann soll Lalla auch zu einer bösen Frau in einer Teppichknüpferei arbeiten, sie verläßt sie aber, weil sie die anderen Kindern schlägt, ja Lalla ist sehr selbstbewußt und es kommt auch ein Mann in einem grau-grünen Anzug zu der Tante und bringt Geschenke, ein Radio und Konserven und will Lalla dafür heiraten, was sie nicht will, so daß sie, nachdem der alte Fischer Naman stirbt, ein Stück Brot in ihre Tasche steckt und die Cite verläßt. Sie eilt mit dem Hirten Hartani durch die Wüste und verbindet sich dabei mit ihm. Dann kommt wieder ein Einschub in die Vergangenheit und in das Leben der Karawane, bevor in dem Kapitel „Das Leben der Sklaven“ Lalla in Marseille gelandet ist. Sie ist mit einem Schiff des roten Kreuz dorthin gekommen und seltsamerweise trifft sie ihre Tante dort, die in einem Krankenhaus arbeitet. Lalla, die von Hartani schwanger ist, hüllt sich in einen dunklen Mantel, streift durch die Straßen, lernt den Zigeunerjungen Radicz kennen, setzt sich ans Meer und beginnt in einem Hotel zu arbeiten, wo die Ärmsten der Armen, wohnen. Irgendwann läßt sich Lalla vom Hotelbesitzer auszahlen, nimmt das Geld und geht mit Radicz damit in ein Kaufhaus, wo sie sich einen Nagellack und einen Lippenstift, aber auch eine Jeans und ein T-Shirt kauft, damit mit Radicz in ein feines Restaurant essen geht und dort von einem Fotografen entdeckt wird, der eine Berühmtheit aus der Wüstenschönheit macht.
„Aber sie erkennt“, steht in dem Buchbeschreibungstext, „daß sie ein Kind der Wüste ist“, das heißt sie fährt dorthin zurück, um ihr Kind zur Welt zu bringen.
Ein sehr beeindruckendes, sehr poetisches Buch, das vielleicht nicht ganz realistisch ist, aber dennoch in sehr eindrucksvollen Worten vom Leben in der Natur Afrikas, in den Slums und dem starken Selbstbewußtsein einer Wüstentochter erzählt.
2011-07-10
Bachmannpreisverleihung
Endlich haben wir eine Frau als Bachmannpreisträgerin, eine Österreicherin und eine Kärtner Slowenin, die sich vielleicht noch ein wenig über die Ortstafeln ärgern muß und auch darüber, daß sie in der Bundeshymne immer noch nicht vorkommt, aber herzlichen Glückwunsch an Maja Haderlap!
Das hätte ich vor Donnerstag wirklich nicht gedacht, dann war alles klar und einfach und auch die Shortlist, die aus Nina Bußmann, Gunther Geltinger, Maja Haderlap, Thomas Klupp, Steffen Popp, Julya Rabinowich und Leif Randt bestand, bis vielleicht Linus Reichlin bin ich damit d`accord gegangen, hätte das vorausgesagt und auch dafür gestimmt.
Aber Linus Reichlin, das ist der mit der Sandale und dem Arzt in Afghanistan und seiner Traumatisierung, hat dank der automatischen Literaturkritik den Preis der Riesenmaschine bekommen und nur Julya Rabinovich und Gunther Geltinge sind leer ausgegangen.
Bei beiden tut es mir natürlich leid, hat mir der Geltinger Text ja sehr gut gefallen und bis mich Thomas Klupp überzeugte, hätte ich für Julya Rabinowich gestimmt, obwohl mir der Praßler-Text und der von Anne Richter auch sehr gut gefallen hat. Ich habe also gestern nach drei Fehlversuchen, obwohl ich diese Zahl ja brav abgeschrieben habe, für Thomas Klupp gestimmt, die Jury sah das anders, zuviel Pornographie wahrscheinlich, aber das Publikum ist ja für so was und angeblich hat auch ein Pussy-Club geschlossen für den „Paradiso“-Texter vom Görlitzer-Zoo gestimmt. Cornelia Travnicek bloggte und twitterte, daß sie beim Abstimmen diesselben Schwierigkeiten hatte, dann hats aber doch geklappt und ich habe mich in den Hauptstadtfesttrubel geworfen, während in Klagenfurt die Jury mit und ohne Badehose oder Anzug die Shortlist festlegte.
Wie geschrieben, für mich war es keine Überraschung, die twitternden Jungautoren haben, glaube ich, Antonia Baum ein wenig vermißt und die Bachmannpreiswahl war auch nicht so eindeutig, spukten Leif Randt und Steffen Popp ja eifrig dabei mit.
Dann gabs einen Kelag Preisträger namens Steffen Popp, den 3Sat-Preis hat Nina Bußmann gewonnen, der Name Julya Rabinowich tauchte dabei zwischendurch gelegentlich mal auf. Leif Randt, das ist der mit dem „Leuchtspielhaus“ und „Cobycounty“ gewann den Ernst-Willner-Preis, der den Namen von einem der Gründer hat. Der Name Thomas Klupp ist bei der Jury nur sehr beiläufig vorgekommen, wahrscheinlich war es doch zu viel Pornographie. Das Publikum sah es aber anders und der junge Mann mit den gelockten Haaren jubelte. Herzlichen Glückwunsch, zum zweiten Mal bin ich bei einer Wahl richtig gelegen und habe den Mehrheitsgeschmack getroffen, Julya Rabinowich tut mir natürlich ein wenig leid, wie auch alle anderen und jetzt geht es, da Ruth Aspöck und Robert Eglhofer schon gekommen sind, hinunter zum Grillen und noch einmal, ich freue mich als aufrechte Österreicherin diesmal wirklich sehr.
Zum besseren Verständnis und Nachverfolgen der letzten Tage hier den Eröffnungsartikel vom Mittwochabend und die Lesungen vom Donnerstag, Freitag und Samstag.
2011-07-09
Klagenfurter-Samstaglesung
An diesem wunderschönen Sommersamstag ging es auf dem Harlander Balkon weiter mit dem fünfunddreißigsten Bachmannwettbewerb und dem letzten Lesetag. Vier Autoren, drei Männer und eine Frau waren noch an der Reihe und sinnigerweise habe ich mir ihre die Portraits schon gestern, als ich von der Hauptstadtfestsuche zurückgekommen bin, nochmals angeschaut und mich über die vielen Tiere darin gewundert, Thomas Klupp mag die Eseln im Görlitzerpark, Leif Randt Pelikane. Der in der Schweiz lebende Michel Bozikovic gibt sich dem Segeln und dem Kampfsport hin und außerdem im Herbst seinen Debutroman bei Klett-Kotta mit dem Namen „Drift“ heraus. Da fehlte dann noch die 1973 in Jena geborene und in Heidelberg lebende Anne Richter, die viel mit dem Zug fährt, weil sie auch unterrichtet.
Begonnen hat es diesmal schon vor zehn mit dem 1983 geborenen Leif Randt und seinen Romanausschnitt „Schimmernder Dunst über Cobycounty“ was eine Satire auf dem Kultur oder Literaturbetrieb zu sein scheint und von einem Jungen und seiner Mutter in Cobycounty, ist das in Amerika und einem Hotel, das dem Lebensgefährten der Mutter gehört,handelt. Es wird auch jährlich zum Valentinstag ein Film über den „Schimmernden Dunst über Cobycouty“ gezeigt und der Held vögelt und küsst völlig asexuell seine Freundin Carla. Außerdem hat er noch eine Literaturagentur, die, wie ich den Twittertweeds entnahm mit Leipzig zu vergleichen ist. Leif Randt hat, wie ich seinem Lebenslauf entnehme, auch noch in Hildesheim studiert, das löste in der Jury natürlich Diskussionen aus. Dann folgte Anne Richters feiner leiser Text „Geschwister“, der wieder in einem ehemaligen DDR-Dorf spielt, wo Ruth zu dem Begräbnis ihres Onkels kommt, von dessen Krebs erzählt, den Konflikt des Vaters mit dem Onkel erwähnt, die verschwundene Mutter und den fürsorglichen Bruder andeutet, der ihr Brot bringt, als er sie beim Tischtennisspielen verletzt, der Onkel ist jetzt gestorben, die Glashütten und die Porzellanmanufakturen der Gegend schon länger und Ruth, die das Dorf verlassen hat, wird auch nicht zurückkommen, um den Vater zu pflegen. Der Jury war das natürlich zu leise und zu unspekulär.
„Das haben wir schon alles hundertmal gehört, schon wieder ein Text, der mit einem Begräbnis beginnt!“, u.s.w.u.s.f.
Dazwischen kam die Mittagspause, in Klagenfurt zeigte Cecile Schortmann im Garten einen Film, in dem die ebenfalls in der DDR geborene und in der Schweiz lebende Sybille Berg einen Tessiner Berg besteigt und über ihre Ansichten redet.
Alfred kochte Pute mit Kohlrabi und rief sowohl Doris Kloimstein, als auch Robert Eglhofer an, um sie zu fragen, ob sie morgen zum Grillen kommen wollen? Ruth und Robert werden das tun, mit Doris Kloimstein habe ich mich für den übernächsten Mittwoch am St. Pöltner Rathausplatz verabredet. Zum Hauptstadtfest wollen alle beide nicht und in Klagenfurt hat Michel Bozikovic zu lesen begonnen, der offenbar trotz seines Namens in der Schweiz geboren ist und in seinem Text „Wespe“ wiedermal die Jury spaltete. Beziehungsweise kannte die sich nicht aus, wie sie ihn verstehen soll. Das habe ich durch die verschiedenen Telefonate auch nicht ganz getan, aber erklärt bekommen, daß da ein Kriegsteilnehmer oder Kriegsflüchtling mit einem gestohlenen Auto auf dem Weg zu seinem Selbstmord ist, von einer Wespe aber daran gehindert wird.
Vielleicht erzählt das Buch „Drift“ mehr davon, aber das habe ich schon im Dezember 2009 gelesen. Ich glaube, kurz vor oder nach Thomas Klupps Debutroman „Paradiso“ und, daß der als ein möglicher Favorit gehandelt wurde, war klar. Ein junger Mann, der seinen Text im Sinne der Riesenmaschine und der Schreibschulen konstruieren wird, habe ich gedacht und bin jetzt am Überlegen, ob ich demnächst nicht für ihn stimmen soll, obwohl ich das eigentlich für Julya Rabinowich wollte, deren Selbstbewußtsein mir ja sehr sympathisch ist und die mich auch immer freundlich grüßt und mit mir redet, wenn sie mich sieht, aber die ersten Sätze von „9to5 Hardcore“: „Ich kann nicht behaupten, in den letzen Monaten eine besondere Haltung der Onlinepornographie gegenüber entwickelt zu haben“, haben mich aufhorchen lassen. Natürlich ist der Text wahrscheinlich auf seine Wettbewerbstauglichkeit konstruiert, das aber meines Erachtens nach so genial, daß ich ihn für den besten halte, obwohl die Jury nicht einmal dieser Meinung war und mir nicht klar ist, ob er morgen gewinnen wird oder vielleicht doch Maya Haderlap, was mich für ihren leisen stillen Text nur freuen würde. Aber Thomas Klupp hat die Satire auf die Spitze getrieben und, daß ich für einen Text stimme, der von einem männlichen Prekariatsarbeiter, der sein Geld als wissenschaftliche Hilfskraft damit verdient, daß er sich bei Frau Professor Faulstich als Lustprobant zur Verfügung stellt und dabei seine Kollegin Uschi Seidel ausstechen muß, weil es bald statt zwei halber Stellen nur mehr eine geben wird, hätte ich als Feministin, die ja alles auf seine Frauenfeindlichkeit untersucht, nicht gedacht. Aber das ist es ja, der Text ist nicht frauenfeindlich, sondern spielt gekonnt mit allem, auch mit einer Literaturjury, obwohl der ja der Text gar nicht so gut gefallen hat und von Ermüdung sprach.
Mal sehen, wie es weitergeht, ich bin gespannt auf morgen, warte jetzt, daß ich abstimmen kann, werde dann mit dem Rad noch einmal nach St. Pölten und zum Landhaus fahren, denn da gibts den zweiten Tag das Fest zum fünfundzwanzigsten Hauptstadtjubiläum und man kann sich bis sechs das Landesmuseum, den ORF und das Festspielhaus anssehen und die Jazz Gitti singt irgendwann einmal auch.
2011-07-08
Klagenfurter-Freitaglesung
Nach den Klagenfurter Bootsfahrten und Empfängen, die ja höchstwahrscheinlich den eigentlich Reiz dieser Veranstaltung ausmachen, ist es heute mit den Österreicherinnen weitergegangen. Aber halt, zuerst hat der in Berlin lebende, 1957 geborene, Linus Reichlin mit seinem Text „Ein Arzt im Krieg“ die große Welt und die Konfliktherde nach Klagenfurt gebracht. Linus Reichlin, der in seinem Portrait mit einem Boot am Wasser fährt, ist ein Krimiautor und der Text, der wieder eine Traumatisierung schildert, spricht die Psychologin natürlich an. Das hatten wir zwar schon am Donnerstag, die Traumatisierungen im Kleinen und der Familie, die Frau, der der Geliebte wegstirbt und den Sohn, der die Mutter verliert, jetzt liegt da einer in Afghanistan auf der Straße, sieht eine Sandale, murmelt ständig „Ich bin Arzt“, erinnert sich an eine Bombe, die explodierte und an eine Frau, die er möglicherweise erschoßen hat.
„Ist das Kolportage oder nicht?“, fragte später die Jury „und darf solche sein?“
Ich fand es interessant von den Konflikten dieser Welt zu erfahren und konnte mir die Gehirnerschütterung bzw. das Entstehen oder auch die Verhinderung einer posttraumatischen Belastungsstörung gut vorstellen und es ging auch gleich weiter mit dem Krieg, entführte uns die Lyrikerin Maja Haderlap doch gleich weiter zu den Kärntner Partisanen und erzählte in sehr schönen Bildern und eindringlichen Worten von einem Wald, einem Vater, einer Tochter und, wie das damals war, wo die, die ihren Hof nicht gleich verlassen wollten, vor Ort erschoßen wurden und den Erinnerungen des Kindes, für das das Wort „Dachau“ zunächst einmal etwas Normales war. Im Portrait hörte man, daß Maja Haderlap lange brauchte diese Erinnerungen, die jetzt in einem Roman erscheinen werden, aufzuschreiben. Die Jury lobte die schönen Bilder und das literaturcafe.de twitterte „wenn nichts besseres mehr kommt, war das definitiv die Preisträgerin“.
Ich habe nichts dagegen, bin ich ja für Österreicherinnen für den Bachmannpreis, ob es sich für die erste Reihe ausgeht, wird sich weisen, hat ja Thomas Klupp noch nicht gelesen und mit Julya Rabinowich wartete auch eine Anwärterin, obwohl die Jury mit ihrer ihrer aggressiven Frauengestalt nicht sehr viel anfangen konnte. Der Aufstieg der 1970, in Petersburg geborenen Autorin, den ich in den letzten Jahren hautnahm miterleben konnte, ist sehr interessant, begann er doch, wie auch bei einigen anderen, mit Christa Stippingers Exilpreis-Werkstatt, zumindestens kenne ich sie von dort her. 2008 ist das Buch „Spaltkopf“ dort erschienen, das dann eine Verlagsprämie bekam und plötzlich überall gelobt wurde. In Rauris hat sie, glaube ich, damit gewonnen, bei der Margaretner-Art daraus gelesen und bei „Rund um die Burg“ zog es ein Stadtrat plötzlich auch aus der Tasche und empfahl es zu lesen, jetzt ist noch ihre „Herznovelle“ erschienen und kleines Detail am Rand, während des Bachmannpreises vor zwei Jahren, bin ich in die Hauptbücherei zu einer Lesung einer anderen Exilpreisteilnehmerin gegangen, habe dort Julya Rabinowich getroffen und über ihr Selbstbewußtsein sehr gestaunt und das hatte sie auch bei der letzten Buch-Wien, als sie Otto Brusatti in den Klassik Treffpunkt brachte und den sie, glaube ich, mit ihren Musikgeschmack verwirrte. Jetzt hat sie ihr Selbstbewußtsein auch durch ihre Analyse der Gruppendynamik der Jury, wie ich in einem Interview hörte, unter Berweis gestellt. Am Montag hörte ich in einem anderen Interview von einem globalisierten Roman, an dem sie gerade arbeitet und daraus war wahrscheinlich auch der Text „Erdfresserin“, der mit „In Leos Wohnung war es sehr heiß“, begann und eine auf dem ersten Blick vielleicht nicht sehr sympathische Frau schildert, die aber sehr offen ist und in dieser schonungslosen Offenheit von sich und diesen Leo, den sie pflegt, liebt oder betreut und von dem sie auch einiges, wie seine Briefe oder Familie fernhält, es geht auch um ihren Sohn und ihre Mutter und die Jury interpretierte, daß es sich dabei um eine osteuropäische Pflegerin handelt, die sich prostituieren muß. Nun ja, ein starker Ton und eine starke Sprache. Das literaturcafe mokierte sich über ihre Frisur und ob sie damit in die erste Reihe kommt, wird sich weisen. Dann gab es einen Film in dem Katja Gasser Peter Turrini interviewte und am Nachmittag noch zwei starke Stimmen von zwei jungen, mir bisher unbekannten Autoren. Die erste war die 1980 geborene, in Berlin lebende Autorin Nina Bußmann, die in ihrem Portrait einen Vortrag über Biber hielt und dann in „Große Ferien“ sehr präzise und genau von einem alten Lehrer erzählte, der im Garten Unkraut jätet.
„Ist er auch zwangsneurotisch?“, wird die Jury später fragen, das wieder zurücknehmen und stattdessen wissen wollen, ob Herr Professor Schramm vielleicht schwul war und, wie sein Verhältnis zu dem Schüler Waidschmidt aussah, der mit ihm spielte, ein Pornoheft auftauchen ließ und gegen den er dann die Hand erhob oder auch nicht. Wird vieles ja nur angedeutet und bleibt im Vagen. Der Text und die genaue Sprache der jungen Autorin, der mir ebenfalls gefiel, wurde aber sehr gelobt und auch Steffen Popps „Spur einer Dorfgeschichte“, 1978 in Greifswald geboren, gab viele Rätsel auf. Drei Persoenen durchstreiften da ein Dorf in der ehemaligen DDR und „ließen den Leser“ denken, wie die Jury postiv anmerkte. Das literaturcafe , dessen Tweeds ich zwischendurch verfolgte, verriet indessen, daß sich der Autor, das Tischtuch seines Hotels, um den Hals gebunden hat. Er verzichtete auch auf ein Video und verwies stattdessen auf ein Filmchen, wo ein Sessel hin- und hergestoßen wird, ein Gefühl, das ich bei meinem Schreiben ebenfalls gut kenne. Das wars vom zweiten Bachmannlesetag. Cecile Schortmann, die im Garten zu Mittag und am Schluß immer interviewt, sprach noch kurz mit dem slowenischen Übersetzer und Dichter Fabjan Hafner und wünschte einen schönen Nachmittag am Wörthersee, den kann ich mir nicht geben, dafür werde ich mit dem Rad nach St. Pölten fahren, mal sehen, vielleicht gibt es da das Hauptstadtfest.
2011-07-07
Donnerstag in Harland und in Klagenfurt
Den heurigen „Tage der deutschsprachigen Literatur“ in aller Ruhe und ungestört zu genießen, habe ich mir vorgenommen. Mitnichten, so einfach ist das offenbar nicht. Bin ich doch am Morgen sehr früh aufgewacht und wie geplant mit le Clezios „Wüste“, das ich ja besprechen will, in die Badewanne gegangen. Zu früh vielleicht, denn ich hatte mir aus Wien einen Leiner Gutschein für ein grünes T- Shirt mitgenommen und dachte, das löse ich jetzt nicht ein, weil ich erst am Abend Rad fahre. Dann habe ich mich doch darauf gesetzt und es war auch alles bestens. Die Morgenstimmung in St. Pölten, die Kinder und die Erwachsenen mit den Rühreiern vor dem Cafe Schubert, sehr beschaulich, gepflegte Frauen gingen mit Einkaufskörben zum Wochenmarkt und ich habe, glaube ich, auch Alfred Komarek gegrüßt, der Leiner war auch früher offen, als ich dachte, so daß ich pünktlich um zehn zurück war, das Kaffeehäferl auf die Terrasse stellte und nach dem livestream suchte. Den ich nicht fand, um halb elf war er noch nicht da, so habe ich Sara Wipauers lieben Kommentar gelesen und mir überlegt, wie ich mir den Medien Player installieren könnte, das hat mir aber schon der Alfred am Wochenende getan. Es wurde immer später, ich schaute mir stattdessen das Videoportrait von Gunther Geltinger, der als erster lesen sollte nochmals an, holte mir dann seinen Text, einen ungenannten Romanauszug und dachte „Gut, dann gebe ich mir das halt zeitversetzt!“
Habe den Text gelesen, der mir in seinen Metaphernreichtum sehr gefallen hat „Wenn der Schnee kommt, wird die Stille zur Bewegung“
Ein bißchen Friederike Mayröcker, für die Psychologin gab es auch etwas zu finden, beschrieb da doch ein ein Sonn die Tablettenabhängigkeit seiner Mutter und mußte miterleben, wie diese, Marga genannt, nach ihrem Selbstmord oder war es doch was anderes, von Sanitätern abtransportiert wurde. Es wird gekotzt und gespukt dabei, der Sohn kommt zu der Tante und das Ganze war in seiner Grausamkeit sehr schön erzählt. Inzwischen kam der livestream auf die Bachmannseite und ich hörte Gunther Geltinger lesen, was er ein wenig holprig tat und die Diskussion darüber, die eigentlich sehr lehrreich war. Die Metaphernvielfalt wurde analysiert und von den Körpersäften in Norddeutschland gesprochen. Man kam aber schon darauf, daß das eine sehr leise und sehr schön erzählte Mutter Sohn Geschichte war, die der Psychologin, die das weniger literarisch, öfter in ihrer Praxis hört, sehr gut gefiel. Danach kam der Jurist Maximilian Steinbeis, der sich mit dem Verfassungsrecht beschäftigte und mit „Pascolini“ offenbar einen Bestseller und eine Provinzgroteske geschrieben hat, was für das Bachmannlesen schon mal ungewöhnlich ist. Das war dann auch der erste Satz von „Einen Schatz vergraben“, einen Text zur Ratgeberliteratur, wie, das später Daniela Strigl nannte, der „Willkommen. Bitte prägen Sie sich diese Informationen sehr sorgfältig ein!“, lautete und mich an die inzwischen abgesetzte „Welt Ahoi“-Satiresendung von Ö1 erinnerte. Denn da sprach ein Consoulter dessen Geschäft es ist, den Krisengebeutelten Anleitungen zu geben, wie sie ihr Geld vor der Wirtschaftskrise retten können und sehr viel dafür bezahlen, daß sie es von der Bank abheben, in Gold umsetzen und in einem neugekauften Grundstück vergraben. Das Ganze ist ein Monolog in einer sehr beklemmenden Sprache, die ich beim Bachmannpreis nicht erwartet hätte, aber hat nicht Stephan Eibl Erzberg, als ich ihm am Pfingstsonntag am Judenplatz traf, etwas sehr Ähnliches gesagt.
„Die Eisenerzer verstehen nicht, daß sie ihr Geld in Gold anlegen sollen, sie lassen es am Sparbuch liegen und werden es verlieren!“
Etwas also, was uns in Wirtschaftskrisenzeiten betrifft, also machte Maximilian Steinbeis eine beklemmende Satire, ein mephistopehlisches Märchen oder etwas anderes daraus? Die Juroren waren sich nicht einig und sprachen von der billigen Pointe, die mich nicht vom Sessel gerissen hat, denn auch mir war nicht klar, wieso ich einen zweiten Mann dazu brauche, wenn ich mein Gold im Garten vergrabe, was ich sicher nicht tue und unter den Kopfpolster lege ich es mir ebenfalls nicht. Maxmilian Steinbeis Pointe war, daß ich einen Helfer anheuern und den dann erschlagen muß, damit er mich nicht verrät oder das Gold klaut und dadurch schuldig werde oder dem Teufelskreis nicht entkomme. Für mich war schon der erste Satz beklemmend genug und ich dachte „Toll, mal sehen, was die Juroren dazu sagen, denn als sehr literarisch gilt das wahrscheinlich nicht!“
Danach kam Daniel Wisser, den ich vom Amerlinghaus und einer fröhlichen Wohnzimmerlesung kannte. Der hatte schon einmal ein experimentelles Videoportrait, da kochte ich mir mein Mittagessen und hörte seinem Text „Standby“ zu, der in der Passivform von einem Mann zwischen zwei Frauen erzählt, vom Sterben spricht und seinen Vater im Altersheim besucht. Da ich früher auch die Passivform verwendet habe, war ich auf die Diskussion gespannt, die auch kam. Die Sprache und die falschen Konjunktive des Kleinbürgers wurden bemängelt. Wilhelm Genazino und Michel Houellebecq entdeckt und sogar der Satz „Thomas Bernhard ist es nicht!“ zitiert, der am Nachmittag nochmals kam. Inzwischen ging auch Klagenfurt in die Mittagspause, das heißt, ein Film von Monika Maron „Rückkehr nach Bitterfeld“ wurde gezeigt und noch kurz den Klagenfurter Stadtschreiber und Vorjahrsgewinner Peter Wawerzinek und Joseph Winkler interviewt. Joseph Winkler zitierte wieder, was er offenbar öfter tut, Peter Handke und erwähnte das Ringen des Schriftsteller um die Sprache. Dann war die Pause aus und es ging weiter mit Anna Maria Praßlers Text „Das Andere“, der ebenfalls bei der Jury durchgerasselt zu sein scheint.
Ja, ja, ein schöner leiser Text, der mit sanfter Sprachgewalt von einer Frau erzählt, die über den Tod eine ganze Disseration verfasst, aber erst zu weinen beginnt, als ihr Geliebter Björn an Krebs verstirbt und drei Wochen später mit dem Vorsatz nach Augsburg fliegt, dort nur das Barocktheater, aber nicht sein Grab zu besuchen. Da hat es die Psychologin offenbar leichter, was der Autorin höchstwahrscheinlich nicht viel hilft und am Schluß kam mit Antonia Baum, eine 1984 geborene junge Frau, die mit ihrer Sprachgewalt wieder an Thomas Bernhard erinnerte. Hat sie ihn jetzt imitiert oder parodiert? Sie erzählte jedenfalls in einem ebenfalls sehr großen Methaphernreichtum in Maximilian Steinbeis Manier vom Elend der jungen Frauen heute, die nicht wissen, was sie studieren sollen, weil die Lehrer beim Wort Theaterwissenschaft nur lachen, erwähnte das Drama der Scheidungskinder und was es bedeutet in einer Ikea Wohnung aufzuwachsen. Mir waren die „Dorfhaltestellenbriefkasten“, die „Psychologentochterweise“, das stickige Frauenwohnzimmer mit gehäckelten Lügen“, etc schon fast ein bißchen zu viel, dachte mir aber, daß die Juroren darauf sicher abfahren werden und habe mich getäuscht dabei.
Das wars für den Donnerstag. Es kam noch kurz Clemens J. Setz, der auf dem Weg in die Schweiz ist und erzählte, daß er sein Bachmannlesen vor drei Jahren, glaube ich, sehr lustig gefunden hat und denke mir, daß ich fünf interessante Texte mit viel Psychologie, Weltangst und Metaphernreichtum gehört habe. Die von Guünther Geltinger und Anna Maria Praßler haben mir bis jetzt am besten gefallen und jetzt werde ich wieder ein bißchen Radfahren und im Le Clezio weiterlesen.