Sasa Stanisics „Wie der Soldat das Grammofon repariert“, ist ein Buch aus dem Abverkauf von Alfreds bibliophiler WU-Kollegin, hat mehrere Literaturpreise bekommen, wurde im Schauspielhaus Graz auf die Bühne gebracht und war 2006 bei den Finalisten für den dBp.
Sasa Stanisic wurde 1978 in Visegrad in Bosnien-Herzegowina geboren und kam als Vierzehnjähriger nach Heidelberg. 2004 begann er am Leipziger Literaturinstitut zu studieren, 2005 hat er mit einer Geschichte aus dem Buch „Was wir im Keller spielen“, beim Bachmannlesen gewonnen. Ich habe den Shootingstar lange mit Michael Stavaric verwechselt und 2006 oder 2007 in Leipzig aus dem Buch lesen hören, im Jänner sagte Josef Haslinger beim Symposium der Sprachkunst, daß er verstehen kann, daß Sasa Stanisic, sein Studium nachdem er berühmt geworden ist, nicht wieder aufnahm, als ich jetzt bei Wikipedia nachschaute, sah ich, daß die Werkliste von 2001 bis 2007 geht, obwohl die Seite im Juli 2011 das letzte Mal geändert wurde. Interessant also, was der Autor jetzt so macht, ob und was er schreibt, ich habe seit dem „Grammofon“ jedenfalls nichts mehr von ihm gehört?
In dem Buch beschreibt er die Erlebnisse des kleinen oder auch größer gewordenen Aleksandar, der in dem kleinen Städtchen Visegrad an der Drina, wo der berühmte Roman des Nobelpreisträgers Ivo Andric spielt, dessen Denkmal während des Krieges in die Drina geworfen wurde und jetzt, wie ich hörte, wieder steht. Das Buch beginnt aber ganz am Anfang, wo der Großvater Slavco des Ich-Erzählers stirbt, der sich als Fähigkeitenzauerer bezeichnet, gerne an der Drina fischt und Fußball spielt. Er hat noch einen anderen Großvater namens Ravik, der war ein Eisenbahnner und begann zu trinken, nachdem die Bahnlinie eingestellt wurde und Aleksandar ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. So wird der Bosnienkrieg aus der Sicht eines Kindes aus Kinderaugen und mit Kindermund, in unzähligen kleinen oder auch großen Geschichten erzählt und das Buch ist in Kapitel gegliedert, die an E.T.A Hoffmann bzw. an die Romantiker erinnern, wie „Wie lange ein Herzstillstand für hundert Meter braucht, wie schwer ein Spinnenleben wiegt, warum mein Trauriger an den grausamen Fluss schreibt und was der Chefgenosse des Unfertigen als Zauberer draufhat.“
Aber Sasa Stanisic oder Aleksandar sind keine Romantiker, sondern in Visegrad zur Schule gegangen, als dort noch das Titobild im Klassenzimmer hing, obwohl der schon lang gestorben war und Opa Slavko war auch ein treuer Kommunist und Partisane.
Das drückt sich auch in dem Schelmen und Geschichtenerzähler Aleksandar aus, der mit den strengen Mathematiklehrern zu raufen hat, die sich „Genossen“ oder „nicht mehr Genossen“ nennen lassen, kommt zu spät mit der Pionieruniform zur Schule und erzählt im ironisch abgehobenen Ton von den vielen Toden des Genossen Tito.
Dann gibt es aber auch für den Vierzehnjährigen, die Mädchen, die zu erobern sind und die Geschichten, die die Freunde erleben, wenn sie mit ihren Vätern nach Hause kommen und die Mütter im Bett mit dem Trafikanten vorfinden.
Dann kommt der Krieg, für Kinder nicht leicht verständlich oder auch besser mit Ironie im leichten lockeren Plauderton zu erzählen, wo die Familien ganz schnell ihre Yugos packen, während Pferde in die Drina geschmissen werden und sich die kleine Asija mit dem falschen Namen auf dem Dachboden versteckt.
Nach ihr wird Aleksandar, als er mit seinen Eltern und der Oma schon nach Essen geflüchtet ist, suchen und sie nicht finden, weil er ihren Namen nicht mehr weiß und weil Traumatisierungen sich auch in Wiederholungen äußern, ist der Roman des jungen Mannens auch in diesem Muster gestrickt.
Es beginnt mit der Kindheit und der Schule, dem scheinbar glücklichen Leben und dem Festessen bei den Urgroßeltern während des Begräbnisses des Großvaters, dann ist Aleksandar schon in Essen,die Eltern sind in Amerika, die Großmutter ist zu dem toten Großvater nach Visegrad zurückgegangen, Aleksandar sucht nach Asija und schreibt in der Mitte des Romanes auch einen Roman, in dem sich die schon angeschnittenen Themen wiederholen und gegen Ende des Buches kommt er, zehn Jahre später nach Sarajevo, dorthin soll Asija gegangen sein, nach Visegrad und nach Veletovo, das ist das Dorf, wo die Urgroßeltern leben, zurück um nachzusehen, was von seiner Heimat und seinen Erinnerungen übergeblieben ist?
Das Buch lebt von seinen Geschichten, der, wie Aleksandar mit seinem Freund die Fische mit Spuke füttert, aber auch der von dem Fußballspiel in einer Kampfpause zwischen den verfeindeten Serben und Bosniern und der Musikprofessor ein Freund des Großvaters, hat sich, als ihn Aleksandar wieder besucht in seine Erinnerung zurückgeflüchtet, ist freundlich, erzählt vom Vergangenenen und fragt alle fünf Minuten, wer Aleksandar ist, worauf ihm der die Hand gibt und sich erneut vorstellt.
So kann man Alzheimer aber auch ein Trauma beschreiben, Sasa Stanisic tut das gekonnt und vielleicht auch ein bißchen intuitiv, so daß ihm die Großkritiker Kitsch vorwarfen und meinten, daß das Buch, trotz der vielen Preise, die es bekommen hat, nicht wirklich gut gelungen ist.
Mir hat es die Geschehnisse der frühen Neunzigerjahren, wo ich mich in einer persönlichen Krise befand, meine Mutter gestorben war und ich täglich von Harland nach Wien pendelte, um meine Praxis zu machen, meinen Vater zu betreuen und Anna in die freie Schule Hofmühlgasse zu bringen und die bosnischen Flüchtlinge vielleicht im Zug traf und damals nicht verstand, daß die beleidigt waren, wenn man seine Füße auf den leeren Sitz gegenüber legte, sehr deutlich visualisiert, so daß ich mir vorstellen kann, wie es den Kindern, die ihre Heimat verlassen mußten und in Flüchtlingslagern Deutsch lernten, gehen mußte. Ein sehr beeindruckender Roman des sehr jungen Mannes und interessant, daß er literarisch inzwischen verschwunden ist und zumindest ich und Wikipedia nicht wissen, ob und was er jetzt schreibt.
2011-09-30
Wie der Soldat das Grammofon repariert
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