Ich sitze bei dem wunderschönen Spätsommerwetter auf der Terrasse und höre Ex-Libris, wo gerade Michael Stavarics „Nadelstreich und Tintenzisch“, besprochen wird und habe mich dieses Wochenende ja wieder einmal äußerst intensiv mit der Literatur beschäftigt. So habe ich gestern, als ich um etwa sechs nach Hause gekommen bin, meinen Blogeintrag geschrieben und mich dann, weil die anderen Blogs davon berichtet haben, mit der neuen Literatursendung des ZDFs dem „Bauen Sofa“, das Wolfgang Herles präsentiert und das am Freitag spät am Abend, wie bei Literatursendungen üblich, das erste Mal gesendet wurde, beschäftigt. Zumindestens bei den Blogs, die ich lese, zum Beispiel, dem literaturcafe. de wird das ja als große Sensation bewertet und ich würde sonst nichts darüber wissen, denn ich fernsehe ja nicht und Freitag um elf, war ich im Zelt. Aber Dank Internet kann ich es nachsehen und das war interessant, denn auch darüber lassen sich literarische Betrachtungen anstellen.
So gab es ja bis vor einigen Jahren, die sehr erfolgreiche Literatursendung „Lesen“ in Deutschland von Elke Heidenreich, die sich darüber mokierte, daß das Fernsehen die Literatur so spät ansetzt. Sie wurde entlassen, ist mit ihrer Sendung ins Internet abgewandert und hat nach einem Jahr damit aufgehört, weil es offenbar nicht so viele Leute gab, die die Sendung abgerufen haben. Das ZDF kreierte dann die „Vorleser“, die inzwischen auch eingestellt wurde. Ich habe mich schon damals über den elitären Anspruch die diese Sendung hatte, mokiert.
„Bitte keine unverlangten Buchsendungen! Nur wir wählen aus was genommen wird!“
Und das ist bei neunhunderttausend jährlichen Neuerscheinungen sehr schwer, drei vier Bücher auszuwählen und die Moderatoren werden wahrscheinlich sehr umworben und agieren entsprechend selbstbewußt. So ist das auch bei Wolfgang Herles, den ich vom Blauen Sofa von Leipzig und von Frankfurt kenne und da man sich diese halbstündigen Buchpräsentationen im Internet abrufen kann, ist mir das blaue Sofa sehr vertraut. Das neue blaue Sofa hat ein etwas antikeres Design und wurde zum Beispiel auf einen Gletscher hinaufgekarrt, weil Wolfgang Herles dort Ilija Trojanow interviewte. Außerdem kündigte er vorher an, daß es in seiner Sendung Verisse geben würde. So geschehen bei Ferdinand von Schirachs „Der Fall Collini“, da steht dann Wolfgang Herles mit glänzenden Augen und erhobenen Zeigefinger da und sagt empört „So geht das nicht!“
Wieso weiß er das so genau? Kann er ja nur seine subjektiven Eindrücke wiedergeben und entmündigt er damit nicht die Leute, die sich um dreiundzwanzig Uhr am Abend vor den Fernseher setzen um Literatursendungen anszuschauen? Denn die wissen wahrscheinlich selber, ob das Buch gelungen ist oder nicht. Und warum muß es eigentlich Verisse geben? Wolfgang Herles sagt in dem Trailer, wo er über die Bücher spricht, die es gerade nicht in seine Sendung geschafft haben, so zum Beispiel den neue Haslinger, daß er das nur bei einem Erfolgsautor machen würde, aber warum muß er das überhaupt tun? Reicht es nicht, auf die Bücher hinzuweisen und die Leute selbst entscheiden zu lassen ob es ihnen gefällt oder nicht?
Literatursendungen sind elitäre Angelegenheiten, das habe ich schon begriffen, sie werden aber meistens sehr schnell eingestellt, ob das damit zusammenhängt? Die Sendungen werden selber meistens zerissen. So ist das literaturcafe z.B. gar nicht damit eingefallen und ich habe, abgesehen davon, daß mir die autoriäre Haltung des Moderators nicht gefallen hat, erfahren, daß Wolfgang Herles Judith Schalanskys „Der Hals der Giraffe“ sehr gut gefallen hat. Ich würde das Buch auch sehr gern lesen, wartete aber immer noch auf Peter Roseis „Geld“, denn am Montag ist zwar ein Bücherpackerl gekommen, aber da stand „Grosses Finale für Novak“ darauf und das habe ich schon besprochen. Da ich das Buch zurückschicken wollte, habe ich es nicht gleich aufgemacht und bin ich jetzt erst darauf gekommen, daß der Rosei dabei war. So kann ich es paralell mit der Präsentation am Dienstag in der Nationalbank lesen, gleichzeitig kann ich mich mit den Ohrenschmaus-Texten beschäftigen, die auch gekommen sind.
Bei der eigenen Korrekturarbeit halte ich wieder bei der Szene sechs und der Alfred beginnt jetzt seine Korrekturen in „Zwillingswelten“ einzuarbeiten.
Ansonsten raucht mir der Kopf von den vielen Neuerscheinungen. Ein vierundzwanzig Stunden Literaturfestival ist ja sehr beeindruckend, außerdem sind die Feuilletons von Presse und vom Standard voll von den Neuerscheinungen und Josef Winklers Post aus Indien „Sonnenkönig auf der Bierkiste“.
Wir hatten heute ein fast literarisches Mittagessen mit dem Karli auf der Terrasse, der mir erzählte, daß er gerade den „Hasen mit den Bernsteinaugen“ gelesen hat, ein Buch, das ebenfalls in Ex Libris besprochen wurde und ich werde nachsehen gehen, ob das Sturmfest im Margaretner Planquadrat heute ist, bevor ich die Zeitungsfeuilletons lese, die Shortlist des Fm4-Preises wurde jetzt auch bekanntgeben und am Freitag wird die Zirkusanthologie im Phil vorgestellt.
Ansonsten geht bei den Bücherblogs die Diskussion um die Rezensionsexemplare weiter, beziehungsweise die Empörung darüber, daß die Verlage dazu übergehen, die elektronisch zu verschicken, was eine Entwicklung ist, die mir logisch erscheint, aber sicher gewöhnungsbedürftig ist. Daß die Blogger schreiben, daß sie das nicht wollen, kann ich auch verstehen, weniger, daß die Bloggerszene über diese Blogger herfällt, meint, daß sie froh und dankbar sein und sich die Bücher kaufen sollen und, daß sich die dann noch bei den Verlagen entschuldigen…
Mein Bücherstand wächst munter weiter, so habe ich mir am Donnerstag bei Reichmann auf der Wiedner Hauptstraße, der immer noch abverkauft, aus der Ein-Euro-Kiste vier Taschenbücher gezogen, darunter Thomas Bernhards „Ein Kind“ und Erich Hackls „Auroras Anlaß“ und bei Fix Poetry habe ich H.G. Adlers „Gesammelte Gedichte“ gewonnen, was ich auch fast übersehen hätte.
2011-09-18
Blaues Sofa und andere Literatursplitter
2011-09-17
Zwanzig Jahre „Rund um die Burg“
Es gibt wieder ein Jubiläum, das Literaturfestival ist zwanzig Jahre und ich kann mich erinnern, daß es beim ersten Mal, 1991 sehr viel Werbung dafür gegeben hat. Da war, glaube ich, der Gerhard Ruis im Fernsehen und ich habe das gesehen, weil das ja die Zeit war, in der ich meinen Vater intensiv betreute, so daß ich das erste Mal nicht rund um die Uhr dort war. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es die ersten Jahren wirklich so ganz non stop war und auch die Erotiknacht hat mich ein bißchen enttäuscht, gab es da ja eher was von Leopold Sacher-Masoch oder Herzmanovsky-Orlando, allerdings kann ich mich erinnern, auch mit einer Lehrerin gesprpochen zu haben, die mit ihren Schülern nonstop dort war. Ich habe es die ersten Jahre nicht geschafft und bin immer so zwischen zwei halb drei am fühen Morgen, wenn es kalt und ich müde war, gegangen. Seit ein paar Jahren schaffe ich es aber und die Erotik Nacht wird inzwischen auch von jungen Frauen, wie Mieze Medusa oder Valerie Fritsch bestückt und ich nehme mir einen Pullover, einen Flasche Kaffee und eine Tasche mit Proviant mit und weiß inzwischen auch, wie ich die frühen Morgenstunden überbrücken muß. Denn es ist ja ein Rekord, wenn ich nonstop bleibe, bin ich ja außer den Leuten, die das beruflich tun, die Einzige, die das macht und es ist für so etwas, wie mein Abenteuerurlaub.
Obwohl es gestern etwas hektisch war, denn ich hatte nach meiner Stunde doch beschlossen, den Arno Schmidt zu besprechen und das war auch eine Monsterleistung, so daß ich mich beeilen mußte, wenn ich pünktlich hinzukommen wollte. So ganz habe ich es auch nicht geschafft, hat doch Michael Köhlmeier, der eröffnet hat, schon aus seiner Sagensammlung „Sonntagskind“, gelesen. Dann kam die Eröffnung, in dem auch auf das Jubiläum hingewiesen wurde. Irgendwie hat sich die Veranstaltung in den letzten Jahren ein bißchen verändert, irgendwie ist sie auch gleichgeblieben, die Organisatoren Andy Gaiser und Claudia Wittrich sind gleich geblieben, die Sponsoren haben gewechselt und voriges Jahr gab es auch das Gerücht, daß es das nicht mehr geben wird. Ansonsten hat es die Lesungen im halb Stundentakt und die Mischung mit den Neuerscheinungen und immer auch ein bißchen Sachliteratur, Musik, Schule für Dichtung etc. immer gegeben. Früher gab es einen Volkstheaterblock, jetzt ist Poetry Slam dabei, die Krimi- und die Erotiknacht gibt es auch immer noch und das Literaturhauszeit, das der Buchkultur etc.
Der Kurier hat eine Programmbeilage, ganz früher, hat es eine Textwerkstatt mit Schülern gegeben, die ein eigenes Buch zusammengestellt haben, das gibt es nicht mehr, aber das Kinderzelt, vor ein paar Jahren wurden Pralinen verteilt und als es die CA noch gab, hatte die auch ein eigenes Zelt. Die Videoübertragung wurde eingespart und ein bißchen kleiner ist diesmal, glaube ich, auch gewesen, sonst lief die Eröffnung mit den neuen Sponsoren aber ziemlich ähnlich ab. Stadtrat Mailath Polorny, Robert Stocker vom Bumuk, ein Herr vom Wissenschaftsministerium und eine Dame von der Städtischen Versicherungen hielten große Worte von der Wichtigkeit des Lesens und der Leseförderung. Seit letztem Jahr moderiert Gerhard Ruis bis Mitternacht, ganz am Anfang hat das noch die legendäre Stimme Ernst Grissemann, glaube ich, getan.
Gegen die Programmauswahl ist, abgesehen davon, daß ich nicht lesen kann, was ich sehr bedauere, nichts zu sagen, außer, daß ich ein paar Bücher schon gelesen habe, es war aber eigentlich eine gelungene Zusammenstellung.
Nach dem Welcome kam Dietmar Grieser, der ja ein großer Publikumsliebling ist und Gertraude Portisch, die Frau vom Hugo, die Kinderbücher schreibt und sich „Der liebe Gott und die Großmama“ auseinandersetzte. Dann kam schon die Longlist Autorin Doris Knecht mit „Gruber geht“, Ivan Ivanji „Buchstaben von Feuer“ und „Friedrich Achleitner“, der einen wiederaufgelegten Dialektgedichtband präsentierte, aber auch aus seinen anderen Erzählbänden las. Ivan Ivanjis Buch ist die Fortsetzung „Vom Aschenmann von Buchenwald“, das ich schon gelesen habe, also eine wirklich interessante Mischung.
Das Zelt war auch sehr voll, die Zuzaks sitzen am Freitag Nachmittag immer da, dann gibt es einen Herrn mit weißen Haaren, der jedes Jahr ziemlich lang hier ist, aber nach Hause schlafen geht. Regina Alfery und Zdenka Becker habe ich gesehen. Das Literaturhaus hat Wolfgang Hermann mit seinen neuen „Faustini“-Band präsentiert. Diesmal hat Herr Faustini einen Riß in seiner Seele entdeckt, geht zu einer Psychotherapeutin und macht dann eine Reise, wo er die Frau mit dem wunderschönsten Gang der Welt entdeckt. Christoph Grissemann und Dirk Stermann haben in „Speichelfäden in der Buttermilch“ aus einem Tagebuch gelesen, wo sie sich zerfetzten, das ich, glaube ich, an dieser Stelle schon einmal hörte und Susanne Scholl berichtete in „Allein zu Haus“ von Rußland und der Asylwerberproblematik, letzteres kam am Samstagmorgen, mit Ludwig Lahers „Verfahren“ nochmals. Inzwischen hat Peter Rosei seinen neuen Roman „Geld“ vorgestellt und eine kleine Regelwidrigkeit hat es auch gegeben, ist Doron Rabinovicis „Andernorts“ ja schon im Vorhahr erschienen und die Stellen, die er gelesen hat, habe ich auch schon in der Hauptbücherei gehört, er hat aber brillant gelesen. Dann kam Musik, nämlich Ernst Molden, der früher dort seine Krimis vorgestellt hat, jetzt hat er sein neues Liederbuch vorgestellt und alte Songs z.B., den von der „Hammerschmidgassn“ gesungen und der Burgtheaterblock. Da war, glaube ich die Idee, daß die Schauspieler, wenn die Veranstaltung schon „Rund um die Burg“ heißt, sich nach der Vorstellung präsentieren konnten. Inzwischen gibt es eigene Literaturprogramme und da ging es diesmal um Künstler und Tiere. Bei der Kriminacht gab es diesmal nicht so viel Bekanntes und was mich ein wenig wunderte, Eva Rossmann, die eigentlich immer gelesen hat, fehlte mit ihrem neuen Krimi. Dafür eröffnete Stefan Slupetzky. Alfred Komarek „12 Mal Polt“ habe ich schon gehört, da bin ich ein bißchen herumgegangen und Peter Henisch, dessen Novak als Krimi galt, obwohl er keiner ist, es gibt aber eine Pistole am Cover, habe ich ja inzwischen zweimal bekommen. Christian Gruböck, das ist, glaube ich, ein Ex-Polizist, der einen Art Weltverschwörerroman der in Amerika spielt „Bis der Tod euch rettet“, geschrieben hat, kannte ich nicht. Aber Peter Clar „Alles was der Fall ist“ und das ist eigentlich auch kein Krimi und Rudolf Habringers neues Buch ist offenbar auch eher eine Dreieckgeschichte. Dafür hatte die Erotiknacht mit Valerie Fritsch aufzuweisen, deren Ärtzin, die einmal Hure war, inzwischen als Buch erschienen ist und das war sehr erotisch, ebenso aber ganz anders Christops Braedle „Wiener Decameron“, wo auch die Welt am Untergehen ist und sich die Senioren retten wollen, indem sie sich erotische Geschichten erzählen und die von dem Sexmenu im Riesenrad, wo ein schüchterner Junge entjungfert wird, war sehr amüsant. Das war auch die Zeit, wo ich überlegte, ob ich nicht doch nach Hause gehen will, ich habe aber Daniel Wissers Bachmanntext und Robert Prosser noch einmal gehört, beiden Bücher liefen als Erotik und beide sind bei Klever erschienen. Um fünf kam ein ORF Reporter und erzählte von nine elefen, damit war die Erotik dann beendet, ich frühstückte und hörte mir Ludwig Laher, Maya Haderlap und Josef Winkler an. Letzter hat ein neues Buch „Die Realität so sagen, als ob sie trotzdem nicht wär“, darüber hat er im Jänner in den „Tonspuren schon gesprochen, es geht um seine Kärtner Kindheit und den lieben Gott, der ihm ziemlich gewaltätig aufgezwungen wurde, um das Lesen und, wie das Bauernkind zu seinen Karl May-Büchern kam. Walter Baco war dann eine nicht so prominente Überraschung, das gibt es auch immer wieder, daß vereinzelt nicht so ganz bekannte Namen auftreten und das finde ich natürlich gut. Danach kam Mieze Medusa mit der Slam Poetry Stefan Abermann, Yasmin Hafdeh und noch einen dritten und da hätte ich fast ein Poetry Slam Buch gewonnen. Die Präsentation der Klassen der Schule für Dichtung war auch sehr interessant, vor allem da, glaube ich, zwei Studenten der Sprachkunst nämlich Anna Gschnitzer und Irmgard Fuchs in der Klasse von Julian Schutting dichteten. Bei den Sachbüchern stellte Niki Glattauer „Die Pisalüge“ vor und gab einen treffenden Einblick, was so in den Schulen abläuft und Florian Klenk vom Falter hat neue Sozialreportagen und erzählte, was sich in Favoriten tut. Dann kam noch Gustav Ernst, den ich schon kannte, Michael Stavaric mit einem Art Tierlexikon für Erwachsene mit erfundenen und realen Tieren, zum Beispiel dem „Biest, das dem Begräbnis folgt“, das alle auffrißt, aber auch den Titeltieren „Nadelstreich und Tintenzisch“.
Clemens J. Setz mit dem „Mahlstädter Kind“, das heißt er las die Geschichte von dem Mann, der eine Leiche in seiner Wohnung finde und ein paar Gedichte. Ansonsten erzählte er viel, zum Beispiel, daß er 2007 mit seinem ersten Buch, um sechs Uhr früh gelesen hat. Er meinte, daß da noch die Herren von der Erotiknacht in der ersten Reihe gesessen und gegangen sind, als er kam, da weiß ich nicht so recht, ob da nicht ein bißchen Fiktion dabei ist, da um sechs die Erotiknacht längst vorüber ist und Herren in Trenchcoats sind meistens nicht dabei, sondern nur ein paar Übergebliebene oder Freunde der Autoren, die dann aber gleich verschwinden. Gerhard Rühm und noch einige andere gab es auch und ich habe, obwohl ich gar nicht so wenig schon kannte, wieder einen guten Einblick in die österreichische Literatur bekommen.
Und hier das Archiv: 2008, 2009, 2010
2011-09-16
KAFF auch Mare Crisium
Wieder einmal herrscht Ratlosigkeit, denn kann ich ein Buch, das ich, als realistische Autorin und Nicht-Germanistin, nicht verstanden habe, besprechen?
Arno Schmidt 1914 geboren, 1979 in Celle verstorben, gilt als großer der deutschen Nachkriegsliteratur, es gibt eine Arno Schmidt Stiftung und auch eine „KAFF auch Mare Crisium“-Website, die sich dem 1960 entstandenen Buch widmet.
Seit 1958 fand ich in Wikipedia, entwickelte Arno Schmidt seine theoretischen Überlegungen zu Prosa und Sprache, setzte sich mit James Joyce und Sigmund Freud auseinander und suchte diese Überlegungen in „KAFF auch Mare Crisium“ umzusetzen, das formal als Bindeglied zwischen dem Früh und dem Spätwerk gilt.
„Drei Personen auf dem Lande in Betrachtung des Mondes. Ein Endspiel zwischen dem Alltag der fünfziger Jahre und ihrer Futurologie. Angestelltenträume im Kalten Krieg. Arno Schmidt als Realist und Phantast in einem“, steht auf der Buchrückseite, also dort wo man sich Informationen holt, wenn man wissen will, was in dem Buch steht und vielleicht noch keine Informationen über den Autor hat.
„Ein sechsundvierzigjähriger macht mit seiner Freundin einer Designerin, einen Automobilausflug: mit der Isetta von Nordhorn nach Giffendorf in der Lüneburger Heide. Dort bewirtet sie Tante Heete, die lebensfrohe, aber etwas vereinsamte Witwe. Das ist die ganze Geschichte. Sie erzählt vom Wirtschaftswunder, das an den kleinen Angestellten vorbeigeht, und von den erotischen Obsessionen unseres Alltags. In ihrem Kern birgt sie ein Stück-Science-fiction, eine Utopie, die auf den Ungeist des Kalten Krieges reagiert: „KAFF“ ist ein literarisches Prisma der westdeutschen fünfziger Jahre“, ist die weitere Buchbeschreibung.
Das Ganze spielt in zwei Handlungsebenen, die sich im Druck voneinander unterscheiden, aber inhaltlich verschränkt sind, entnehme ich Wikipedia.
Die Erste ist der Besuch bei Tante Heete, das zweite die utopische Geschichte, die 1980 auf dem Mond spielt, weil die Erde nach dem Atomkrieg unbewohnbar geworden ist.
So weit so klar und auch verständlich. Dann nimmt man das Buch, schlägt es auf und hat diese zwei Ebenen auf dreihundertsechzig Seiten vor sich, die sich abspulen, wie ein gigantischer Monolog und noch dazu in einer Sprache, in der die Rechtschreibung völlig aufgehoben ist, bzw. sich Arno Schmidt einer eigenen bedient, Satzzeichen, Ausrufungszeichen etc kommen vor und auch der Satz „Wer nach „Handlung“ und „tieferen Sinn“ schnüffeln oder gar ein „Kunstwerk“ darin zu erblicken versuche sollte, wird erschossen.“
Und der unbedarften Leserin, die verstehen will, kommt es trotz der Hintergrundinformationen vor, wie der Sprung in eine gigantische Sprachspirale, die vom Hundersten ins Tausendste hinunterassoziiert. Die deutsche Geschichte, der Kalte Krieg, Konrad Adenauer und auch das Nibelungenlied kommen vor. Das entnahm ich Wikipedia, aus dem Buch selber habe ich nur kapiert, daß Krimhilde „Cream-hilled“ geschrieben wird.
Was tut die unbedarfte Leserin, die gewohnt ist, aus dem Text die Handlung zu verstehen und versucht sie durch Strukturen zu erfassen?
Meistens geht das auch, bei Richard Obermayrs „Gefälschen Himmel“ vor ein paar Jahren, war es etwas schwierig, da habe ich ebenfalls drüber gelesen, als ich bemerkte, daß ich den Inhalt nicht erfassen kann, denn die Zeit mich eingehender mit Arno Schmid zu beschäftigen, als mich in die Website einzuklinken habe ich oder nehme ich mir nicht.
So habe ich gedacht, das ist ein interessanter Autor, der durch das Konstruieren der verschiedenen Handlungsebenen und dem Kreieren einer eigenen Sprachgewalt, wahrscheinlich ein Kriegstrauma und die Ereignisse in Westdeutschland um 1950 und die Angst vor dem Atomkrieg bewältigen will.
Ich habe mir auch gedacht, daß ich mir vorstellen kann, selbst ein solches System zu erfinden, die Science fiction Autoren, erschaffen ja auch eigene Welten, machen das nur vielleicht ein wenig verständlicher.
Darum scheint sich Arno Schmidt nicht gekümmert zu haben. Ich habe das Buch zu Ende gelesen, allerdings zunehmend schneller, nachdem ich begriffen habe, daß ich nicht mehr weiß, worum es geht.
Gelesen hab ichs, weil ich das Buch vor einem Jahr im Bücherschrank gefunden habe und mir der Name des Autors natürlich ein Begriff war. Es gab einmal eine Sendung in den Tonspuren über ihn, voriges Jahr wurde, glaube ich, „Zettels Traum“ neu aufgelegt und auf der Buchmesse darüber berichtet und bei den Textvorstellungen, wo sich Michael Stavaric mit „Seelandschaft mit Pocahontas“ beschäftigt hat, was als Hörspiel diese Woche übrigens in Ö1 war, bin ich auch gewesen.
Ich bin ja eine Leserin mit einem relativ weiten Literaturbegriff, obwohl mich das Realistische mehr anspricht, interessiert mich auch, wie andere Autoren schreiben. Kann Arno Schmidt mit einem „Interessant aber unverständlich!“, stehen lassen und auch, daß er ein großer Autor ist.
Generell stellt sich natürlich die Frage, für wen er geschrieben hat und wer ihn liest?
Bucht man heute ein Schreibseminar, hört man als Erstes, man muß verständlich und für seine Leser schreiben.
Muß man natürlich nicht. Selbstverständlich, aber wer wird Arno Schmidt lesen und ihn verstehen? Ich habe das Erste schon, das Zweite nicht getan, werde die KAFF Mare Crisium Seite also schließen und am Nachmittag zu „Rund um die Burg“ gehen. Wahrscheinlich habe ich dann einige Kommentare von „JuSophie“, „Ich mach mir Gedanken“ oder anderen kritischen Geistern, die mir erklären, daß man über ein Buch, das man nicht verstanden hat, nicht schreiben darf!
Darf man es lesen, wenn man es findet und darf man, wie das Kind bei den neuen Kleidern des Kaisers sagen, „Das verstehe ich nicht?“, während die anderen, die sich nicht blamieren wollen, den Prunk und die Juwelen loben?
Im Internet habe ich gefunden, daß Schmidts Werk bei Publizistik und Literaturwissenschaft rühmende Beachtung aber auch Zweifel gefunden hat. So hat Walter Jens seinen Stil einmal für „Blödsinn“ gehalten. Ich finde das nicht und weiß auch nicht, ob Arno Schmidt das Entwerfen seiner Welten Spaß gemacht hat oder, ob es für ihn Traumabewältigung war? Bei Wikipedia habe ich auch etwas von Humor gefunden. Interessant auch, daß seine Bücher immer noch erhältlich sind. Marianne Fritz, die ja eine ähnlich gigantische Literaturwelt hat, wird, wie ich im Februar in der Alten Schmiede hörte, nicht mehr aufgelegt. Wer wird die Bücher lesen? Die Studenten natürlich, die besuchen wahrscheinlich auch Proseminare und schreiben Diplomarbeiten und Dissertationen darüber. Was macht der Durchschnittsleser, wenn er ein solches Buch findet? Legt er es weg, schimpft er darüber, lobt er es, etc?
Ich bin keine Durchschnittlsleserin, lese auch literarische Einzelgänger und finde es spannend, wenn die ihre literarischen Welten und ihre Sprachkritiken erschaffen.
Und da sich meine Leser immer daran stoßen, daß ich mich beispielsweise nicht an die S-Schreibung und die Beistrichregeln halte, würde mich interessiere, was sie zu Arno Schmidts Orthografie sagen?
Dann hat mich interessiert, was die Durchschnittleser zu Arno Schmidt meinen, wenn sie sich das trauen und ein wenig nachgegooglet. Da gibt es nicht sehr viel, die Rezension von Jens Fleischhauer ist aber sehr interessant. Interessieren würde mich natürlich, wie der literarische Außenseiter zu seinem Ruhm und seiner Stiftung kam? Unverlangt eingeschickt wird er seine Werke wahrscheinlich nicht haben, denn dann hätte er höchstwahrscheinlich keine Antwort oder Hinweise, daß die Ortographie nicht stimmt und die Handlung unverständlich ist, bekommen.
Interessant dazu ist, in einem ganz anderen Zusammenhang Andreas Eschbach Artikel „Ich habe mein Roman fertig, wohin soll ich ihn schicken“, die Stelle, wo er von den vielen schlechten unverlangt eingesandten Texten, die sich bei einem Verlag sammeln, schreibt. In die würde ich auch gern einmal Einsicht nehmen und da sind wir bei der Frage, wie man die Spreu vom Weizen trennt?
Welche Kriterien es dafür gibt und ob man das wirklich kann? Ich habe da meine Zweifel, obwohl ich Arno Schmidt für einen großen Autor halte. Anni Bürkl hat einmal von der Kompetenz des Kritisierens gesprochen. Das Buch ist aber veröffentlicht, also der Rezeption freigegeben und ich höre die Autoren immer sagen, daß ihnen dann das Buch nicht mehr gehört und jeder seine Meinung äußern darf.
Ich lese, wie meine Leser wissen sehr viel, von Arno Schmidt bis zu Hera Lind, meistens ist Verständliches darunter. Arno Schmidt war mein bisher schwierigster Fall, wenn ich so sagen darf. Den Ulysses habe ich nicht gelesen. Ich wollte es, als ich aber dazu kam, hat mir die Anna das Buch weggetragen.
Über Richard Obermayr, der sicher viel verständlicher ist, habe ich schon geschrieben. Bei Theodor Sappers „Kettenreaktion Kontra“, der ein Onkel von Hilde Langthaler ist, ist es, glaube ich, ähnlich.
Auch ein literarischer Einzelgänger, der den Krieg auf theoretische Art und Weise bewältigt hat, nicht so bekannt, wie Arno Schmidt, sondern in Wien Volkshochschullehrer auf der Urania, seine Nichte, hat die Herausgabe des Romans, 2006 durchgesetzt. Da ich damals in der Szene Margareten Thalia Buchgutscheine gewonnen habe, habe ich das Buch gelesen. Wieder viel zu schnell und es nicht verstanden, obwohl es viele Anmerkungen darin gibt. Damals gab es noch den Lesezirkel in der Hauptbücherei, wo man aufgefordert wurde, ein Buch vorzustellen. Ich hätte es mir sogar vorstellen können, mich mit dem Buch mehr auseinanderzusetzen. Jessica Beer hat abgewunken, weil viel zu schwer für das Publikum!
Da sind wir immer noch bei der Frage, was soll, kann, darf man in Zeiten der Pisakrise und des wachsenden funktionalen Analphabetismus lesen?
Alles natürlich, ganz klar, nur, wie geht es einem Gastarbeiterkind oder einem Immigranten, wenn er Arno Schmidt im Bücherkasten findet? Vor zwei Jahren gab es bei literaturcafe.de, eine Aktion, wo drei Autoren einen „Schlechten Text“ zusammenbastelten, für den Rest des Romans haben sie Kaptiel aus anderen Romanen genommen, (war Arno Schmidt dabei?) und das an die Zuschußverlage geschickt.
Was passiert, wenn ich ein Kapitel von Arno Schmidt unverlangt an die Verlage schicke? Bleibt es im Keller liegen, schreibt mir die Praktikantin „Aber das ist doch „KAFF auch Mare Crisium“, ich habe meine Diplomarbeit darüber geschrieben!“ oder wollen die Zuschußverlage zehntausend Euro dafür haben?
Ob Arno Schmidt-Spezialisten unter meinen Lesern sind, weiß ich nicht. Wenn jemand das Buch gelesen hat und mir schreibt, wie es ihm dabei gegangen bin, finde ich das schön.
2011-09-15
Die leichten Schritte des Wahnsinns
Trotz Leo-Perutz-Preis die Besprechung eines russischen Krimis, nämlich Polina Daschkowas „Die leichten Schritte des Wahnsinns“, das ist auch der interessant, vor allem wenn die Heldin Lena Polanskaja heiißt und in Moskau im März 1996 mit dem Kinderwagen und der zweijährigen Tochter Lisa nach Hause geht und dabei von einem dunkelblauen Volvo verfolgt wird.
Lena ist sechsunddreißig Hahre alt, mit einem Polizei-Oberst verheiratet und Redakteurin einer Literaturzeitschrift, vor fünfzehn Jahren war sie mit ihrer Freundin Olga und deren Bruder Mitja auf einer Delegation in Sibirien, wo sie ihre Literaturzeitschrift in einem Gefängnis vorstellte und dabei die Gedichte des rangtiefsten Häftlings veröffentlichte.
Inzwischen ist viel Zeit vergangen, der Kommunismus verschwunden, die freie Marktwirtschaft mit ihren mafiaähnlichen Strukturen hat Einzug genommen, so werden auch überall die Menschen ermordet und so berichtet Olga auch gleich ihrer Freundin, daß ihr Bruder, ein Liedermacher, angeblich Selbstmord im Drogenrausch begangen haben soll, obwohl nur seine Frau Katja rauschgiftsüchtig war. Die geht zu einer berühmten Therapeutin und wird irgendwann auch ermordet und noch ein anderer Sänger und es kommt auch der Leiter des größten Musikkonzerns dazu, der seine Leichen im Keller hat, hatte er nämlich einen berühmten revolutionären Großvater, an den ihn seine Mutter immer mahnte, ansonsten hatte sie nur wenig Liebe zu ihm, so daß er nicht umhin konnte, die Frauen, zu denen er sexuellen Kontakt hatte, gleich zu ermorden. 1981 ist er Kulturamtsleiter in Tobol und hat die Aufgabe die drei Studenten durch die Gefängnisse zu führen, dabei verliebt er sich in Lisa und Mitja sieht einmal Blut an seinem Pullover, kurz nachdem ein junges Mädchen ermordet wurde. Dafür hält natürlich ein anderer den Kopf hin und der Polizist der Verdacht schöpft, wird ebenfalls ermordet, wie das in Russland so sein scheint und Wenjamin Wolkows Frau Regina ist auch ein Kind aus Tobol und hatte das Pech sehr häßlich zu sein, ihre Mutter eine Bibiliothekarin tröstete sie zwar mit den inneren Werten und der schönen Literatur, Regina studierte aber Medizin, beschäftigte sich mit Hypnose und Gerichtsmedizin und verführte Wenjamin, den sie ständig hypnotisierte, so daß sie nicht ermordet wurde, sondern seine Frau und mit ihm den größten Musikkonzern aufbaute.
1996 erinnert sich Mitja nun an das Blut am Pullover und Olga erzählt Lena, daß sie nicht an den Selbstmord glaubt. Dann verliebt sich noch der Musikproduzent ein zweites Mal unsterblich in Lena, Regina versucht sie zu ermorden und schmuggelt Sprengstoff in den Kinderwagen, nur leider parkt sie auf dem Parkplatz des hiesigen Mafiabosses, der läßt sich das nicht gefallen, so daß die Bombe zu früh losgeht.
Lena schöpft Verdacht und soll außerdem, während ihr Mann auf einen Kongreß in London ist, noch ganz zufällig einen amerikanischen Historiker durch Sibirien begleiten. Da wird es dann richtig gefährlich, denn Regina hat sich an die größten Mafiabosse gewandt und denen Märchen vom CIA erzählt, so daß der Professor nicht nur Schwierigkeiten hat, sich in Sibirien vegetarisch zu ernähren, das Gepäck wird auch durchwühlt, eine Puderdose verschwindet und zuletzt wird Lena noch entführt. Das Wunder kommt in dem dichtenden Häftling, der sich inzwischen zum größten Profikiller entwickelt hat, der ist Lena nämlich dankbar, so daß er sie nicht ermordet, sondern durch die Taiga schleppt, bis sie ihr Mann mit dem Polizeihubschrauber findet. Regina hat inzwischen ihren Mann ermordet, natürlich so, daß niemand etwas beweisen kann, so daß sie in den Talkshows darüber Auskunft gibt, daß sie leider leider den Konzern nun alleine weiterführen muß. Sie ist auch nicht mehr häßlich, sondern hat sich längst den Schweizer Schönheitschirurgen unters Messer gelegt, einen jungen Liebhaber hat sie auch.
Schade nur, daß sich der beste Profikiller „anschickt seine übliche Arbeit zu tun, aber nicht auf Bestellung und nicht für Geld. Nur für sich allein.“
Das wars und wir haben einen Einblick in das Leben Russlands von 1996 bekommen. Daß es dort sehr gewalttätig zugeht, hören wir in den Medien, die 1960 in Moskau geborenen Polina Daschkowa, die inzwischen eine der erfolgreichsten Krimiautorinnen Rußlands ist und am Gorki-Literaturinstitut in Moskau studierte, schildert es sehr eindrucksvoll und plastisch, wenn auch ein wenig langatmig. Köstlich die Stelle, wo der lokale Mafiaboss, der in dem Wohnblock eine Geliebte hat, auf ihren Moskwitsch auffährt, der Kinderwagen sich vorzeitig entzündet und die eiskalte Ärztin, die sich trotz ihrer Millionen ärmlich angezogen hat, aussteigen und in einen Bus flüchten muß. Dort wird sie beim Schwarzfahren erwischt, sie hat natürlich kein Geld dabei, denkt sie doch nicht an sowas, nur noch Teile des Sprengsatzs in der Handtasche, als die Kontrollore, die Polizei rufen wollen, erbarmt sich eine junge Mutter, zahlt für sie das Bußgeld und ist verblüfft, daß Regina dann ein Auto anhält, wie das in Moskau offenbar so üblich ist und nach Hause in ihre schwerbewachte Millionenvilla braust und als fast ist und Lena mit Lisa, ihrem Mann und noch einen anderen Polizisten die Talkshow mit Regina sehen und der Polizist, so erbost darüber ist, daß man Regina nichts anhaben kann und droht, sie selbst umzubringen, schaut ihm das Kind streng an und fragt „Warum schreist du so? Man darf niemanden umbringen! Hast du verstanden? Und überhaupt, mach endlich das Sandmännchen an!“
Sehr köstlich und interessant, dieser Bücherkastenfund, ich habe von Polina Daschkowa in einer Thalia Abverkaufskiste übrigens schon ein anderes Buch gefunden „Nummer fünf hat keine Chance“, wo es um eine Lehrerin geht, die mit einer Prämie die sie bekommen hat, aus der Provinz nach Moskau fährt, um irgendein dringend notwendiges Stück zu kaufen, nur gerät sie leider vorher in die Fänge eines Wettsalons.
Wenn man über das Leben im neuen Russland etwas erfahren will, ist Polina Daschkowa wahrscheinlich sehr zu empfehlen, auch wenn ich bezweifle, daß man mit Hypnose wirklich so arbeiten kann, wie es Regina Valentinowna tut. In der Hauptbücherei war Polina Daschkowa vor ein paar Jahren auch zu erleben. Ich weiß allerdings nicht mehr aus welchen Buch sie gelesen hat.
2011-09-14
Leselistenfreuden
Jetzt hätte ich im Streß der psychologischen Praxis, Buchbesprechung und Krimipreis beinahe auf die Bekanntgabe der deutschen Buchpreisshortliste vergessen und erst im Radio erfahren, daß Marlene Streeruwitzs „Die Schmerzmacherin“ nominiert wurde.
Also disponiere ich ein wenig um, veröffentliche „Die leichten Schritte des Wahnsinns“ erst morgen und schaue mir die Shortliste beziehungsweise das Buch mit den Leseproben an.
Das Letztere habe ich auch vorher schon ein wenig getan und in meinem Leselisteleidenartikel darauf bezug genommen. Darin geht es zwar um meine eigene Leseliste, die entstand, als ich am Mittwoch „Peter Henischs „Grosses Finale für Novak“ nach Hause brachte, jetzt habe ich das Buch noch ein zweites Mal mit der Post bekommen, dafür andere erwartete Rezensionsexemplare noch nicht und JuSophie gefragt, was sie von der Liste gerne lesen würde, bzw. wen sie für den Favoriten hält?
Sie meint, man könne keine Prognosen geben, wenn man die Gruppendynamik der Jury und des Literaturbetriebs nicht kennt.
Stimmt, deshalb bin ich mit meinen bisherigen Prognosen, auch immer ziemlich falsch gelegen, weil ich das empfahl, was ich kannte, beziehungsweise mich interessierte, denn gelesen habe ich von der heurigen Liste außer Ludwig Lahers „Verfahren“ noch nichts und dem Buch hätte ich, weil ja ein Dokumentarroman keine wirkliche Chance gegeben, obwohl es ein wichtiges Thema behandelt und deshalb auch mit Recht auf die Longlist kam.
Jetzt habe ich als die Leseproben gekommen sind, in sie hineingeschaut und da haben mich inzwischen auch einige Namen angesprungen, nicht Blut geleckt, das tut es bei mir nie, dazu habe ich zuviele ungelesene Bücher in meinen Regalen. Es hat sich aber eine Liste von Bücher herausgebildet, die mich interessieren und die ich gerne lesen würde.
Das wären Wilhelm Genazino „Wenn wir Tiere wären“, Sybille Lewitscharoff „Blumenberg“, Astrid Rosenfeld „Adams Erbe“, Judith Schalansky „Der Hals der Giraffe“, Marlene Streeruwitz „Die Schmerzmacherin“ und Antje Ravic Strubel „Sturz der Tage in die Nacht“, wenn ich die Liste dann genauer betrachte, kommt noch Alex Capus mit „Leon und Louise“ hinzu. Doris Knecht kenne ich von der Programmzeitschrift Falter. Ihr Buch „Gruber geht“ wurde schon im Frühling besprochen und natürlich würde ich es lesen, wenn ich es im Bücherschrank finde. Navid Kermani wird die Eröffnungsrede bei der Buch-Wien halten, also werde ich von „Dein Name“ höchstwahrscheinlich noch was hören. Die anderen Namen und Bücher sagen mir eher nicht so viel und ich habe im Internet auch Berichte gefunden, die sich darüber mokieren, daß die Longlist heuer aus einigen unbekannten Autoren bestehen würde. Was ja nichts Schlechtes sein muß.
Ob die Leute dann wegen einem unbekannten Buch die Buchhandlungen stürmen, weiß ich nicht, ist aber nicht mein Problem.
Ich würde jedes der Bücher lesen, wenn ich es bekomme und es an der Reihe auf meiner Liste ist, so weit, daß ich es mir zu Weihnachten oder zum Geburtstag wünsche oder die Verlage anschreibe, gehe ich aber nicht, weil, wie schon erwähnt, ohnehin schon soviel Ungelesenes auf der Liste steht.
Aber meine Leser wissen es, ich bin ein Bücherfreak, Bücher haben mich immer schon interessiert, das geschriebene Wort löst immer noch eine große Faszination und ein großes Interesse bei mir aus und es interessiert mich auch, was und, wie die anderen schreiben, obwohl man bei diesen Büchern davon ausgehen muß, das das Lektorat dabei vielleicht auch ein wenig mitentschieden hat, das stört mich aber eigentlich nicht.
Wer steht nun auf der Shortliste und war es jetzt eine Überraschung? Eigentlich schon, obwohl mich das jetzt nicht mehr vom Sessel reißt, sondern ich die beiden Listen nebeneinander stelle und sie mit einem „Interessant!“ vergleiche.
Marlene Streeruwitz „Schmerzmacherin“ ist also auf die Liste gekommen, das Buch war schon einmal im Radio und auf meiner Liste für 2012 stehen Marlene Streeruwitz „Verführungen“ auf Platz 27. Ich habe auch schon einiges von ihr gelesen. „Partygirl“ gabs zum Beispiel vor Jahren einmal bei der Buchlandung um einen Euro oder waren das noch zehn Schillinge? Wahrscheinlich nicht, denn das Buch ist 2002 erschienen, 2003 oder 2004 kann es gewesen sein, gelesen habe ich es dann etwas später. Würde mich wieder nicht als großen Fan der Streeruwitz bezeichnen, aber das bin ich ja von niemanden und sie ist sicher eine interessante Autorin und es ist gut, daß eine Östereicherin auf der Shortlist steht, sind die dort ohnehin immer etwas unterrepräsentiert. Dann gibts eine Übereinstimmung nämlich Sybille Lewitscharoffs „Blumenberg“ und die Autorin hat einmal den Bachmannpreis gewonnen. Aus „Montgomery“ habe ich einmal in der Alten Schmiede gehört und das Buch dann etwas später bei einem der Büchertürme der Literatur im März bekommen und gelesen. „Apostoloff“ habe ich nicht gelesen, aber auch bei einer Lesung in der Alten Schmiede gehört und darüber geschrieben, nominiert für Leipzig war das Buch, glaube ich, auch.
Dann kommt schon Unbekannteres, nämlich Jan Brandt „Gegen die Welt“, Michael Buselmeier „Wunsiedel“, Angelika Küssendorf „Das Mädchen“ und Eugen Ruge „In Zeiten des abnehmenden Lichts“.
Von allen viern habe ich noch nicht sehr viel gehört. Es ist also Zeit für Überraschungen und die Gruppendymnamik die dazu geführt hat, daß die bekannteren Namen nicht auf Shortlist stehen, ich hätte inzwischen schon auf Astrid Rosenfeld getippt, ist auch sehr interessant. Darüber wird man wohl nicht sehr viel erfahren und es ist auch interessant zu raten, wer davon in Leipzig im Oktober deutscher Buchpreisträger oder Trägerin wird. Sybille Lewitscharoff vielleicht, die vier unbekannten Namen wären für mich eine Überraschung, aber wahrscheinlich werde ich von diesen Büchern jetzt einiges hören und das Buch mit den Leseproben, um hineinzuschnuppern, habe ich ja auch und nähere mich mit dieser Methode schon seit Jahren dem Buchmarkt an, weil es zuviel gibt, um wirklich allles zu lesen.
Da es mich aber interessiert sind Leselisten für mich keine Pflicht sondern ein Vergnügen, denn ich würde ja gerne alles lesen, geht aber nicht, weil das Schreiben immer noch an erster Stelle kommt und dann habe ich auch einen Beruf und eine Familie.
So sind Lesungen für mich ein guter Ersatz und eine Möglichkeit über Bücher zu sprechen, die man nicht gelesen hat. Das „Literaturgeflüster“ ist das auch und selbst wenn das manche stört, man kann nicht alles lesen, aber über alles reden, in diesem Sinne finde ich diese Bücherlistendiskussionen auch sehr interessant und die Zeiten, wo ich mit dem Geldbörsel in die Buchhandlung gerannt wäre, sind zum Leidwesen des Buchhandels vorbei, aber ich interessiere mich für Bücher und daß das so ist, finde wenigstens ich, auch sehr schön. In diesem Sinne wünsche ich den sechs Shortlistenbüchern alles Gute, freue mich auf die Bekanntgabe des Preisträgers oder Preisträgerin und werde sicher drüber schreiben.
2011-09-13
Leo-Perutz-Preis
Im Palais Fürstenberg, dem Hauptquartier des Hauptverbandes des österreichischen Buchhandels wurde heute der Leo-Perutz-Preis, das ist ein Preis, den der östereichische Buchhandel und das Kulturamt der Stadt Wien für den besten in Wien spielenden Krimi ausgeschrieben hat, vergeben, den es seit 2010 gibt.
Im Vorjahr hat ihn Stefan Slupetzky mit „Lemmings Zorn“ gewonnen. Paulus Hochgatterers „Matratzenhaus“, „Schön tot“ von Edith Kneifl,“Die Naschmarktmorde“ von Gerhard Loiblsberger und „Warten auf Poirot“ von Nora Miedler standen noch auf der Auswahlliste.
Leo Perutz 1882 in Prag geboren und 1957 in Bad Ischl gestorben war ein berühmter österreichischer Schriftsteller und Versicherungsmathematiker und Lieblingsdichter meines früheren Lesers Otto Lambauer. Für Krimis habe ich seine Romane eigentlich nicht gehalten, habe aber, muß ich gestehen, noch nichts von ihm gelesen, nur einen bei Sonderzahl erschienen Sekundärband bei einem der Büchertürme der Literatur im März bekommen. Von dem Preis und der Preisverleihung weiß ich von http://www.buecher.at, der Seite, die ich inzwischen regelmäßig lese und von der ich viel von meinem literarischen Preiswissen etc beziehe.
Heuer waren Martin Muchas „Seelenschacher“, Thomas Raab „Der Metger holt den Teufel“, Eva Rossmanns „Evelyns Fall“, Franz Winters „Operation Rheingold“ und Lizi Steins und Georgs Koytek „Der Posamentenhändler“ auf der Shorlist, die von einer Jury, die aus Rauol Blahacek vom Kulturamt, Stefan Mödritscher von Morawa, Andreas Pittler, Erwin Riedesser von der Buchhandlung Leporello und der Literaturkritikerin Ingeborg Sperl bestand, ausgewählt wurde.
Als ich in dem schönen alten Haus in der Grünangergasse eintraf, waren schon alle Plätze besetzt, so daß ich eine Stunde stehen mußte, Günter Kaindlsdorfer, der neue Programmchef der Buch-Wien stand schon am Vortragspult und begann mit ein paar Worten zu Leo Perutz und dem Preis einzuleiten. Dann gabs noch ein paar Eröffnungen. Die SPÖ Gemeinderätin Anica Matzka-Dojder, die ich von der Szene Margareten kenne, vertrat den Stadtrat Malath-Pokorny, Gerald Schantin vom Hauptverband lobte den Krimi der als einziges Segment im Buchhandlung eine Umsatzsteigerung hatte und bereits 9% aller verkauften Bücher ausmacht.
Dann stellte Günter Kaindlsdorfer die fünf bzw. sechs Finalisten vor, ein Autorenduo war auch dabei und ließ jeden jweils fünf Minuten aus dem Werk lesen.
Martin Mucha, der mit seiner Geschichte „Seelenschacher“ über ein Kreditbüos, das Seelen als Bürgen verwendet, begonnen hat, war mir bisher unbekannt. Thomas Raab kenne ich und war schon bei einigen Lesungen seiner Krimi, das ist der, der bei dem ersten immer fragte, ob jemand unter den Zuhörer kein Handy hat und sich dann wunderte, wenn ich mich meldete. „Der Metzger holt den Teufel“, ist sein vierter Krimi.
Eva Rossmanns „Evelyns Fall“ habe ich schon hier besprochen, der „Posamentenhändler“ von demdes Duos Lizi Stein und Geog Koytek ist mir aus dem Adventgewinnspiel von Klaudia Zotzmann bekannt, da wurde nach einem Posamentgeschäft im siebenten Bezirk gesucht und es gab auch den Krimi zu gewinnen, während ich von Franz Winters Operation Rheingold, das einen wahren Fall aus der Nazizeit, nämlich die Wagner Partituren die Hitler zum Geburtstag geschenkt werden sollten, bearbeitete, noch nichts hörte. Diese Lesung war besonders spannend, weil sie mit einem Monolog von NiKolaus Harnoncourt an sein Orchester, während er Mahlers Erste dirigiert beginnt.
Dann begann die Spannung, da der Jury Sprecher Andreas Pittler mit einem Kuvert zu Günter Kaindlsdorfer trat und während ich noch dachte, daß wahrscheinlich Eva Rossmann gewinnen wird, verlas der die Namen des Autorenduos und den Juryspruch, das „Der Posamentenhändler“ als der Wienerischste aller Krimis, er spielt im siebenten Bezirk und am Spittelberg dem großen Vorbild Leo Perutz am besten entspricht und das Flair eines untergehenden Wiens eindrucksvoll darzustellt.
Dann gabs Applaus, Fotos, Händeschütteln und ein Buffet, das mit einem kriminalisten Getränk, nämlich „Bloody Mary“ begonnen wurde, das ich versäumte, weil ich gleich in den Buffetraum trat, wo die Rotweinflaschen standen und Fingerfood.
Es war sehr voll, obwohl ich außer einigen Autoren, den Buchhandelsvertretern und Anica Matzka-Doyder, Raoul Blahacek und höchstens einem Stammbesucher niemanden kante, trotzdem nütze ich die Gelegenheit Andreas Pittler nach dem Fräulein Hannah Feigl zu fragen, denn ich habe bei Claudia Zotzmanns Gewinnspiel zwar nicht den „Posamentenhändler“ wohl aber Andreas Pittlers „Chuzpe“ gewonnen und jetzt gehe ich, wenn ich es noch schaffe in die Badewanne um Polina Daschkowa „Die leichten Schritte des Wahnsinns“ zu Ende zu lesen, da der russische Krimi ja auch interessant ist.
2011-09-12
Grosses Finale für Novak
Peter Henisch ist mit seinem „Grossen Finale für Novak“, die Beschreibung des Leidens des kleinen Mannes an der Sinnlosigkeit des Lebens, seiner Midlifie-Krise, beziehungsweise Früh-Pensionsschock, in grandioser Opernmanier, bis an den Rand des Kitschs und einem Ende, das mir nicht gefällt, gelungen.
Es geht, um Franz Novak, dem fünfundfünfzigjährigen Postbeamten, der nicht besonders konfliktbereit ist, seit dreißig Jahren mit seiner Herta, einer Bißgurn, die so denkt, wie es H.C.Strache, „Heute“, die „Krone“ oder „Österreich“, vorschlägt und einen kleinen Frisiersalon im Nachbarort, mit Hilfe von zwei „Balkantussis“ oder Lehrmädeln, betreibt, lebt und einen mißratenen Sohn hat, der inzwischen in Kanada, das dritte Mal verheiratet ist.
Ansonsten gibt es noch die SPÖ, die ja auch den Bach hinuntersegelt, den Stammtisch und den Wunsch, vielleicht Amtsleiter zu werden, da haben Mittwoch im Theatercafe des Theaters an der Wien, die Leute gelacht, als das Cornelius Hell oder Kurt Neumann erwähnte, obwohl ich nicht weiß, was daran so lustig ist, denn so sind die Träume der kleinen Leute eben und das wird ihnen von der Gesellschaft auch so eingebleut. Ansonsten gibt es keine besondere Bildung, denn Franz Novak ist, wie sehr selten in der Literatur, kein Intellektueller, weshalb Peter Henisch auch am Mittwoch vielleicht sagte, daß er nicht viel mit seinem Helden gemeinsam habe, also keiner der, wie ich, die ja auch aus einer sozialistischen Arbeiterfamilie kommt, ab 1973, dem Jahr meiner Matura, jede Woche in die Oper ging, wo ich auch Klaus Khittl, dem damaligen Opernkritiker, der Presse kennenlernte.
Irgendwann in den Achtigerjahren habe ich damit aufgehört und war inzwischen nur einmal in der Oper, in der Inszenierung, zu der Hermann Nitsch das Bühnenbild machte, Alfreds oberer Mittelschichtfreund Martin hat mich dazu eingeladen.
Bei Franz Novak kommt das aber erst in seiner verspäteten Midlifekrise. Hat er nämlich kurz nach oder vor dem fünfundfünfzigsten Geburtstag einen Gallensteinanfall und muß ins Spital. Das heißt seine Frau Herta bringt ihm dort hin, ihm wären seine Schmerzen nicht aufgefallen, obwohl der Oberarzt meinte „Ein bißchen später und sie hätten daran geglaubt….!“
Und dann beginnt es, was später in das grandiose oder für mich unbefriedigende Finale müdet. Novak liegt zwar in einem Klassezimmer, aber der Nachbar, ein gewisser Herr Kratky schnarcht trotzdem schrecklich und hört untertags Volksmusik, so erbarmt sich die indonesische Krankenschwester Manuela seiner, bringt ihm Ohropax, Kopfhörer und ihre Opernaufnahmen. Sie ist nämlich eine Opernliebhaberin und Novaks zweiter Frühling beginnt oder auch nicht. Er spricht zwar öfter in der Nacht auf der kleinen weißen Bank im Krankenhaus mit Manuela, läßt sich von ihr die Opern, von denen er keine Ahnung hat, erklären und träumt auch von ihr, aber, als er nach Hause entlassen wird, ist er besonders geräuschempfindlich und die Post, die ja bekanntermaßen inzwischen ihre unkündbaren älteren Beamten nicht mehr brauchen kann, schickt ihn in Frühpension.
Was macht man in einer solchen Situation um keinen Pensionsschock zu bekommen? Novak geht ins Gasthaus Geiger und hört seine Opernarien oder vorerst das Opernkonzert im Radio auf das er zufällig stößt. In dieser Situation stößt Herta auf ihn, die sich Gedanken über seine Veränderung macht, denn sie ist gar nicht so bösartig, wie die Kritiker meinten, schmunzelte Peter Henisch am Mittwoch, sondern hat meiner meiner Meinung nach in der Stelle über den Hörsturz ihren Autor zu einer der brillantesten Beschreibungen der Midlifekrise gebracht und ich muß es vielleicht wissen, habe ich ja schon 1978-1979 über dieses Thema dissertiert.
Herta kommt also besorgt nach Haus und will Novak zum Arzt schicken, hört seine Opernarien, die sie nicht leiden kann und rastet aus. Wird eifersüchtig auf Manuela, die „Ausländertussi mit dem Muttermal“, fährt ins Spital und will sie beim Oberarzt anschwärzen. Novak fährt auch dorthin, obwohl ihm Herta, seit er einen Unfall hatte, das Autofahren verbot, findet aber Manuela nicht und so verläßt er Herta und siedelt sich in eine schmuddelige Pension irgendwo beim Meidlinger Markt ein und geht mit Opern CDs in der Tasche in Schönbrunn spazieren. Die Callas hört er da, die „Zauberflöste“, den „Fliegenden Holländer“ und „Hoffmanns Erzählungen“, die gängigen Opern eben, die ich in den Siebzigerjahren auch gehört habe, schreibt Briefe an Manuela, die er nicht abschickt und als er ihr doch einmal eine Karte schreibt, bekommt er sie mit „Empfänger verzogen“ zurück. Er geht auch ein einziges Mal in die Oper, dort gibt es „Madame Butterfly“, zahlt hundert Euro dafür und hat die Vision Manuela auf dem Stehplatz zu sehen, einen Schwächeanfall bekommt er auch und als Herta ein paar Wochen oder Tage später die Türe der „Ausländerpension“ aufbrechen läßt, liegt er im Dämmerzustand im Bett und starrt vor sich hin.
So holt sie ihn nach Hause, beginnt ihn erst zu pflegen, später Vorwürfe zu machen und weil die Gegend in der sie leben, immer unsicher wird und die Polizei oder das Fernsehen zur Vorsicht vor Einbrüchen warnt, drängt sie ihn auch, sich eine Waffe zu besorgen.
Die findet er im Keller, im Zimmer seines Sohnes, neben einem Stahlhelm auf dem Perückenkopf, denn Novak ist inzwischen in die Heavy- Mental Phase gekommen, während Herta zur Versöhnung einen Urlaub nach Teneriffa bucht, daraus wird aber nichts, denn jetzt hat Novak Hertas Briefe gefunden und herausbekommen, daß sie schuld an ihrem Verschwinden ist. Denn die Nachbarn streuen über eine indonesische Krankenschwester mit einem freiberuflichen Lebenspartner und einem kleinen Kind, natürlich Gerüchte aus und siedeln sie in einen Massagesalon an und wenn Herta dann noch an das Innenministerium schreibt, kann es schon vorkommen, daß früh morgens die Polizei erscheint….
Meine Kollegen, die unter dem Lärm und dem Vandalismus am Meiselmarkt oder sonst wo leiden, erzählen es zwar anders und meinen, daß Beschwerden überhaupt nichts bringen.
Manuela ist jedenfalls verschwunden und Novak weigert sich mit Herta nach Tenariffa zu fliegen. So fährt sie allein, bereit es sich dort gut gehen zu lassen, kommt aber wegen Terroralarm nur zum Flughafen, fährt sie mit dem Taxi zurück, wo Novak wieder auf dem Sofa liegt und endlich seine Opernarien, ohne Kopfhörer genießen kann. Es ist die „Traviata“, als auch ein romantisches Stück. Herta zieht den Stecker heraus und Novak die Pistole…
„Großes Finale für Novak“, Cornelius Hell hat am Mittwoch von der Lebendigkeit gesprochen, die der Held im Laufe des Romans zurückbekommen hat und ich habe die letzten zwanzig Seiten gedacht „Hoffentlich nicht!“ Und genau dieses Gefühl hatte ich auch beim Bachmannpreisträgertext 2009, der grandiosen Schilderung eines Mannes, der seine Freundin im Wachkoma betreut und auch nicht umhin kommt, sie am Ende zu erschießen. Jens Petersen hat den Preis bekommen, ich bin unzufrieden zurückgeblieben und jetzt bin ich das auch.
„Geht es wirklich nicht anders, Herr Henisch, auch wenn Novak, stilgerecht, wie Tosca, zwei Kerzen vom Weihnachtsbaum neben Herta stellt, bevor er mit seinem Rucksack mit den Opern-CDs, das Schrebergartenhäuschen verläßt?“
Die Literaturkritik wird verneinen, denn Spannung muß ja sein und ein Roman ist nur dann gut, wenn er in jeder Szene seine Maximalkapazität ausschöpft und das haben, sowohl Peter Henisch als auch Jens Petersen getan. Und auf der Opernbühne liegen, wenn der Vorhang fällt, ja auch die Leichen, so gesehen, läßt es sich wieder als Ironie interpretieren oder sagen, das gehört halt dazu.
Ich hätte ein anderes Ende gewählt, da wäre die Waffe im Keller geblieben oder gar nicht dort gewesen und Novak wäre mit seinem Rucksack und seinen Äpfeln, höchstens zum Bezirksgericht oder in eine Männerberatungsstelle gegangen.
Aber meinen Texten fehlt der höhere Kick, wie mir schon Karl Markus Gauss in den neunziger Jahren erklärte.
Trotzdem es ist ein grandioses Buch und ich bin dadurch zwar in keine Midlifekrise gekommen, habe aber meine Opernleidenschaft in den Siebzigerjahren, ich habe kein absolutes Gehör und mich irgendwann in die Literatur verabschiedet, von der ich glaube mehr zu verstehen, noch einmal durchlebt. Für E. T. A. Hoffmann habe ich mich auch einmal sehr interessiert und „Hoffmanns Erzählungen“ gern gehört.
Und für die, die mir jetzt vorwerfen, daß ich im Literaturgeflüster immer soviel erzähle und auch das Ende verrate, das ist schon am Umschlag abgebildet. Da gibt es nämlich eine Pistole, eine Amsel und ein Cassettenband. Nur etwas habe ich nicht verstanden und würde ich gerne Peter Henisch oder seinen Lektor fragen. Nämlich die Stelle, wo Novak in den CD-Laden seines Ortes geht und Opernmusik der drei Tenöre findet.
„Stimmt, die Geschichte, die hier erzählt wird, liegt schon ein paar Jahre zurück. Anna Netrebko war noch nicht im Bewußtsein der Diskont-Kunden angekommen.“
Das hat mich verwirrt, dachte ich doch, es ist in der Zeit der Postamtschließungen, des Vogelsterbens und der Terrordrohungen ein höchst akutelles Buch.
2011-09-11
Gedanken zu nine eleven
„Was haben Sie am elften September 2001 gemacht?“, lautet derzeit
überall die Frage und im Mittagsjournal gab es vorgestern wissenschaftliche Untersuchungen, die belegten, daß das die Leute gar nicht so genau wissen, sondern nur zu wissen glauben.
„Ich weiß es, glaube ich, denn ich habe einen meiner letzten Sommerspaziergänge gemacht, den ich schon am Vormittag abgebrochen habe, vor einer Bücherkiste einer der zwei Buchhandlungen auf der Wiedner Hauptstraße stehenblieb, John Irving „Pension Grillparzer“, um damals wahrscheinlich zehn Schilling in der Hand hielt, überlegte und doch nicht kaufte.
Es war bewegter Sommer, den ich, glaube ich, in Wien verbrachte. Im Juni wurde das Museumsquartier eröffnet, da kam die Elke zur Anna nach Wien, mit ihr sind wir mit den Hundertmarks eine Woche in ein Ferienhäuschen nach Dänemark gefahren, wo ich die Geschichte „Mowenflug ode Sedelmayers Erzählungen“ schrieb, deren Elemente auch in „Besessen oder das literarische Leben der Dora Faust“ enthalten ist und das, mein erstes oder zweites Buch, das ich mir bei Novum drucken ließ, habe ich in diesen Herbst geschrieben und vorher im Sommer, den wir, glaube ich, in Wien verbrachten, mit Richard Miklins „Literarischen Stadtführer“ ausführliche Spaziergänge durch Wien gemacht. Elf gibt es darin, die von der Inneren Stadt bis nach Grinzing führen und dabei habe ich auch die Figur der amerikanischen Lehrerin Suzie Holland, die von ihrer jüdischen Tante, die aus Wien emigirieren mußte, eine Reise dorthin geschenkt bekam und Dora Faust im Kaffeehaus trifft, erfunden und habe mich in ihre Person hineinversetzt. Die in im Holiday Inn in der Margaretenstraße wohnt, am Abend zum Opernkonzert am Rathausplatz geht, etc, einer der letzten Spaziergänge, das habe ich auch in ein kleines Büchlein aufgeschrieben, war am 11. 9., da hatte ich am Nachmittag eine Kinderstunde, dazwischen habe ich telefoniert und die Anna hat mir gesagt, das World Trade Center ist eingestürzt und da habe ich zuerst an Wien gedacht. Am Abend bin ich etwas durcheinander zu einem Galerierundgang aufgebrochen und habe am nächsten Tag bei einer Supervion viel darüber gesprochen, dann kam die Medienberichterstattung und seither hat sich die Welt verändert. Ist viel sicherer oder auch unsicherer geworden, ich bin seither nicht mehr geflogen, weil ich mich nicht durchsuchen und durchscannen lassen will und es sind was das Literarische betrifft, Bücher seither entstanden. Manche meinen ja, ich schreibe zu viel, ich glaube das nicht unbedingt und, um die Zeit des elften Septembers, die ja in Wien eine sehr kulturbewegte war, kann ich mich auch auf eine Führung durch die Studios des ORFs und das Radio Kulturhaus in der Argentinierstraße erinnern und an die Eröffnung des Mumoks im Museumsquartier, da gab es Gratisführungen durch das Haus und das ist mir eingefallen, weil es am Samstag auch so war, auch das Mumok, feiert sein Jubiläum, bzw. überhaupt seine Neueröffnung mit der neuen Direktorin Karola Kraus und da gab es, entnahm ich dem Standard mit dem „Museum der Wünsche“, ein großes Fest, beziehungsweise einen Tag der offenen Tür mit Gratiswürsteln und stündlichen Führungen. Die hat es 2001 auch gegegeben und seit war ich auch immer wieder im Mumok, in New York, seit wir 1997 zwei Wochen dort waren, nicht mehr, aber Dieter Schrage, der am 29. Juni gestorben ist, führte regelmäßig für den Augustin am Freitagnachmittag durch das Haus, einmal haben wir den Nitsch bei einer seiner Ausstellungen dort getroffen und eine eine Führung im Rahmen der Aktion „Hunger auf Kunst und Kultur“ gab es auch einmal. So ist mir das Haus und seine Sammlungen, obwohl ich ja nicht unbedingt eine Anhängerin der konkreten oder der Konzeptkunst bin, auch wenn ich regelmäßig zu den Vernissagen des Herrn Linders in die Schmalzhofgasse gehe, aber ein weißer Würfel ist für mich ein weißer Würfel und nicht unbedingt Kunst, tut mir leid,-vertraut und ich bin am Vormittag, nachdem ich meine Käsekrainer verzehrt hatte, auch über zwei Stunden durch das Haus marschiert und habe immer wieder den Führungen zugehört. Da gab es zwei Führer, einen Mann und eine Frau, die Frau führte sachlich durch die Säle, nannte die Name der Werke und der Künstler und erklärte was dazu, der Mann hielt philosophische Voträge, ob eine Pfeife auf einem Bild die Wirklichkeit oder nur deren Abbild darstelt und was wir sehen, wenn wir eine Schachtel oder eben den weißen Kubus betrachten, sehr interessant und um wieder zu nine elefen und New York, das ich seither nicht mehr gesehen habe, zurückgekommen.
Literarisch hat mich der elfte September sicher auch geprägt, obwohl die Dora Faust außer höchsten in der Person der amerikanischen Deutschlehrerin mit den Wiener Vorfahren nichts damit zu tun hat. Einige Satiren sind aber entstanden, in denen ich mich damit beschäftige, wie man friedlich auf solche Terroranschläge reagieren kann, wie zum Beispiel „Realistisch betrachtet oder WVBHSG“, das ich beim Volksstimmefest gelesen habe und das auch in einer der Anthologien abgedruckt ist und die Weltverbesserungsgruppe des Max gibt es in der „Globalisierungsnovelle“ zu finden und ist im Prolog nachzulesen.
Dieses Wochenende ist der Standard voll mit Berichten über den 11. September und es gibt auch viel Literatur darüber. So hat sich Kathrin Röggla. glaube ich, damit beschäftigt und war auch zu dieser Zeit in New York und mir hat sich der Vormittag des 11. Sepember, als ich vom letzten Sommerspaziergang zurückgekommen bin und mir kurz überlegte, ob ich nicht vielleicht doch die „Pension Grillparzer“ kaufen soll, auch eingeprägt. Am Freitag darauf gab, es glaube ich, „Rund um die Burg“ und da haben sich die Veranstalter entschuldigt und überlegt, ob sie absagen oder abhalten sollten, ich habe glaube ich diese Nacht nicht dort übernachtet, aber Daniel Kehlmann mit seinen „Fernsten Ort“ gehört und der war dann auch in der Alten Schmiede und wurde von einigen Studenten kritisiert, worüber sich ein Mann mit braunen Anzug und roten Kopf mokierte und Kurt Neumann die Diskussion abbrach, eine Stelle, die man in veränderter Form, auch in der „Dora Fraust“ finden kann.
Seither sind zehn Jahre vergangen, das Museumsquartier feiert sein Jubiläum, ich habe viel geschrieben, die Welt ist viel sicherer oder auch unsicherer geworden, es gibt Naktscanner, Fingerprints und andere Kontrollmaßnahmen, es gibt Facebook, Twitter und alle haben inzwischen Handies, New York ist wieder im Hochsicherheitzustand und viele Krisen und einige Regierungswechsel haben wir seither auch erlebt.
2011-09-10
Leselistenleiden
Aufmerksame Leser wissen es, ich habe, als ich Mittwoch mit Peter Henischs „Großes Finale für Novak“ von der Präsentation aus dem Cafe des Theater an der Wien zurückgekommen bin, eine andere Leseliste erstellt, die man jetzt direkt von meiner Blogstartseite einsehen kann, denn die Hundertbücherliste, die ich mir nach einer Challenges-Idee von Charlousie im Februar erstellt habe, um meinen ungeordneten Bücherstapel im Badezimmer und die Bücher die ich von den Bücherschränken bzw. den Buchlandungsabverkäufe nach Hause bringe und in mein neues Bücherregal stelle, ein wenig zu orden. Vor circa einem Jahr hat leselustfrust, die es inzwischen ja leider nicht mehr als aktive Bücherbloggerin gibt, zu einer Winterleseliste aufgerufen, die habe ich mir erstellt und die Bücher auch gelesen, mich aber längst nicht an die Reihenfolge gehalten und als ich im Februar einmal in der Alten Schmiede saß, habe ich mir gedacht, ich muß mir eine Hundertbücherleseliste erstellen, denn, daß ich das schaffe, war ich mir ziemlich sicher, da ich ja 2010 schon neunzig Bücher gelesen habe und da ich ja ziemlich regelmäßig zu den Bücherschränken gehe und mich dort, wenn ich etwas finde, auch bediene, haben sich bei mir schon einige Schmankerln angesammelt.
2011 war ich mit meiner Bücherliste auch konsequent, die Rezensionsexempare, die ich noch hatte und die ich zwischendurch bekommen habe, habe ich eingeschoben, aber sonst mit Ausnahme der Zeit, wo ich in Harland war, mich an die Reihenfolge gehalten, da es in Harland einen eigenen Stapel gibt, so habe mich bis Ende Juni bis zu Buch zweiundfünfzig hinuntergelesen, hatte aber schon einige Rezensionsexemplare und Harland-Bücher, die weiter unten angeführt waren, gelesen. Der Urlaub war dann noch einmal eine Ausnahme, weil ich einiges mitgenommen habe, was nicht auf der Liste stand, so daß ich als ich zurückgekommen bin, das in Tschenstochau gefundene Buch als Nummer Hundert eingetragen habe. Als ich die Liste im Februar erstellte, habe ich bis Nummer 71 bzw. 72 eingetragen, weil ich dann gleich in die Alte Schmiede ging und mir auf dem Weg dorthin in der noch existierenden Buchhandlung auf der Wiedner Hauptstraße, die „Zimtläden“, um zwei Euro kaufte.
Dann habe ich sehr sparsam immer das nachgetragen, was ich so gefunden habe. Irgendwann habe ich gemerkt, ich muß damit Schluß machen, um die Zahl Hundert nicht zu überschreiten, so daß sich eine andere Liste ergeben hat und der Plan, daß ich das, was ich 2011 vielleicht über hundert Bücher lese, nicht mehr auf diese, sondern auf eine andere Liste eintragen werde und das habe ich Mittwochnacht dann getan. Denn inzwischen hatte ich im Kopf ja schon eine Bücherliste für 2012 und mir vorgenommen, da einmal die fünfundvierzig interessantesten Bücher, die ich inzwischen gekauft oder gefunden habe einzutragen.
Ernst Lothar ist da dabei, Paulo Coelho, Lotte Ulbricht, Marcel Reich-Ranicki, Marlene Streeruwitz u. u. u. Dann kann ich noch die Bücher dazuschreiben, die in Harland über dem Bett liegen, das sind ca fünf oder sechs und 2012 jede Woche ein Buch, das ich gefunden oder bekommen habe.
Damit müßte ich hinkommen und kann auch die aktuellen Bücher einbeziehen und 2013 mache ich einen Strich und eine neue Leseliste.
Manche werden jetzt vielleicht denken, daß das ganz schön bürokratisch ist. Mag sein, für eine Büchersammlerin, die ihre Bücher auch lesen will, ist es aber eine gute Struktur, die Vorsätze auch zu schaffen. Ganz wird mir die Quadratur des Kreises zwar nicht gelingen und kann es auch nicht. Denn es gibt zuviele Bücher, das ist sehr gut, weil sie mich ja interessieren und, ob ich sie jetzt in meinem Bücherregal stehen habe oder nicht, ist eigentlich egal.
Ich bemühe mich zwar immer bei den Bücherschränken wirklich nur das zu nehmen, was ich wenigstens vielleicht lesen will, frage dann doch, ob jemand mit mir tauscht oder mir das Buch für meinen Blog gibt? Sagt er oder sie nein, denke ich „Macht ja nichts!“ und das ist auch so und trotzdem schade!
Aber ich habe genug Bücher und werde die, die ich habe, wahrscheinlich nur knapp in den nächsten zwanzig Jahren, wo ich wahrscheinlich noch lesen werde, lesen, auch wenn nichts Neues mehr dazu kommt, die Bücherschränke also verschwinden und es keine Rezensionsexempare mehr gibt, was wohl nicht passiert.
Es ist auch ganz lustig, denke ich, mit dem Problem zu leben, ein Buch nach Hause zu tragen, von dem man weiß, daß man es eigentlich nicht braucht, es aber trotzdem lesen will. Eine kleine Unperfektion, die nicht schadet, denn ich ziehe mir ja auch immer Bücher aus den Regalen, die schon seit Jahren dort stehen und die ich dann doch lese, weil ich zum Beispiel E.A.Richter kennenlernte und ein Buch von ihm habe oder es für meine Romanrecherche brauche. Es gibt ja auch genug Bücher und es kommen immer wieder neue dazu und ich überlege mir auch manchmal, was man lesen soll?
Wenn man sich mit Bücherblogs beschäftigt, drängt sich natürlich die Antwort auf, das, was auf den Buchpreislisten steht, also die neue Streeruwitz, den neuen Glavinic, den neuen Henisch, den neuen Trojanow, Haslinger etc. In den Kästen oder der Buchlandung, liegen dann die älteren Bücher der Autoren und da habe ich ja die Iris Hanaka auf einer Liste, einen Roman vom Georg Klein und von Rolf Lappert von denen ich noch nie etwas hörte. Ich denke, das soll man auch lesen, denn das ist sicher interessant. Wenn dann aber die städtische Bücherei in den Neunzigerjahren ein Buch aus den Fünfzigerjahren ausrangiert und ich es 2010 lese und es auch noch auf meinem Blog veröffentliche, dann bin ich doch hoffnungslos jenseitig oder?
Mitnichten, dann reiße ich die Verleger, die es neu herausbringen kurzfristig vom Hocker, bringe sie auf Ideen und sie versprechen mir ein Rezensions- bzw. ein Belegexemplar, weil ich ja ein Buch, das ich schon gelesen habe, nicht nochmals besprechen kann.
Das ist das Lustige am Literaturgeflüster und wahrscheinlich auch das Wertvolle, weil ich ja, das habe ich schon geschrieben, meine Bücher eigentlich nur für mich selbst bespreche, als Gedächtnistraining und als Alzheimerprohylaxe sozusagen.
Es ist auch eine interessante Dokumentation, was man so in den Bücherschränken, bzw. bei Buchlandung manchmal um einen Euro finden kann.
Der Hauptverband des Buchhandels wird jetzt aufstöhnen, ich weiß, aber ich denke, daß Bücher so wertvoll sind, daß man sie immer lesen kann und nicht nur in der Zeit, wo sie auf der Buchpreisliste stehen und bis Weihnachten gekauft werden sollen und ehe ich es vergesse, das Lesebuch mit den Leseproben der zwanzig Longlistenbücher für den neuen deutschen Buchpreis ist inzwischen auch gekommen und da gibt es nächste Woche die Shortlist für die ich diesmal keine Prognose habe. Aber gespannt bin, welche Bücher ich davon lesen werde und wann das erste im Bücherschrank oder bei den Buchlandungsabverkäufen liegt?
Der Stattersorfer Flohmarkt wäre auch ein Tip, wo man originalverpackte Buchpreisbücher, um einen oder zwei Euro bekommen kann, aber da war ich nur ein einziges Mal.
2011-09-09
Winterquartier
Evelyn Grills 1993 zuerst in der Bibliothek der Provinz erschienene Erzählung „Winterquartier“, könnte man, wie auch andere ihrer Bücher als Provinzsatire oder Farce bezeichnen. Von Evelyn Grill habe ich ja schon öfter geschrieben und auch einiges gelesen. 1942 ist sie in Garsten, ÖO geboren, hat Jus studiert und 1985 im Wiener Frauenverlag, den Roman „Rahmenhandlungen“ herausgebracht, der auch in der sozialistischen Frau abgedruckt war. Dann kam „Winterquartier“, 1994 „Wilma“, schon bei Suhrkamp erschienen, das auf meiner Lesteliste für 2012 steht, die „Schönen Künste“ habe ich auch gefunden. Den „Sammler“ noch nicht, obwohl ich dieses Buch sehr gerne lesen möchte, da ich mich ja auch mit dem Messie-Thema beschäftigt habe. Man sieht Evelyn Grill hat Karriere gemacht. Seit 1986 lebt sie in Freiburg im Breisgau, ist mit einem Literaturwissenschaftler verheiratet, ich sehe sie manchmal bei Veranstaltungen und Lesungen. Zu „Rund um die Burg“ kommt sie nächste Woche, glaube ich, auch und liest aus dem „Antwerpener Testament“.
„Winterquartier“ ist höchst beeindruckend, wenn vielleicht nicht so sehr im Bernhardschen Stil, wie „Ins Ohr“, die bedrückende Ende der Provinz, die sich zur Farce steigert, ist trotzdem sehr beklemmend zu bemerken. Es geht um die Änderungsschneiderin Roswitha, zweiundvierzig Jahre alt, eine alte Jungfer und durch eine Kinderlähmung behindert, sie hinkt, dadurch hat sie einen Beruf lernen dürfen und lebt nun, nachdem ihre Eltern bei einem Unfall verstorben ist, in einem Pfarrhaus neben dem Gefängnis des Ortes, was schon eindrucksvoll die Athmosphäre schildert. Zur Hundert oder Tausendjahrfeier wird das Haus eingerüstet und der Putz abgetragen, was Roswitha in der Arbeit, die sie gewissenhaft erledigt und auch in ihrer Werkstatt, nicht im ehemaligen Schlafzimmer der Eltern schläft, behindert. Sie lernt aber auch einen der Arbeiter kennen, der ein „Winterquartier“ zu suchen scheint und dem Fräulein daher so etwas, wie einen Heiratsantrag macht. Roswitha ist entzückt und so zieht er bei ihr mit seinem Koffer ein, macht ihr das Linoleum dreckig und sie kocht und putzt für ihm und schläft vorerst weiter in der Werkstatt. Erst als sie mit ihm am Sonntag an den Schienen spazieren geht, er war früher Schwellengeher, Messerwerfer ist er auch, kommt es zum sexuellen Kontakt, das heißt, er nimmt sie brutal, was sie aber nicht nur entsetzt, sondern auch ein wenig entzückt. Ansonsten lebt sie, obwohl sie sich zur Jause immer eine Mohnkrone kauft, sehr bescheiden, das heißt ohne Bad, den Bretterabort am Gang, Telefon und Radio gibt es auch nicht, dafür eine ältere Schwester zu der sie früher baden ging, aber die hat eigene Sorgen, nämlich Krebs und einen Mann, der sie mit der Pfarrbiblothekarin Grete, auch eine von Roswithas Kundinnen, betrügt und sie wird auch von ihrer Freundin Lotte nicht verstanden, denn die wurde vom pensionierten Schuldirektor als Hauptdarstellerin für das Weihespiel, das zum Jubiläum aufgeführt werden soll, auserkoren, Roswitha soll die Kostüme nähen, dafür küßt ihr der Schulrat die Hand. Sie hat nämlich sehr schöne Hände und ist stolz darauf. Durch Maxs Brutalität werden sie aber in Mitleidenschaft gezogen. Er kommt und geht wann er will, säuft, bringt seine Freunde mit, veranstaltet in Roswithas Wohnung Messerwerfen, die sich nicht wehren kann oder nicht wehren will, auch keine wirkliche Hilfe an den Dorfbewohnern hat, obwohl sie gut inegriert ist und es von ihrem Vater auch nicht anders gelernt hat, stammt sie doch noch aus der Zeit, wo unterm Hitler alles besser war und das zeigt sich auch, als aus dem Gefängnis nebenan zwei Männer entweichen.
Da quartieren sich nämlich alle in Roswithas Wohnung ein, um mit dem Feldstecher auf das Spektakel zu schielen und sich zu empören, daß den Verbrechern Backhendel und Schweinsbraten mit Knödel serviert wird. Die Werkstatt wird verwüstet, der Schulrat und Lotte wenden sich empört von den messerwerfenden Saufbolden in Roswithas Wohnung ab, die Schwester hat sich am Dachboden erhängt, die beiden Ausbrecher „klettern indessen auf der Strickleiter in die Luke hinein“ und Roswitha hat ihren Max inzwischen auch mit der Zuschneideschere erstochen…
Es ist wirklich eine Farce das schöne Leben in der Provinz vierzig Jahre nach dem Damals, wo alles doch besser war.