Der 2011 in der Edition ch Textband „Figuren“, 32 Prosaskizzen von Manela Kurt beginnt mit einem Schachbrett als Inhaltsverzeichnis.
Auf zwei Feldern werden abwechselnd in schwarz-weißen Quadraten, die Textüberschriften mit der Seitenanzahl vermerkt.
Einige Texte scheinen dem Schachspiel entlehnt. So gibt es „Der Läufer“, „Springen“, „Der König“, „Ein weißes Feld“, andere Texte scheinen wieder nichts mit den Schachfiguren zu tun zu haben, sondern dem realen Leben zu enspringen, seine Gefühle, Wirrnisse, Freuden und Ängsten in kurzen Sätzen mehr oder weniger poetisch zu erzählen.
Fotografien spielen in dem Band auch eine große Rolle, nicht nur, daß Fotografien von Michael Kurt aus seinen Paris-Zyklen den Texten beigefügt sind. Die Texte sind auch sprachliche Fotografien und die Geschichten werden nicht nur in experimentellen Sprachstilen sondern oft sehr fotografisch erzählt.
Die 1982 in Karl-Marx Stadt, in der ehemaligen DDR, geborene Manuela Kurt, die in Wien vergleichende Literaturwissenschaft studiert, erzählt die Welt in kurzen Momentaufnahmen, geht dabei immer wieder von einer Ich-Erzählerin aus, wobei sie manchmal das, wovon der Text handeln soll, wie in dem Beispiel „Küssen“, gar nicht erzählt.
„Schau nicht nach unten, denn dort lauert ein Löwe. Zwei Steinfiguren. Ich werde zu dir gezogen. Weiße Stadt im Nebel. Ich kehre zurück. Im Morgengrauen durch die Gitterstäbe.“
Wer von wem geküßt wird, wird zum Leser ausgelagert, der sich seine eigene Geschichte zu dem scharf skizzierten Szenario ausdenken und seine Phantaise entscheiden lassen kann, wie das mit dem „Windhauch“ und dem „Stillstand“ zu verstehen ist.
Gefühle kommen in den Texten vor, Ängste, Freude, Verständnislosigkeit und Unverstandenwerden, wie das im Leben so ist, aber auch der sehr reale Alltag, wie das U-Bahnfahren wird immer wieder skizziert. So hat sich der „Läufer“ im ersten Text „auf den Weg gemacht, klettert von den höchsten Türmen der Stadt hinunter, trägt einen Stab, den er kaum halten kann, zeigt uns durch die U-Bahn Scheibe sein Gesicht und fletscht die Zähne“ und wir haben das Schachbrett längst verlassen und können uns unseren Reim zu machen versuchen, wie das mit den Läufern in der U-Bahn ist.
„Du fehlst mir“, heißt es in dem sehr poetischen Text. „Winter“
„Die Stadt wird immer kälter. Ich lehne mich gegen die Wand und du küsst mich.“
Während man in „Die Liebenden“ in die Abgründe der menschlichen Beziehungen hineinschauen kann.
„Wie Süchtige greifen ihre Hände nacheinander. Er ist der Bach, der reißt. Sie fühlt sich wie vor einem Gewehrlauf. Sie kocht über vor Liebe. Die Weite zwischen ihnen wird eng. Sie kämpfen.“
Man kann sich über das alles viel längere Geschichtenausdenken, sogar Romane mit tausend Seiten schreiben, die ich gerne lese. Die Verdichtung und Vernknappung hat aber ihren Reiz, zwingt zum genau Hinschauen, um den Widersprüchlichkeiten, die es in den Texten hin und wieder gibt, nicht auf dem Leim zu gehen und dann wird nicht nur mit den Bildern und den Fotografien, sondern auch mit Sprache gespielt.
Im „Am Boden“ „schleicht sich von hinten das flinke B an mich heran. Das U (sein heimlicher Komplize) läßt nicht locker, bis das C mich so richtig an die Nagel nimmt und das H einmal kräftig gegen mein Schienbein tritt“.
Eine schöne Visualisierung, die die Vorstellungskraft der realistischen Schreiberin schult und der Psychotherapeutin gefällt natürlich die Selbsterkennung in „Bin ich es?“, während der Text „Fliegen“ wieder Rätsel aufzugeben weiß. Wer fliegt während des „Spaziergangs durch die Herbsblätter“ wohin? Die Flügel hat die Ich-Erzählerin zwar bekommen, dann verwandelt sie sich aber im Einkaufszentrum in einen Teddybär und „fühlt Müdigkeit in allen Gliedern“.
Man muß schon sehr aufpassen, um Manuela Kurts Figuren zu erfassen, dann kann man dem banalen Alltagsleben poetische Wendungen abgewinnen, was das Lesen interessant und spannend macht.
„Die Tänzerin“ ist ein längerer Prosatext, der in kurzen Sätzen sehr viel erzählt, wenn man sich in die sprachliche Verdichtung einlassen will, während der Text „Illusionen“ nur aus drei Zeilen besteht.
Mein Lieblingstext ist zweifellos „Unterwegs“, in dem Manuela Kurt sehr poetisch mit dem Wort „schon“ zu spielen weiß.
Man hat viel gelernt vom Leben, nach dem Lesen, was, wie schon beschrieben, wo anders in langen Romanen viel ausführlicher beschrieben wird, während man die „Figuren“ der Manuela Kurt auf das Schachbrett stellen oder sie durch die Stadt schicken kann, aber auch Innehalten und die fotografischen Schnappschüße betrachten, dann kommt man den Figuren auf die Spur und kann sich ihr oder auch das eigene Leben erzählen.
Manuela Kurt, entnehme ich dem Buch hat in verschienenen Anthologien und Zeitschriften wie „DUM“ und „Wortwerk“ veröffentlicht.
Ich habe sie im Sommer 2009 bei einer Lesung im Readingroom gehört, da sind mir schöne Stellen in ihren Gedichten aufgefallen, im Internet ist nicht viel über sie zu finden, nur zwei Rezensionen über das Buch, das am 14. 9. in der Buchhandlung tiempo nievo vorgestellt wurde. Manuela Kurt ist jedenfalls auch eine unter Dreißigjährige. Mal sehen was ich noch von ihr hören oder lesen werde und ob ich sie in der Grazer Autorenversammlung treffen kann?
Eine der oben zitierten Widersprüchlichkeiten kann auch die Diskussion der Frage sein, ob es jetzt zweiunddreißig oder dreiundvierzig Prosaskizzen sind?
Zwei mal sechzehn Felder machen zweiunddreißg, das Buch hat aber dreiundvierzig Seiten, da muß der Rezensent schon aufpassen, daß er sich nicht verzählt.
2011-10-02
Figuren
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