Literaturgefluester

2011-10-14

Leonardos Hände

Filed under: Uncategorized — jancak @ 20:03

„Wenn einer stirbt, heißt das hier, der kauft nicht mehr ein“, lautet der erste Satz von Alois Hotschnigs 1992, erschienenen Roman „Leonardos Hände“, der, wie auf der ersten Seite steht, von einem zweiunddreißigjährigen Techniker handelt, der einen tödlichen Unfall verursacht, Fahrerflucht begeht und daraufhin sein Leben ändert, Rettungsfahrer wird, um ohne aufzufallen in die Nähe seines Opfers, der Kunstgeschichtestudentin Anna Kainz zu gelangen, die seither im Koma liegt.
„Dafür eine eigene Sprache zu finden und mit diesen Motiven einen Roman zu gestalten, dessen Handlung nicht nur spannend, sondern dessen schwierige Figuren auch psychologisch überzeugend sind, das ist eine Leistung, mit der sich Alois Hotschnig in die vorderste Reihe der deutschsprachigen Autoren geschrieben hat“, meint Werner Fuld in der Frankfurter Zeitung.
Mit dieser Information wird man in den hundertzweiundsiebzig Seiten Roman gestoßen, der zuerst ganz anders beginnen. Da spielen sich auf den ersten Seiten die Gespräche und die Erlebnisse des Rettungsfahrers mit den alten Leuten ab, die er in die Spitäler und Ambulanzen bringen soll, ihre Erzählungen über den Krieg, ihre Beschwerden und auch die Erlebnisse mit den alten Damen, die ihm auf einmal an die Hose greifen und weil Alois Hotschnig einmal Medizin studierte, wird das auch sehr genau und präzis beschrieben, daß man glauben könnte, man befände sich in dem Stück „Sibirien“ von Felix Mitterer mit Fritz Muliar.
Nach und nach erfährt man, was schon auf der ersten Seite verraten wurde. Da war der Unfall, nach dem Kurt Weyrath sein Leben total änderte, den Beruf und seine Erfindung aufgab, die Freundin verließ, in ein Hotel zog, des Nachts an der Innbrücke, wo der Unfall passierte, herumspaziert, zum Spezialisten für Unfälle wird und auch einmal durch besonderes Bemühen ein Menschenleben rettet.
Er fühlt sich auch verfolgt, ist nicht sicher einen Mitwisser zu haben, entdeckt unter den anderen Rettungsfahrern auch Schicksalsgenossen, denen etwas Ähnliches passiert sein könnte und beginnt mit dem Unfallsopfer zu kommunizieren, bis er Anna in einem Heim entdeckt, wo die Komapatienten ausgelagert werden und in der Zeitung davon liest, daß es einem Professor gelungen ist, sie wieder ins Leben zurückzuholen. Kurt Weyrath wird an ihr Bett gerufen, das er nicht mehr verläßt, sondern trotz Konflikte mit den Schwestern, sich zu Anna setzt, ihr aus Büchern der Kunstgeschichte vorliest und sie so nach und nach wirklich ins Lebens zurückbringt.
In eindrucksvollen Monologen, Zwiegesprächen und einer sehr poetischen Sprache, wird diese Geschichte, vielleicht nicht immer ganz verständlich erzählt. Er bekommt Schwierigkeiten auf seinem Arbeitsplatz, läßt sich kündigen, um bei Anna zu sein, die inzwischen schon gehen kann, aber nicht sprechen will. Das hat natürlich auch eine psychologische Dimension, denn wie wird es Anna gehen, wenn sie erfährt, daß er der Mörder ihrer Eltern ist, eine interessante Frage, wie ein solcher Roman enden kann, ohne kitschig zu werden oder die Mißrauchsgrenzen zu verletzten?
Alois Hotschnig wählt einen anderen Weg, wechselt noch einmal die Romanstruktur und macht aus dem Liebesroman einen Drogenkrimi, denn für die, die sich fragen, wieso das Ganze „Leonardos Hände“ heißt?
Anna hat, bevor sie ins Koma gefahren wurde, in Rom und Venedig, die Werke von Michelangelo und Leonardo da Vinci studiert und ist dabei einem Pharmaziestudenten in die Hände gefallen, der sie süchtig machte. Also so Hotschnigs Schluß, bzw. das was Anna ihrem Kurt erzählt, ist Kurt nicht Schuld an ihrem Unfall.
Anna ist jedenfalls wieder gesund geworden und fühlt sich verfolgt, erzählt Kurt die Geschichte von Leonardos Hände und Peter Röhrler und balanziert mit ihm Nächtens auf der Innbrücke, wo es ein Gitter gibt, damit die Selbstmörder nicht springen können. Trotzdem wird der Drogenkurier dort tot aufgefunden, Anna ist verschwunden, Kurt wird des Mordes verdächtigt, was der Kriminalkommissar, in die Zeitung setzten läßt damit Anna zurückkommen kann, worauf sie auch verdächtigt wird, an der Geschichte beteiligt zu sein.
„Ich lasse mich nicht mehr begraben, wofür auch. Für dich? Ich hole mich hier wieder heraus. Ich hole uns hier wieder heraus. Und vielleicht, ich bin nicht sicher, sagen wir so, fängt es dadurch mit uns an.“, lauten die letzten Sätze. Der letzte heißt „Aber das stimmt nicht.“ Dem Buch ist noch als Motto „Es ist alles erfunden“, vorangestellt.
Alois Hotschnig wurden, wie schon beschrieben, von der FAZ große literarische Qualitäten bescheinigt, Andreas Breitenstein von der Neuen Zürcher Zeitung, nennt es Auferstehungs- und Erlösungsgeschichte, Milieustudie, Kritik pervertierter familiärer Machtverhältnisse, u.u.“
Vielleicht wurde in die hundertziebzig Seiten ein bißchen zuviel hineingepackt.
Mich hat der Sprung von der psychologisch realen Situation, was ist, wenn mir wirklich so etwas passiert, in die natürlich kitschige Rettungsgeschichte mit der Lösung dann noch einen Kriminalroman daraus zu machen, mit einem gewissen Unbehagen zurückgelassen. Aber vielleicht passiert das alles auch nur in seinem Kopf?
Alois Hotschnig wurde 1959 geboren, hat viele Preise gewonnen, seinen Namen kenne ich, durch den Preis des Landes Kärnten beim Bachmannpreis, den er 1992 gewonnen hat, vom Erich Fried Preis 2008 habe ich sicher geschrieben und während ich auf das Lesen des Buches, das schon lange auf meiner Liste stand, gewartet habe, ist er auch noch der erste Gert Jonke Preisträger geworden.
Den Erzählband „Die Kinder beruhigte das nicht“, habe ich einmal bei „Rund um die Burg“ gewonnen, als die „Buchkultur“ noch Gewinnspiele hatte, aber nicht gelesen, weil ich Erzählbände nicht so mag und auf diversen Lesungen, zum Beispiel auf der Buch-Wien 2009 aus „Im Sitzen läuft es sich besser davon“, habe ich ihn auch gehört.

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