Die 1951 erschienene Erzählung „Ruhe auf der Flucht“ von Lilly Sauter ist wieder ein Gustostückerl aus dem Bücherschrank, denn hier wird direkt und wahrscheinlich sehr authentisch vom Leben kurz nach dem Krieg erzählt.
Die Ich-Erzählerin Barbara, die sonst ziemlich biografielos bleibt, hat sich in das Tiroler Bergdorf Andorf zu ihrer Tante Irene und Onkel Ferdinand einem Arzt zurückgezogen, der die meiste Zeit vor dem Radioapparat sitzt, während die Tante, die musische bürgerliche Kultur aufrechtzuerhalten sucht und bereitwillig die Nachbarn, die von der amerikanischen Besatzung ausquartiert werden, bei sich aufnimmt und sich mit dem Dienstmädchen Fanny herumbemüht, das alle Heiligen beschwört.
Das Buch springt rasant in die Handlung ein, einige Tage nach Kriegsende, wo noch die Hakenkreuzfahnen von den Häusern wehen, bzw. die Kreuze hinausgeschnitten und durch weiße Leintuchstücke zu rot weiß roten Flaggen gemacht werden und am Bahnhof die Züge zum Plündern bereitstehen, um die sich alle drängen, vor allem aber die Jungen aus dem „Kinder-Land-Verschickungs-Lager“.
Barbara offensichtlich eine bürgerliche junge Frau schließt sich mehr oder minder freiwillig der Plünderung an und läßt sich Reis in ein Gefäß schütten, da Reis etwas ist, „das man sich nicht entgehen lassen darf“ Frau Dr. Gruspaden mit den fünf Kindern, deren Nazivergangenheit und stramme NS-Mutterschaft man sanft erahnen kann, zieht mit einem belandenen Handwagen an Barbara vorüber und schreit ihr stolz „Das ist schon die zweite Fuhre!“, entgegen. Barbara sieht einen Mann am Bahnhof stehen, der ihr noch einige Male begegnen soll, hört von Juden, die vorübergetrieben wurden und die Typhus hatten und in einem Heustadel übernachteten in dem sich schon eine Flüchtlingsfamilie „verkrochen hatte. Mann, Frau und ein ganz kleines Kind.“
Barbara geht nach Hause zu Tante, Onkel und dem Dienstmädchen und nimmt bereitwillig alle Nachbarn bei sich auf, nur als die fromme Fanny auch noch die Flüchtlingsfamilie einquartieren will, weigert sich sich, wegen der Ansteckungsgefahr. Es gibt die Frau Zarubin, offenbar eine russische Musikerin, die in dem kleinen Bergdorf Schwierigkeiten mit dem Musizieren hat, obwohl ihr die hilfsbereite Tante Irene ihr Klavier anbietet und als das Radio zusammenbricht, holt Barbara Karl aus dem Kinder-Verschickungslager, Sohn eines Elektrohändlers, der es ihr und den Toaster, der Brotröster genannt wird, wieder repariert, nachdem er die entsprechenden Drähte organisieren konnte.
Es gibt auch die Nachbarn Gish und Heini Brekker, offensichtliche Bundesdeutsche, die es irgendwie herverschlagen hat und Heini macht sich gleich beim amerikanischen Militärkommando unentbehrlich und heuert Barbara als Dolmetscherin an, da diese und die Tante natürlich perfekt Englisch sprechen.
Inzwischen ist die Flüchtilingsfamilie weitergezogen und weil die ebenfalls sehr gutmütige Frau Malllonder, die sehr damit hadert, daß die Amerikaner ihrem Sohn in dem Krieg in den ihn die Nazis schickten, ein Bein weggeschossen haben, ihnen eine blaue Decke schenkte und sich die Frau darin einwickelte, werden sie von den Bauern für die „Heilige Familie“ gehalten, weil sie so offensichtlich dem Grestener Altarbild sehr ähnlich sehen.
Das löst eine Welle von Aktionen aus, das ganze Dorf, das Hoffnung sucht, pilgert hinauf und nimmt Konserven, Schokolade und alles andere, das sich von den Amerikanern bekommen läßt, mit, was allmählich auch Frau Dr. Gruspaden merkt und um die Milche für ihre Kinder fürchten läßt, so daß zuerst Klatsch und Tratsch entsteht, später soll die Familie von den Amerikanern abgeholt und ihres Heiligenscheins beraubt werden, was Barbara, die zwar kein „Schokolade-Mädchen“ oder „Ami-Pupperl“ ist, sich aber trotzdem in den musikalischen Ray Hartmann mit Vater aus Österreich und Mutter aus Russland verliebt, zu einer Rettungsaktion veranlaßt.
Ray wird daraufhin von seiner vorübergehenden Kommandofunktion zwar enthoben, was aber nicht viel macht, da Barbara ohnehin die Bild seiner Braut Bessie in seinem Koffer entdeckte, so daß am Schluß, als die Flüchtlingsfamilie gerettet ist und alle mit dem seltsamen Mann am Bahnhof, um ein Lagerfeuer sitzen, das Leben in dem neuen Österreich im Sinne der Menschlichkeit weitergehen kann….
Ein wenig kitschig mutet die Geschichte mit der heiligen Familie dem heutigen Leser vielleicht an, die Authentizität der nahvergangenen Kriegsereignisse macht das Buch aber sicher sehr empfehlenswert und ich habe von Lilly Sauter, die 1913 in Wien geboren wurde und 1972 in Innsbruck starb, das erstemal vor ein paar Jahren beim Christine Busta Symposium der Gesellschaft für Literatur gehört. Da war ihr ein eigener Vortrag gewidmet, sonst ist die Autorin, Kusthistorikerin, Kritikerin und Veranstalterin ziemlich vergessen, im Internet kann man aber ihren Nachlaß finden, der von der Universität Innsbruck verwaltet wird und das Lexikon „Literatur in Tirol“ hat ihr Leben auch sehr genau aufgearbeitet. Über „Ruhe auf der Flucht“ das 1951 in der österreichischen Verlagsanstalt Innsbruck erschienen ist, kann man auch eine Beschreibung finden, die der Autorin psychologisches Einverständnis und christlichen Humanismus zugesteht. Sonst hat Lilly Sauer noch Gedichte und Novellen geschrieben, die ebenfalls im Internet zu finden sind.
2011-10-24
Ruhe auf der Flucht
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